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„Patong Girl“

Eine Mittelstandsfamilie verbringt das Weihnachtsfest in Thailand. Der Sohn verliebt sich … Regisseurin Susanna Salonen und Darsteller kommen zur Vorführung.

So hatte sich Mutter Schröder (Victoria Trauttmansdorff) den Weihnachtsurlaub in Thailand nicht vorgestellt: Statt im Sterne-Hotel wird die Familie in einer Pension untergebracht, dann stellt sich heraus, dass es in Phuket auch außerhalb der Regenzeit ganz ordentlich gießen kann, der sexuell entwöhnte Gatte starrt den schlanken Thai-Mädchen hinterher, und schließlich schleppt Sohn Felix auch noch eine thailändische Freundin an. Klar, dass für Mutter Schröder das Mädchen eigentlich nur eine Prostituierte sein kann. Patong Girl führt in ein interessantes – weil vertrautes – Milieu, in einen gebildeten, sich vorurteilslos wähnenden Mittelstand, dessen Angehörige sich auf Reisen nicht mit dem Resort begnügen, sondern auch Land und Leute kennenlernen wollen, und dort schrecklich deplatziert sind. So wie es Kataloge für alle Destinationen gibt, existiert auch ein informeller Katalog der interkulturellen Missverständnisse. Genüsslich und nicht ohne Komik blättert Patong Girl ihn auf. Die Regisseurin Susanna Salonen, in Finnland geboren und aufgewachsen in Lübeck, kommt vom Dokumentarfilm. Sie hat in Tokio als Hostess gearbeitet, auf Phuket war sie Tauchlehrerin. Das kommt ihrer deutsch-thailändischen Co-Produktion sehr zugute. Bei allem Sinn für Exotik entsteht ein Eindruck von Authentizität. Das macht Patong Girl zu einem Film, der in jedes Reisenecessaire gehört.

 

Wie wird das Jahr 2071?

Klimaforscher Chris Rapley wirft einen Blick in die Zukunft. Für seine Prognosen inszenierte Regisseurin Katie Mitchell einen Performance-Vortrag.

Das Jahr 2071 liegt noch exakt 57 Jahre in der Zukunft. Die meisten von denen, die diesen Text hier lesen, werden dann wohl nicht mehr leben – im Gegensatz zu unseren Kindern und Enkelkindern. Der britische Wissenschaftler Chris Rapley hat als Professor für Klimaforschung am University College London die Zukunft der Erde fest im Blick. Er rechnete aus, dass im Jahre 2071 sein erster Enkel so alt sein wird wie er jetzt selbst jetzt. Und die Welt mit Sicherheit eine andere. Toller Stoff für die Bühne. Die britische Regisseurin Katie Mitchell entwickelte dafür gemeinsam mit dem Autor Duncan Macmillan eine Präsentationsform – eine Mixtur aus Performance und Vortrag. So erhält Chris Rapley einen Rahmen, um Fragen zu beantworten, die wir uns wohl alle stellen: Was macht der Klimawandel mit der Erde? Wie und wann wird sich die Welt verändern? Was können oder müssen wir heute tun? Oder ist es bereits zu spät? Nach der Uraufführung am Royal Court Theatre London ist die Inszenierung nun im Schauspielhaus zu Gast. Die Vorführung ist in englischer Sprache, wird aber mit deutschen Übertiteln für ein breites Publikum verständlich gemacht.

Text: Miriam Mentz

 

Dukes of Hamburg

Outfit, Sound und Equipment – diese Band lebt die sechziger Jahre. Das Molotow wird zur Zeitkapsel und rauscht für einen Abend in die Beat-Vergangenheit.

Gäbe es ein MTV Cribs Hamburg-Edition, gerne würden wir einmal zu Hause bei den Dukes of Hamburg vorbeischauen und überprüfen, wie weit ihre innige Liebe zu den 1960er Jahren geht. Würden wir in ihren Häusern Teakholz-Formmöbel vor grellen Tapeten vorfinden? Sitzsäcke neben Kugellampen? Das wäre keine Überraschung. Diese Band lebt zumindest diese Episode der menschlichen Kulturgeschichte recht konsequent auf der Bühne. Ihr Sound, ihre Outfits, ihr Equipment – alles ist groovy aufeinander abgestimmt, selbstredend auch die Songauswahl. Die Lords, Rattles, Pretty Things und Easybeats, eben all jene Bands, die in Gedanken an diese Zeit im Gedächtnis aufflackern, finden hier ihre Huldigung. Da lässt es sich für einen Abend schnell vergessen, dass wir bereits im nächsten Jahrtausend angekommen sind und die Dukes of Hamburg eigentlich aus Bielefeld kommen. Support: The Viceroyes.

Text: Miriam Mentz

 

Mary Jane Insane

Die Hamburgerin schreibt Songs über New York, Monsterkämpfe und Schlaflosigkeit. Mit Folk-Musikerin Kristina Jung spielt sie in der Hasenschaukel.

Mary Jane Insane schreibt Songs, die Geschichten erzählen. Nicht irgendwelche Geschichten, die an den Haaren herbeigezogen und in Verse gestopft werden, sondern solche, die sie selbst gerade bewegen. Musik als Eigentherapie kann für den Zuhörer böse enden. Beispielsweise wenn der Songwriter sich andauernd in einem matschigen Sumpf der Gefühle befindet und ständig auf der Stelle tritt. Im Falle von Mary Jane Insane spiegelt sich in ihren Text viel Sonnenschein, ab und zu eine Wolke und ihre innige Liebe zur Stadt New York. Ihre Erlebnisse mit Monstern singt sie uns vor und teilt Weltrettungsfantasien mit ihren Zuhörern. Die passenden Melodien spielt sie mit Gitarre, Ukulele, Glockenspiel, Melodica und Looper ein. Live steht der Hamburgerin mit hessischen Wurzeln die Folk-Musikerin Kristina Jung zur Seite. Lasst die Mädels auf die Bühne, die Songs müssen raus!

Text: Miriam Mentz

 

The Tiger Lillies

Mit dem britischen Trio finden schaurige Clowns, Chansons und quietschende Instrumente den Weg auf die Bühne des Uebel & Gefährlich.

Eine Säge singt, dann setzt der traurige Clown mit kratzender Stimme ein und singt Geschichten von den schwarzen Seiten des Lebens, von Krieg, Aussichtslosigkeit und Rausch. Gelegentlich hebt er ironisch die Augenbraue, greift abwechselnd zu Banjo, Akkordeon und Ukulele. Seine Mitmusiker schunkeln wissend mit ihm, bedienen allerlei Instrumente und wiederholen hier und da bassig-summend die Zeilen des Clowns. Living Hell! The Tiger Lillies könnten einem Alptraum entsprungen sein. Stattdessen sind sie das Konstrukt eines Künstlerkopfes, wie ihn Martyn Jacques auf seinen Schultern trägt. Er gründete das Trio 1989. Seitdem haben The Tiger Lillies unzählige Alben veröffentlicht, die sich konzeptuell mal mit Hamlet, den Sieben Todsünden oder dem Zirkusleben auseinandersetzen. In Wien begleiteten sie kürzlich die Musicalversion von Georg Büchners Woyzeck. Ihr jüngstes Album A Dream Turns Sour widmeten sie dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ein Glück, dass die Tiger Lillies mit ihrem britischen Humor jedem tragischen Moment zumindest einen klitzekleinen komischen Hut aufsetzen.

Text: Miriam Mentz

 

The Toasters

Am Montagabend stattet eine der dienstältesten Ska-Punk-Bands aus New York City dem Molotow einen Besuch ab.

Sollte man jemals eine Biografie über die New Yorker Ska-Punk-Band The Toasters in Angriff nehmen, muss für das Kapitel Mitglieder der Band besonders viel Platz eingeplant werden. Welche Kombo kann schon von sich behaupten, 40 ehemalige Mitstreiter plus sieben aktuelle Musiker zu zählen? Immerhin, eine Person hat die gesamten 33 Jahre der Bandgeschichte durchgehalten: Robert Hingley, seines Zeichens Frontmann. Anfang der 1980er war er von England in die USA umgesiedelt, um dort mit den neu gegründeten Toasters die dritte Ska-Welle anzuschieben, in deren Wogen sich dann auch Bands wie The Slackers, Spicy Roots, Skaos oder No Sports einen Namen machten. 16 Alben veröffentlichte die Band seitdem und drehte etliche Runden durch Europa und Nordamerika. Man könnte meinen, dass nach so einer Zeit irgendwann die Puste und Spielfreude aufgebraucht sind. Weit gefehlt – die Luft geht hier immer noch höchstens dem Publikum im Pogo-Pulk aus.

 

Montreal

Das Hamburger Trio spielt seinen gut gelaunten, melodischen Punkrock live in der Fabrik. Im Vorprogramm: die Alex Mofa Gang

Ach, der gute alte Deutschpunk – einfach nicht tot zu kriegen, der Kerl! Nun, vielleicht sollte man an dieser Stelle den Begriff „Deutschpunk“ etwas präzisieren. Eine aus der Mode gekommene Musikjournalistenphrase könnte da weiterhelfen: Montreal verhalten sich zu den Genre-Altvätern Slime wie Blink 182 zu den Dead Kennedys. Soll heißen: Erstere könnten die Söhne von Letzteren sein. Doch womit die Alten damals noch das Establishment schockieren konnten, das ist mittlerweile konformistisch verpackt. Die duften Riffs hat man hier und dort schonmal gehört, Tight gespielte Up-Tempo-Beats animieren dich aber zum gepflegten Pogo. Man kann davon ausgehen, dass es am 20. Dezember in der Fabrik abgehen wird wie hulle, wenn das Hamburger Trio sein aktuelles Album live vorstellt. Im Vorprogramm spielt ein Quintett mit dem fantastischen Namen Alex Mofa Gang.

 

„Einer flog übers Kuckucksnest“

Hilflose Patienten, herrische Schwestern: Miloš Formans Verfilmung des Psychatrie-Romans von Ken Keseys läuft in deutscher Fassung im Metropolis Kino.

Milos Formans Meisterwerk Einer flog übers Kuckucksnest von 1975 nach dem Roman des Schriftstellers, Aktionskünstlers und LSD-Experimentatoren Ken Kesey gilt aus gutem Grund als König unter allen Irrenhausfilmen: Draufgänger McMurphy (natürlich toll gespielt von niemand Geringerem als dem damals 36-jährigen Jack Nicholson) lässt sich als unzurechnungsfähig in eine staatliche Nervenheilanstalt einweisen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Was er dort in der Klappse erlebt – hilflose Patienten, Angst, Verzweiflung und allen voran eine tyrannische Oberschwester (ebenso schmerzhaft gut in ihrer Rolle: Louise Fletcher) – ist für ihn unakzeptabel und lässt ihn gegen die bestehende Ordnung rebellieren, bis er schließlich selbst unter die Räder, beziehungsweise den Elektroschocker gerät. Vorher hat McMurphy gegenüber seinen Anstaltsgenossen aber noch Gelegenheit, einen von vielen Schlüsselsätzen des Films abzusondern: „Was glaubt ihr denn, was ihr seid, verdammt nochmal? Verrückt oder sowas? Ihr seid es nicht!“ Recht hat er, alles eine Frage der Perspektive…

 

Hoffmaestro

Energisch und intensiv: Das elfköpfige Band-Kollektiv aus Stockholm spielt seine gut gelaunte „Skank-a-tronicpunkadelica“ live im Knust.

Harmoniegesänge aus mehreren männlichen Kehlen, akustische Gitarre und darunter einen flotten Country-Polka-Beat mit leichter Ska-Anmutung – was kann da schon schiefgehen? Das ist jedenfalls das Erfolgsrezept des schwedischen Bandkollektivs Hoffmaestro. In den späten Neunzigern gegründet, erschienen ihre ersten Tonträger erst im Jahr 2005. Seitdem kann sich die Groß-Combo aber über mangelnden Zuspruch kaum beschweren. Ihre Live-Sets werden als „energisch“ und „intensiv“ beschrieben. Die Band selbst hat sich für ihren Sound den Begriff „Skank-a-tronicpunkadelica“ ausgedacht. Dass solche extravaganten Bezeichnungen meistens interessanter klingen als die Musik, die dahinter steckt (so auch hier), darüber wollen wir mal (wieder) hinwegsehen. Für eine ausgelassene Party-Sause im Molotow sind Hoffmaestro allemal gut.

 

Unsere Frauen

Dieter Laser, Mathieu Carrière und Ulrich Bähnk in einem komödiantischen Drama unter Männern – noch bis zum 20. Dezember in den Hamburger Kammerspielen.

Max, Paul und Simon kennen sich seit einer Ewigkeit. Beim Pokern ergehen sie sich über ihre Arbeit, ihre Frauen und alles, was ihnen über die Leber läuft. Männerabende. Als Simon eines Abends verspätet erscheint und stammelt, er habe gerade seine Frau im Affekt getötet, stehen die drei Männer und Regisseur Jean-Claude Berutti vor einer echten Herausforderung. Paul und Max diskutieren darüber, ob sie ihrem Freund ein Alibi liefern sollen. Vom Plot her ein lupenreiner Thriller, präsentieren die Kammerspiele Éric Assous Stück Unsere Frauen als ein komödiantisches Drama, doch im Laufe des Abends klärt sich das Bild, denn das Irritierende erweist sich als Folge der Darstellung einer tragischen Unvereinbarkeit: der von Ratio, Moral und Liebesbanden. Familienangehörige müssen vor Gericht nicht gegen die Ihrigen aussagen, doch wie ist es mit alten Freunden, die dreißig Jahre lang ihre Leben geteilt haben? Die Inszenierung vertraut auf das Rampengespür von Dieter Laser, Mathieu Carrière und Ulrich Bähnk. Zwar mag die angesichts des abgründigen Dilemmas gebotene Spannung nicht recht aufkommen, doch das Komödiantische verfängt sich im Saal von der ersten Minute an und bleibt bis zum Schluss.

Text: Reimar Biedermann