Lesezeichen

„Hauptsache Frei“

Beim viertägigen Festival der Darstellenden Künste Hamburgs wird das Schaffen der freien Szene sichtbar und erlebbar gemacht.

Sie sind chronisch überarbeitet, notorisch unterbezahlt und immer im Stress – freischaffende Bühnenkünstler. Ihre Theaterproduktionen werden meist nur ein-, zweimal aufgeführt, danach verschwinden sie aus dem Spielplan. Anne Schneider, selbst freie Regisseurin, wollte Künstlern und Publikum etwas Gutes tun. Also schrieb sie 2013 zusammen mit Sarah Theilacker das Konzept für Hauptsache Frei, ein viertägiges Festival der freien Theaterszene Hamburgs. „Wir wollen die Crème de la Crème der letzten Spielzeit zeigen und für die unterschiedlichen Formate und Produktionsteams zusätzliche Öffentlichkeit schaffen“, sagt Schneider.

Oft entstehen fernab großer Theaterhäuser ästhetische Visionen, kontroverse Ideen und gesellschaftliche Alternativen, und so pendelt das Festival vom 15. bis 18. April zwischen den für die freie Szene wichtigen Spielstätten wie Kampnagel, Sprechwerk, Monsun oder Lichthof Theater. Letztere steht am 16. April im Mittelpunkt. Von 10 Uhr morgens bis zum Mitternachtsgespräch können freischaffende Künstler und alle, die etwas über die Arbeitsbedingungen der freien Szene erfahren möchten, in einem umfangreichen Programm an Diskussionen und Vorträgen zu Themen wie Crowdfunding, Förderung und Digitalisierung teilnehmen. Zudem findet die choreografische Klangperformance Chronic Hiccup statt. Das genaue Programm gibt es hier.

Text: Natalia Sadovnik

 

Robert Brack

Lenina Rabes neuer Fall: Der Autor präsentiert in der Buchhandlung ZweiEinsDrei seinen Hamburg-Krimi „Die drei Leben des Feng Yun-Fat“.

Der letzte Fall von Lenina Rabe ist inzwischen acht Jahre her. Robert Bracks Protagonistin ist nicht nur älter geworden, sondern auch professioneller, denn sie ermittelt inzwischen nicht mehr in eigener Sache, sondern hat sozusagen die Not zur Tugend gemacht und ist hauptberuflich Detektivin geworden. Sie ist auch nicht mehr allein und arbeitet nun zusammen mit ihrer Partnerin Nadine Adler an einem hochbrisanten Fall. Sie sollen im Auftrag eines chinesischen Restaurantbesitzers einen verschwundenen Koch finden. Dabei geraten sie schon bald in eine Welt, in der Köche und Küchenkräfte wie Sklaven gehalten werden, in der jeder Widerstand durch die Inhaber der Restaurants brutal niedergeschlagen wird und sich ein Lebensmittelgroßhandel als Tarnung für ein mächtiges Verbrecherkartell entpuppt. Auf ihrem Weg lassen sich die beiden Ermittlerinnen durch nichts abschrecken, schon gar nicht korrumpieren, denn anders als beim Nautilus-Verlag, in dem der neue Fall von Lenina Rabe erschienen ist, gilt in ihrem Büro das Motto: „Man kann uns mieten, aber nicht kaufen.“

Text: Nik Antoniadis

 

That Lovely Girl

Die israelisch-französisch-deutsche Co-Produktion erzählt die abgründige Geschichte einer inzestuösen Beziehung. Der Film läuft im Abaton.

Den Film „schwierig“ zu nennen, wie Regisseurin Keren Yedaya das beim Screening in Cannes getan hat, ist eindeutig untertrieben. Er ist eine ununterbrochene, 97-minütige Aufeinanderfolge von Schmerz, Depression und noch tieferem Schmerz. Was auf den ersten Blick wie eine beinahe gewöhnliche Beziehung wirkt – abgesehen von dem enormen Altersunterschied zwischen dem über 60-jährigen Moshe und der jungen Tami –, entpuppt sich bald als erschütternde Ehe-Karikatur, die von rohem Sex, aggressiver Nähe und kalkulierter Zärtlichkeit beherrscht wird. Der israelische Film von 2014, der im Original mit Untertiteln gezeigt wird, erzählt die Geschichte eines krassen Inzestfalles. Ob sich am Ende nur noch der Abgrund auftut und alles verschluckt oder ob die Erzählung irgendwie auch im Angesicht des Bösen noch zu einer versöhnlichen Aussicht findet und warum (nicht) – kann der Hamburger Co-Produzent Michael Eckelt beantworten, der den Film bei der Premiere im Abaton vorstellt.

Text: Nik Antoniadis

 

Art Girls

Ist das Kunst oder ist das echt? Das langjährige und recht abgedrehte Filmprojekt von Robert Bramkamp feiert im Metropolis Premiere.

Als Bramkamp die Professur für Experimentalfilm an der HfbK annahm, wollte er seine zukünftige Lehrtätigkeit als Forschungslabor für zeitgenössischen Film verstanden wissen. 2010 begann er mit den Dreharbeiten für Art Girls, ein Cross-Media-Projekt, das eine Fernseh-Mockumentary (in der der Dokumentarfilm Neue Natur den Spielfilm Art Girls begleitet), den Film Art Girls selbst, ein Internetportal sowie weitere New Media-Apps verbindet. Im Mittelpunkt stehen dabei die drei Berliner Künstlerinnen Nikita Neufeld, Una Queens und Fiona da Vinci, die sich an einer Ausstellung beteiligen, die aber nur als Fassade für das Experiment eines Biotech-Konzerns dient. Der strebt nach einer Biosynchronisation, der Schaffung einer neuen Natur. Schon bald verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit, als Nikitas Arbeiten einen der beiden Konzernchefs aus dem Rollstuhl holen und wieder sehr mobil machen. Nach und nach erwachen auch Installationen zum Leben und übernehmen die Stadt. Was passiert, wenn nicht mehr die Kunst die Natur imitiert, sondern umgekehrt, fragt Bramkamp mit seinem Film – und gibt auch Antwort, wenn er mit den Darstellern Peter Lohmeyer, Jana Schulz und Susanne Weirich zur Premiere kommt.

Text: Nik Antoniadis

 

Aaden

Pünktlich zum Release seines neuen Albums „Home“ hat Patrick Beiling seine „You Are Home“-Tour begonnen und kommt in die Pony Bar.

Der Mainzer Patrick Beiling kommt allein nach Hamburg, wird aber wohl einige ausgefallene Gründe zur Hand haben, warum seine Band gerade keine Zeit hat. „Die gibt es nur“, sagte er kürzlich, „wenn gerade keine Freibad-Saison ist.“ Aber es gibt sie, die Band Aaden. Es kann vorkommen, dass Aaden an einem Abend aus Patrick Beiling und Cellistin Mareike Khokale besteht; an einem anderen ist Aaden Patrick Beiling und eine Streichertrio. In der Pony Bar ist Aaden nur Patrick Beiling. Er kommt als Singer-Songwriter, man darf ihn aber auch Liedermacher nennen. Warum auch nicht? Er hat keine Scheu zu erzählen, wie ihn sein Weg vom Death Metal zum Fuzz-Rock und von dort zum Liedermachen führte. Zusammen mit seiner etwas eckigen Mixtur aus Verwirrtheit und Liebenswürdigkeit, seiner Gitarre und einer Loop-Station wird es jedenfalls ein einzigartiger Aaden-Abend.

Text: Nik Antoniadis

 

Irvine Welsh

Der Trainspotting-Autor liest im Abaton Auszüge aus seinem neuen Roman „Das Sexleben siamesischer Zwillinge“.

Wäre es eine CD, stünde mit Sicherheit „Parental Advisory: Explicit Content“ darauf. Irvine Welsh, der im Jahr 1993 mit seinem Debüt Trainspotting (und vor allem dessen Verfilmung von Danny Boyle) zu einiger Berühmtheit gelangte, schreibt in seinem 13. Buch nicht mehr über verlorene Seelen in verarmten schottischen Vorstädten, sondern über das scheinbar freundliche Miami Beach, „diese sonnendurchflutete Zuflucht für wandelnde Grotesken und verzweifelte Narzissten“. Das Ganze erzählt er aus der Perspektive zweier Frauen, der bisexuellen Fitnesstrainerin Lucy und der 100-Kilogramm-schweren Lena, deren Wege sich mehr oder weniger zufällig kreuzen und dann nicht mehr trennen, obwohl Lena so ziemlich alles verkörpert, was Lucy verabscheut. Trotzdem führt eine Reihe bizarrer Ereignisse dazu, dass die eine zum Objekt der Begierde der anderen wird. Nicht schön, eher düster, zuweilen unappetitlich, aber dabei ausgesprochen unterhaltsam und auf keinen Fall jugendfrei.

Text: Nik Antoniadis

 

 

 

Henny’s

Gemütlich, köstlich, kopflos: Der 35-jährige Danilo Del Favero eröffnete das schicke Restaurant in Winterhude. Zeit für einen Test.

Gerade einmal eine Woche alt und der Laden brummt. Er brummt so derartig, dass es im Service deutlich hakt. Emsig bis kopflos laufen die Servicekräfte durchs voll besetzte Mühlenkamper Fährhaus – und das ist groß. Fast alle drehen beim Vorbeilaufen am Dimmer. Uns amüsiert das. Auch bei den anderen Gästen ist die Stimmung im schicken Henny’s in Winterhude gut. Letzten Sommer noch empfing Sternekoch Zogbaum hier in seiner für Zunge und Portemonnaie anspruchsvollen Küchenwerkstatt. Nun hat der 35-jährige Danilo Del Favero die Räumlichkeiten bezogen. Er führt in Großhansdorf zudem das Restaurant Dante. Als versierter Gastronom hat er die Zeichen der Zeit offensichtlich verstanden, das Konzept seines neuen Ladens geht auf. Die Karte ist erstaunlich groß. Fleisch- und Fischspezialitäten, allen voran Sushi, stehen im Vordergrund. Bestechend an dem Speisekonzept sind einerseits die verschiedenen günstigen Wurstspezialitäten und Klassiker wie Senfeier mit Kartoffelschaum – alles für unter 10 Euro –, andererseits die Güte der Speisen. Das hübsch arrangierte Thunfischtatar auf Avocadosalat, das traumhaft zarte Kalbsbäckchen auf Spitzkohl (Drei-Gänge-Menü 34 Euro) und das neidische Blicke erhaschende Sushi-Arrangement im California-Style zu 19,50 Euro sind von exzellenter Qualität. Fazit: ein ungedimmter Lichtblick am Kanalkreuz.

Text: Lisa Scheide

 

Lokales Design

Im Handmade-Laden Vergizzmeinnicht auf St. Pauli ist die Druckkunst auf Treibholz von André Bernhard alias Woodpicer zu sehen.

Treibholz vom Elb-, Nord- und Ostseestrand dienen André Bernhard alias Woodpicer als Leinwand für seine hübschen, überwiegend hanseatischen Motive. „Das Verfahren ist der Serviettentechnik nicht unähnlich, wohl aber deutlich aufwendiger und erlaubt mir, Fotos und Bilder auf die unebene Struktur wie der des Holzes zu übertragen“, schreibt der Künstler. Seine neuesten Treibgut-Werke sind noch bis Ende Mai im Handmade-Laden Vergizzmeinnicht auf St. Pauli zu sehen. Das Kleinod ist generell eine Stippvisite wert. Fünf Hamburger Designerinnen verkaufen hier hübsche Dinge, die vor Ort hergestellt wurden. Beispielsweise das illustrierte Vintage-Porzellan von Frau Ines mit Figuren in der Optik des Dia de los Muertos – dem mexikanischen Totentag. Da treffen dann Totenschädel auf rosa Blümchen.

 

Rund um den Kiez

Für jeden was dabei: Nachtmarkt auf dem Spielbudenplatz, „Pub Quiz“ im Molotow, „Books de Hoode“ in der Hasenschaukel, „Escapists Lounge“ im Komet.

Gut was los an einem Mittwochabend rund um den Kiez. Der frühe Abend startet entspannt beim Nachtmarkt auf dem Spielbudenplatz. Vielleicht kann man ja draußen sitzen: Käse, Brot, Wein, Wurst – so ein Open-Air-Abendbrot schmeckt gut. Um 20.30 Uhr startet in der SkyBar des Molotow (Nobistor 14) das Pub Quiz. Fragen beantworten und Tickets für Veranstaltungen oder Getränke gewinnen – so das Konzept. Der Eintritt ist frei. Alternative: Der Literaturabend Books de Hoode in der Hasenschaukel. Die Hamburger Autoren Daniel Vollstedt und Tobias Soffner stellen hier jeden dritten Mittwoch im Monat aktuelle Werke und Lieblingsbücher vor – und plaudern mit einem Gast. Diesmal kommt Jochen Distelmeyer mit seinem Roman Otis in die Silbersackstraße. Wer anschließend noch nicht an der Matratze horchen will, dem sei eine weitere Anlaufstelle ans Herz gelegt: Komet geht immer. Die Bar in der Erichstraße lädt am 15. April zur Escapists Lounge mit Musik vom Plattenteller.

 

Retox

Underground, Punkrock, brutales Chaos: Die Band aus Kalifornien, mit Justin Pearson am Mikro, passt prima ins Hafenklang.

Justin Pearson hat derartig einen an der Waffel, dass sein Konterfei in jedem Lexikon neben dem Begriff „Wahnsinn“ erscheinen sollte. Seine Ex-Band The Locust ist jedem Hardcore-Connaisseur ein Begriff, überzeugte aber Dank virtuosem Dadaismus auch manchen Freejazz-Fan. Mit Retox knüpfte er an alte Underground-Erfolge an und ließ dabei fast unbemerkt eine ordentliche Portion Punkrock mit einfließen – zumindest in puncto Geradlinigkeit. Das Level an brutalem Chaos bleibt unverändert. Lange Rede, kurzer Sinn: Retox ist eine amerikanische Band, wie gebacken für das Hafenklang. Der Support kommt an diesem Abend von Landscapes (UK) und The Tidal Sleep (GER).

Text: Benedikt Ernst