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Eisenstein in Guanajuato

Mit einem Biopic über den russischen Meisterregisseur Sergej Eisenstein (Panzerkreuzer Potemkin) meldet sich der 73-jährige Peter Greenaway zurück. Der britische Regisseur huldigt Eisenstein als Erfinder des modernen Kinos, der 1930 in Mexiko an seinem gigantischen Filmprojekt Qué Viva Mexico zwar scheiterte, dafür aber umso lustvoller seine Homosexualität auslebte.
Der Film sei sein Liebesgruß an Moskau sagte Greenaway auf der Berlinale-Pressekonferenz. Und Eisenstein in Guanajuato wäre kein echter Greenaway, fände Eisensteins anale Entjungferung nicht exakt in der Mitte des Films statt – ganz der Symmetrie geschuldet, genauso wie der Rest der theaterhaft inszenierten Bilder. Komplett überhöht lässt er den jungen Hauptdarsteller Elmer Bäck stattdessen zu alberner Höchstform auflaufen, mit seinem Schwanz sprechen, über Betten hüpfen und das durchgeknallte Wunderkind geben.

Text: Sabine Danek

 

Wir sind jung. Wir sind stark.

Es sind bekannte Bilder: Eine Aufnahmestelle für Asylbewerber, die aus allen Nähten platzt, und Anwohner, die sich mit fremdenfeindlichen Gedankengut und Parolen immer stärker hochschaukeln. Bilder, die man unter anderem aus Sachsen kennt, aus Heidenau, aus Dresden. Diese Geschichte hier stammt aber aus Rostock-Lichtenhagen. Im August 1992 steht dort das sogenannte Sonnenblumenhaus in Flammen und die schaulustigen Anwohner klatschen Beifall. Wir sind jung. Wir sind stark. mit Devid Striesow, Jonas Nah und Joel Basman arbeitet die Geschehnisse von damals auf. In einer Zeit, in der die Jugend in dem trostlosen Neubauviertel nichts mit sich anzufangen weiß und keine Aufgabe hat. Der Film ist gerade jetzt aktueller denn je und wird aktuell im 3001 Kino gezeigt.

Text: Andra Wöllert

 

Die Gestirne

Die jüngste Booker-Preisträgerin Eleanor Catton sagt, sie habe sich bei ihrem rund 1.000-seitigen Roman von Harry Potter inspirieren lassen. In Die Gestirne fehlt es eindeutig nicht an Zauber. Allein das Setting verheißt Abenteuer:

Neuseeland im Goldrausch. Als der angehende Jurist Walter Moody 1866 nach einer unheilvollen Schiffsfahrt in der neuseeländischen Hafenstadt Hokitika ankommt, sucht er Obdach im örtlichen Hotel. Dort trifft er auf eine geheimnisvolle Tafelrunde von zwölf Männern, die in eine Serie ungelöster Verbrechen verwickelt sind. Der reichste Mann der Stadt ist spurlos verschwunden, eine opiumsüchtige Hure hat versucht, sich umzubringen, ein Obdachloser ist ums Leben gekommen. Die Männer wollen die Geschehnisse aufklären – oder zumindest ihre Versionen der Geschichte angleichen. Jeder von ihnen hat ein Geheimnis, allen voran Walter Moody, der auf seiner Überfahrt etwas Furchterregendes erlebt hat.

Der Roman könnte auch aus der Feder von Charles Dickens stammen, mit einem subtilen Tropfen Ironie der modernen Zeit. Catton kreiert ein Labyrinth aus bunten Charakteren, erfindungsreichem Narrativ und den Zutaten, die jeden guten Roman ausmachen: Sex, Drogen, Gier und Mord.

Text: Natalia Sadovnik

 

The Wombats

Kann man eigentlich ausgelassen zu unterkühltem Post-Punk tanzen? Man kann! Spätestens 2007 dürfte das auch dem letzten phlegmatischen Shoegazer klar geworden sein, nachdem eine junge Band namens The Wombats mit ihrer Aufforderung Let’s Dance To Joy Division raketenmäßig durchstartete. Dabei ist „unterkühlt“ vielleicht nicht ganz das richtige Wort, wenn es um die Bühnenpräsenz der drei Jungs aus Liverpool geht: Live erlebt man eher eine musikalische Kernschmelze als cooles Britrock-Gepose. Schuld an allem ist im Grunde genommen ein Beatle. Denn es war das von Paul McCartney gegründete Liverpool Institute of Performing Arts, an dem sich Dan Haggis, Matthew Murphy und Tord Øverland-Knudsen 2003 kennenlernten und beschlossen, die Welt fortan mit disco-kompatiblem Indie-Pop zu beglücken. Wenn das britische Energiebündel nun also in die Große Freiheit kommt, können wir sagen: Danke, Sir Paul!

Text: Katharina Grabowski

 

„Le Nozze di Figaro“

Zum Auftakt der Spielzeit gab es also Oper auf der Leinwand an der Alster, bei Currywurst und Bier: Les Troyens von Hector Berlioz – angesichts von Flüchtlingsdramen hochaktuell. Die Oper ist jetzt mittendrin – als politische Kunst! Georges Delnon, der neue Intendant, und Kent Nagano, der neue Generalmusikdirektor, wollen die Oper für alle, als Kommentar zur Gegenwart. Als Nächstes prämiert Mozarts Le Nozze di Figaro und auch die zeigt historische Umbruchzeiten. Das Stück sei ein „schadenfreudiger Abgesang auf absterbende Strukturen, alte Privilegien, überkommene Verfahrensweisen – auch der zwischen Mann und Frau“, beschreibt die Staatsoper. Stefan Herheim hat die Geschichte um Almaviva und im Kontext einer sich verändernden Gesellschaft neu inszeniert. Am Sonntag ist Premiere und es gibt noch wenige Restkarten.

Text: Stefanie Maeck/Andra Wöllert

 

„Ich werde nicht hassen“

Meldungen zum scheinbar unlösbaren Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis sind regelmäßiger wie trauriger Bestandteil der Nachrichten. Das beunruhigt. Wenn jedoch jemand seine persönliche Geschichte erzählt, dann erschüttert sie wie ein Erdbeben.

Der palästinensische Arzt Izzeldin Abuelaish arbeitet in einem Krankenhaus in Tel Aviv, lebt jedoch in Gaza, „dem größten Gefängnis der Welt, mit Meerblick“, wie er es beschreibt. Doch seine sinnvolle Arbeit in Israel konnte ihn nicht vor einem Angriff schützen: Am 16. Januar 2009 trafen israelische Panzergranaten sein Haus und töteten drei seiner Töchter und eine Nichte. Der Beschreibung des Zimmers mit den toten Mädchen zu lauschen, ist eine emotionale Heraus- beziehungsweise Überforderung des Publikums …

Die authentischen Aufzeichnungen des Arztes wurden für die Öffentlichkeit aufbereitet, in der Ich-Form gesprochen und verhalten gespielt vom Schauspieler Mohammad-Ali Behboudi. Zunächst erzählt er von dem alltäglichen, zermürbenden Warten an den Checkpoints der Grenzen, dann vom krankheitsbedingten Tod seiner Frau. Schließlich von einer hoffnungsvollen Perspektive, nach Kanada auszuwandern, um seinen Kindern eine bessere Zukunft bieten zu können. Eine Tochter wollte Ärztin werden, wie ihr Vater, eine andere Journalistin, um die Wahrheit zu verbreiten.

Text: Dagmar Ellen Fischer

 

„Steve Jobs“

Danny Boyle inszeniert die drei Akte seines ungewöhnlichen Biopics Steve Jobs als Backstage-Dramen unmittelbar vor großen Präsentationen, die entscheidende Eckpunkte in Steve Jobs‘ Karriere darstellen: 1984 stellt er den ersten Macintosh vor, 1988, nachdem er bei Apple zwischenzeitlich den Stuhl räumen musste, den Ladenhüter Next-Cube, und 1998 den ersten iMac, der Apple über Nacht von der überteuerten Spezialistenmarke zur Must-have-Brand katapultiert.

Aaron Sorkins Drehbuch kreiert eine Atmosphäre permanent blank liegender Nerven, etwa wenn technische Probleme zu verhindern drohen, dass der Mac die Fangemeinde mit „Hello“ begrüßen soll oder Jobs droht, engste Mitarbeiter an den Pranger zu stellen, sollte seinen Wünschen nicht Genüge getan werden. Dann wird dieselbe Szenerie auch noch von seiner Geliebten geentert, die Unterhalt für die gemeinsame Tochter einklagt.

Derlei dramaturgische Zuspitzung mag wenig realistisch sein, ist aber ein geschickter Kniff, um Situationen zu erschaffen, in denen die egomanische Sturköpfigkeit des Protagonisten in voller Blüte vorgeführt werden kann. Jobs ist „zu schnell für diese Welt“. Kate Winslet als treu ergebene PR-Beraterin und Seth Rogen als Steve Wozniak, Garagenfirmen-Gefährte der ersten Stunde, glänzen als Gegenpole zu Michael Fassbenders fantastischer, manisch-rastloser Performance.

Text: Calle Claus

 

„Irrational Man“

Ein Großteil der Philosophie sei nur verbale Masturbation, nicht kompatibel mit den Proben, die einem das echte Leben stellt. Sagt der Philosophieprofessor Abe Lucas (Joaquin Phoenix) zu seinen Studenten – und stellt damit sein eigenes Unterrichtsfach infrage. Aber bei Abe ist sowieso die Luft raus. Mit müden Augen, Bauch und Buckel sowie einem Flachmann in der Hosentasche bestreitet er den Unialltag, während er gleichzeitig für sein geistreiches Genie und seine unorthodoxe Art angehimmelt wird.
Bald beginnt er eine Affäre mit seiner Kollegin Rita (Parker Posey) und wenig später mit seiner Studentin Jill (Emma Stone). Woody Allens 46. Werk Irrational Man ist aber kein Liebesfilm, sondern eine schwarzhumorige Krimi-Komödie. Denn nicht die Liebe verwandelt den Griesgram in einen voller Lebensfreude und Energie sprühenden Mann, sondern der Plan zu einem perfekten Mord – aus moralischen Beweggründen. Nicht mehr palavern, handeln lautet nun seine Devise. Doch so kaltblütig Abe sein Verbrechen auch plant, so wenig kann der Zuschauer ihm böse sein. Eine kleine Taschenlampe wird ihm schließlich zum Verhängnis …

Text: Julia Braune

 

Vintage Market

Hohe Räume, rohe Wände und vor allem viel Platz – die Hallen des Kulturzentrums Kampnagel sind perfekt geeignet für einen Indoor-Flohmarkt. Das hat sich schon in der Vergangenheit bewiesen und so lädt Markt & Kultur auch im Herbst wieder zum großen Vintage Market. Designobjekte, Antiquitäten und Sammlerstücke sollen über den Flohmarkttisch gehen und den speziellen Geschmack der Besucher befriedigen. Kurios und selbst gemacht oder Originale aus zweiter Hand, Kleinmöbel, Schallplatten oder Kleidung – bei diesem Markt lässt sich das alles finden. Am Samstag und Sonntag ab 10 Uhr morgens ist es soweit. Die Veranstalter haben – bedenkt man den Namen – schließlich verstanden: Tauschplätze sind auch ein Stück Kultur.

 

Panic Party

„Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ!“ Alles klar? „Burn down the disco! Hang the blessed DJ because the music that they constantly play, it says nothing to me about my life!“ Wie könnte die längst überfällige Tribute-Party für die Smiths anders lauten als Panic Party? Genau das haben sich die beiden Initiatoren des Revolver Club auch gedacht, als sie beschlossen, dass es mal wieder an der Zeit ist: Eine Nacht mit Morrissey schmusen, weinen, tanzen; das Sakko hochkrempeln und die Schulterpolster strammziehen; das Ganze begleitet von stilechtem Retro-Sound von Post Punk bis Britpop, von Billy Bragg bis Buzzcocks, von den Housemartins bis The Jam. Ein musikalisches  80er-Jahre-Massaker also. „Take me out tonight where there’s music and there’s people who are young and alive. I never never want to go home because I haven’t got one anymore.“ Klingt, als sei das Nachtasyl genau der richtige Ort dafür.

Text: Nik Antoniadis