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Good because Danish Night

Dieser Abend wird gut, weil dieser Abend dänisch wird. Verstanden? Verstanden! Das sollte auch keine Frage sein, denn zum Start des Reeperbahn Festivals kommt uns sowieso nur gute Musik in die Stadt. Und so stellen als Kick-Off einer neuen Konzertreihe drei Künstlerinnen/Formationen aus Dänemark ihre kommenden Alben im Knust vor. Indie-Queen Ida Gard bringt ihre Songwriter-Perlen mit. Das Duo marstal:lidell macht sphärischen Dream-Pop und Ida Wenøe erzählt mit perfekter Stimme fantasievolle Geschichten in ihren Songs. Neben Frauenpower bekommen die Gäste also auch Vielseitigkeit und Stimmgewalt mal Drei. Und das Sahnehäubchen: Der dänische Spaß kostet keinen Eintritt – über eine Spende freuen sich die Veranstalter dennoch.

Text: Andra Wöllert

 

Reeperbahn Festival

Es ist soweit: Weil das Reeperbahn Festival ungefähr alles kann, sind auch so ziemlich alle aus dem Häuschen, dass am Mittwoch endlich die zehnte Ausgabe losgeht. Über 600 Acts präsentieren sich an vier Tagen in über 70 Locations rund um die Reeperbahn. Und neben den Konzerten von etablierten Musikern wie Rudimental oder Wanda, spielen vor allem viele interessante Newcomer von Rock über Indie bis Soul und Rap. Nur Musik können aber die anderen Festivals schon. Das Reeperbahn Festival bietet außerdem Events für Insider der Musikbranche, einen Wettbewerb für Start-ups, die Digitalmesse Next usw. Kein Wunder, dass die Freude groß ist. Und damit auch die Überforderung größer wird, haben die Macher sich noch etwas Neues überlegt: Zum ersten Mal setzt das Festival einen thematischen Länderschwerpunkt. Gastland ist Finnland – und die haben viel mehr zu bieten als Sunrise Avenue und Nightwish. In Hamburg präsentiert das dortige Exportbüro Künstler aus allen möglichen Genres zwischen Pop, Electro, Rock und Jazz, zum Beispiel Rockbands wie Lapko und The Scenes, die Singer/Songwriterin Mirel Wagner und die Electro-Pop-Künstlerin Venior. Mennään, let’s go!

Text: Andra Wöllert

 

Granada & Neopit Pilski

Hitpotenzial in rauer Hülle, die junge Band Granada um den alten Hasen Aron Pfeil hat sich den nötigen Schuss Garage bewahrt und so eine reife Balance zwischen Mitsing-Ohrwürmern und rohen Riffs gefunden. Schrammelige Klampfen und der leicht nasale Gesang kommen in bester Britpop-Manier daher, das charmante Englisch mit leichtem Akzent tut sein Übriges.

Ganz anders die Freunde vom Balkan. Neopit Pilski versuchen erst gar nicht marktgerecht zu sein. Hier wird bestes Bulgarisch gesungen und auch sonst geht es eher ruppig zu, die Gitarre quietscht hervorragend, das Becken scheppert und Punk is not dead, it just speaks funny. Hier wird nicht getüftelt, hier wird gebratzt: „Recorded live in one room“, erfährt man im Waschzettel des Albums. Formal passt das zu den Texten, in denen Frontmann und Wahlhamburger Stefan Ivanov die zerrütteten Verhältnisse in seiner armen und korrupten Heimat beschreibt.

Im Rahmen des Reeperbahnfestivals in der Hanseplatte.

 

The Contenders

Seit 2012 tourt das bärtige Duo, das klingt wie ein Schüttelreim, unter dem Namen The Contenders (Die Bewerber). Vor langer Zeit haben die beiden sich beim Whiskeytrinken in Los Angeles kennen gelernt. Nash ist klassischer Singer-Songwriter mit Rock-’n‘-Roll-Wurzeln, Day Schlagzeuger und mehr dem Country zugeneigt. Herausgekommen ist etwas Handgemachtes, das unbedenklich als Americana durchgeht. Zusammen kommen die berückend schöne Stimme von Jay Nash, historische Gitarren, manchmal sogar Bluesharp und das lässige Besenspiel von Josh Day – dazu heulen die Freunde, dass der Staub weht – wer Giant Sand und Calexico gut findet, wird hier auch seine Freude haben.

Text: Georg Kühn

 

Ella Eyre & Jasmine Thompson

Ihr dunkles souliges Timbre, die druckvollen R-’n‘-B-Nummern und ihre Sportklamotte lassen erahnen: Hier wird es groovig! Feline heißt das erfolgreiche Debut-Album von Ella Eyre, dass ihr eine Nominierung bei den Brit Awards bescherte. Im Uebel & Gefährlich wird der Londoner Lockenkopf jede Menge Groove und positive Energie versprühen. Das Konzert ist ein Nachholtermin – ihren Auftritt im Mai musste sie krankheitsbedingt absagen.

Recht poppig wird es mit Jasmine Thompson, die mit zehn schon einen erfolgreichen YouTube-Kanal betrieb und die mit ihrer Coverversion von Chaka Khans Ain’t Nobody auf Anhieb diverse Preise abgeräumt hat.

Die Luft wird brennen, dank dieser geballten Frauenpower – oder sollte man sagen: dank dieser Jugend? Ella Eyre zählt gerade mal 21 Lenze. Frau Thompson wird im November 15! Glücklicherweise muss sie morgen nicht zur Schule. Die junge Dame erhält Privatunterricht.

Text: Georg Kühn

 

Schlingensiefs Container

Im Jahr 2000 regierte die FPÖ in Österreich – eine rechtsnationale Koalition, die offen fremdenfeindliches und nationalistisches Gedankengut pflegte. Die Stimmung im Land war aufgehetzt. Der Regisseur Christoph Schlingensief sah die Zeit gekommen, eine entlarvende Installation bei den Wiener Festwochen zu präsentieren. Das Projekt funktionierte so: In einem Big-Brother-Container lebten zwölf Asylbewerber. Über die Webseite auslaenderraus.at konnten diese per Abstimmung abgeschoben werden. Der Server brach mehrfach zusammen.

Diese bösartige Verquickung von vermeintlicher Demokratie, nationalsozialistischen Parolen und medialer Zurschaustellung brachte so viel Zündstoff in die gespaltene österreichische Gesellschaft, dass es zu Klagen, Brandanschlägen und Verletzten kam. Der Film dokumentiert die Kunstaktion und öffentliche Reaktionen, lässt aber auch verschiedene Positionen von Freunden und Philosophen zu Wort kommen. Im Rahmen des Dokumentarfilmsalons ist er im B-Movie zu sehen.

Text: Georg Kühn

 

Sarah Lipstate

Diese New Yorker Gitarristin setzt ihre Effektgeräte gezielt und geschmackvoll ein. Das gibt den Flächen Raum und Dramatik ohne Kitsch. Manchmal klingt Sarah Lipstate, deren Solo-Projekt Noveller ist, wie die japanische Band Mono, oft wie Filmmusik zu einem Flug durch die Nacht. So trifft es sich, dass die Musikerin selbst Filmemacherin ist, sie dreht auch ihre eigenen Clips. Lipstate war Mitglied der Noise-Rock-Band Parts & Labor und hat mit reichlich anderen Gitarrengrößen zusammengearbeitet, beispielsweise Lee Ranaldo von Sonic Youth. Im Gepäck hat sie ihr neues Album Fantastic Planet und einen gnadenlosen Tourplan, für Wochen wird sie jeden Abend spielen, an diesem im Turmzimmer des Uebel & Gefährlich.

Text: Georg Kühn

 

…ich liebe Äpfel

Imelda Marcos hat mit ihrer Verschwendungssucht einen anderen Standpunkt als die biedere Margot Honecker und noch anders denkt Frau Ben-Ali, als Tunesierin gesegnet mit Bildung aus französischen Eliteinstituten. Die Damen bereiten eine gemeinsame Pressekonferenz vor und – Gott sei Dank – sprechen Sie keine gemeinsame Sprache, sodass ein Dolmetscher vonnöten ist. Dieser jongliert und manipuliert geschickt mit Sinn und Nuance und so entsteht eine herrliche Farce, in der sich um Kopf und Kragen geredet wird. In der theatralen Komödie mit spärlichem Bühnenbild ist viel Platz für Text, hier sprühen die drei tollen Frauen und ihr Übersetzer vor Spiellust. Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel ist die Regie-Abschlussarbeit von Friederike Harmstorf – und eine Zeile aus einem Gedicht von Muammar al-Gaddafi.

Text: Georg Kühn

 

Taxi

Alexandra ist 25 und sicher, dass sie nicht Versicherungskauffrau werden will. Sie schmeißt ihre Ausbildung, und sich selbst ins raue Leben. Von nun an fährt Alexandra Taxi. Sie übernimmt die Nachtschichttour – und das im Hamburg der 1980er, als noch gnadenlos geraucht, gezecht und gehurt wurde. So weit zur Handlung von Taxi nach der Romanvorlage von Karen Duve. Rosalie Thomass spielt die coole Cab-Lady, zwischen apart und schnodderig sucht sie den Weg durch die Stadt und zu sich selbst. Erst als Marc in ihr Taxi steigt – gespielt von Peter Dinklage, der mit Game of Thrones seinen Durchbruch feierte – geht’s bergauf. Herrlich auch: der besoffene Armin Rohde in einer Nebenrolle als Fahrgast, natürlich mit Kippe. Taxi ist ein sehenswerter (Mittel-)Streifen mit starken Dialogen und natürlich viel Psychologie. Wer ihn bisher verpasst hat, spurtet alsbald in den Filmsaal.

Text: Georg Kühn

 

Gentleman

Er ist eines der wenigen Überbleibsel aus der Hype-Zeit von Reggae, Ragga und Dancehall Anfang der nuller Jahre: Tilmann Otto a.k.a. Gentleman. Und der Kölner Roots-Reggae-Künstler macht weiterhin genau das, was er damals auch gemacht hat, nämlich teils tiefenentspannte, teils wüst tanzbare Off-Beat-Tracks für die breite Masse. Immerhin: In seiner Bühnenshow wird es demnächst eine Neuerung geben. Dank der Musik-Event-Reihe Grooves United, die sich um den Austausch und die Zusammenarbeit von bedeutenden Musikern verschiedener Kulturkreise kümmert, werden Gentleman und seine Band The Evolution mit Cidade Negra touren, der erfolgreichsten brasilianischen Reggae-Pop-Gruppe. Gemeinsam und getrennt werden sie am 20.09. im Mojo Club auf der Bühne stehen. Inwiefern Gentleman dann tatsächlich auch mal anders und vielleicht sogar brasilianisch klingen wird, bleibt abzuwarten.

Text: Erik Brandt-Höge