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Gentrifiction

An einem einzigen Abend rauscht die Tragikomödie Gentrifiction durch gleich drei Welten — als kompakte Theater-Trilogie, deren gemeinsamer Nenner die Suche nach der Weltformel heißen könnte.

Zunächst bearbeitet ein Paar in ebenso konkreten wie absurden Alltagssituationen seine Liebesbeziehung, aus der eine Trennungsgeschichte wird. Etwas abgehobener geht es bei zwei Pionieren der virtuellen Welt zu, die Datenberge wörtlich nehmen und sich in einer surrealen Landschaft verlieren. Tatsächlich jede Bodenhaftung verloren haben schließlich vier Menschen, die als sogenannte Weltunter-Gang als letzte Vertreter ihrer Spezies in einer Raumstation den zerstörten Planeten Erde umkreisen und sich ebenso sinnfreien wie lebensunpraktischen Fragen widmen: Wie lang sind eigentlich 10 hoch minus 34 Sekunden?

Autorin Lena Biresch gewann den Kaltstart-Jury-Preis 2014 in der Kategorie Bestes Stück und gibt die Uraufführung nun in die Hände von Regisseur Helge Schmidt.

Text: Dagmar Ellen Fischer

 

Wissen vom Fass

Quantenfeldtheorie und Statistische Physik sind bisher nicht die klassischen Kneipenthemen und auch für Stammtische gänzlich ungeeignet. Das Desy und einige andere wissenschaftliche Institute wollen diese schlimme Lücke schließen und bieten am 15. Oktober in insgesamt dreißig Hamburger Ausschankstellen Wissen vom Fass. Wobei es genauer eigentlich heißen müsste: Wissen zum Fass. So wird im Freundlich + Kompetent eine halbe Stunde über die brennende Frage „Wie laut war der Urknall?“ referiert, von keinem Geringerem als dem Professor für Theoretische Physik Jan Louis. Da kein Prüfungsstress droht, der Science Slam seine Finger im Spiel hat und das Bier zur Vorlesung sicherlich diebisch gut schmeckt, ist ein subversiver Spaß garantiert. Und vielleicht kann das leicht verflüssigte Bewusstsein der Zuhörer mit seinem ganz anderen Forschungsansatz sogar umgekehrt auch einen interessanten Beitrag für die Wissenschaft leisten.

Text: Georg Kühn

 

Flashmob mit Augenkontakt

Einfach mal jemandem Fremden in die Augen schauen, viel zu selten tun wir das in dieser hastigen und distanzierten Zeit. Zum Glück gibt es Menschen, die sich auch diesem Defizit widmen und so kann am 15. Oktober reuelos anderen in Auge und Seele gesehen werden, wo man vielleicht sich selbst und den anderen erkennt. Man kommt mit einer Decke zu dieser Performance, setzt sich dazu und lädt gewillte Menschen ein, sich eine Minute (oder für immer) in die Augen zu schauen. Dieser Flashmob hat jetzt schon eine gehörige Dynamik entwickelt, steht in der Tradition weltweit erfolgreicher Vorläufer und auf „Gesichtsbuch“ haben schon über zweitausend Augen zugesagt. Die Aktion ist getragen von der schönen Botschaft, dass menschliche Nähe trotz allem und überall möglich ist. Hoffentlich muss der Himmel nicht weinen an diesem Tag. Leider ist der Veranstalter nicht ganz klar bezüglich des Ortes. Wo der Rathausmarkt an die Spitalerstraße stößt, wird man dann sehen.

Text: Georg Kühn

 

„Black Mass“

„Wenn niemand es sieht, ist es nie passiert“, erklärt James Whitey Bulger seinem kleinen Sohn am Küchentisch seine kriminelle Lebensweisheit. Und er muss es ja wissen: Als irischstämmiger Gangster und skrupelloser Anführer einer Bande im Bosten der 1970er/80er Jahre brachte er mehrere Menschen um, und zählte noch bis zu seiner Verhaftung 2011 zu den meistgesuchten Verbrechern von Amerika; auf der Fahndungsliste stand er direkt hinter Osama Bin Laden.

Brutal und ohne jegliches Gewissen ist Whitey Bulger, der sich zum mächtigsten Mann von Bostons Unterwelt entwickelt, auch dank seiner Arbeit als Informant für das FBI. Die wollen nämlich die italienische Mafia aus der Stadt verdrängen und gehen einen Pakt mit dem Teufel ein. Gruselig genial spielt Johnny Depp den Gangster – mit Halbglatze, schlechten Zähnen, fahler Haut und eiskalten stahlblauen Augen. Benedict Cumberbatch glänzt in der Rolle seines Bruders William Bulger, der ebenfalls sehr einflussreich war: unter anderem als Präsident des Senats von Massachusetts.

Text: Julia Braune

 

El Chiringuito

Blaue Wände mit dezentem Fischdekor, ein blau-melierter Tresen, weiße Stühle – unkompliziert, gemütlich, gesellig. Stilecht hängt in der Mitte des Gastraums ein großer Flachbildschirm, der spanischen und deutschen Fußball zeigt. Die Speisen halten, was das Ambiente verspricht: solide Kleinigkeiten, die der Landesküche entsprechen. Die Mojo, Kräutersalsa auf Olivenölbasis, schmeckt authentisch kanarisch, Pulpo Gallego nach dem gerade erst beendeten Galicien-Urlaub. Der Anblick winziger Glasaale lässt den Tischnachbarn zusammenzucken. Eine glitschige Menge winziger Aale aufzugabeln hat beim ersten Mal tatsächlich etwas von einer Mutprobe. Die Preise für die Tapas sind angemessen, der runde, saftige Rote Añares Rioja Crianza 2012 mit 16 Euro die Flasche sogar ein Preis-Leistungs-Kracher. Der Betreiber Angel Ferrer hatte sich zuletzt im Winterhuder Fährhaus mit einer etwas schickeren Tapasbar versucht, die ehrliche Nummer ist am Ende vielleicht die erfolgreichere.

Text: Lisa Scheide

 

Metric

Es ist nicht das Schlechteste, Mick Jagger zu seinen Fans zu zählen. Der lud die Toronto-Band Metric bereits vor zehn Jahren ein, seine Rolling Stones als Support-Act auf Tournee zu begleiten. Die Band um Sängerin Emily Haines hatte die ewigen Superstars mit ihrem Mix aus Punk, Dance, New Wave, Electro- und Indie-Pop schlichtweg überzeugt. Depeche Mode, New Order, The Cure und Kraftwerk: Sie stecken deutlich hörbar in dieser ganz schön auffallenden, musikalisch ansteckenden Formation. Im Gepäck haben sie ihr aktuelles Album Pagans in Vegas (Heiden in Vegas – wo sonst?), das bereits auf Platz 36 in den amerikanischen Album Charts gestiegen ist. Und nicht nur wir und der Sänger der Stones wissen diese Truppe zu schätzen, auch bei den Juno Awards wird sie regelmäßig ausgezeichnet.

Text: Erik Brandt-Höge

 

Cambodia’s lost Rock’n’Roll

Was war das da für neue Musik in den sechziger Jahren, dieser Rock’n’Roll. Lärm für die ältere Generation, der Sound überhaupt für die Jüngeren. Und so trat der Rock’n’Roll seinen Siegeszug über den gesamten Globus an. Selbst in vergleichsweise abgelegenen Ländern wie Kambodscha erblühte eine neue Szene, die die traditionelle Musik des Landes mit allen Spielarten der westlichen Rockmusik verband. Die Entwicklung nahm aber ein jähes Ende. Im April 1975, als die Roten Khmer nach einem mehrjährigen Bürgerkrieg an die Macht kamen, wurde das Land gesäubert – von „Volksfeinden“ und allen westlichen Einflüssen. Säubern bedeutete auch ermorden, vor allem Musiker. Aber: Don’t think I’ve forgotten Cambodia’s lost Rock’n’Roll. Der gleichnamige Dokumentarfilm von John Pirozzi erinnert an die ausgelöschte Musikszene und wird am Mittwoch im Metropolis Kino gezeigt.

Text: Andra Wöllert

 

Sick Hyenas

So klingt Freiheit, so klingt Abenteuer, so klingt „Scheiß drauf“: Die Sick Hyenas drängen uns bald auf angenehmste Weise ihren breiten Garage-Sound zwischen Surf-Rock und Psychedelic Punk auf – nämlich live im HanseKlub. Weit reisen müssen sie dafür nicht: Die drei Jungs, bei deren Musik man an Spaghetti-Western, Tarantino oder durchgemachte, erfüllende Nächte in abgefuckten Bars denkt, wohnen auf St. Pauli. Das einzige, was sie in Vorbereitung auf das Konzert machen müssen, ist ihre langen Gewänder überzuwerfen, mit denen sie die Ästhetik von The Cramps oder den Black Lips wieder aufleben lassen. Der Plan geht auf, Sick Hyenas waren gerade auf Europatour. Jetzt sind sie zurück und spielen im Plattenladen unseres Vertrauens, der Hanseplatte, ein Set, das in höchster Qualität mitgeschnitten wird. Also hingehen und extraleise sein – oder extralaut?

Text: Andra Wöllert

 

Walk Off The Earth

Das Internet war, ist und bleibt die beste Möglichkeit für den musikalischen Karrierestart. Zumindest, wenn die Musiker das nötige Know-how mitbringen, um online auch glänzen zu können und damit die Klickzahlen hochzutreiben. Wenn sich mehr als 100 Millionen Menschen innerhalb weniger Wochen ihr Video auf YouTube anschauen, hat es eine Band ganz offensichtlich geschafft. Walk Off The Earth gelang dieses Kunststück 2012, als sie den Nummer-eins-Hit Somebody That I Used To Know coverten, wofür sich die fünfköpfige Truppe um eine Gitarre versammelte und den Song mit zehn Händen auf eben dieser intonierte. Seitdem werden die Kanadier zwar häufig auf ihre viralen Videos reduziert, haben aber mit ihrer „Cover-Art“ auch gleichzeitig eine ganz eigene musikalische Nische besetzt, in der auch ihre radiotauglichen Eigenkompositionen immer noch ein Plätzchen finden. Die perfekte Mischung gibt’s jetzt live in Hamburg im Docks.

Text: Katharina Grabowski

 

Irie Révoltés

Gerade in der aktuellen weltpolitischen Situation ist es gut und wichtig, dass sich auch die Kunst über Ungerechtigkeit empört und Alternativen aufzeigt. Die Mitglieder der Formation Irie Révoltés sind für ihr Engagement gegen Faschismus, Rassismus und Homophobie bekannt und finden auch in ihren Songs die richtigen, klaren Worte – etwa in Jetzt ist Schluss vom aktuellen selbstbetitelten Album, das Mitte Juni erschienen ist. Die Konzerte der Heidelberger sind aber nicht in erster Linie Plattform des gesellschaftskritischen Austauschs, sondern vor allem ein buntes Vergnügen. Die Sänger Mal Élevé und Carlito, Rapper Silence, idoT an der Gitarre, Keyboarder Chriggi, Mickez an der Trompete und Saxophonist Toby hören sich so schon nach einem großartigen Mash Up an, vor allem aber ihr musikalischer Style-Mash aus Hip-Hop, Dancehall und Pop füllt die Konzertvenues. Am Mittwoch ist die Große Freiheit 36 dran. Offiziell ist das Konzert ausverkauft, aber vielleicht kennt ihr ja wen, der wen kennt…

Text: Friedrich Reip