Lesezeichen

„Maria Magdalena“

Zum Teufel mit der bürgerlichen Moral! Das Stück im Jungen Schauspielhaus zeigt eine Alternative zum kranken Ehr-Modell.

„Ehre“ gehört zu jenen Worten, die mit neuem Gehalt gefüllt werden müssen. Denn kein Mensch sollte aus Gründen des sogenannten Ehrverlusts sein Leben verlieren. Das dachte sich schon Friedrich Hebbel im 19. Jahrhundert und prangerte in seinem Drama Maria Magdalena die Falschheit bürgerlicher Moral an: Aus Angst vor dem Urteil anderer behandelt ein Vater seine beiden Kinder unmenschlich – der gute Ruf der Familie ist wichtiger als das Wohl seiner Mitglieder. Und weil das heute immer noch einige Rückständige so sehen, wird das Junge Schauspielhaus nicht müde, von solchen Schicksalen zu erzählen – selbst wenn sie 170 Jahre alt sind: Ein Handwerksmeister verstößt seinen Sohn, der im (falschen) Verdacht steht, ein Dieb zu sein; und seiner Tochter droht er mit Selbstmord, falls auch sie ihm noch Schande machen sollte – tatsächlich ist sie ohne potenziellen Ehemann schwanger … Regisseur Alexander Riemenschneider stellt für Zuschauer ab 14 Jahren eine Alternative zum kranken Ehr-Modell vor: die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie man leben will.

Text: Dagmar Ellen Fischer

 

Lesen ohne Atomstrom

Greenwashing war gestern: Am Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe ergreifen Autoren, Journalisten und Politiker das Wort.

Eigentlich sollte er ja selbst kommen. Denn er war – zusammen mit Nina Hagen und Feridun Zaimoglu – der erste, der 2011 gegen Atomstrom las: Günter Grass und seine beiden Mitleser wollten damals nicht auf die Theaterbühne, sondern an den Ort des Geschehens, den Tatort, an die offene ökologische Wunde. Deshalb fand die erste Lesung vor 2.000 Zuhörern im Schatten des Vattenfall-Atomreaktors in Krümmel statt. Im Gedenken an diesen Jahrestag und zu Ehren des kürzlich verstorbenen Grass wird es am 26. April eine ganz besondere Veranstaltung bei Lesen ohne Atomstrom geben, eine konzertante Lesung im Ohnsorg-Theater, mit Nina Hagen, Rainer Burchardt, Feridun Zaimoglu, Benjamin Lebert, David Bennent und anderen.

Wer den Sonntag schon literarisch beginnen möchte, kann nach dem Frühstück gleich in die Zentralbibliothek gehen. Dort beginnt um 11 Uhr der Erneuerbare Presseclub mit Gregor Gysi, dem ARD-Reporter Sascha Adamek, Jürgen Roth sowie den beiden Stern-Rechercheuren Wigbert Löer und Oliver Schröm.

Text: Nik Antoniadis

 

#2 RUDELrudern

Wildes Wilhelmsburger Wasser: Der Stadtkultur Hafen e.V. erkundet bei einer Bootsfahrt das kulturelle Potenzial des Veringkanals.

Nachdem bereits die Uferzonen des Veringkanals quasi tanzend erkundet wurden, lädt der Stadtkultur Hafen e.V. nun zum zweiten Teil seiner „Wahrnehmungsspaziergänge“ auf dem Wasser. Soll heißen: Rudern auf dem Veringkanal. Ein schwimmender Untersatz ist dafür natürlich von Vorteil, aber nicht Pflicht: Leichtmatrosen ohne Boot und auch Kapitäne ohne Mannschaft können sich unter info@kanalgang.de melden, um zueinander zu finden. Wer es nicht um 14 Uhr zur Schleusung an die alte Schleuse schafft, kann das fröhliche Ruderrudel auch eine Stunde später auf der Höhe der Soulkitchen-Halle antreffen. Es lockt eine Floating Bar und natürlich musikalische Untermalung. Später gibt’s auch Fischbrötchen auf der Maknete Schute im Hof der Honigfabrik. Fehlt nur noch gutes Wetter.

Text: Nik Antoniadis

 

Imperium

Ein Fanatiker will auf einer Insel eine eigene Gesellschaft gründen. Jan Bosse erzählt im Thalia Theater das Leben eines Aussteigers.

Der junge Nürnberger August Engelhardt möchte sich von der Gesellschaft abschotten, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit ganzer Kraft in die Moderne steuert. Deshalb kauft er eine Kokosplantage auf der Insel Kabakon, der wilhelminischen Kolonie Deutsch-Neuguinea. Die Kokosnuss hält August für eine vollkommene Frucht, die den Menschen zu einem gottähnlichen Wesen machen kann. Eine bessere, reinere Zivilisation soll auf der Insel entstehen. Christian Krachts Roman ist eine Enzyklopädie europäischer Geistesgeschichte und verweist auf ein anderes, späteres Experiment der deutschen Geschichte, das statt der Kokosnuss die Reinheit der Rasse ins Zentrum erhob. Das Bühnenwerk Imperium von Jan Bosse erzählt die Geschichte eines autonomen Utopisten und die eines Fanatikers.

Text: Adriana Jodlowska

Die Vorstellung am 26.4. ist ausverkauft, für den 27.4. gibt es noch Tickets.

 

Peter Handke

Das Ensemble Nico and the Navigators variiert ein Stück des bekannten Autors. „Die Stunde da wir zu viel voneinander wussten“ läuft auf Kampnagel.

Der Titel Die Stunde da wir nichts voneinander wussten erscheint geradezu programmatisch. Besteht Peter Handkes Stück doch „nur“ aus 60 Seiten Nebentext für zwölf Schauspieler, die er in wechselnden Rollen in einem endlosen Reigen von meist absurd überzeichneten Alltagsszenen stumm über einen lichten Platz flanieren lässt. Dies allerdings in einer so überbordenden Reichhaltigkeit von Details, dass die Fülle der Leben und Schicksale dahinter schier überwältigt. Gesprochen wird nicht, dafür aber unentwegt kommuniziert … oder?! Jetzt bietet sich die seltene Gelegenheit, diese Frage an zwei unterschiedlichen Versionen zu überprüfen. Am Thalia Theater inszenieren die estnischen Regisseure Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper Handkes Stück als ebenso verstörende wie poetische europäische Utopie. Auf Kampnagel variiert es das Berliner Theaterensemble Nico and the Navigators in Die Stunde da wir zu viel voneinander wussten als Folie medialer Überforderung und kommunikativen Scheiterns.

Text: Reimar Biedermann

 

„Monster Machen Mobil“

Das 6. Sci-Fi-Horror-Filmfestival Hamburg endet am Sonntag mit zwei 35mm-Klassikern im Metropolis – u.a. „Draculas Rückkehr“.

Wie die Zombis im Kaufhaus strömen horroraffine Cineasten durch Hamburgs Straßen mit Kurs auf das Metropolis Kino. Dort gastiert vom 23. bis 26. April das 6. Hamburger Sci-Fi-Horror-Filmfestival Monster Machen Mobil. Gezeigt werden neun Klassiker in 35mm-Fassungen mit deutschem Ton, zudem Trailer der 1950er, -60er und -70er Jahre, Kurzfilmchen sowie Cartoons. Los geht es am ersten Festivaltag mit der Vorstellung von Kampf um die 5. Galaxis um 21.15 Uhr. Das Festival endet am 26. April mit zwei Vorstellungen – quasi zum Frühstück Sador – Herrscher im Weltraum um 11.30 Uhr und im Anschluss Draculas Rückkehr um 13.30 Uhr. Wie gut, dass es im Kino auch tagsüber dunkel ist.

Text: Lena Frommeyer

 

„Subway Moon“

Jazz-Profis und Filmemacher aus New York arbeiten mit Hamburger Schülern. Die Performance wird auf Kampnagel gezeigt.

Eigentlich kommt das Projekt Subway Moon aus New York. Professionelle Jazz-Musiker und Filmemacher stellen dort mit Schülern aus aller Welt eigene Musik-, Film-, Poetry- und Performance-Projekte auf die Beine. Nun kommt der Initiator, der amerikanische Musiker und Komponist Roy Nathanthon, mit seiner Band Sotto Voce und dem Videokünstler Andrew Gurian nach Hamburg, um hier eine Hamburger Version von Subway Moon zu entwickeln. Dabei stehen „die U-Bahnen als pulsierende Adern der Städte im Fokus, die Utopien und Assoziationen urbanen Lebens verknüpfen“, so heißt es in der Ankündigung. Subway Moon ist ein Beitrag, der im Rahmen des Youngstar Festivals auf Kampnagel gezeigt wird. Hamburger Schüler – unterschiedliche Herkunft, unterschiedliche Stadtteile, unterschiedliche Schulformen – arbeiten mit international renommierten Künstlern zusammen.

 

„This is Soul“

All killer, no filler: Das Duo Infernale, Jens Schulz und Ulf Reh, serviert im Monkeys Music Club groovigen Soul der Sechziger und Siebziger.

„45’s my life“ ist das selbstverständliche Pflichtbekenntnis für die beiden Soul-Männer Jens Schulz und Ulf Reh, die schon den legendären Spellbound Club ins Schwitzen brachten. Jetzt haben sie für eine lange Samstagnacht ihre Köfferchen mit feinstem Vinyl gepackt, um eine weitere Episode der Serie This Is Soul im Monkeys Music Club einzuläuten. Diese Folge spielt in den Sechzigern und Siebzigern, ihre Protagonisten sind Soul und R’n’B mitsamt der ganzen groovenden Verwandtschaft. Der neue Club im ehemaligen Kir hat sich ja schon einen Namen gemacht und steht nicht nur für Soul und Funk, sondern für alles, was sich zwischen Early Reggae und Rocksteady bis New Wave bewegt – ein großes Universum, in dem am Pult nur ein Gesetz gilt: All killer, no filler.

Text: Nik Antoniadis

 

Traum Schallplatten

Labelnacht im Uebel & Gefährlich: Dominik Eulberg lädt zu einem Spaziergang durch den elektronischen Wildpark und bringt Kollegen mit.

Minimal ist was zum Putzen, nicht für den Club. Sagt Dominik Eulberg. Techno muss losgehen, wofür geht man sonst tanzen? Dafür hat der passionierte Ornithologe und Ravemeister in den vergangenen Jahren beharrlich an seinem sehr eigenen Stil gefeilt, der ihn zum mehrfach ausgezeichneten und international gefragten DJ gemacht hat. Seit seiner ersten Scheibe aus dem Jahr 2003 mischt er umweltfreundliche Expertise und Vogelgezwitscher unter seine Tracks. Eulbergs Sets sind eine Art Spaziergang durch den elektronischen Wildpark, wo jedes Knacken im Gehölz, jedes Zirpen und Flattern zu Puls, Loop und Beat wird. Also streut er fleißig Körnermischungen aus, und die Party-Vögel fressen ihm aus der Hand. Im Uebel & Gefährlich wird er unterstützt von den Kollegen von Traum Schallplatten, Riley Reinhold, Bodega und Schaefer & Søn.

Text: Nik Antoniadis

 

Soul of Hamburg

Zwei lokale Straßenfotografen sorgen für Diskussion: Nino Vela und Daniel Nide stellen aus und laden zum Gespräch im Kulturgold e.V.

Wo endet die Kunstfreiheit? Und wo beginnt das Recht am eigenen Bild? Mit diesen Fragen werden die Straßenfotografen Nino Vela und Daniel Nide regelmäßig konfrontiert. Gemeinsam sind sie das Kollektiv Soul of Hamburg, Ende 2014 haben sie den gleichnamigen Bildband ihrer Momentaufnahmen veröffentlicht. Auf ihren Streifzügen durch die Stadt halten sie das Leben fest, ungeschönt und echt. Doch die Fotos stoßen nicht immer auf positive Reaktionen. Unter dem Motto Straßenfotografie vor Gericht – Gefahr für das kollektive Bildgedächtnis laden Vela und Nide zur Fotoausstellung und Diskussionsrunde in die Galerie Kulturgold. Zu Gast ist unter anderem Ostkreuz-Fotograf Espen Eichhöfer.