Lesezeichen
 

Ägyptische Bloggerin: Warum ich mich nackt zeige

Mona Eltahawy ist anderer Meinung als ich über die Bedeutung und die möglichen Auswirkungen der Aktion von Aliaa Elmahdy: Sie sieht in ihr eine Entsprechung zu Mohammed Bouazizi.

While Mahdy’s act has been hashtagged (#NudePhotoRevolutionary) and her name tweeted and Facebooked endlessly, others did not receive such attention. Samira Ibrahim, the only one of the women subjected to „virginity tests“ who is taking the military to court for sexual assault, has neither a dedicated hashtag nor notoriety. Another woman, Salwa el-Husseini, was the first to reveal what the military did to them, but news reports have said she can’t raise a lawsuit because she doesn’t have identification papers.

Not only did el-Husseini speak out, she courageously agreed to be filmed at a session of testimonies on military abuses. Again, hardly anyone knows her name, her recorded testimony isn’t racking up page views, and she was called a liar and vilified for speaking out. Both women have vehemently maintained they were virgins.

If „good girls“ in headscarves who kept their legs together only to be violated by the military speak out and no one listens, what’s the message being sent? When the military justified its violations by saying „those girls aren’t like your daughter or mine. These were girls who had camped out in tents with male protesters in Tahrir Square“, what’s the message?

Some in the liberal camp have accused Mahdy of „harming“ the revolution by allegedly confirming the stereotypes of revolutionaries that its opponents hold. Shame on them! Why allow those opponents to set the agenda for „good“ and „bad“. Since when do revolutions allow their conservative opponents to set the agenda?

When Mohammed Bouazizi, fed up with humiliation, repression and poverty, set himself on fire in Tunisia last January, essentially taking state abuse to its logical end, he ignited the revolutionary imagination of the Middle East and north Africa. Aliaa Mahdy, fed up with hypocrisy and sexual repression, undressed. She is the Molotov cocktail thrown at the Mubaraks in our heads – the dictators of our mind – which insists that revolutions cannot succeed without a tidal wave of cultural changes that upend misogyny and sexual hypocrisy.

 

In einem Interview mit CNN macht Elmahdy den Hintergrund ihrer Aktion deutlich:

CNN: What do you think about the forced virginity tests performed by the Egyptian military on more than a dozen girls arrested in Tahrir Square?

Elmahdy: I consider this rape. Those men in the military who conducted these tests should be punished for allowing this to happen without the consent of the girls in the first place. Instead, the girls walk around feeling the shame and most of them are forced to remain silent.

CNN: Do you practice safe sex in your sexual revolution?

Elmahdy: Most Egyptians are secretive about sex because they are brought up thinking sex is something bad and dirty and there is no mention of it in schools. Sex to the majority is simply a man using a woman with no communication between them and children are just part of an equation. To me, sex is an expression of respect, a passion for love that culminates into sex to please both sides.

I do practice safe sex but I don’t take pills because I am against abortion. I enjoyed losing my virginity at the age of 18 with a man I loved who was 40 years older than me. Kareem Amer is the second man and the love of my life. The saying suits us: „Birds of the same feather flock together“

CNN: How do you see women in the „New Egypt“ and will you leave the country if the ongoing revolution fails?

Elmahdy: I am not positive at all unless a social revolution erupts. Women under Islam will always be objects to use at home. The (sexism) against women in Egypt is unreal, but I am not going anywhere and will battle it ‚til the end. Many women wear the veil just to escape the harassment and be able to walk the streets. I hate how society labels gays and lesbians as abnormal people. Different is not abnormal!

CNN: What are your future plans with Kareem and will you find it hard to deal with your new notoriety?

Elmahdy: I have discovered who my real friends are, and I have Kareem who loves me passionately. He works as a media monitor and I am currently looking for a job. I embrace the simple things in life and I am a vegetarian … I am a believer of every word I say and I am willing to live in danger under the many threats I receive in order to obtain the real freedom all Egyptian are fighting and dying for daily.

 

 

Ägyptens neue Parteien

Ob es Wahlen in Ägypten geben wird am Ende dieser Woche? Im Moment ist das, nach den Ausschreitungen mit zahlreichen Toten, schwer zu sagen.

Für alle, die sich einen Überblick über die erblühende politische Landschaft in Ägypten verschaffen wollen, hat das Blog „The Arabist“ einen tollen Dienst geleistet – eine Karte der Parteien, inklusive Lagerzuordnung.

 

 

Die breite Blutspur des Rechtsextremismus

Vor etwas mehr als einem Jahr hat die ZEIT in Zusammenarbeit mit dem Tagesspiegel eine Liste der Opfer rechtsextremistischer und rassistischer Gewalt seit der Wiedervereinigung veröffentlicht. In der Liste, die auf Polizeistatistiken und Zeitungsmeldungen beruht, waren 137 Opfer aufgehzählt. Nun ist die Liste von der Stern-Redaktion „Mut gegen rechte Gewalt“ und der Amadeu Antonio Stiftung aufgrund neuer Recherchen aktualisiert und ergänzt worden – auch um die Opfer des „Zwickauer Trios“. Sie umfasst bisher 182 Ermordete.

Die Bundesregierung erkannte bisher aber nur 47 Opfer als Folge „politisch motivierter Kriminalität“ an.

In einer Pressemitteilung des Bundestages vom 13. Oktober 2011 antwortet die Bundesregierung auf eine Anfrage der LINKEN zum Thema:

„Die Tatsache, dass ein Täter oder Tatverdächtiger aus dem rechten Milieu stammt, reicht aus Sicht der Bundesregierung allein nicht aus, um ein Delikt als rechtsextremistisch motiviert zu bewerten und entsprechend als Fall ‚Politisch motivierte Kriminalität‘ (PMK) zu klassifizieren.“

Hm. Sicher. Wenn der Rechtsextreme einen Versicherungsbetrug begeht, dann ist das nicht notwendiger Weise PMK. (Außer er verwendet das Geld für poltische Zwecke.)

Aber die etwas schnoddrige Kleinrechnerei der Opferzahlen rechtsextremer Gewalt fasst einen dieser Tage merkwürdig an: Irgendwie habe ich das Gefühl, die Aussage der Regierung führt zum Kern des Aufklärungsproblems der Mordserie, die wir gerade debattieren.

Wenn es zu den Überzeugungen des „rechten Milieus“ gehört, dass türkische Einwanderer (oder solche, die man dafür halten könnte) per se kein Lebensrecht haben und es – „Taten statt Worte“- an der Zeit ist, danach zu handeln, ist das dann etwa nicht „politisch motivierte Kriminalität“? Vielleicht nicht im gleichen Sinn wie bei der RAF, die niemals um längliche, wortreiche Rechtfertigungen verlegen war.

Aber es ist hier doch eine politische Einstellung, die Mord und Totschlag rechtfertigt. Dasselbe gilt übrigens für die zahlreichen Taten an Obdachlosen, Sozialhilfeempfängern oder Dunkelhäutigen.
Ich zitiere hier mal ein paar Fälle aus dem Jahr 2000 aus der Liste, nur um die schockierende Breite der Gewaltspur zu dokumentieren:


115. Bernd Schmidt, 52 Jahre, obdachloser Glasdesigner

Er wurde in seiner Baracke in Weißwasser (Sachsen) von zwei 15-jährigen und einem 16-jährigen Jugendlichen über einen Zeitraum von drei Tagen zu Tode geprügelt. Sie wollten 900 DM für ein Moped erpressen, doch Bernd Schmidt konnte diese nicht zahlen. Er starb am 31. Januar 2000 an Hirnblutungen und einer Lungenentzündung, die er sich durch das Einatmen von Blut zugezogen hatte.

116. Helmut Sackers, 60 Jahre

Am 29. April 2000 wurde er von einem Neonazi im Treppenhaus eines Plattenbaus in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) erstochen, weil er sich über das laute Abspielen von Nazimusik, unter anderem des Horst-Wessel-Liedes, beschwert und die Polizei verständigt hatte.

117. Dieter Eich, Sozialhilfeempfänger

Am 25. Mai 2000 wurde er von vier rechten Jugendlichen, die „einen Asi klatschen“ wollten, in seiner Wohnung in Berlin-Pankow zusammengeschlagen und erstochen.

118. Falko Lüdtke, 22 Jahre

Er wurde am 31. Mai 2000 in Eberswalde (Brandenburg) von einem Angehörigen der rechten Szene vor ein Taxi gestoßen und überfahren.

119. Alberto Adriano, 39 Jahre (A)
Er wurde am 11. Juni 2000 in der Nähe des Stadtparks in Dessau (Sachsen-Anhalt) von drei rechten Jugendlichen bewusstlos geschlagen und getreten, in den Park geschleift und weiter geschlagen, bis die Polizei kam. Drei Tage später starb er an seinen Verletzungen.

120. Thomas Goretzky, 35 Jahre, Polizist
Am 14. Juni 2000 erschoss der Neonazi Michael Berger in Dortmund und Waltrop (Nordrhein-Westfalen) die drei Polizisten Thomas Goretzky (35 Jahre), Yvonne Hachtkemper (34 Jahre) Matthias Larisch von Woitowitz (35 Jahre) und anschließend sich selbst. Der im Auto sitzende Täter eröffnete während einer Kontrolle plötzlich das Feuer, tötete Goretzky und auf der Flucht Hachtkemper und von Woitowitz. In seiner Wohnung fand die Polizei später weitere Schusswaffen und Mitgliedsausweise der DVU und Republikaner.

121. Yvonne Hachtkemper, 34 Jahre, Polizistin
Am 14. Juni 2000 erschoss der Neonazi Michael Berger in Dortmund und Waltrop (Nordrhein-Westfalen) die drei Polizisten Thomas Goretzky (35 Jahre), Yvonne Hachtkemper (34 Jahre) Matthias Larisch von Woitowitz (35 Jahre) und anschließend sich selbst. Der im Auto sitzende Täter eröffnete während einer Kontrolle plötzlich das Feuer, tötete Goretzky und auf der Flucht Hachtkemper und von Woitowitz. In seiner Wohnung fand die Polizei später weitere Schusswaffen und Mitgliedsausweise der DVU und Republikaner.

122. Matthias Larisch von Woitowitz, 35 Jahre, Polizist

Am 14. Juni 2000 erschoss der Neonazi Michael Berger in Dortmund und Waltrop (Nordrhein-Westfalen) die drei Polizisten Thomas Goretzky (35 Jahre), Yvonne Hachtkemper (34 Jahre) Matthias Larisch von Woitowitz (35 Jahre) und anschließend sich selbst. Der im Auto sitzende Täter eröffnete während einer Kontrolle plötzlich das Feuer, tötete Goretzky und auf der Flucht Hachtkemper und von Woitowitz. In seiner Wohnung fand die Polizei später weitere Schusswaffen und Mitgliedsausweise der DVU und Republikaner.

123. Klaus-Dieter Gerecke, Obdachloser (HM)

Er wurde in der Nacht zum 24. Juni 2000 in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) von einem der rechten Szene zuzuordnenden 21-jährigen Mann und zwei Frauen zu Tode geprügelt. Eine der Begleiterinnen hatte dem Täter zugerufen: „Da ist der Assi, klatsch ihn tot“.

124. Jürgen Seifert, 52 Jahre, Obdachloser (HM)

Am 9. Juli 2000 wurde er von fünf Rechtsextremisten in einem Abrisshaus in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) mit Schlägen und Tritten so schwer misshandelt, dass er wenig später seinen Verletzungen erlag.

125. Norbert Plath, 51 Jahre, Obdachloser (RT und HM)
(A)
Am 27. Juli 2000 wurde er in Ahlbeck (Mecklenburg-Vorpommern) von vier jungen Rechtsextremisten zu Tode geprügelt, weil sie ihn für „asoziale[n] Dreck“ hielten.

126. Enver Şimşek, 38 Jahre

Am 9. September 2000 wurde Enver Şimşek in Schlüchtern (Hessen) nach aktuellem Kenntnisstand von der terroristischen Neonazivereinigung „“Nationalsozialistischer Untergrund““ an seinem mobilen Blumenstand mit acht Schüssen aus zwei Pistolen angeschossen. Er erlag zwei Tage später an seinen schweren Verletzungen.

 

 

Eine ägyptische Bloggerin zeigt sich nackt

Dieses Blog hat sich früh für die Freilassung von Kareem Amer eingesetzt, der als Blogger unter Mubarak vier Jahre Haft bekommen hatte. Vergebens. Kareems Haftentlassung kurz vor dem arabischen Frühling war ein Grund zur Freude, ebenso wie die Tatsache, dass einer wie er nun nicht mehr als ein Freak dastand, sondern plötzlich zusammen mit Hunderttausenden als das neue Gesicht Ägyptens, vielleicht als das Gesicht eines neuen Ägyptens dastand.

Kareem geht es heute gut, er studiert (Kommunikationswissenschaft, passender Weise). Er hat eine Freundin. Sie ist auch Bloggerin. Ihr Name ist Aliaa Magda Elmahdy.

Kareem und Aliaa        Foto: Kareem’s Facebook Page

 

Nun hat Aliaa etwas getan, was mich für sie und Kareem fürchten läßt. Sie hat auf ihrem Blog ein Nacktfoto von sich veröffentlicht. Aliaa, bekennende Atheistin, hat sich offenbar zum Ziel gesetzt, die Grenzen der Freiheit in Ägypten auszutesten. Sie bezeichnet sich auf ihrem Twitter-Account als „Secular Liberal Feminist Vegetarian Individualist Egyptian“.

Ich habe große Sympathie für junge Leute, die Prüderie und Verklemmtheit ihrer Gesellschaft nicht ertragen wollen, die mit Provokationen gegen Machismo und sexuelle Belästigung vorgehen. Allerdings kann diese Sache hier leicht nach hinten losgehen.

Kareem sagte dem Blog Cyberdissidents:

“When Alia first published the nude picture online, it was a decision and a choice that she made on her own.  Should any harm come to her, I will stand by her side.  I don’t know what I will be able to do because the specific repercussions are unclear. Some have threatened to sue us and inform the police.  If she is brought under investigation, I will stand by her and do whatever I can to solve this situation peacefully.  I am very proud of her. I am proud of her strong personality and of the daring attitude with which she expresses her opinion bravely.  I could never be as brave as her.  Alia is important to me, and I will never leave her side.”

Ich hoffe sehr, dass ihr nichts passiert. Ich hoffe auch, dass sie den ohnehin starken Islamisten mit ihrer Aktion nicht noch weitere Stimmen zutreibt und keinen guten Vorwand liefert, die säkular gesinnte Jugend als westlich dekadente Pornographen abzutun.

Die Wahl, die Ende des Monats ansteht, wird wohl kaum über solche Aktionen gewonnen werden (vielleicht aber verloren).  Liberal und säkular zu sein, bedeutet für öffentliche Nackheit einzutreten? Das wäre in Ägypten ein Konzept für ein Debakel.

Dann wieder: Verdammt, ist die mutig!

Under the title “fan a’ry” (nude art), Elmahdy posted eight pictures, two of herself and one showing a nude man holding a guitar, in addition to other photos.

In one photo, yellow rectangles cover parts of her body. “The yellow rectangles on my eyes, mouth and sex organ resemble the censoring of our knowledge, expression and sexuality,” Elmahdy said.

On her Facebook page, she said that she was “echoing screams against a society of violence, racism, sexism, sexual harassment and hypocrisy.”

Elmahdy argued on the blog that publishing the photo was an expression of freedom. “I have the right to live freely in any place… I feel happy and self satisfied when I feel that I’m really free,” she said.

In Al Masry Alyoum heißt es weiter:

Many comments referenced Egypt’s current divide between Islamists and secularists.

Following the fall of former president Hosni Mubarak in early February, Islamists have gained influence as they are suddenly free to operate openly without persecution from government authorities. Ultra-conservative Salafis have called for applying Islamic Sharia law, while some conservative preachers have called for banning women from wearing western swimsuits.

User Ali Hagras tweeted, “let’s just hope Salafi sheikhs don’t get word of this. They’re gonna throw it all on liberals and seculars.”

User Magued Ghoraba protested the decision to post the photo, “We are defending secularism from innuendos & then we get this #NudePhotoRevolutionary Stop shocking people to the point of repulsion.”

 

 

Warum die Islamhasser von PI beobachtet werden müssen

Es hat mich interessiert, was die Website Politically Incorrect wohl zu den Aktivitäten der rechtsextremen Terroristen zu sagen hat. Darum habe ich heute vorbeigeschaut, was ich sonst aus Gründen meiner geistigen Gesundheit tunlichst vermeide. Es hat gelohnt.

Die Website ziert eine Meldung über eine Kuh namens Yvonne, die „uns“ (das ist in letzter Zeit offenbar hauptsächlich der Blogger mit dem Nick „kewil“) „als die wichtigste heute morgen“ erschien.

Das ist eine etwas verklemmte Weise, dem eigenen Publikum zu verstehen zu geben, dass der Terrorismus der Zwickauer Zelle nichts als ein Hype der „linksversifften Medien“ ist. PI hat offenbar ein Problem mit der Nachricht von der „neuen Dimension rechtextremistischen Terrors“ (so Innenminister Friedrich).

Ein schöner Nebeneffekt des PI-Kampfes gegen den „Islamfaschismus“ ist ja, dass daneben der andere, reale Faschismus wie eine historische Petitesse wirkt. Ja, dass der Islam, (der mit Islamfaschismus bekanntlich gleichbedeutend ist in der PI-Weltsicht) am Ende der einzige, der schlimmste und ursprüngliche Faschismus überhaupt ist.

Diese Weltsicht wird aktuell auf der Website als Handreichung zur Debatte in Krisenzeiten verbreitet. Ein Beitrag mit dem Titel „Ein Gespenst geht um in Europa“ enthält folgende Liste von Völkermorden:

1. Die islamische Eroberung Indiens, die über mehrere Jahrhunderte ca. 80 Millionen Opfer forderte. (Quelle Egon Flaig, Robert Sewell, Kishori Saran)

2. Marxistische Verbrechen in China (Großer Sprung nach vorn – künstlich ausgelöste Hungersnot) ca. 43 Millionen Opfer. (Quelle Stephane Courtois).

3. Marxistische Verbrechen in der Sowjetunion ca. 27 Millionen, davon durch künstliche Hungersnöte etwa 17 Millionen. (Quelle Stephane Courtois).

4. Der muslimische Sklavenhandel mit Schwarzafrikanern hatte etwa 15 Millionen Opfer gefordert. Im Unterschied zum transatlantischen Sklavenhandel wurden die Sklaven für den muslimischen Markt kastriert. (Quelle: Tidiane N´Diaye, Ibrahima Thioub)

5. Die islamische Eroberung Persiens mit etwa 10 Millionen Opfern. (Quelle: Egon Flaig)

6. Der Holocaust der Nazis mit etwa neun Millionen Opfern (davon sechs Millionen Juden).

Es gehört zur PI-Strategie, Israel- und Judenfreundlichkeit herauszustellen. In solchen Listen aber zeigt sich, wie wenig ernst das zu nehmen ist. Der Islam – das ist die Lehre, die hier immer wieder verbreitet wird – ist gut x-mal so böse wie der Nationalsozialismus. Die Obsession mit dem hanebüchenen Vergleich einer Religion mit dem genozidalen NS-Regime wird nach meinem Eindruck in letzter Zeit immer schlimmer. Ich sehe darin ein Indiz der Radikalisierung dieses Milieus.

Sie führt dazu, dass mittlerweile in vielen Posts der Nationalsozialismus auf mehr oder minder subtile Weise relativiert wird. Etwa, wenn es in einem Artikel zum CDU-Parteitag heißt:

„Auf dem kommenden CDU-Parteitag ab Montag werden wir wieder erleben, wie ein Haufen unterwürfiger Delegierter einer der radikalsten Figuren der deutschen Geschichte zujubeln wird: Angela Merkel. Eine beispiellose Aushöhlung unserer nachkriegszeitlichen Demokratie, die Zerschlagung der deutschen Armee, eine unvergleichliche Erosion der inneren Sicherheit, die weitgehende Preisgabe unserer Selbstbestimmung zum Nutzen fremder Staaten, die Verpfändung unseres volkswirtschaftlichen Vermögens und eine pharaonenhafte Ausweitung der Staatsverschuldung, die sich in der deutschen Geschichte nur mit den Schuldenexzessen der NSDAP vergleichen lässt – das alles ist das Werk dieser Frau.“

Wie lange noch kann PI und seine Propaganda abtun als die Weltsicht harmloser Irrer? PI ist die Vorfeld-Organisation einer rechtsextremen Radikalisierung. Sie kann zur praktizierten Volksverhetzung führen, und eines Tages wird sie vielleicht auch zum manifesten Mordwillen irgendwelcher Irregeleiteter führen – genau wie die Websites mancher salafistisch-dschihadistischer Gruppen oder linksradikale Hetzseiten, die ebenfalls daran arbeiten, die Akzeptanzschwelle ihrer Nutzer für Gewalt zu senken.

Dieses Beispiel hier finde ich besonders abstoßend. „Kewil“ berichtet über einen Moscheebaustreit in der Schweiz. Gegner der Moschee haben angeblich (nach ihrem eigenen Bekennerschreiben) 120 Liter Schweineblut auf dem Bauland der Moschee ausgebracht. Auch Teile von einem Schweinekadaver wurden vergraben.

„Kewil“ erklärt die Aktion von „Islamkritikern“ damit, dass der Verkäufer des Baulands sich durch die Erwerber getäuscht gesehen habe. Die hätten ihm vorgetäuscht, Garagen bauen zu wollen. Er endet seinen Bericht sardonisch: „Daher das böse Blut.“

Hier einige der ersten Kommentare:

 

Ich finde, die Aufforderung, mit der „kreativen Idee“ aus der Schweiz den Moscheebau zu verhindern – indem man überall im Land „Bauland schändet“ durch Ausbringung von Schweineblut – erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung.

Es ist Zeit, dass nicht nur einzelne Verfassungsschutzämter der Länder PI offiziell beobachten, sondern die Bundesbehörde.

 

 

Ein Aufruf zu etwas mehr Zivilität hier im Blog

Ich möchte sehr darum bitten, dass die Diskussion im Forum etwas weniger polemisch, etwas weniger o.t., etwas weniger unverantwortlich geführt wird.
Es ist z. B. nicht angemessen, das Bekanntwerden einer fremdenfeindlichen Mordserie, nein, korrigiere, das Bekanntwerden eines regelrechten fremdenfeindlichen Terrorismus zum Anlass zu nehmen, über Begräbnisvorlieben von Muslimen zu debattieren.
Wer nicht in der Lage ist, so etwas selber zu beurteilen und zu unterlassen, wird von mir per Hand entfernt.
Ich habe hier eine extrem tolerante Haltung praktiziert, was die Debatten in den Kommentaren angeht. Ich werde das auch in Zukunft so halten, manchmal über das Erträgliche hinaus.
Ich habe die Kommentare der beiden aktivsten Threads deaktiviert. Ich denke, es empfiehlt sich, ein paar Stunden über die Ereignisse zu reflektieren, die in den letzten Tagen bekannt geworden sind, bevor wir hier weiterdiskutieren.
Und übrigens ist es schlechte Übung, fremde Foren zur Selbstdarstellung zu okkupieren. (Im Klartext: Wenn Herr Holm und Herr Brückmeier sich nicht etwas einschränken, werde ich das tun. Erol Bulut: Sie haben hier Platzverbot.)

 

Warum das Jüdische Museum (zu Recht) so erfolgreich ist

In meinem Text für die Jubiläumsausgabe der Zeitschrift des Jüdischen Museums in Berlin habe ich darüber nachgedacht, warum Deutschland das Jüdische Museum braucht, auch wenn die „Gedenkphase“ der deutschen Nachkriegsgeschichte vorbei ist:

Wer nach zehn Jahren Gründe sucht, warum Deutschland ein Jüdisches Museum braucht, muss nicht lange wühlen. Zwei jüngere Debatten haben bewiesen, dass sich hierzulande immer noch vieles nicht von selbst versteht, was die deutsch-jüdische Geschichte betrifft – und das gilt für die rechte wie die linke Seite des politische Spektrums.
Im letzten Herbst hatte der neue Bundespräsident Christian Wulff zum Tag der Deutschen Einheit festgestellt, dass „auch der Islam“ inzwischen zu Deutschland gehöre, so wie „zweifelsfrei“ das Christentum und das Judentum. Eine Banalität, möchte man meinen.
Doch es folgten Wochen heftiger Debatte. Noch nie ist ein Bundespräsident für eine solche Aussage von Vertretern seiner eigenen Partei derart angegriffen worden. Grund dafr war nicht die Aussage über das Judentum, sondern Wulffs lässige rhetorische Geste der Inklusion gegenüber dem Islam.
Und nun passierte etwas Interessantes: In den folgenden Tagen war viel die Rede von der „christlich-jüdischen“ Tradition, auf der „unser Verständnis von Menschenrechten und Aufklärung“ beruhe. Die Muslime hätten dazu nichts beigetragen und könnten darum auch nicht in gleicher Weise „zweifelsfrei“ dazugehören.
Hier wurde ein vermeintliches deutsches christlich-jüdisches Erbe in Anschlag gebracht, um Muslime auszugrenzen. Die Rede von der „christlich-jüdischen Kultur“ war historisch immer fragwürdig. Doch hatte sie nach dem Krieg auch einen guten Sinn. Nie wieder sollten Juden als das nicht integrierbare andere schlechthin definiert werden, wie es jahrhundertlang üblich war. Doch in der Kritik an Wulffs Aussage ging es vor allem um die Markierung einer Differenz zu den Muslimen.
Die Juden rhetorisch zu umarmen, um die Fremdheit des Islams herauszustreichen, ist Geschichtsklitterung. Die kaum versteckte Botschaft an die Muslime kam gleichwohl an: Ihr gehört hier nicht her, ihr habt nichts beizutragen, ihr werdet fremd bleiben.
Gut, dass sich Vertreter des deutschen Judentums sofort gegen dieses Spiel verwehrt haben. Wenn führende Politiker dieses Landes heute so reden, als habe 2000 Jahre lang das schönste christlich-jüdische Werte-Einverständnis geherrscht, als hätten Christen und Juden zusammen in herrlichster Harmonie Toleranz und Aufklärung entwickelt, als hätten erst die einwandernden Muslime die schöne deutsch-jüdische Symbiose zerstört – dann ist eine Mission des Jüdischen Museums offenbar auch nach zehn Jahren nicht erfüllt: die spannungsreiche Geschichte der Juden in deutschen Landen in all ihrer Komplexität, Ambivalenz, Größe und Tragik so zu erzählen, dass sich eine „christlich-jüdische“ Instrumentalisierung gegen andere Minderheiten verbietet.
Kann es sein, dass die Politiker, die heute so leichtfertig mit der Formel umgehen, nie im Museum waren? Oder ist es möglich, dass sich bei ihnen einfach die Phrase von den „2000 Jahren deutsch-jüdischer Geschichte“ festgesetzt hat, mit der das Museum anfangs überall beworben wurde?
Die zweite Debatte, die über den Stand der deutsch-jüdischen Dinge hierzulande erschaudern lassen kann, ist der Antisemitismus-Streit in der Linkspartei. Seit Jahren hat Gregor Gysi versucht, seine Partei zu einem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zu führen. In diesem Frühjahr häuften sich dann die Ereignisse, die auf einen tief sitzenden Antisemitismus bei manchen linken Funktionären – vor allem aus der Westlinken – zu deuten schienen, gipfelnd im Schal der Bundestagsabgeordneten Inge Höger, auf dem der Nahe Osten ohne Israel abgebildet war. Gysis Beschlussvorlage, in der die Linke-Fraktion sich zum Existenzrecht Israels bekennt und bei aller Kritik an Besatzung und Boykott von der Teilnahme an der Gaza-Flotille distanziert, löste wütende Reaktionen bei den „antizionistischen“ Kräften der Partei aus. Weiter„Warum das Jüdische Museum (zu Recht) so erfolgreich ist“

 

Deutschland braucht eine andere Nahostpolitik

Mein Stück aus der ZEIT von heute, S.4:

Eigentlich ist es ein überraschend trockener Satz für ein Herzstück der deutschen Nachkriegspolitik. Vielleicht muss das so sein, weil dieses Thema so schnell überwältigt. Der ganze Horror, die Millionen Toten, der Hass – alles transformiert und aufgehoben in einer ziemlich bürokratischen Formel: Die Sicherheit des jüdischen Staates sei »Teil der deutschen Staatsräson«. Der Satz war einmal ein Wall gegen den israelkritischen Mainstream hierzulande. Angela Merkel sagt ihn immer wieder, und die Opposition nickt dazu, mittlerweile bis hinein in die Partei Die Linke. Die Koppelung von Deutschlands Staatsräson und Israels Sicherheit als Konsequenz des Holocaust ist mittlerweile selbst Mainstream geworden – eine der wenigen unstrittigen Maximen der deutschen Außenpolitik.

Doch was so evident klingt, ist in Wahrheit so offensichtlich nicht. Was die Pflicht zur Solidarität mit Israel heute gebietet, ist fraglich geworden. Noch in dieser Woche kann es im Sicherheitsrat zur Abstimmung über die Frage kommen, ob Palästina in die Vereinten Nationen aufgenommen werden soll. Zugleich kocht der Atomkonflikt mit Iran hoch, und selbst der besonnene israelische Präsident Schimon Peres sagt, ein Krieg mit Teheran sei »wahrscheinlicher geworden« als eine diplomatische Lösung.
Zwei Prioritäten prägen die deutsche Politik gegenüber Israel. Der jüdische Staat muss gegen das antisemitische Regime in Iran geschützt werden, das nach dem neuesten IAEO-Bericht ein klandestines Atomwaffenprogramm verfolgt. Und die Zweistaatenlösung bleibt die einzige Hoffnung auf einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten. Folgt aus dem Ersten nun, dass man die Jerusalemer Gedankenspiele über einen Krieg gegen Iran unterstützen sollte? Und aus dem Zweiten, dass Deutschland gegen die Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen votieren muss?

Die deutsche Politik gegenüber Iran und Palästina muss sich auf einen neuen Stand bringen. Es gibt eine verborgene Parallele zwischen beiden Konflikten: Sie eskalieren, weil je eine Seite das Vertrauen in die diplomatische Lösung verloren hat. Israel schlägt ja gerade darum Lärm, weil es angesichts der neuen Berichte nicht glaubt, dass Sanktionen und Verhandlungen Irans atomare Bewaffnung verhindern. Die Palästinenser wiederum glauben nicht mehr, dass die hergebrachte Nahostdiplomatie ihnen die Staatlichkeit bringt, die man ihnen schon so lange versprochen hat.
Die israelische Sorge, dass das Teheraner Regime sich mit der Bombe als Hegemonialmacht unangreifbar machen will, ist berechtigt. In dieser Sorge liegt aber auch das Zugeständnis einer gewissen Rationalität. Denn einem Regime, dem an Selbsterhaltung und Machtentfaltung liegt, kann man durch Eindämmung, Isolation und Abschreckung seine Grenzen aufzeigen.

Iran steht schon jetzt nicht gut da. Seine Wirtschaft ächzt unter den Sanktionen. Die Führung ist gespalten, die Jugend entfremdet. Das Land ist mit der Türkei über Kreuz, mit den Saudis sowieso. Demnächst könnte es Assads Syrien verlieren und damit auch einigen Einfluss auf die radikalislamischen Milizen Hamas und Hisbollah. Die Welle des Freiheitswillens in der Region hat den tyrannischen Charakter des Regimes abermals offengelegt.
Iran ist isoliert und verwundbar. Konsequentere Sanktionen wären für das angeschlagene Regime gefährlicher als ein Militärschlag, der alle – auch die Opposition – in die Solidarität mit den Herrschenden zwingt. Gerade Deutschland hat noch viel Spielraum bei weiteren Sanktionen. Im letzten Jahr aber stieg das Handelvolumen mit Iran sogar um 11,6 Prozent auf über 2,6 Milliarden Euro. Deutsche Firmen sind im Energiesektor aktiv, der Lebensader des Regimes. Die Bundesregierung kann das einschränken, es würde Iran schmerzen. Sind wir bereit, die Kosten zu schultern? Sie wären gewiss geringer als die eines regionalen Krieges.

Man kann die Zweifel der Israelis am Ernst der bisherigen Irandiplomatie verstehen. Sie werden von ihren Kriegsplänen nicht lassen, solange diese fortdauern. Säbelrasseln kann der Diplomatie sogar helfen. Die iranische Bedrohung darf aber kein Anlass sein, Verhandlungen mit den Palästinensern zu meiden. Im Gegenteil, sie ist ein Grund mehr, den Konflikt zu beenden, mit dem der iranische Präsident so gern zündelt.

Die israelische Regierung erwartet Solidarität von Deutschland. Doch in Berlin machen sich Zweifel breit – bis hinauf in die siebte Etage des Kanzleramts, wo Angela Merkel residiert –, ob Solidarität mit dieser Regierung nicht immer öfter in Widerspruch gerät zur Solidarität mit Israel. In der letzten Woche ist – überdeckt von der Euro-Krise – etwas Bemerkenswertes geschehen: Angela Merkel hat durch ihren Sprecher Steffen Seibert einen sofortigen Stopp der israelischen Siedlungsaktivitäten gefordert. Der Siedlungsbau in Jerusalem und dem Westjordanland sei »völkerrechtswidrig« und »durch nichts zu rechtfertigen«. Noch keine deutsche Regierung hat gegenüber Israel derart drastische Worte gewählt. Die Öffentlichkeit sieht nur einen Bruchteil der Verbitterung. Merkel kann gar nicht zeigen, wie enttäuscht sie wirklich von den israelischen Freunden ist. Das ganze Jahr hat sie gedrängt, den Arabischen Frühling als Chance für den Friedensprozess zu begreifen. Im April bereits hat sie sich gegen die palästinensische UN-Initiative festgelegt, um Israel den Rücken zu stärken für neue Verhandlungen. Heraus kam: nichts.

Seiberts Äußerungen zeigen, dass die Regierung in der Klemme steckt. Die Palästinenser hatten kurz zuvor die Abstimmung zur Aufnahme in die Unesco gewonnen, die Kulturinstitution der Vereinten Nationen. Eine überwältigende Mehrheit hatte dafür gestimmt, trotz der Drohung der Obama-Regierung, die Beitragszahlungen an die Unesco einzustellen. Sehenden Auges stimmten 107 Nationen trotzdem für Palästinas Aufnahme. Deutschland stand mit den USA, Kanada und zehn kleineren Nationen zu Israel. Die Briten enthielten sich, Frankreich stimmte mit der Mehrheit. Die deutsche Treue zur israelischen Regierung wurde durch Netanjahu düpiert, der umgehend Strafmaßnahmen verkündete: die Einbehaltung palästinensischer Steuereinnahmen und 2000 neue Wohneinheiten in Siedlungen. Damit war es amtlich: Der Siedlungsbau richtet sich gegen die palästinensische Selbstbestimmung, sein Ziel ist die Frustration des Wunsches nach einem unabhängigen Staat Palästina. Die deutsche Regierung aber steht da als Geisel einer Politik, die sie für falsch und selbstzerstörerisch hält. Nun hat sie dies erstmals in aller Deutlichkeit zu Protokoll gegeben.

Angela Merkel hat immer wieder gesagt, ihr vertrauensvolles Verhältnis zu Israel ermögliche das offene Wort im Stillen. Weil sie in Israel gehört werde, sei sie für beide Seiten eine Partnerin, auf die es ankommt. Jetzt steht die Glaubwürdigkeit dieser Politik der Zurückhaltung infrage. Und es sind die israelischen Partner, die sie untergraben.
Es ist möglich, dass die jüngste Iran-Krise bald schon all dies wieder überdecken wird. In ihr steckt für Deutschland wie für Israel neben aller Gefahr nämlich auch die Verlockung, die unangenehmen Differenzen hintanzustellen und angesichts der Iran-Krise die Palästina-Diplomatie auf Stand-by zu schalten. So hat man es schließlich schon öfter gemacht. Seit dem Oslo-Abkommen von 1993 sind immer wieder Terror, Krisen und Kriege dazwischengekommen, die allen Seiten gute Gründe lieferten, jetzt gerade wieder einmal nichts zu tun.
Die Welt, in der man sich das leisten konnte, ist allerdings untergegangen. In diesen Tagen stirbt die gefährliche Illusion, dass die drei Konflikte, die die Zukunft der Region bestimmen, gegeneinander ausgespielt werden können.

Das Ringen um die Zweistaatenlösung zwischen Palästinensern und Israelis, die Konfrontation Irans mit der Weltgemeinschaft und der Kampf der Araber gegen ihre Autokraten – nun kommt alles auf einmal auf den Tisch: Palästina drängt auf Anerkennung in den UN. Der arabische Freiheitskampf fokussiert sich auf Israels Nachbarn Syrien. Israel wiederum debattiert über einen Präventivschlag gegen Irans Atomprogramm.

Die simultane Zuspitzung der drei Konflikte ist kein Zufall. Es gibt zahlreiche Rückkopplungseffekte: Die Palästinenser sind beflügelt durch den demokratischen Aufbruch und frustriert durch die obstruktive Haltung Israels im Friedensprozess. Israel wiederum ist durch den Verlust an Stabilität in der Nachbarschaft wie gelähmt, fürchtet seine völlige Isolation und treibt sie dabei doch selbst voran. Das iranische Regime sieht mit Schrecken, dass die arabischen Revolutionen seine Einflusssphäre in Syrien bedrohen.
Es ist ein Fehler, in dieser Lage die Energie Hunderter westlicher Diplomaten auf die Verhinderung der UN-Aufnahme Palästinas zu verschwenden. Am Ende wird wenigstens in der Generalversammlung eine überwältigende Mehrheit für Abbas stimmen. Die Unesco-Abstimmung war die Generalprobe dafür. Statt sich dagegenzustemmen, sollte man den historischen Moment nutzen. Die Palästinenser haben sich unter Abbas vom Steinewerfen und von Selbstmordattentaten verabschiedet und setzen auf Diplomatie. Haben sie nicht recht damit, aus dem festgefahrenen Muster der Friedensverhandlungen ausbrechen zu wollen? Ihre »Autonomiebehörde« droht zum Vollstrecker einer endlosen Besatzung zu verkommen.

Die konventionelle Nahostpolitik mit ihren »Quartett-Erklärungen«, Annäherungstreffen und Friedensplänen ist gescheitert, auch wenn die Beteiligten sich weigern, das anzuerkennen. Mit dem Antrag bei den UN hat Abbas das Schema hinter sich gelassen, in dem ein paternalistisches »Quartett« aus USA, EU, UN und Russland zwischen einer Besatzungsmacht und einer Autonomiebehörde zu vermitteln suchte. Ab jetzt spricht ein Fast-schon-Staat mit einem Nachbarstaat. Die UN-Aufwertung soll Verhandlungen nicht ersetzen, sondern eine neue Balance ermöglichen.

Abbas hat begonnen, die Lebenslügen der eigenen Seite abzuräumen. Im israelischen Fernsehen hat er kürzlich gesagt, die Ablehnung des Teilungsplans von 1947 sei ein Riesenfehler gewesen und ebenso die Gewaltorgie der »Zweiten Intifada«. Es sei klar, dass Israel keine riesigen Mengen palästinensischer Flüchtlinge aufnehmen könne. Jedes Verhandlungsergebnis mit Israel bedeute »das Ende des Konflikts«. Abbas hat das Interview auch in den palästinensischen Gebieten ausgestrahlen lassen – »zu erzieherischen Zwecken«. Die Palästinenser verlassen die Opferrolle. Sie übernehmen Verantwortung für ihre Geschichte.

Es ist falsch, Abbas durch Zurückweisung seiner UN-Initiative zu isolieren. Er muss im Gegenteil gestärkt werden gegen die Extremisten der Hamas, die in einem spektakulären Deal mit der Regierung Netanjahu 1027 Gefangene freipressen konnten. Mit Hamas reden, Abbas bestrafen? Hamas triumphiert im innerpalästinensischen Kampf. Seht ihr, Gewaltverzicht lohnt nicht, hält sie Abbas entgegen: Sie werden euch nie akzeptieren. Eure UN-Aktion wird ein Schuss in den Ofen und damit ein Beweis für unsere Philosophie der Gewalt. Hamas recht zu geben ist gewiss nicht gut für die Sicherheits Israels.

Was tun? Deutschland hat sich früh festgelegt. Nach Merkels Vorpreschen im April kann man jetzt nicht für die Aufnahme Palästinas stimmen. Ein solcher Politikwechsel wäre nicht zu erklären. Aber gilt das auch für eine Enthaltung?

Eine deutsche Enthaltung bei der UN-Abstimmung über Palästina, koordiniert mit den anderen Europäern, wäre kein Ausdruck der Unentschiedenheit, sondern könnte der erste Schritt zu einer glaubwürdigeren und gerechteren Nahostpolitik sein. Ohne ein Ende der Besatzung und einen unabhängigen Palästinenserstaat als Ergebnis neuer Verhandlungen beider Seiten kann niemand dauerhaft Israels Sicherheit garantieren – auch die deutsche Staatsräson nicht. Solidarität mit Israel bedeutet darum nicht, dieser Regierung zu folgen, was auch immer sie tut, sondern zu fördern, was einer Konfliktlösung hilft.

Eine neue Nahostpolitik muss härter gegen Iran vorgehen, um Israel zu schützen; sie muss kritischer gegenüber der israelischen Regierung sein; und sie muss die arabischen Freiheitsbewegungen entschiedener und mutiger unterstützen, die palästinensische Variante eingeschlossen.

 

Boualem Sansal im Visier der Islamisten (und des algerischen Regimes)

Ich habe gestern den algerischen Schriftsteller Boualem Sansal kennengelernt. Er war Gast bei einem deutsch-französischen Symposium über Migration und Integration in Genshagen. Ich habe ein Panel moderiert, an dem er teilnahm. Vorher kamen wir ins Gespräch.

Ich gratulierte ihm zum Gewinn des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Es war zu spüren, wieviel ihm diese Anerkennung bedeutet. Sansal, ein erfahrener Wirtschaftsfachmann, ist vom algerischen Regime aus dem Beruf gedrängt worden, nachdem er angefangen hatte, seine kritischen Schriften zu veröffentlichen. Für seine Freunde in der Demokratiebewegung Algeriens, sagte er, sei der Preis eine Bestätigung, dass die Welt Algerien nicht vergessen hat. (Ich habe lieber nicht widersprochen, obwohl ich da meine Zweifel habe; wer will schon über noch ein nordafrikanisches Land mit noch einem Autokraten etwas wissen; hier wünschen sich ja manche schon die nächste Runde Diktatur herbei – nach dem Motto: die Araber brauchen nun mal den Stiefel im Gesicht).
Vielleicht ist so ein Preis auch ein Schutz, gab er zu verstehen. Das Regime habe kein Wort über seine Ehrung verloren. Aber dann hat er mir etwas erzählt, das mich sehr schockiert hat, und das ich deshalb auch hier weitergeben möchte: Nach der Preisverleihung bei der Buchmesse seien auf Websites der algerischen Islamisten Bilder aufgetaucht, die sein Porträt ihn mit Schläfenlocken ultraorthodoxer Juden zeigen. Er sei ein „Zionist“, werde über ihn verbreitet, und „verdiene nicht zu leben“.
Ich fragte ihn, ob er Angst habe. „Ich denke darüber nicht nach. Wenn ich damit anfange, kann ich nicht mehr arbeiten.“ Heute fliegt er nach Algerien zurück. Radikale Kritik muss von innen kommen, sonst wirkt sie nicht, glaubt er.