Kareem Amer: Meine Erlebnisse im Folterknast des ägyptischen Militärs

Kareem Amer, den ich hier vor einer Woche gefeiert habe, war unterdessen wieder fast eine Woche in Haft. Auf  „Daily Beast“ beschreibt er, was er und sein Freund mitgemacht haben – in den Händen des Militärs, das nun immer mehr zum entscheidenden Faktor in der Krise des Landes wird:

On February 7, a group of thugs attempted to confiscate his friend’s videotapes after they left Tahrir Square. The thugs handed the blogger and filmmaker over to military police for having violated the curfew. Amer spent one day in a local prison and was later shipped to an army jail in what he described as „the middle of the desert.“

I asked Kareem if the prison was similar to Borj Al Arab, the jail where he spent the last four years for having criticized the Egyptian dictator and „insulted“ Islam. „No way,“ he said. „This prison was like a trash-can. The cell was tiny and the bathroom was disgusting. They did not allow us to shower even once since we were arrested. People were treated harshly and severely tortured on a daily basis. They were tortured in front of our eyes–water-boarded, beaten with sticks, and electrocuted.

(…)

How could the Egyptian army commit such violations given that they claim to be neutral or even on the side of the people? „What neutrality?“ Amer responded angrily. „They are on the side of the regime. They are humiliating the people. You would not have believed what we saw in this short period in prison.“

On Friday, all the prisoners Kareem was with were suddenly and unexpectedly freed. „Thousands of prisoners were released, even those who had killed soldiers,“ Amer said. „They abandoned us in the middle of the night on a desert highway that connected Suez City with Cairo. We were stopped by a military tank that almost opened fire on us. But when they found out we had been in a military prison, they let us go. A truck was stopped and it took us to Cairo.“

Kareem and Samir’s experience is a microcosm of the brutality of the Egyptian regime. Thousands are being held in prison and torture is commonplace. Tens of journalists have been arrested by army intelligence and they are apparently targeting those who work with foreign and American media outlets.

While the army has gone to great lengths to protect the headquarters of state security, they failed to protect the people of Egypt as they were beaten and killed in the streets by thugs on horseback and camelback. (…)

 

Freiheit für Kareem Amer!

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Der ägyptische Blogger Abdel Karim Nabil Suleiman, bekannt als Kareem Amer, ist in Ägypten zu vier Jahren Haft verurteilt worden.
In seinem Blog hatte er Mubaraks Ägypten als eine „Diktatur“ bezeichnet. Ausserdem hatte er die Al-Azhar-Universität, an der er selbst Student war, beschuldigt, „die Hirne der Studenten zu verstopfen und sie in menschliche Bestien zu verwandeln, indem sie ihnen beibringt, es gebe keinen Platz für Unterschiede im Leben“.
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Kareem Amer

Er hatte die Al-Azhar, höchste Autorität im sunnitischen Islam, auch die „Schule des Terrors“ genannt. Im letzten Jahr war er zwangsweise exmatrikuliert worden.
Das Urteil setzt sich aus drei Jahren für die „Beschimpfung des Islams“ und einem Jahr für die „Beleidigung des Präsidenten“ zusammen.
Daran sieht man, wie weit Ägypten schon auf dem Weg in die Theokratie ist. Wenn das Regime erst einmal gefallen ist, werden die Muslimbrüder gar nicht mehr viel verändern müssen.
Doch nun formiert sich auch eine Protestbewegung unter jungen Leuten und Mitbloggern, die die Tyrannei nicht hinnehmen wollen. Auf der Website Free Kareem! kann man sich über den Stand der Dinge und Möglichkeiten des Protests auf dem laufenden halten.
Wir werden weiter berichten. Einen früheren Post siehe hier.

 

Blasphemiegesetze sind keine gute Idee – auch wenn sie Minderheiten schützen

Jetzt wird’s kompliziert. Einerseits freue ich mich, dass in Ägypten etwas gegen die Hassprediger unternommen wird, die das Christentum verhöhnen. Andererseits halte ich die rechtlichen Schritte, die gegen sie eingeleitet wurden, für freiheitsgefährdend.

Bei meinen Gesprächen mit Kopten  und aramäischen Christen in den letzten Wochen wurde immer  wieder erwähnt, dass ein radikaler Prediger in Kairo die Bibel zerrissen und damit gedroht hatte, darauf zu urinieren. Der koptische Bischof Deutschlands, Anba Damian, äußerte sich entsetzt über diesen offenen Akt des Hasses, und auch im syrisch-orthodoxen Kloster Mor Gabriel stieß ich auf Empörung.

In der westlichen Öffentlichkeit hingegen wurde dieses Detail der blutigen Proteste mit Schulterzucken quittiert. Was bedeuten kann: Na ja, so sind sie eben. Was willst du machen? Oder: Das trifft uns nicht, so macht sich dieser Typ doch nur selber zum Schmock. Während Kopten und Aramäer sich durch die symbolische Schändung der Bibel verletzt fühlen, winken wir im Westen ab. Uns von einem solchen Idioten beleidigen zu lassen, würde bedeuten, sich auf seine Ebene zu begeben, denken wir. Sticks and stones may break my bones, but words or names will never hurt me.

Nun hat die ägyptische Generalstaatsanwaltschaft angekündigt, drei Männer wegen Beleidigung des Christentums vor Gericht zu stellen:

Ahmed Mohammed Abdullah soll zusammen mit seinem Sohn während der Proteste gegen den islamfeindlichenUS-Film Die Unschuld der Muslimevor der US-Botschaft eine Bibel zerrissen und dann verbrannt haben. Dabei wurde er gefilmt. In dem im Internet veröffentlichten Video soll Abdullah, der auch unter dem Namen Abu Islam bekannt ist, gedroht haben, auf das Buch zu pinkeln, sollten die Beleidigungen gegen den Islam weitergehen.

In einem Interview mit dem Journalisten Hani Jassin Gadallah soll er sich in der Zeitung Al-Tahrir abfällig über das Christentum geäußert haben. Der Reporter muss sich deshalb ebenfalls vor Gericht verantworten.

Bis zu fünf Jahre Haft für Blasphemie

Dass Abdullah und den beiden anderen Männern nun nach den ägyptischen Blasphemiegesetzen der Prozess gemacht werden soll, werten Beobachter als überraschend. In der Vergangenheit haben diese Gesetze häufig nur dann Anwendung gefunden, wenn es sich um mutmaßliche Verunglimpfungen des Islams handelte. Menschenrechtsgruppen haben die Gesetze wiederholt als Einschränkung der Freiheitsrechte kritisiert. Auf Blasphemie stehen in Ägypten bis zu fünf Jahre Haft.

Als Geste gegenüber der extrem verunsicherten christlichen Minderheit ist es zu begrüßen, dass auch ihr Glaube unter Schutz gestellt wird – und das besonders von einer Regierung, die islamistisch geprägt ist. Letzteres führt zu großer Sorge unter den Kopten, dass sich ihre Marginalisierung noch verstärken wird. Wer weiß, vielleicht kommt es ja nicht so. Offenbar wollen die Behörden in Ägypten verhindern, dass ein Kulturkampfklima im Land greift, dass nur den extremsten Kräften unter den Islamisten nützen würde. Mursi zieht zur Zeit einige rote Linien ein. Auch die Verurteilung der extremistischen Attentäter vor einigen Tagen liegt auf dieser Linie: Die Muslimbrüder machen den radikalen Kräften deutlich, wer regiert.

Aber: Blasphemiegesetze verstellen den Weg zu einer offenen, (religiös) pluralistischen Gesellschaft. Sie sind die autoritäre Lösung des Konflikts um konkurrierende Weltdeutungen und religiöse Geltungsansprüche. Sie können immer auch benutzt werden, um notwendige Kritik zu unterdrücken (auch wenn das hier nicht der Fall ist). Der Blogger Karim Amer, für den ich hier lange Kampagne gemacht habe, war wegen der ägyptischen Blasphemiegesetze vier Jahre in Haft. Dabei hatte er nur die schändliche Komplizenschaft der Religion bei Massakern an Kopten angeprangert (ohne selbst Kopte zu sein, es war ein Aufstand des Gewissens).

Nun wird das Gesetz angewendet, um die Kopten zu beschützen. Kirchenführer  werden sich wahrscheinlich darüber erleichtert zeigen. Das wäre kurzsichtig. Am Ende muss es darum gehen, Hassprediger wie Abu Islam gesellschaftlich zu isolieren und zu marginalisieren. Ein Journalist, der hassvolle Äußerungen über Christen zitiert (ganz egal ob zustimmend oder mit welcher finsteren Absicht), darf nicht allein deshalb strafverfolgt werden: Was heißt das für eine freie öffentliche Debatte? Blasphemie ist  schwer zu definieren: Wer bestimmt, was „verletzend“ ist? Milliarden Christen im Westen haben sich nicht verletzt gefühlt vom Handeln des Vollidioten Abu Islam. Ebenso wie Milliarden Muslime den Pastor Terry Jones für einen Vollpfosten halten, der ihrer Erregung nicht würdig ist.

Der Staat soll den Aufruf zur Gewalt ahnden. Nicht aber die symbolische Gewalt. Leute wie Abu Islam gehören geächtet und verachtet. Nicht in Haft – jedenfalls nicht dafür.

 

 

Ägyptische Bloggerin: Warum ich mich nackt zeige

Mona Eltahawy ist anderer Meinung als ich über die Bedeutung und die möglichen Auswirkungen der Aktion von Aliaa Elmahdy: Sie sieht in ihr eine Entsprechung zu Mohammed Bouazizi.

While Mahdy’s act has been hashtagged (#NudePhotoRevolutionary) and her name tweeted and Facebooked endlessly, others did not receive such attention. Samira Ibrahim, the only one of the women subjected to „virginity tests“ who is taking the military to court for sexual assault, has neither a dedicated hashtag nor notoriety. Another woman, Salwa el-Husseini, was the first to reveal what the military did to them, but news reports have said she can’t raise a lawsuit because she doesn’t have identification papers.

Not only did el-Husseini speak out, she courageously agreed to be filmed at a session of testimonies on military abuses. Again, hardly anyone knows her name, her recorded testimony isn’t racking up page views, and she was called a liar and vilified for speaking out. Both women have vehemently maintained they were virgins.

If „good girls“ in headscarves who kept their legs together only to be violated by the military speak out and no one listens, what’s the message being sent? When the military justified its violations by saying „those girls aren’t like your daughter or mine. These were girls who had camped out in tents with male protesters in Tahrir Square“, what’s the message?

Some in the liberal camp have accused Mahdy of „harming“ the revolution by allegedly confirming the stereotypes of revolutionaries that its opponents hold. Shame on them! Why allow those opponents to set the agenda for „good“ and „bad“. Since when do revolutions allow their conservative opponents to set the agenda?

When Mohammed Bouazizi, fed up with humiliation, repression and poverty, set himself on fire in Tunisia last January, essentially taking state abuse to its logical end, he ignited the revolutionary imagination of the Middle East and north Africa. Aliaa Mahdy, fed up with hypocrisy and sexual repression, undressed. She is the Molotov cocktail thrown at the Mubaraks in our heads – the dictators of our mind – which insists that revolutions cannot succeed without a tidal wave of cultural changes that upend misogyny and sexual hypocrisy.

 

In einem Interview mit CNN macht Elmahdy den Hintergrund ihrer Aktion deutlich:

CNN: What do you think about the forced virginity tests performed by the Egyptian military on more than a dozen girls arrested in Tahrir Square?

Elmahdy: I consider this rape. Those men in the military who conducted these tests should be punished for allowing this to happen without the consent of the girls in the first place. Instead, the girls walk around feeling the shame and most of them are forced to remain silent.

CNN: Do you practice safe sex in your sexual revolution?

Elmahdy: Most Egyptians are secretive about sex because they are brought up thinking sex is something bad and dirty and there is no mention of it in schools. Sex to the majority is simply a man using a woman with no communication between them and children are just part of an equation. To me, sex is an expression of respect, a passion for love that culminates into sex to please both sides.

I do practice safe sex but I don’t take pills because I am against abortion. I enjoyed losing my virginity at the age of 18 with a man I loved who was 40 years older than me. Kareem Amer is the second man and the love of my life. The saying suits us: „Birds of the same feather flock together“

CNN: How do you see women in the „New Egypt“ and will you leave the country if the ongoing revolution fails?

Elmahdy: I am not positive at all unless a social revolution erupts. Women under Islam will always be objects to use at home. The (sexism) against women in Egypt is unreal, but I am not going anywhere and will battle it ‚til the end. Many women wear the veil just to escape the harassment and be able to walk the streets. I hate how society labels gays and lesbians as abnormal people. Different is not abnormal!

CNN: What are your future plans with Kareem and will you find it hard to deal with your new notoriety?

Elmahdy: I have discovered who my real friends are, and I have Kareem who loves me passionately. He works as a media monitor and I am currently looking for a job. I embrace the simple things in life and I am a vegetarian … I am a believer of every word I say and I am willing to live in danger under the many threats I receive in order to obtain the real freedom all Egyptian are fighting and dying for daily.

 

 

Eine ägyptische Bloggerin zeigt sich nackt

Dieses Blog hat sich früh für die Freilassung von Kareem Amer eingesetzt, der als Blogger unter Mubarak vier Jahre Haft bekommen hatte. Vergebens. Kareems Haftentlassung kurz vor dem arabischen Frühling war ein Grund zur Freude, ebenso wie die Tatsache, dass einer wie er nun nicht mehr als ein Freak dastand, sondern plötzlich zusammen mit Hunderttausenden als das neue Gesicht Ägyptens, vielleicht als das Gesicht eines neuen Ägyptens dastand.

Kareem geht es heute gut, er studiert (Kommunikationswissenschaft, passender Weise). Er hat eine Freundin. Sie ist auch Bloggerin. Ihr Name ist Aliaa Magda Elmahdy.

Kareem und Aliaa        Foto: Kareem’s Facebook Page

 

Nun hat Aliaa etwas getan, was mich für sie und Kareem fürchten läßt. Sie hat auf ihrem Blog ein Nacktfoto von sich veröffentlicht. Aliaa, bekennende Atheistin, hat sich offenbar zum Ziel gesetzt, die Grenzen der Freiheit in Ägypten auszutesten. Sie bezeichnet sich auf ihrem Twitter-Account als „Secular Liberal Feminist Vegetarian Individualist Egyptian“.

Ich habe große Sympathie für junge Leute, die Prüderie und Verklemmtheit ihrer Gesellschaft nicht ertragen wollen, die mit Provokationen gegen Machismo und sexuelle Belästigung vorgehen. Allerdings kann diese Sache hier leicht nach hinten losgehen.

Kareem sagte dem Blog Cyberdissidents:

“When Alia first published the nude picture online, it was a decision and a choice that she made on her own.  Should any harm come to her, I will stand by her side.  I don’t know what I will be able to do because the specific repercussions are unclear. Some have threatened to sue us and inform the police.  If she is brought under investigation, I will stand by her and do whatever I can to solve this situation peacefully.  I am very proud of her. I am proud of her strong personality and of the daring attitude with which she expresses her opinion bravely.  I could never be as brave as her.  Alia is important to me, and I will never leave her side.”

Ich hoffe sehr, dass ihr nichts passiert. Ich hoffe auch, dass sie den ohnehin starken Islamisten mit ihrer Aktion nicht noch weitere Stimmen zutreibt und keinen guten Vorwand liefert, die säkular gesinnte Jugend als westlich dekadente Pornographen abzutun.

Die Wahl, die Ende des Monats ansteht, wird wohl kaum über solche Aktionen gewonnen werden (vielleicht aber verloren).  Liberal und säkular zu sein, bedeutet für öffentliche Nackheit einzutreten? Das wäre in Ägypten ein Konzept für ein Debakel.

Dann wieder: Verdammt, ist die mutig!

Under the title “fan a’ry” (nude art), Elmahdy posted eight pictures, two of herself and one showing a nude man holding a guitar, in addition to other photos.

In one photo, yellow rectangles cover parts of her body. “The yellow rectangles on my eyes, mouth and sex organ resemble the censoring of our knowledge, expression and sexuality,” Elmahdy said.

On her Facebook page, she said that she was “echoing screams against a society of violence, racism, sexism, sexual harassment and hypocrisy.”

Elmahdy argued on the blog that publishing the photo was an expression of freedom. “I have the right to live freely in any place… I feel happy and self satisfied when I feel that I’m really free,” she said.

In Al Masry Alyoum heißt es weiter:

Many comments referenced Egypt’s current divide between Islamists and secularists.

Following the fall of former president Hosni Mubarak in early February, Islamists have gained influence as they are suddenly free to operate openly without persecution from government authorities. Ultra-conservative Salafis have called for applying Islamic Sharia law, while some conservative preachers have called for banning women from wearing western swimsuits.

User Ali Hagras tweeted, “let’s just hope Salafi sheikhs don’t get word of this. They’re gonna throw it all on liberals and seculars.”

User Magued Ghoraba protested the decision to post the photo, “We are defending secularism from innuendos & then we get this #NudePhotoRevolutionary Stop shocking people to the point of repulsion.”

 

 

Ägyptens Helden – und der zögerliche Westen

München Vor fast vier Jahren habe ich in diesem Blog eine Kampagne für den ägyptischen Blogger Karim Amer unterstützt. Er war Student der Al-Azhar-Universität in Kairo. Die Gewalt gegen koptische Christen in seiner Heimatstadt Alexandria hatte ihn zu einem scharfen Kritiker des Islamismus in Ägypten gemacht. Er hatte aber auch die Frechheit besessen, in seinem Blog den Präsidenten Mubarak als „Tyrannen“ zu bezeichnen. Die Uni warf ihn raus, und dann wurde Karim von einem ägyptischen Gericht zu vier Jahren Haft verurteilt, drei davon wegen Beleidigung des Islams, eines wegen Beleidigung des Präsidenten (was schon dessen quasi-göttliche, pharaonenhafte Anmassung zeigt). Sein Vater sagte, er würde ihn gerne hingerichtet sehen.

Unsere Kampagne war nicht erfolgreich. Karim musste seine gesamte Haftzeit absitzen. Im letzten Herbst wurde er entlassen. Heute ist er unter den Protestierenden. Und er hat kürzlich im Wall Street Journal schreiben können, was für ein Gefühl es ist, jetzt auf die Strasse zu gehen, und nicht mehr allein zu sein.

Und das ist für mich das Wunder dieser Tage: Ein radikaler Einzelgänger, ein Sturkopf wie Karim Amer, ist heute nicht mehr einsam. Millionen tun es ihm gleich. Vor ein paar Tagen schrieb mein Lieblingsblogger Sandmonkey folgenden Tweet: „5 yrs ago my beliefs made me a minority opposition, today i am the people“. Sandmonkey schreibt nun pausenlos von unterwegs, als Teil der aufständischen Masse, die nicht eher ruhen will, bis Mubarak weg ist. Das ist für Leute wie Karim oder Sandmonkey eine existentielle Frage: Denn mit Sicherheit werden Leute wie sie einkassiert und unterdrückt, wenn das Regime überlebt.

Am Rande der Israelreise mit der Bundeskanzlerin hatte ich Gelegenheit sie zu fragen, ob es nicht ein Fehler der westlichen Diplomatie war, die ganze Region nur durch das Prisma des Nahostkonflikts zu sehen. Das war die Grundlage für Mubaraks faules Spiel, sich als „moderater Araber“ zu empfehlen und damit Hilfsgelder, Waffen und freundschaftliches Ignorieren der Unterdrückung im Lande zu erkaufen. (So wie es die Saudis immer noch machen.) Und es war die Grundlage für die Unterschätzung der gesellschaftlichen Dynamik im Lande: Leute wie Karim und Sandmonkey waren in dieser Welt nur lästige Störenfriede (ähnlich wie früher die Dissidenten im Ostblock).

Angela Merkel wollte sich auf diese Frage nicht einlassen. Sie tat sie als nachträgliche Besserwisserei ab. Mich hat das einigermassen überrascht, weil doch Merkel selber erlebt hat was es bedeutet, auf der geopolitischen Schattenseite der Geschichte aufzuwachsen. Vielleicht hat es genau damit zu tun: Sie will nicht für naiv gehalten werden. Es soll nicht der Eindruck entstehen, die Ostlerin sehe alles durch die Brille des Mauerfalls. Aber das war ja auch nicht meine Absicht gewesen: Ich wollte nicht suggerieren, dies hier sei ein neues ’89. Was da in Ägypten vorgeht, ist ein Ereignis sui generis, und niemand kennt den Ausgang. Karim und Sandmonkey beobachten sehr vorsichtig, was die Muslimbrüder treiben. Es könnte ihnen gehen wie vielen säkularen Revolutionären im Iran, die auch Bekanntschaft mit zweierlei Unterdrückungsapparaten machten, erst mit dem des Schahs, dann mit dem der Mullahs.

Aber: Dass es nicht gut ist, eine ganze Weltregion nur nach den Kriterien eines einzigen geopolitischen Problems zu beobachten (Israel/Palästina), das darf man ja wohl festhalten. Wir, der Westen, haben Mubaraks Spiel viel zu lange mitgespielt und die ägyptische Gesellschaft vernachlässigt, sofern sie nicht bei dem Muslimbrüdern organisiert ist, über die wir uns viele Gedanken machen. Wir haben damit zugleich das Spiel des Regimes und der Islamisten mitgespielt.

Und darum bin ich ein bisschen stolz auf diese Zeilen, mit denen mein Essay über Heldentum und Zivilcourage im Merkur (Nov/Dez 2009) endete:

Der Staatsanwalt im Gericht von Alexandria fragt Suleiman (i.e. Karim Amer), was er damit meine, dass „Hosni Mubarak der Kalif sei, Gottes Stellvertreter im Lande Ägypten, Unterdrücker der Menschen und Symbol der Tyrannei“. Der Angeklagte antwortet: „Das ist meine Überzeugung. Ich habe das sarkastisch gemeint. Ich sehe ihn als Tyrannen.“ Das Urteil am 22. Januar 2007 lautete auf vier Jahre Haft: drei für die „Missachtung der Religion“, ein Jahr für die „Diffamierung des Präsidenten“. Sein Vater ließ die Medien wissen, er hätte die Todesstrafe für angemessen gehalten.

Schwer zu ermessen, wie einsam ein solcher Mensch sein muss: Sich weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen ist unter diesen Umständen etwas Heroisches. Undenkbar ist es immerhin nicht, dass man in dem unbeugsamen Eigensinn von Karim Amer eines Tages den Anfang vom Ende der Mubarak-Tyrannei sehen wird.

 

Ägyptischer Großmufti: Ein Moslem darf den Glauben wechseln

Der ägyptische Großmufti Ali Gomaa, der hier bereits mehrmals Thema war, hat erneut einen Aufruhr in arabischen Medien ausgelöst.

Diesmal geht es um einen Kern des Streits mit dem Islam: um die Religionsfreiheit.

Für die lesenswerte Serie „Muslims speak out“ von Newsweek und Washington Post verfasste er einen Text über die Bedeutung des Dschihad. Darin gibt es eine längere Passage über die Freiheit, in der es am Ende um Apostasie im Islam geht.

Der Mufti vertritt die Auffassung, dass der Abfall vom Glauben im Islam zwar eine Sünde sei, für die es aber im Prinzip „keine weltliche Strafe“ geben dürfe. Es sei vielmehr eine Sache zwischen dem Menschen und Gott, über die am Tag des Jüngsten Gerichts entschieden werde.

Nur wenn der Abfall vom Glauben zugleich mit einer Subversion der öffentlichen Ordnung verbunden sei, betreffe er die weltliche Gerichtsbarkeit.
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Scheich Ali Gomaa

Hier das Kernzitat aus dem in der Washington Post veröffentlichten Text:

But from a religious perspective, the act of abandoning one’s religion is a sin punishable by God on the Day of Judgment. If the case in question is one of merely rejecting faith, then there is no worldly punishment. If, however, the crime of undermining the foundations of the society is added to the sin of apostasy, then the case must be referred to a judicial system whose role is to protect the integrity of the society. Otherwise, the matter is left until the Day of Judgment, and it is not to be dealt with in the life of this world. It is an issue of conscience, and it is between the individual and God. In the life of this world, “There is no compulsion in religion,” in the life of this world, “Unto you your religion and unto me my religion,” and in the life of this world, “He who wills believes and he who wills disbelieves,” while bearing in mind that God will punish this sin on the Day of Judgment, unless it is combined with an attempt to undermine the stability of the society, in which case it is the society that holds them to account, not Islam.

Das klingt schon fast wie eine weitgehende Annäherung an das, was liberale Säkularisten gerne von einem führenden Vertreter der islamischen Geitslichkeit hören wollen.
(Wenn man einmal gnädig ausser Acht lässt, dass er dem ägyptischen Regime eine Tür offenhält für die religiöse Legitimation der Repression der Meinungsfreiheit. Mubaraks Gerichte vermischen nämlich nur allzu gerne die Dinge und setzen Apostasie und Subversion gleich – notorisch zuletzt im Fall des Bloggers Kareem Amer, der wegen Beleidigung des Islam und des Präsidenten 4 Jahre Haft bekam.)

Der Text des Muftis wurde denn auch sofort von ägyptischen Zeitungen aufgegriffen. Die christlich-koptische Minderheit begrüßte die liberale Auslegung Gomaas, die Muslimbruderschaft attackierte ihn, Jussuf Al-Karadawis Islam Online publizierte eine gestrenge Gegenmeinung.

Der Mufti versuchte zu dementieren, doch der Text war für alle im Internet lesbar und wurde auch (in der Tageszeitung Almasry AlYoum) ins Arabische übersetzt. Ali Gomaa gab sich alle Mühe die liberale Lesart seines Textes selbst zu verschleiern.

Aber er hat das Thema der Religionsfreiheit unmissverständlich auf den Tisch gebracht.
In Zeiten des Internets gibt es kein Doppelsprech mehr. Es ist nicht mehr möglich, ein doppeltes Spiel zu spielen – im Westen als Liberaler aufzutreten und zuhause die offizielle Linie zu vertreten. Eine ungeteilte Weltöffentlichkeit ist im Entstehen. Der Scheich muss sich entscheiden: Gilt die Religionsfreiheit oder nicht?

Scheich Gomaa ist verantwortlich für Dar Al-Ifta, Ägyptens oberste Fatwa-Autorität, die jährlich tausende religiöse Gutachten veröffentlicht.

Gomaa hat zuletzt grosses Aufsehen durch seine Hymen-Fatwa erregt, in der er feststellte, Frauen dürften vorehelichen Sex durch eine Rekonstruktion des Jungfernhäutchens vor ihren prospektiven Ehemännern verheimlichen. Frauen stünden auch gleiche politische Rechte wie Männern zu, heißt es in einer seiner früheren Fatwas, bis hin zu dem Recht, einen Staat als gewählte Repräsentantin zu lenken.

 

Ägyptischer Blogger: Warum ich weiter für die Freiheit kämpfe

Der wegen Beleidigung des Islams (und des ägyptischen Präsidenten) zu vier Jahren haft verurteilte ägyptische Blogger Kareem Amer spricht in diesem Interview über die Gründe für seine Verfolgung durch die Al-Azhar Universität.
Er sagt auch, dass er („bis zum Ende“) weiter für die Meinungsfreiheit in Ägypten eintreten wird.
Kareem Amer hat die Praxis der Al-Azhar, männliche und weibliche Studenten zu separieren, „Geschlechterapartheid“ genannt.
Er hat die Kungelei der Universitätsführung mit dem ägyptischen Regime angeprangert.
Und er hat unerschrocken darauf beharrt, an der Universität frei denken und seine Meinung äussern zu dürfen.
Das hat der Universität gereicht, um ihn unschädlich machen zu wollen.
Kareems Anwältin berichtet unterdessen, dass ihr Versuch, in Berufung zu gehen, systematisch vereitelt wird.
Hier das INTERVIEW, das im letzten Sommer, bereits Monate vor der Verhaftung, aufgezeichnet wurde. Ein Dokument des Mutes und einer erstaunlichen intellektuellen Klarheit: