Lesezeichen
 

Typologie-Nachschlag

Da die Typologie Berliner Busfahrer ja eine Art von Brüller und Publikumserfolg war, hier ein wenig Nachschlag.

Nämlich: Die fünf Hauptärgernisse beim Busfahren. Bitteschön.

1. Der Kita-Ausflug.

Man fährt auf die Haltestelle zu, die von einer Traube aus etwa 30-40 Kleinkindern belagert wird. Eine Erzieherin geht voran, schwenkt ein Gruppenticket und in den folgenden 60 Sekunden bollern die 30-40 Kinder in die obere Etage, wo sie sofort beginnen ein Geruchsgemisch aus Mandarinen, Schokolade, nassen Schuhen, Schweiß und Kaugummi abzusondern. Es entsteht ein heterogener Geräuschteppich aus Lachen, Weinen, Kreischen, Plappern. Einige Haltestellen später: Die 30-40 Kinder steigen wieder aus. Erneutes Bollern und Kreischen. Danach gespenstische Ruhe im Bus.

2. Die klemmende Hintertür.

Wird zumeist durch irgendeinen Tüffeltoffel ausgelöst, der im Augenblick der Türschließung im Weg steht: Eine Hälfte der Doppeltür schließt normal, die andere, blockierte, bleibt halboffen stehen. Es gibt an dieser Stelle vier Fallunterscheidungen, sortiert nach den vier unterschiedlichen möglichen Temperamenten bzw. Befähigungen des Busfahres, als da sind: Choleriker, Stoiker, Schamane, Depressiver.

Der Choleriker schimpft laut unverständliches, stapft wütend durch den Bus nach hinten. Löst die Notverriegelung, tritt die Tür mit Leibeskraft wieder in die richtige Form, poltert zurück zum Fahrersitz, überprüft vor Abfahrt erneut die Funktion der Tür. Funktioniert sie, dann fährt er die nächsten 30 Minuten überall, wo möglich, vor Wut mit Vollgas. Funktioniert sie immer noch nicht, wiederholt sich der Vorgang vier bis fünf mal mit steigendem Zorn, bis der Busfahrer einen im Weg stehenden Fahrgast tötet und von der Polizeit abgeholt wird.

Der Stoiker schaltet den Motor des Busses aus. Schaltet den Motor wieder ein. Prüft, ob die Tür sich nun schließen lässt. Wenn ja, fährt er weiter, wo sich an der nächsten Haltestelle das Spiel wiederholt. Wenn die Tür immer noch nicht klappt, macht er wieder den Motor aus. Und wieder an. Repeat and fade out.

Der Schamane schaltet den Motor aus, geht nach hinten durch, bleibt stehen, versenkt sich minutenlang in die mentale Aura Türschließmechanismus‘, rüttelt dann einmal kurz an der Tür, wodurch sie repariert wird, und fährt weiter.

Der Depressive schaltet den Motor aus, ruft die Einsatzzentrale an und legt den Bus für immer still. Manchmal flüstert er mit letzter Kraft über die Lautsprecheranlage, „bitte alle aussteigen, der Bus ist defekt“. Fällt wenig später ins Wachkoma.

Da in den ersten drei Fällen die reparierten Türen spätestens an der übernächsten Haltestelle erneut klemmen, gibt es nur einen, wichtigen Ratschlag: Bei klemmender Hintertür immer den Bus sofort verlassen, Taxi nehmen.

3. Die morgenländischen Jugendlichen (vor allem in Wedding, Moabit, nördliches Schöneberg).

Sind zu sechst bis acht, Aggro-Level 150%, steigen als Menschenkette entgegen der Vorschriften an der HINTEREN Tür ein, poltern laut die Treppen in die obere Etage hoch. Sie wollen gar nicht Bus fahren, sondern provozieren. Hier gibt es ein genau festgelegtes Programm: Handy-Klingeltöne ausprobieren, auf die Sitze spucken, demonstratives Ausprobieren von Klapp- und Springmessern, Klimmzüge an den Haltestangen, lautes persönliches Ansprechen und Beleidigen einzelner Fahrgäste, lautstarkes mit den Fäusten gegen die Fenster donnern, um weitere draußen stehende Freunde zu begrüßen, danach sofortiges geschlossenes Verlassen des Busses. Es kommt vor, dass all dies in weniger als 30 Sekunden abgearbeitet ist, sodass die morgenländischen Jugendlichen den Bus genau an der selben Haltestelle wieder verlassen, noch vor Abfahrt des Busses.

4. Platzhalter
Hier erwartet man nun einen onkeligen Text über Mütter mit Kinderwagen oder Rentner mit Kartoffelmercedes. Das ist aber doof. Wer Kinder hat oder nicht mehr gut zu Fuß ist, ist gestresst genug und muss nicht noch durch den Kakao gezogen werden.

5. Der Verliererbus

Der Verliererbus ist das Demütigendste überhaupt. Verliererbusse gibt es auf allen Linien mit dichter Taktzahl, z.B. der Linie 148 von Zehlendorf zum Alexanderplatz. Diese Linie verkehrt in Stoßzeiten alle 5 Minuten. Theoretisch. In der Praxis sieht es so aus, dass zehn Minuten lang gar kein Bus kommt und dann zwei hintereinander. Der vordere ist stets der Verliererbus, denn in ihn steigen an den Haltestellen immer ganz viele Leute ein. Aus dem hinteren Bus wiederum steigen nur Leute aus, sodass er immer leerer und flinker und wendiger wird, während der vorderer immer voller, lahmer und unbeweglicher wird. Irgendwann beginnt der hintere Bus den vorderen zu überholen. Spätestens dann spürt man als im vorderen Bus sitzender eine gefährliche Mischung aus Missgunst und blankem, kalten Hass.

 

Bierempfehlung

Ein kleiner Nachtrag von Max Lion Schere aus Hanover, USA zu dieser Aktion:

Nun ja, eigentlich keine Rezension, aber ein Vorschlag. Zum selber ausprobieren:

Eine kleine Brauerei, von einem überzeugten Nichtgrossbrauerei Brauer betrieben. Erfreut sich im Weddinger (!) Kiez wachsender Beliebtheit – vollkommen zu Recht wie ich finde. Befindet sich im Keller eines Studentenwohnheimes in TFH Nähe, nicht ganz einfach zu finden. Aber auf der website gibts den kompletten Addresslink, sowie Neuigkeiten.

www.eschenbraeu.de

Viel Spass beim Probieren – das Pils gehört zu den besten Bieren die
ich je getrunken habe…

 

Warten auf die Berlinale

Tataa-Tataa – wir haben anlässlich der Berlinale eine filmkundige Gastautorin, die ich hiermit herzlich begrüßen möchte. Sie heißt Ksenia Vasilyeva, ist Germanistin und Anglistin mit Schwerpunkt Medien. Sie arbeitet als freie Mitarbeiterin für das Internationale Filmfest Braunschweig und Cinegraph in Hamburg.

Die Spannung vor der Bekantgabe der Filme, die am Berlinale-Wettbewerb teilnehmen, erinnert an die WM-Fußball-Qualifikation. Alle fiebern für die deutschen Filme, schielen auf die Konkurrenz, auch aus Ländern, von deren Filmlandschaft wir kaum etwas wissen. Nun ist es so weit. Das Programm für die 56. internationalen Filmfestspiele Berlin steht fest. Vier deutsche Filme nehmen dieses Jahr im Wettbewerb teil: Elementarteilchen von Oskar Roehler, Requiem von Hans-Christian Schmid, Der freie Wille von Matthias Glasner und Sehnsucht von Valeska Grisebach.

Das sequenzübergreifende Berlinale-Prinzip ist, wie immer, alles- und nichtssagend: „die Filme sind in diesem Jahr realitätsnah, sehr persönlich und politisch“, – so der Berlinale-Direktor Dieter Kosslik. Beim Studieren des Programms mit Beiträgen aus über 100 Ländern fällt jedoch eine thematische und länderspezifische Häufung auf: islamische Länder, Naher Osten, Abughreb und Guantanamo. Bei der Berlinale geht es eben um alles. Weitere Schwerpunkte sind Musik und Filme von und über Künstler. Es gibt Beiträge über das Kochen und sexuelle Diversität. Es gibt mal wieder George Clooney und Franka Potente. Auch dem allgegenwärtigen Thema Fußball kann man sich auf der Berlinale 2006 nicht entziehen: insgesamt 7 Filme sind dieser Sportart gewidmet.

Am 9. Februar fängt das größte deutsche Filmfestival an und wird 10 Tage lang das Publikum in einen Rausch versetzen. Ich werde mich dem Wahn anschließen und mich mit den Menschenmassen auf der Suche nach dem cineastischen Kick von Kino zu Kino treiben lassen. Welche Juwelen werde ich wohl dieses Jahr unter den zahlreichen Premieren und Debüts auf der Berlinale entdecken?

 

Wie sich die Berlinale anfühlt

Ein verstopfter Potsdamer Platz. Die immergleichen Nachrichten, welcher Filmstar wann/wie/mit wem im Kumpelnest getanzt hat. Permanentes „Reload“-Klicken auf der Berlinale-Internetseite, auf der man wegen überforderten Datenbanken trotz T3-Leitung 15 Minuten braucht, um ein Ticket vorzubestellen, das man sich dann trotzdem vor einem Bretterverschlag in den überheizten Potsdamer Platz Arkaden abholen muss. Die unerträgliche BZ, die tagelang nichts anderes macht, als Brustwarzen des diesjährigen Berlinale-Luders abzubilden. Menschen aus allen Ländern, die die Grippe einfliegen und gleichmäßig unter der Berliner Bevölkerung verteilen.

Ja, ja.

Aber eben auch: Im Kino sitzen. Mit Gleichgesinnten. Gespannt. In froher Erwartung. Den Film zu sehen.

Es ist ein bisschen wie Weihnachten. Die Vorbereitungen nerven, jedes Jahr. Aber wenn erst mal das Glöckchen geklingelt hat und die Tür zum Weihnachtszimmer aufgeht, dann kehrt auch im letzten Miesepeter eine Art von Glück ein.

 

Goya vor dem Ausverkauf

Sie wundern sich. Sie wundern sich wirklich, dass das Konzept Goya nicht aufgeht. Also mal im Ernst. Wer zahlt 3960,00 Euro dafür, zum Club der „Aktionäre“ zu gehören? Klar, als Aktionär darf man den zweiten Balkon betreten und von oben mit der Montechristo auf die tanzende Meute aschen. Der Denkfehler aber dabei ist: Wer möchte bitteschön im Goya rumtanzen, wenn er weiß, dass im zweiten Stock ein Geldadel von maximaler Tumbheit auf einen runter ascht.

Das auch ansonsten völlig barocke Konzept eines Goya, das – wenn überhaupt! – vielleichtvielleicht in München funktionieren könnte, sicherlich aber nicht in einer Stadt, die es schafft, aus Armut Kreativität zu machen, wird scheitern.

Und überhaupt? Wer tanzt schon mit vollem Bauch.

Folgerichtig hört man munkeln, dass das Goya an den nächsten Wochenenden mit freiem Eintritt wirbt.

Ohje.

 

Labern, fressen, hasardieren!

Seit Jahren passiere ich beinahe täglich die Achse Alexanderplatz – Rathaus Steglitz, üblicherweise unter Zuhilfenahme der durchgehenden Verbindung Gertraudenstr. / Leipziger Straße / Potsdamer Straße / Hauptstraße / Rheinstraße / Schlossstraße. Dass die „Potse“ von Jahr zu Jahr mehr verkommt, ist zwar nun wirklich kein Geheimnis mehr.Dass sie allerdings, was die Geschäfte angeht, immer mehr zum Ausdruck bringt, was die Haupttalente des Berliners sind, nämlich labern, fressen und hasardieren, ist schon beängstigend.

Auf der o.g. Achse haben innerhalb der letzten zwei Monate mehr als zehn Wettbüros NEU ERÖFFNET. Ansonsten: Spielotheken, Telefonierläden, Dönerläden und Asia-Imbisse. Einzig und allein der Bio-Supermarkt am Kaiser-Wilhelm-Platz hat sich schüchtern dazwischengezwängt. Die Verelendung schleicht sich südwestwärts fort, sie endet ungefähr am Innsbrucker Platz. Gerade die letzten 500 Meter, der Abschnitt zwischen Dominicusstraße und Innsbrucker Platz sind gesäumt von soeben dichtgemachten Läden.

Steglitz wehrt sich beharrlich, man errichtet sogar gleich zwei neue Einkaufsscenter. Wird Steglitz standhalten? Dauerhaft? Schaumerma.

 

Fleisch ist sein Gemüse

Die Rede ist von Heinz Strunk und seinem unfassbaren Buch „Fleisch ist mein Gemüse“, in dem er seine Jahre als tragischer, über die Lande tourender Berufsmusiker literarisch verarbeitet hat. Am morgigen Samstag liest und singt Heinz Strunk u 20:30 Uhr im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer 130, U Kottbusser Tor. Dringende Empfehlung.

 

Der Krieg der BigBands

Wer denkt, BigBands seien ausschließlich etwas etwas für graumelierte Volvofahrer, die sich auf Frühschoppen-ähnlichen Veranstaltungen Dornkaat über die Schulter gießen, irrt. In Berlin findet heute ein Big Band Battle statt. Die NDR Bigband tritt mit ihrem „Frank Zappa Project“ gegen das Geir Lysne Listening Ensemble aus Norwegen an. Die Hamburger bieten rasante Arrangements des guten alten Zappa, und die Norweger eine bizarre Synthese aus Pink Floyd, Jean Sibelius und nordischer Folklore.

Da gibt’s richtig was auf die Ohren. Im Kammermusiksaal der Philharmonie um 20:00 Uhr.

 

Rettet det Balinarische!

Aus Köln gibt es eine schöne Geschichte: Ein Japaner, der über Jahrzehnte in seiner Heimat die deutsche Sprache erlernt hat, dessen fehlerfreier Wortschatz sogar Goethe hätte erblassen lassen, kommt am Flughafen an und steigt in ein Taxi. Im absolut klaren, höchstperfekten Deutsch begrüßt er die blondierte, auftoupierte Fahrerin und teilt ihr höflich den Ort mit an der gebracht werden will. Dummerweise gibt es die Strasse mehrfach in der Stadt, also fragt ihn die Taxifahrerin: „Hörens Liebschen, is dat up dä schääl sick, oder wat?“*. Der Japaner reiste sofort wieder ab, seine Studien vertiefen.

So was kann in Berlin nicht passieren, denn der Berliner Dialekt ist auf dem Rückmarsch. Die Taxifahrer sind meinst Alt-Philologen aus Stuttgart, die Kneipen, ansonsten Hort und Brutstätte der Dialekte, gefüllt mit Menschen aus allen möglichen Gegenden Deutschlands. Selbst ein breites Sächsisch hört man öfter in Berlin, als den alten Dialekt. Damit die Sprache nicht in Vergessenheit gerät, gibt es im Internet ein schönes Lexikon, das ziemlich umfangreich ist. Viel Spaß beim nachschlagen von Wörtern wie „Mollenfriedhof“ oder „Schlorren“. Wenn sie es auswendig gelernt haben, dann können sie ihre neu erworbenen Kenntnisse ja mal an einem Taxifahrer ausprobieren.

*“Lieber Fahrgast, ist das rechts- oder linksrheinisch?“