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„The Politics of Boredom“

Punk-Agenda ohne No Future: Die Galerie Speckstraße im Gängeviertel wagt eine dreiste Kombination aus Punk und Kunst.

I’m living in this movie, but it doesn’t move me. Boredom, Boredoooom.“ Keiner hat es schöner auf den Punkt gebracht als die Buzzcocks in ihrem Song Boredom. Die Ausstellung in der Galerie Speckstraße, die Politik der Langeweile, will aber nicht alte Punkzeiten hochleben lassen, schon gar nicht Bierduschen und Iro kultivieren, sondern eher – wie die Veranstalter es nennen – die Vorstellungen der Punk-Agenda „beleihen und sie in neuer Form transplantieren“. Heißt: Die Attitüde, den Startpunkt übernehmen. Kunst von unten, aber das Gegenteil von No Future: „Wir möchten die Besucher von der Langeweile heilen.“ Mit einem Konzept, das ein breites Spektrum künstlerischer Ansätze auffährt, von Musik und Performance bis Theater, Film und bildender Kunst. Die acht Künstler, die die Ausstellung bilden, verstehen sich als Leugner und Verweigerer, konventionelle Auslegungen ihrer Positionen sind ihnen zuwider. Sie sehen sich als „Kritiker und Gaukler, als Abfall und Spiegel“. Langweilig? Wohl kaum.

Text: Nik Antoniadis

 

„Striche ziehen“

Zwischen Subkultur und Diktatur: Gerd Kroske kommt persönlich ins Metropolis, um seine äußerst kurzweilige Doku vorzustellen.

Eine Gruppe von Punks aus Weimar macht nach ihrer Ausreise aus der DDR mit einer aufsehenerregenden Aktion auf sich aufmerksam: 1986 malen sie auf der Westseite der Berliner Mauer einen kilometerlangen weißen Strich, der sagen soll: Wir machen euch einen Strich durch die Rechnung. Diese Aktion im Westen hat bittere Konsequenzen, nämlich eine Verhaftung im Osten. Wie es dazu kommen konnte, blieb 25 Jahre lang im Dunkeln, bis die Mitglieder der Gruppe 2010 aus alten Stasi-Akten die unerfreuliche Wahrheit erfahren: Einer von ihnen hat sie verpfiffen. Der lange Schatten der Vergangenheit und sein Fortwirken in die Gegenwart, das steht im Zentrum von Gerd Kroskes Dokumentarfilm Striche ziehen, der im Metropolis seine Hamburg-Premiere feiert. Sein Film erzählt von der Spannung zwischen Subkultur und Diktatur, allerdings keineswegs in düsteren Farben: Er ist schrill, bunt, laut und außerordentlich kurzweilig. DDR-Punk, Verrat und Versöhnung, Verhaftung und Ausreise. Eine sehr deutsche und sehr punkige Geschichte.

Text: Nik Antoniadis

 

Groenland

Die kanadische Band spielt im noch jungen Club Volt ihren Indie-Pop mit orchestralen Elementen. Vorher steht die Hamburgerin Vivie Ann auf der Bühne.

Sechs Musiker, eine Ukulele, positive Grundeinstellung, Pop und ein Hauch Elektro – so kann man Groenland ganz gut beschreiben. Die Band aus Montreal ist im Land der Grizzlies und Ahornbäume längst auf dem Radar der Indie-Szene aufgetaucht. Dann folgte der Sprung über den Ozean, auch mit einem Auftritt beim Reeperbahn Festival (Video unter dem Text). Da konnte man der souligen Stimme von Sängerin Sabrina Halde lauschen und den Streichern, Indie-Pop und orchestrale Elemente sind eine feine Mischung. Mit ihrem Debütalbum namens The Chase, das unter anderem den Independent Music Award in der Kategorie Pop Album of the Year erhielt, touren Groenland nun und schauen auch in Hamburg nach dem Rechten. Das Sextett spielt im noch jungen Volt. Den Club gab es bei ihrem letzten Gig an der Elbe noch nicht. Die Anheizerin gibt diesmal die wunderbare Vivie Ann aus Hamburg.

 

„Restwärme“

Dinge, die Sie bei einem Bewerbungsgespräch nicht tun sollten. Eugen Ruges Stück zeigt einen Clash der Ideale im Monsum Theater.

Verkaufe dich gut, besagt die erste Regel der Marktwirtschaft. Nirgendwo sonst zählt der erste Eindruck so viel wie bei einem Bewerbungsgespräch. Glaube an dich selbst, lautet die nächste Binsenweisheit des Kapitalismus. Restwärme zeigt einen Alt-Linken am Morgen vor dem Bewerbungsgespräch. Er wurde von einem politischen Regime geprägt, das mittlerweile zerfallen ist. Nun muss er seine Persönlichkeit optimieren, verändern oder sich ein neues Ich ausdenken, um in der neuen Gegenwart zu überleben, die alle seine Ideale ablehnt. Er probt den richtigen Gruß und das selbstbewusste Lächeln, doch der innere Widerstand – eine Restwärme – lässt sich schwer überwinden. Maren Wegner bringt das meistgespielte Stück des 2011 mit dem Deutschen Buchpreis gekürten Eugen Ruge auf die Bühne mit Ulrich Herold in der Hauptrolle.

Text: Natalia Sadovnik

 

Freestyle Battle

Wer kriegt den größten Fame ab? Im Fundbureau steigt eine große HipHop Jam Session, die in Hamburg Station macht. Word!

Erlebt man ja nicht alle Tage, so einen Live Freestyle Battle. Zwei Rapper stehen auf der Bühne, eins gegen eins, und werfen sich nacheinander kunstvolle Diss-Tiraden an den Kopf. Im Fundbureau findet am 29. April die 1on1 Freestyle-Battle vs. Jam Session 2015 statt – der letzte Stopp vor dem Finale in Köln. Hamburger Rapper messen sich hier aneinander. Nur einer kann neuer deutscher Meister im Freestyle-Rap werden. Der Gewinner (Sind da echt nur männliche Teilnehmer?) darf im Sommer beim Out4Fame Festival in Hünxe (Ruhrgebiet) teilnehmen und sich eine Bühne mit dem Wu-Tang Clan, Samy Deluxe und Eko Fresh teilen.

 

Käthchen von Heilbronn

Problematisches Beziehungsgefälle: Bastrian Krafts „Käthchen von Heilbronn“ am Thalia Theater ist alles andere als eine Schnulze.

Wie kann sie sich nur so erniedrigen? Unermüdlich rennt sie diesem Mann hinterher, der sie behandelt, als sei sie ein Hund! Manchmal gibt es für das Käthchen von Heilbronn ein paar Streicheleinheiten von dem Grafen Friedrich Wetter vom Strahl, dann wieder harsche Worte und sogar Hiebe mit der Peitsche. Bastian Kraft inszeniert am Thalia Theater Das Käthchen von Heilbronn und damit ein für heutige Zeiten ziemlich problematisches Beziehungsgefälle. Es geht um den Traum von der großen Liebe eines jungen Mädchens, der nach vielen Irrungen und Wirrungen wahr wird. Durch ihre absolute Hingabe ist Käthchen stark; keine Sekunde zweifelt sie an der Wahrhaftigkeit ihres Traums. So rührend es aber ist, dass der störrische Graf sie am Ende als wahre Braut erkennt, so problematisch ist dies auch. Wie groß dürfen die Opfer sein, die man für die Erfüllung eines Traumes bringt? Und wie geht es nach dem Erwachen weiter? Einfache Antworten gibt es selten, nicht im Traum, nicht im wahren Leben, nicht in der Liebe und erst Recht nicht im Käthchen von Heilbronn. Die Vielschichtigkeit des Kleist’schen Textes umzusetzen, ist Kraft mit seiner Inszenierung gut gelungen.

Text: Katharina Manzke

 

„Die Physiker“

Wissenschaftler mit Wahnvorstellungen töten Krankenschwestern – im Schauspielhaus wird Naturwissenschaft mit Thrill und Slapstick geboten.

Drei Physiker sind Patienten einer beschaulichen Schweizer Psychiatrie-Klinik. Der eine hält sich für Einstein, der zweite für Newton und dem dritten, Möbius, erscheint der König Salomo und diktiert ihm physikalische Gesetze. Ab und zu tötet einer von ihnen eine Krankenschwester. Möbius gibt allerdings nur vor, geisteskrank zu sein, denn er hat die Weltformel entdeckt, die in falschen Händen ein großes Unheil anrichten könnte. Mit viel Slapstick und Mut zum Wahnsinn inszenierte Sebastian Kreyer vor über einem Jahr Tennessee Williams’ Glasmenagerie. Der Jungregisseur, der einige Jahre lang als Regieassistent mit Karin Henkel arbeitete, knöpft sich nun einen weiteren Klassiker des 20. Jahrhunderts vor. Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt ist eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Stücke und die Frage nach dem Kontrollverlust über den technischen Fortschritt scheint aktueller denn je.

Text: Natalia Sadovnik

 

Olympia

Monatlich berichtet das „Projekt Stadtkuratorin“ über seine Arbeit und bezieht Position – diesmal zu Hamburg als Kandidatenstadt für Olympia 2024.

Geschafft! Berlin ist raus! Hamburg ist Feuer und Flamme, ist offizielle deutsche Kandidatenstadt für Olympia 2024. Doch in Gesellschaft des Spektakels schrumpft selbst die olympische Idee auf eine kurzlebige Sinnstiftung. Ursprünglich sollte sich alle vier Jahre die Jugend in olympischem Frieden treffen. Heute ist Olympia auch urbane Wunschproduktion: 20.000 Fackeln um die Binnenalster. Dazu lehren Computeranimationen uns den olympischen Blick von oben: Das erleuchtete Stadion im globalen Design, das Stadtpanorama, der weite Horizont. Eine Ikone der Imagination ist die HafenCity: Straßen und Plätze heißen nach fernen Handelsplätzen oder nach Kompradoren: Die Welt in uns – die Welt zu uns: die Olympischen Spiele sind schon da, so fühlt es sich an. Nachhaltig sollen die Spiele sein und für die Bauten trifft das vielleicht auch zu. Doch in der Stadt werden soziale Spaltung und historische Ausgrenzung weiter vertieft.

Dies werden Elemente des Stadtgespräches Metropolitane Perspektiven #12 sein, zu dem das Projekt Stadtkuratorin am 29. April lädt. Zum Thema Between History and Apocalypse: Stumbling spricht Premesh Lalu, Direktor des Centre for Humanities Research, University of the Western Cape, Kapstadt.

 

A Place To Bury Strangers

Lärm! Die angeblich lauteste Band New Yorks legt den Hafenklang in Schutt und Asche – dröhnend, chaotisch und düster ist ihr neues Album.

Im Hafenklang treten Bands mit angsteinflößenden Namen auf. Nach den Bloodsucking Zombies From Outer Space am 12. April ist das Konzert von A Place To Bury Strangers am 27. April ein weiteres Beispiel. Der Umstand ist dem Genre geschuldet. Wer eine unheimlich laute Mischung aus Noise-Rock und Shoegaze auf die Bühne bringt, der braucht auch einen unbequemen Titel. Wer würde schließlich zu einem Gig von (beispielsweise) A Place To Pet Unicorns kommen, wenn einem eher nach Mord und Totschlag zu mute ist? Niemand. A Place to Bury Strangers stellen im Hafenklang ihr neues Album Transfixiation vor. Das Trio soll die lauteste Band New Yorks sein. Wer also keinen Bock auf Eintritt zahlen hat, kann sich auch in Blankenese an die Elbe setzen und die Lauscher aufsperren. Vielleicht schallen ja die chaotischen und düsteren Kompositionen die Elbe hoch.

Text: Lena Frommeyer

 

A Girl Walks Home Alone at Night

Vampirfilm im Studio: An der Seite einer Rächerin mit Kopftuch und spitzen Zähnen glänzt der Hamburger Schauspieler Arash Marandi.

Die in England geborene, in den USA lebende iranisch-amerikanische Regisseurin Ana Lily Amirpour hat dem modischen Appeal des Kopftuchs einen Pop-Faktor hinzugefügt: In ihrem Kinodebüt A Girl Walks Home Alone at Night wird der Tschador, was die Maske einst für Zorro und das Cape für Superman waren: das Signalelement eines Rächers für Gerechtigkeit, der in diesem Fall weiblichen Geschlechts ist – denn das namenlose Mädchen (Sheila Vand), um das es hier geht, ist eine Vampirin.

In schwarzweißen Cinemascope-Kompositionen schildert Amirpour den Kampf der jungen Frau gegen die sinistre Männerwelt einer Bad City genannten Kleinstadt, die aus Dealern, Drogensüchtigen und Gewalttätern besteht. Allein der junge Arash (verkörpert durch den Hamburger Schauspieler Arash Marandi, Absolvent der hiesigen Hochschule für Musik und Theater) kann neben einem weißen T-Shirt auch ein blütenreines Gewissen vorweisen.

The best black and white indie iranian western skateboarding vampire movie I’ve seen in quite a while„, schreibt ein Kritiker unter dem Trailer zum Film: