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Schluss mit dem islamischen Opferdiskurs

Ein exzellenter Artikel in der heutigen taz, dem ich nichts hinzuzufügen habe. Klemes Ludwig (Tibetexperte) fragt:

„Wem nützt es, den Islam als ewiges Opfer zu zeichnen? Einem aufgeklärten, emanzipierten Islam, der gleichberechtigter Teil der europäischen Gesellschaften ist, sicher nicht. Wer sich als Opfer fühlt und von anderen in dieser Rolle bestätigt wird, hat wenig Anlass, sich über die eigene Verantwortung für sein Schicksal Gedanken zu machen. Opfer zu sein ist bequem und erhöht den Betreffenden moralisch – jedenfalls solange sich das Leiden in Grenzen hält.

Nicht dass es in Teilen der Bevölkerung keine Ressentiments gegen Muslime gäbe. Sie gehören jedoch – zumindest in Deutschland – nicht zum gesellschaftlichen Konsens. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, wie berechtigt der muslimische Opferdiskurs ist. Die Politik – in Gestalt des Innenminister Thomas de Maizière – heißt den Islam in Deutschland willkommen. Rechte Splitterparteien, die mit islamfeindlichen Parolen Stimmung machen wollen, sind bislang meist kläglich an der Fünfprozenthürde gescheitert. Und zahlreiche Gerichtsurteile, ob es nun ums Schächten oder Gebetsräume an Schulen geht, machen deutlich, dass der Rechtsstaat auch Muslimen die Ausübung ihres Glaubens garantiert.

Auch in historischer Perspektive betrachtet, ist der Islam nicht immer bloß Opfer des christlichen Westens gewesen. Natürlich gab es die Kreuzzüge und auch den Kolonialismus. Aber was wechselseitige Gewalt angeht, die es zu überwinden gilt, standen und stehen sich die beiden Seiten in nichts nach. Das gilt nicht erst für die Eroberung des Balkans durch das Osmanische Reich, die von der dortigen Bevölkerung überwiegend als Unterjochung empfunden wurde. (…)

Um nicht missverstanden zu werden: Diese Beispiele sind nicht dazu gedacht, aufzurechnen. Sondern dazu, aufzuklären. Denn es führt nicht weit, im Dialog der Kulturen nur auf die Schattenseiten der einen Seite zu verweisen. Statt zwischen Opferklischees und Diskriminierungsvorwürfen zu schwanken, sollte man sich auf Augenhöhe begegnen. Dazu gehört, dass sich Muslime den dunklen Facetten ihrer eigenen Geschichte stellen – und die Ursachen für manche Entwicklungsdefizite auch bei sich selbst suchen. Impulse dazu gibt zum Beispiel der Arab Human Development Report der UNDP, der als wesentliche Gründe für die Unterentwicklung vieler arabischer Länder die Defizite im Bereich der Bildung, der persönlichen Freiheiten und der Stellung der Frau nennt.

Der frühere Präsident von Malaysia, Mahathir Mohamad, ein selbstbewusster Muslim, hat dies einmal so formuliert: „Die Krisen und Probleme entstanden auch, als muslimische Geistliche anfingen, Fachgebiete zu vernachlässigen, die als weltlich wahrgenommen wurden, wie zum Beispiel Naturwissenschaften, Mathematik, Medizin und Technik, und sich nur auf religiöse Studien konzentrierten. Das war ein großer Fehler.“ Diese Erkenntnis lässt wenig Raum für einen simplen Opferdiskurs, aber viel für Entwicklung.“

 

Dänische Zeitung entschuldigt sich „bei Muslimen“

Man weiß kaum, wo man anfangen soll, diesen Irrsinn zu kritisieren: „Politiken“, die dänische Tageszeitung, hat sich auf ein Settlement mit einem saudiarabischen Anwalt eingelassen, der über 90.000 „Nachfahren des Propheten“ vertritt. (Hier ein englischsprachiger Artikel der Zeitung dazu.)

In einem gemeinsamen Communiqué entschuldigt sich Politiken bei „anyone who was offended by the reprinting of the Cartoon Drawing.“

Jawohl: Reprinting! Politiken hatte die Karikaturen nicht in Auftrag gegeben und nicht zuerst gedruckt, sondern nur dokumentiert, nachdem die Konkurrenz von Jyllands Posten die ganze Sache gestartet hatte. Und dafür wälzt man sich nun im Staub! Der Chefredakteur Toger Seidenfaden ist sich nicht zu schade, auch noch mit dem Vertreter der Kläger zu posieren. Peinlicher geht’s nimmer.

Das ist die Selbstabdankung einer Zeitung. Schwer zu fassen, dass die Kollegen diese Geste mittragen.

Warum ist das so fatal?

Es ist offensichtlich verlogen: Man entschuldigt sich bei denen, deren Gefühle angeblich verletzt wurden und gibt damit dem reaktionärsten Element in der heutigen islamischen Öffentlichkeit Recht, eben jenen Akteuren, die die Karikaturen bereitwillig benutzt haben, um den antiwestlichen Hass aufzustacheln, der sich keineswegs spontan regte.

Zur Erinnerung: Eine ägyptische Zeitung hatte – schon im Oktober 2005! – Karikaturen nachgedruckt – zunächst ohne Folgen, bis Monate später die antidänische Welle endlich losbrach. Al Fager hatte die Karikaturen mitten im Ramadan veröffentlicht. Hier die Titelseite vom 17. Oktober 2005 (Quelle):

Kein Hahn krähte danach, bis die antidänische, antiwestliche Kampagne zu greifen begann.  Und nun stellt sich Herr Seidenfaden reumütig hin und gibt den „Nachfahren des Propheten“ Recht, dass man mit guten Gründen indigniert gewesen sei. Unfasslich.

Dann: Was reitet „Politiken“ die Kläger aus Saudiarabien als legitime Wortführer der Muslime und ihrer Gefühle zu behandeln? Ist Herrn Seidenfaden nicht klar, welch ein Schlag ins Gesicht aller vernünftigen Muslime das ist, wenn er einen Saudi-Anwalt mit zweifelhafter Agenda als Sprachrohr „des Islams“ anerkennt? Wieder unfasslich.

Und schließlich: Welche Meinung man auch immer von der Qualität und Wirkung der Karikaturen hat – das schändliche Arrangement von Politiken mit den Klägern ist ganz einfach Verrat an den Idealen der Meinungsfreiheit, für die alle anderen Medien stehen, die die Karikaturen veröffentlicht haben- wenn auch manche mit Bauchschmerzen wie diese Zeitung.

Politiken scheint tatsächlich zu glauben, sich aus der Affäre gewieselt zu haben: In der gemeinsamen Presseerklärung mit dem Anwalt heißt es: Both parties express their satisfaction with this amicable understanding and settlement, and express the hope that it may in some degree contribute to defusing the present tense situation.

Diese Hoffnung – wenn sie denn  echt ist und nicht einfach verlogenes Gewäsch –  wird sich schon bald als  trügerisch erweisen. Wer diesen Leuten nachgibt, erntet nur Verachtung. Und das auch noch zu Recht.

 

Warum Europa eine neue Einwanderungswelle braucht

Stefan Theil, Europakorrespondent des Magazins Newsweek, hat eine Titelgeschichte geschrieben, die ins Herz unserer Debatten zielt: „Europas Wahl: Entweder Immigration nach amerikanischem Muster betreiben und profitieren oder sich davor verschließen und wie Japan enden“.

Die Zahlen, die Theil nennt, sind alarmierend. Europa zieht 85 % der unqualifizierten Migranten weltweit an, aber nur 5 % der hoch qualifizierten. Der Familiennachzug verstärkt das Problem noch, und man kann ergänzen: das Bildungswesen ebenso. Der Ausweg daraus ist nicht die Verrammelung der Festung Europa, die ohnehin nicht funktionieren würde, sondern eine rationale und aktive Einwanderungspolitik.

Aber jeder Politiker, der sich heute pro Einwanderung profilieren wollte, müsste suizidal sein. Eine fatale Falle:

For decades, most European countries have kept immigrants at the margins—making it exceedingly difficult for professionals and skilled workers to enter while letting in unskilled guest workers and refugees to take low-rung factory jobs that have long since moved to Asia. With many labor markets locked against newcomers, immigration also shifted to illegal channels. As a result, in the early 2000s, Europe, according to the commission, attracted 85 percent of the world’s unskilled migrants but only 5 percent of the highly skilled ones—while the United States, by contrast, snagged some 55 percent of this more desirable catch. Because immigration works largely through existing networks—immigrants bring in their families and attract peers—such past mistakes will shape things for decades, says Thomas Liebig, an immigration specialist at the OECD in Paris.

All this stands in sharp contrast to countries such as Canada, Australia, and the United States, which have adopted smarter immigration policies and enjoyed an immediate payoff. At the onset of the economic crisis, Ottawa briefly considered slashing immigration quotas. In the end, however, it decided to do the opposite and grab a bigger share of highly educated migrants with such measures as fast-track residency for skilled arrivals. As a result, though they have lost some ground recently, immigrants to Canada are still twice as likely to hold doctorates or master’s degrees as native Canadians.

Europe needs to follow this lead and recognize that avoiding the problem won’t solve anything. This is not to say that the concerns of politicians in London, Paris, or Berlin are unfounded. Statistics show that immigrants in countries such as Germany, for example, commit more crimes (though not because they’re foreigners but because they’re more likely to be poor and uneducated). But erecting a wall against them won’t work; it will only shift more migration into uncontrolled conduits. Unlike Japan, Europe is no defendable, homogenous island. It is surrounded by the exploding populations of Africa and the Middle East. Its huge existing immigrant populations will continue to find ways to bring in family members even if governments try to stop them.

Europe’s leaders should therefore start by publicly making the case both for continued immigration and better integration, explaining to their constituents how newcomers strengthen a country and are especially critical to the continent. Skilled workers are vital to keeping European businesses and public services running. And contrary to popular fears, they usually don’t increase the risk of native unemployment. They are also the first to lose their jobs in a downturn, and hence act as a buffer for the rest of the population.

A smart policy would redouble integration efforts, making sure the downturn doesn’t cause Europe’s minority populations to fall further behind. Sweden has been one of the few countries worldwide recently to increase spending on such programs, such as language and vocational training, and more states should follow its lead. Second, governments should shift immigration policies to make Europe more attractive to skilled migrants by opening the door in professions where shortages exist, by cutting red tape that makes it difficult to get foreign diplomas recognized, and by persuading more of the foreign students at European universities to stay. And third, governments should seek to decrease welfare dependency, possibly by limiting access by migrants.

(Aber wie macht man das? Limiting access – ohne gegen die Verfassung zu verstossen?)

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Warum sind so viele (islamistische) Terroristen Ingenieure?

Emmanuel Sivan stellt in Haaretz diese interessante Frage:

What links the following people: the Nigerian who wanted to blow up Northwest Airlines Flight 253 to Detroit on Christmas Day; the two Palestinians arrested at Be’er Sheva’s Central Bus Station and who are suspected of reconnoitering for a mass terror attack; Mohammed Abd al-Salam Faraj, leader of the killers of Anwar Sadat; Khalid Sheikh Mohammed, planner of the attack on the Twin Towers; Mohamed Atta, who commanded the attack; and Iranian President Mahmoud Ahmadinejad?

Answer: all are engineers or students of engineering and applied science. There are other examples, such as in the leadership of the Muslim Brotherhood in Egypt and Jordan, and in the Hamas leadership. We’re talking about real engineers or students of the science, not the terrorist bomb makers often described as „engineers“.

I am among those who attribute this phenomenon first and foremost to what is described as engineering thinking or an engineering mindset. The concept includes an assumption, which has been raised in psychological research, that engineering as a field of study and a profession tends to attract people who seek certainty, and their approach to the world is largely mechanistic. So they are characterized by a greater intolerance of uncertainty – a quality that is evident among extremists, both religious and secular.


Those with engineering mindsets are also characterized by an approach that requires society to operate „like clockwork“ and abhors democratic politics, which requires compromises. It’s clear that this is a cumulative tendency and not a stereotypical generalization.

(…)


First, cognitive dissonance, in other words, high expectations that end in bitter disappointment. In the Arab world the standards for being accepted into engineering programs are very high and the studies are demanding. On the other hand, work in the enormous public sector is routine, wages are low, subjection to hierarchy is humiliating and the position’s social status is moderate – unless they are willing to go abroad to the United Arab Emirates, (which is how it is seen) from Cairo, Amman and Damascus. There wages are good, but amid social isolation and cultural desolation.

Today, employment in the Gulf is less available than even in the 1970s. In-depth interviews and focus groups have shown that Muslim engineers tend to interpret this situation as an expression of fundamental injustice that characterizes their societies, and from that the distance is short to viewing the radical Islamist solution as representative of the egalitarian ideal.

Second, it can be assumed that in technological fields, a young Muslim faces Western superiority (including the superiority of Japan, China and South Korea). How can this inferiority be explained in the Muslim world, which in the past was at the cutting edge of scientific progress? That Islam is in decline. Whoever aims to stop this decline and opposes blind imitation of the West to preserve his cultural uniqueness will find many people sharing the same outlook among the radical Islamist groups.

Von allen Argumenten finde ich das letzte am plausibelsten. Die küchenpsychologische Erklärung des „engineeering mindset“, das weniger tolerant für Unsicherheit sei, kaufe ich nicht. Die großen Ideologen des Totalitarismus waren leider of sozialwissenschaftlich und literarisch gebildete Intellektuelle. Und Qutb passt auch nicht so recht rein (aber der war ja auch kein Terrorist, sondern nur Vordenker).

Aber dass ein Ingenieurstudent die Unterlegenheit der islamischen Welt in seinem Studium stärker zu spüren bekommt als etwa ein Theologe oder Kulturwissenschaftler, der sich mit irgendwelchen Goldenen Zeiten und verpassten Gelegenheiten trösten kann, das ist doch ein scharfer Gedanke.

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Auf die Eltern kommt es an

Super interessantes Porträt des neuen Rektors der Uni Gießen, des 36 (!) jährigen Joybrato Mukherjee in Cicero, von Vanessa de L’Or. Über seinen Werdegang vom Sohn indischer Migranten zum jüngsten Universitätspräsidenten Deutschlands sagt der Mann etwas Kluges:

Für Mukherjee ist vielmehr entscheidend, dass schon die erste Generation sich integriert. „Auf die Haltung der Eltern kommt es an“, meint der Wissenschaftler. „Sie müssen ihren Kindern vermitteln, dass sie nicht in einer feindlichen Umgebung aufwachsen und dass die andere Kultur keinesfalls minderwertig ist. Erst wenn das der Fall ist, kann die Bildung ein Schlüssel sein. Und dann ist die Sprache natürlich das A und O.“

Der Werdegang Mukherjees ist in der Tat mehr als bemerkenswert. Nach dem Abitur wollte er zunächst Musik studieren, bevor er sich für Anglistik, Biologie und Erziehungswissenschaften entschied, als Lehramtsstudium. Damals spielte er viel Blockflöte – „konzertantes Niveau, kein Gepiepse“. Mit 29 Jahren bereits wurde er zum Professor für Anglistik an die Universität Gießen berufen, die dem CHE-Forschungsranking zufolge zu den beiden ersten Adressen Deutschlands in diesem Fachgebiet gehört. Schon knapp sieben Jahre später wählte man ihn zum Präsidenten.

Er scheint ein sinnfälliges Beispiel dafür zu sein, dass man die leicht verschlissene Multikulti-Idee auch im Sinne eines kosmopolitischen Denkens interpretieren kann: die nicht deutsche Herkunft als Chance statt als Handicap. Schließlich: Joybrato Mukherjees erste Worte waren Bengalisch, sein Forschungsobjekt ist die englische Sprache, am meisten zu Hause aber fühlt er sich, wenn er deutsch spricht und schreibt.“

Nimmt man die von mir oben fett geblockten Sätze Mukherjees, so ist das doch vielleicht die schönste Zusammenfassung unserer Erkenntnisse der Integrationsdebatte in a nutshell.

 

Warum Deutschland keinen Wilders braucht

In Holland wird die Implosion der politischen Mitte womöglich bald zu einer Regierungsbeteiligung des blonden Bannerträgers des liberalen Rassismus in Europa führen. Deutschland hat und braucht keinen Wilders, wie sich an zwei bemerkenswerten Interviews des Wochenendes zeigen läßt: Der kluge konservative CSU-Mann Alois Glück und der SPD-Innensenator von Berlin Erhart Körting, haben sich bei zu dem Zusammenleben mit Muslimen hierzulande geäußert. Und es ist beispielhaft, wie sie dabei Sorgen und Probleme der Integration einer für Deutschland neuen Religion aufnehmen, ohne Ressentiments zu bedienen:

WELT ONLINE : Herr Glück, Sie haben einen guten Einblick in die islamische Community in Deutschland. Ist zwischen Katholiken und Muslimen eine Kooperation, wenn nicht gar Allianz in ethisch-moralischen Fragen denkbar?

Glück : In Teilen des Islam sehe ich eine solche Kooperationsbereitschaft. Aber es gibt noch Erklärungsbedarf: etwa zu Fragen unserer Verfassung, der Trennung von Staat und Religion, der Freiheit des Religionswechsels, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, und zur gleichen Würde der Frau.

WELT ONLINE : Gleiche Würde, das sagen auch Muslime, was freilich noch nicht Bereitschaft zur vollen Gleichberechtigung bedeutet.

Glück : Das ist auch ein kultureller Prozess. Jüngste Untersuchungen in Deutschland zeigen die große Bandbreite der Einstellungen des Islam. Als grobe Orientierung kann man sagen: Je stärker Muslime säkularisiert sind, umso mehr schätzen sie unsere Verfassungs- und Gesellschaftsordnung. Seien wir ehrlich: Auch wir haben einen kulturellen Prozess durchgemacht. Ich kenne noch die geschlossenen Gesellschaften der 50er- und 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in denen die Gleichberechtigung der Frau nicht voll akzeptiert wurde. Das gilt auch für Teile unserer Kirche.

WELT ONLINE : Sehen Sie in den Islam-Verbänden Ansätze einer Hinwendung zu einem europäischen, vielleicht deutschen Islam?

Glück : Es gibt niemanden, der für das Ganze sprechen kann, das ist ein unglaublich schwieriges Problem. Wir sehen große Spannungen etwa zwischen Sunniten und Schiiten. Wir haben, was unsere Verfassung betrifft, eine große Zustimmung beispielsweise bei den Aleviten, aber auch anderen Gruppen. Die Verbände sind aber noch stark geprägt vom Islam der Herkunftsländer. Es ist ganz dringlich, dass wir zu Ausbildungen in Deutschland kommen, auch, was die Imame angeht. Es gibt nach meiner Erfahrung viele Muslime, die unsere Kultur bejahen und zugleich ihren Glauben leben. Es ist ein großer Unterschied, ob in eine Ditib-Moschee ein Imam kommt, der einige Jahre hier ist und dann wieder in die Türkei zurückkehrt, oder ob es Menschen sind, die sich hier entwickelt haben. Das ist eine der großen Zukunftsaufgaben, die wir aber nicht ohne die Muslime lösen können.

WELT ONLINE : Das heißt, die Verbände sollen einbezogen werden?

Glück : Wir können sie nicht ausschalten, müssen aber wissen, dass sie, wie die Untersuchungen zeigen, eben nicht den ganzen Islam vertreten. Auch wenn wir immer wieder Enttäuschungen erleben sollten, müssen wir mit konstruktiven Kräften kooperieren. Und wir müssen die tief verwurzelten Ängste in unserer Bevölkerung ernst nehmen.

WELT ONLINE : Leidet die deutsche Gesellschaft an Islamophobie? Der Berliner Historiker Wolfgang Benz hat Parallelen zum Antisemitismus gezogen.

Glück : Die Parallele halte ich für falsch. Solche Vergleiche verbieten sich. Es gibt eine Angst, die vielfältige Ursachen hat: die Türken vor Wien, der Terrorismus durch fanatische Muslime, Angst vor Überfremdung. Es gibt viele Anfragen an die Muslime. Es geht nicht nur um den guten Willen unsererseits, es geht auch um die Integrationsbereitschaft der Muslime in eine Gesellschaft, die christlich-abendländisch geprägt ist. Zu ihr gehören Toleranz und Freiheit der Religionsausübung in all ihren Formen. Insofern ist es auch kein Widerspruch, die kulturellen Prägungen unseres Landes durch das Christentum zu betonen und gleichzeitig offen zu sein für ein ehrliches Zusammenleben mit den Muslimen ?

WELT ONLINE : … was in islamischen Ländern die umgekehrte Wirklichkeit ist ?

Glück: … aber wir nicht zum Maßstab unseres Handelns machen dürfen. Wir dürfen nicht wegen einer solchen Wirklichkeit in anderen Ländern oder des Verhaltens einer Minderheit hierzulande die Werte unseres Grundgesetzes relativieren.

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Und Körting im Tagesspiegel:

„Wir sind ein hochtechnisiertes Land, in dem Sie nur dann einen guten Lebensstandard erwirtschaften können, wenn Sie über sehr viel Bildung und Ausbildung verfügen. Es mag für den Einzelnen noch funktionieren, wenn er sagt, ich bin es gewohnt, mit wenig auszukommen und lasse mir von Vater Staat helfen. Aber spätestens an den Kindern versündigen sich diese Leute. Seinen Kindern das zuzumuten, was man selbst aus Palästina oder anderswo kennt, ist nicht in Ordnung. Sie grenzen damit ihre Kinder von der Gesellschaft ab. Wer nicht bereit ist, das Bestmögliche für seine Kinder zu tun, muss damit rechnen, dass sie kriminell werden und abdriften.


Wie kommt es, dass in der Öffentlichkeit immer von Türken und Arabern die Rede ist, wenn es um Integrationsprobleme in Berlin geht? Machen andere Gruppen keine Schwierigkeiten?

Es gibt eine europäische Kulturidentität, die Integration erleichtert. Diese Identität haben beispielsweise Italiener, Spanier, Polen, in Teilen auch Russen und Ukrainer. Höchstwahrscheinlich auch Menschen aus Ankara und Istanbul. Bei Leuten aus Mardin, im Osten der Türkei, gibt es diese Kulturidentität schon nicht mehr, weil sie dort in einer Welt leben, die sich in vielen Bereichen sehr von unserer unterscheidet. Und deshalb sind bei diesen Menschen mehr Anstrengungen erforderlich, um Integration zu erreichen, als bei anderen.

Es heißt aber doch oft, Vietnamesen seien in Deutschland am besten integriert. Die haben mit der europäischen Kultur kaum Berührungspunkte, wenn sie herkommen.

Das hat wiederum nichts mit der Kultur zu tun, ebenso wie bei Chinesen, Armeniern oder anderen kleinen Gruppen. Zuwanderer, die zahlenmäßig nicht in großen Communities leben, sind stärker gezwungen sich zu integrieren, wenn sie überleben wollen.

Die türkische Regierung erklärt, es leben in 118 Ländern rund 5 Millionen Auslandstürken, davon über zwei Millionen allein in Deutschland. Ist die große Zahl ein Nachteil für ihre Integration?

Nachteil klingt immer so negativ. Ich würde sagen, je größer die Gruppe ist, desto größer müssen die Integrationsanstrengungen sein. Die große Gruppe hat einen Vorteil: Die Menschen fühlen sich emotional gebunden und sicher. Der Nachteil ist, dass große Gruppen schnell ein Eigenleben entwickeln, mit eigenen Geschäften, Gaststätten, Ärzten etc. Das Phänomen gibt es nicht nur in Bezug auf Türken, sondern auch Araber in Neukölln und manche Russen in Marzahn-Hellersdorf. Das Paradebeispiel sind junge Menschen aus der Türkei, die in Deutschland in eine türkische Familie einheiraten und hier keinerlei Bedürfnis entwickeln, Deutsch zu lernen. Sie können so weiterleben wie in der Türkei. Diese Situation erschwert die Integration in der Gesamtgesellschaft.

Sie haben vor kurzem in einem Interview gesagt, dass wir auch deshalb ein Problem mit Integration haben, weil sich der türkische Staat noch immer politisch verantwortlich fühlt und einmischt. An anderer Stelle sagten Sie, „das hat keine konkreten Auswirkungen auf die hier lebenden Türken“. Was stimmt nun?

Zu sagen, die Türkei ist schuld an unseren Integrationsproblemen, wäre viel zu verkürzt. Aber auch der türkische Staat muss akzeptieren, dass die Menschen aus der Türkei, die hier leben, Auswanderer sind. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass einige türkische Politiker eine Vormundschaft für türkische Bürger beanspruchen. Kritisch wird es, wenn einige vermitteln, „ihr seid zwar ausgewandert, aber eigentlich gehört ihr noch zur Türkei und werdet überall schlecht behandelt außer bei uns“. Das ist desintegrativ.

 

Warum ein Burkaverbot richtig ist

Beantwortet furchtlos wie immer die großartige Mona Eltahawy, die auch sonst viel Erhellendes über die Schwierigkeit zu sagen weiß, wie man als Feministin und Muslima mit den Widersprüchen des eigenen Glaubens lebt. Eltahawy hat selbst 9 Jahre lang Kopftuch getragen, als sie in Saudi Arabien lebte. Heute sagt sie: „Lasst gefälligst mein Haar in Ruhe!“ Hier spricht sie mit Rachael Kohn von ABC Radio:

Rachael Kohn: Do you think that feminism has much of a chance in the Muslim world? I know you’ve written about women in Khartoum who have been arrested for wearing baggy pants or others who have been flogged for alleged indecencies. Do you think that in the Muslim world feminism will take hold, either secular or religiously-based feminism?

Mona Eltahawy:I became a feminist when I was 19 and living in Saudi Arabia, simply because I despaired of what I could see as men copyrighting religion because this is not the Islam that I was taught. So I became a feminist basically to keep my mind, keep my wits together, but also because I became familiar with many Muslim women who were writing about religion, and Muslim women scholars. So this was when I was19 back in the late ’80s.

Since then, I have come across many more Muslim women who are reinterpreting their religion, who are rolling up their sleeves and saying ‚This is our fight, and we’re no longer going to give in to the male interpretations of the religion.‘ And as a Muslim woman, I fully believe that all those awful violations that are committed against women, supposedly in the name of religion and in the name of Islam, are committed and justified because of the male domination in the fields of interpretation and religious scholarship generally.

The future I think for Islam, belongs to women because quite simply, we have nothing to lose. For too long men have controlled the interpretation of the religion and men have told us what God wants from us, and for me as a Muslim the whole point of Islam and what makes it special for me and why I remain a Muslim is that it’s my direct relationship with God. Nobody, especially a man, should be there between me and God.

So whether you’re talking about Sudan or whether you’re talking about here in the US where we as Muslims live as a minority, it’s women who are leading the way, and here in the US especially, I think of Amina Wadud who is a scholar of Islam with tremendous academic credentials and scholarship behind her, who led us in the first public Friday prayer led by a woman of a mixed-gender congregation. This was here in New York in 2005. There were 50 men and 50 women praying side by side, and to this day, everywhere I travel people either ask me about it or remember something I wrote about it, and are still stunned and for many, still inspired by this woman who basically said, ‚I am going to be an imam. I want to be an imam and I’m no longer going to wait for anyone’s permission.‘

It has since inspired so many other women to lead prayers, has inspired other congregations to ask women to lead prayers, and you know, if you look at my bookshelves here, I have books by women like Asma Balas, Leila Ahmed, Fatima Mernissi, you know, show me the others who are doing exactly the kind of work that secular feminists and Muslim feminists need so that we can argue back and say, ‚Islam does not belong to men. Islam belongs to human beings.‘

Rachael Kohn: And is that mixed congregation still going?

Mona Eltahawy:In many places it is. It depends. You know, after Amina led the prayer, it was co-sponsored by a movement I belonged to at the time which is no longer in place, but has inspired others. So there’s one group for example called Muslims for Progressive Values that was a spin-off of that, women in the movement still lead mixed-gender prayers. I know many congregations in Canada have asked women to lead their prayers. Amina herself has led mixed-gender prayers in the UK and at a feminist conference in Barcelona. I don’t know of other places where this has happened but I know that it has taken off since the 2005 prayer.

Rachael Kohn: Well that seems to be a very courageous step, and I wonder how risky it is. For example, when you wrote in one of your articles that you agreed with the French President, Nicolas Sarkozy when he says the burqa is not a religious sign but a sign of the subjugation of women. How risky is it for you to make those kind of statements, particularly when for many Muslims, Islam means submission and therefore women should submit?

Mona Eltahawy:I think for the majority of Muslims, Islam should be in submission to God, not submission to a man. And my argument on the burqa I recognise has been very controversial, but I think that it is one of these things that has fallen into many traps.

One is cultural relativism, another is political correctness, another is what has happened to Muslims who have emigrated to various parts of the West, and the discrimination and bigotry they face from the growing right-wing in those countries. As far as I’m concerned, the burqa and the niqab, face veils of any kind, do not belong to Islam, they’re much more a tribal expression that is very specific to the Arabian Peninsula, specifically Saudi Arabia and its very ultra Orthodox interpretation of Islam, commonly known as Wahabi or Salafi Islam. This is where the face veil comes from.

I want to ban the niqab and the burqa everywhere, including in Saudi Arabia. But when it comes to Europe especially and when it comes to Sarkozy’s comment, I think what happened there is that because Muslims in France, you know the largest Muslim community in Western Europe, have faced a lot of discrimination, and the right-wing in Europe have become very vocal, many people who are horrified by the burqa and the niqab refused to say anything because they worry they’re going to arm and fuel the political right-wing. But my point is that in order to defend women, I will not sacrifice women and women’s rights for political correctness, because my enemy is not just the political right-wing in Europe, but what I call the Muslim Right Wing, and that is Salafi-Wahabi Islam.

So I position myself very much in the middle between people like Le Pen in France, the British National Party in the UK, all the other right-wing expressions of politics in Europe, but also all those men who for me represent the Muslim right-wing, who are very happy to tell women how they should look and how they should dress, and are specially obsessed with women’s appearance. So I’m not going to defend Salafi-Wahabi Islam which you know in France anyway you know, a tiny minority of women cover their face, that I recognise, but it represents something, it represents the erasure of women and it represents a hateful ideology because when you unpack Salafi-Wahabi Islam it is hateful towards women, and there is no way I’m going to defend that just so that I can speak out against the right wing. We must speak out against both right-wings. Weiter„Warum ein Burkaverbot richtig ist“

 

Wie schafft man den Übergang in die Moderne?

Mitbloggerin Miriam antwortete gestern auf meine Frage in diesem Thread:

>>Wie schafft man es denn, dass sich möglichst viele an diese Ordnung gewöhnen?>>

Und ihre Antwort ist einen eigenen Post wert:

Im Moment beschäftigt mich eine andere Frage. In letzter Zeit habe ich eine Reihe junger Muslimas kennengelernt, die selbst keine Probleme mit dieser Ordnung haben, aber ihre Eltern; oder ein Elternteil; oder ihre Brüder. Diese jungen Frauen sind hungrig nach Bildung; sie möchten ein selbstbestimmtes Leben führen; sie möchten den Beruf ihrer Wahl erlernen; sie möchten gleich behandelt werden wie ihre Brüder; sie möchten mit ins Landschulheim fahren dürfen; sie möchten nicht ihren Cousin heiraten; die Kopftuchträgerinnen unter ihnen hätten kein Problem damit, ihr Kopftuch abzulegen, z.B. um Polizistin zu werden. Denn sie tragen das Tuch zwar freiwillig, aber den Eltern bzw. der Mutter zuliebe.

Daher lautet die eigentliche Frage: Wie bringen wir die Eltern dieser jungen Frauen dazu, ihre Töchter (und Söhne) freizusetzen; zu respektieren, dass sie nicht das Recht haben ihren Kindern die traditionelle Ordnung aufzuzwingen? Einzusehen, dass ihre Kinder ihnen nicht in dem Sinne gehören, dass sie bestimmen dürfen, wie sie als Erwachsene zu leben haben?

Wahrscheinlich wird man mir vorwerfen, pathetisch zu sein, aber ich denke an “das Mädchen mit den Tränen in den Augen”, über das ich letzte Woche in einem anderen Thread berichtet habe. Für sie ist Schule ein Ort, wo sie frei sein kann, wo sie ihr Kopftuch ablegen kann und wenigstens so tun kann, als ob sie wirklich frei ist. Ein Ort, wo sie Jungs widersprechen darf; wo sie ein Recht auf eine eigene Meinung hat. Weiter„Wie schafft man den Übergang in die Moderne?“

 

Islamophobie: Eine Debatte

Einladung an alle Hamburger Leser dieses Blogs:

(Und übrigens vielen Dank an die Katholische Akademie für die schnelle, wenn auch unverdiente Promotion!)