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Was Sarrazins Interview bedeutet

Mein Leitartikel aus der ZEIT von morgen, Nr .42, S.1.:

Erst hat er gepoltert, dann hat er sich entschuldigt: Thilo Sarrazin, der Haifisch im Karpfenteich der Berliner Politik, hat wieder eines seiner berüchtigten Krawall-Interviews gegeben. In schnoddrigem Ton dozierte er über die Missstände des Einwanderungslandes Deutschland, wie sie sich in Neukölln und Berlin-Mitte verdichten: Schulversagen, Importbräute, aggressiver Machismo und das Versacken auch der dritten Generation – vor allem von Mi­gran­ten türkischer und arabischer Herkunft – in staatlich alimentierten Parallelgesellschaften.
Es ist eine Errungenschaft, über diese Dinge unverklemmt und ohne Hass debattieren zu können. Deutschland übt erst seit ein paar Jahren den freieren, konfliktfreudigen Blick auf die selbst verschuldeten Folgen fehlgesteuerter Einwanderung und verweigerter Integration: Ja, es muss möglich sein, über die unterschiedlichen Integrationserfolge verschiedener Gruppen zu reden, über Geschlechterrollen, Familienstrukturen und religiöse Prägungen, die dabei den Ausschlag geben.
Falls Thilo Sarrazin, in den Vorstand der Bundesbank gewechselter ehemaliger Berliner Finanzsenator, dazu einen Beitrag leisten wollte, ist er allerdings spektakulär gescheitert. Mit maßlosen Zuspitzungen hat er der Integrationsdebatte – und sich selbst – einen Tort angetan. Eine »große Zahl von Arabern und Türken in dieser Stadt« habe, meint Sarrazin, »keine produktive Funktion außer für den Obst- und Gemüsehandel«. Was soll dieser Hohn über kleine Selbstständige, die schuften, damit die Kinder es einmal besser haben? Wir sollten feiern – wie man es im Einwanderungsland USA tut –, dass diese Menschen lieber arbeiten, als von Transferleistungen zu leben. Sarrazin räumt ein, dass »nicht jede Formulierung in diesem Interview gelungen war«. Mehr als das: Er kokettiert auch mit rechtsradikalen Denkfiguren: »Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.« Nun wird sein Rücktritt aus dem Bundesbank-Vorstand gefordert. Zurücktreten muss er nicht. Aber es sollte ihm zu denken geben, dass die NPD in Sachsen ihm höhnisch das Amt des Ausländerbeauftragten anträgt.
Sarrazin hat mit seinem Interview das Dokument einer gesellschaftspolitischen Wasserscheide vorgelegt. Wer die fünf eng bedruckten Seiten in Lettre International liest und zugleich die Regierungsbildung verfolgt, steht verblüfft vor der Tatsache, dass ein prominenter SPD-Mann am rechten Rand entlanggrantelt, während die konservativ-liberalen Koalitionäre über einer modernen Integrationspolitik brüten. Das ist die eigentliche Bedeutung des Sarrazin-Interviews: Die Sozialdemokratie hat das Zukunftsthema Integration an die ideologisch flexiblere andere Seite abgegeben. Sarrazin war sieben Jahre lang in einer Regierung, die beinahe nichts gegen die weitere Verwahrlosung und ethnische Se­gre­ga­tion in der Hauptstadt getan hat. Und nun bramarbasiert er apokalyptisch über »Unterschichtgeburten« und die »kleinen Kopftuchmädchen«, wie es früher die Rechte getan hat.
Währenddessen haben die Konservativen ihren Frieden mit dem Einwanderungsland gemacht, ohne die Augen vor den Problemen zu verschließen – und denken schon ganz pragmatisch über ein Integrationsministerium auf Bundesebene nach. Sie wollen Deutschland nicht mehr abschotten, sondern zu einer »Auf­stei­ger­repu­blik« umbauen – so der CDU-Politiker Armin Laschet –, in der Chancengerechtigkeit und Leistungswille vor Herkunft gehen.

Das ist das integrationspolitische Motto der ­Mitte-rechts-Koalition für das Einwanderungsland Deutschland. Die CDU kann dabei glaubwürdig führen, gerade weil sie früher die Partei des Leugnens und Verdrängens war. Sie kann all jene mitnehmen, denen der Wandel zu schnell geht. Die wirtschaftsnahe FDP kann, getrieben vom wachsenden Fachkräftemangel, den Bewusstseinswandel befördern: Wir brauchen eine gestaltende Einwanderungspolitik. Die Konsequenzen der verfehlten Gastarbeiterpolitik früherer Jahrzehnte gilt es jetzt anzupacken.
Und dazu wird es eines veritablen New Deal mit den Migranten bedürfen. Man könnte es auf diese Formel bringen: größere Aufnahmewilligkeit gegen mehr Engagement und Eigenverantwortung. Also: Wir werden euch schneller als Teil dieses Landes akzeptieren, wenn ihr euch mehr reinhängt. Was die türkische Gemeinschaft angeht, läuft es auf Fragen dieser Art hinaus: Statt es zur Ehrensache zu machen, gegen Sprachnachweise beim Ehegattennachzug zu streiten – wie wäre es mit einem Kampf für besseren Deutschunterricht? Wann fangt ihr an, nicht vor allem durch Moscheeneubauten und den Kampf für Gebetsräume in Schulen, sondern durch Leistung auf euch aufmerksam zu machen?
Wir müssen Einwanderer künftig aussuchen: Ein Punktesystem muss her, das formuliert, wen wir brauchen. Die Einbürgerung aber muss erleichtert werden, und zwar abhängig von Fortschritten bei der Integration: Warum sollen erfolgreiche Migranten acht Jahre lang auf ihren Pass warten? Die sogenannte Mehrheitsgesellschaft muss sich fragen lassen, warum es so verteufelt schwer ist, hierzulande dazuzugehören – selbst wenn man erfolgreich ist. Wie hieß es doch im Wahlkampf: Leistung muss sich lohnen.
Schwarz-Gelb sucht ein Projekt. Unbescheidener Vorschlag: nach Eingliederung der Vertriebenen und Wiedervereinigung nun die Integration der Neudeutschen – eine »dritte deutsche Einheit« (Laschet), das wäre doch was.

 

Iran: Eindämmung, nicht Sanktionen!

Fareed Zakaria hat einen klugen Grundsatzartikel über die Frage geschrieben, wie wir Iran behandeln sollen: Sanktionen, Diplomatie, Bomben? Nein: Abschreckung und Containment sind der Weg.

I do not believe the Iranian regime, at its core, wants normalized relations with America. Isolation from the West and hostility toward the United States are fundamental pillars that prop up the current regime—the reason that this system of government came into being and what sustains it every day. This is not simply a matter of ideology— though that is important—but economics. Those who rule in Tehran have created a closed, oligarchic economy that channels the country’s oil revenues into the coffers of its religious foundations (for compliant clerics) and the increasingly powerful Revolutionary Guard. They benefit from a closed economy that they can manipulate. An opening to the world, which would mean more trade, commerce, and contact with the United States, would strengthen Iran’s civil society, its trading class, its students, its bourgeoisie, and thus strengthen opposition to the regime.

The rulers of Iran do not want to open up to the world, except on their terms and in targeted ways that increase their own wealth and power. People sometimes speak about a „China option“ for Iran, in which Tehran would engage the world economically but remain politically repressive. But China genuinely opened up its economy and society to the outside world and brought market forces to bear, empowering new groups and creating a large economy outside the purview of the government. What Iran probably seeks out of this engagement is a „Russia option,“ in which the regime gains greater wealth and power by trading with the West, but retains a viselike control over Iran’s economy and society.

The United States has apologized for its role in the 1953 coup; it has reached out to Iran; it has offered wide-open talks. Each time, Iran has rebuffed the outstretched hand, claiming that the timing was bad, or the words used were wrong, or the offer wasn’t big enough. If it is true that Washington has been wary of simply getting into talks with Tehran, the reverse is more evidently true. And until the government of Iran makes a decision that it is interested in a rapprochement, no set of words or gestures, however clever, is going to break the logjam. If Mao had not wanted to break with the Soviet Union and make peace with the United States, Ping-Pong diplomacy and even Henry Kissinger’s negotiating prowess would not have produced the breakthrough of 1972.

So what does that leave? In fact, we are already moving toward a robust, workable response to the dangers of an Iranian nuclear program—one that involves sustained containment and deterrence. Iran’s rise has aroused suspicion in the Arab world. Many countries in the region are developing closer ties with the United States, including military ones. In the West, European nations worry about nuclear proliferation and are irritated with Iran’s deception and obstructionism. They have gotten tougher over the years in combating Iran and its proxies, and they are getting tougher at implementing some of the financial sanctions that target Iran’s elites. Even Russia and China, which have tried to maintain their ties with Iran, are conscious that they cannot be seen to be utterly unconcerned about proliferation and the defiance of U.N. resolutions. So they’ve allowed for some actions against the Iranian regime (and according to some reports were critical to the outcome of last week’s talks in Geneva).

All this means that Iran has become something of an international pariah, unable to operate with great latitude around the world. The country is in a box and, if well handled, can be kept there until the regime becomes much more transparent and cooperative on the nuclear issue.

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Ahmadinedschads jüdische Wurzeln

Kein Witz: Der Daily Telegraph enthüllt, dass der iranische Präsident Machmud Ahmadinedschad jüdische Wuzeln hat. Bei der Registrierung zur Wahl hat Ahmadinedschad seinen Pass in die Kameras gehalten. Bild 1

Der Telegraph hat sich das Dokument vorgenommen und dabei herausgefunden, dass der ursprüngliche Familienname Sabourjian geheißen habe. Dies sei aber ein jüdischer Name, der „Tuchweber“ bedeute:

The short note scrawled on the card suggests his family changed its name to Ahmadinejad when they converted to embrace Islam after his birth.

The Sabourjians traditionally hail from Aradan, Mr Ahmadinejad’s birthplace, and the name derives from „weaver of the Sabour“, the name for the Jewish Tallit shawl in Persia. The name is even on the list of reserved names for Iranian Jews compiled by Iran’s Ministry of the Interior.

An diese Enthüllung schliessen sich natürlich sofort Theorien an, es handele sich bei den anti-israelischen Attacken des Präsidenten um kompensatorische Akte eines Konvertiten. Jüdischer Selbsthaß?

Damit wäre ich vorsichtig, so interessant solche psychologisierenden Deutungen sind – denn die antiisraelische Linie wird ja nicht nur von (möglicherweise) Konvertiten wie ihm vertreten (auch der „Moderate“ Rafsandschani ist durch Ausfälle gegen Israel auffällig geworden). Sie geht auf den Revolutionsführer Chomeini zurück und ist Teil der Staatsräson geworden.

Trotzdem: Eine extrem pikante Enthüllung, falls sie sich als zutreffend erweisen sollte.

Dank an Chajm Guski.

p.s.: Unterdessen gibt es Stimmen, die das Ganze für eine (iranische) Kampagne gegen Ahmadinedschad halten – siehe den Kommentar von Tobi. Was allerdings noch nicht bedeutet, dass an der Sache nichts dran ist.

Juan Cole sieht es so:

The Telegraph newspaper reveals that president Mahmoud Ahmadinejad appears to have Jewish antecedents, back in the 1940s when the family was still called Sabourjian (makers of Jewish shawls). This discovery was made via a photograph of his identity card, There have been many conversions from Judaism to Islam, many of them voluntary. In the real world people get all mixed up. Iran has the largest Jewish community in the Middle East aside from Israel itself. In the 19th century there were forced conversions of Jews to Shiism in the eastern city of Mashhad. Since converts intermarry with the majority community, this means that many Mashhadis have a Jewish great grandfather and may not know it. It isn’t just Iran. One genetic study found that some 20% of the Spanish had Jewish haplotypes and 10% had an Arab ancestry. The revelation in Iran doesn’t change anything; Ahmadinejad does not make his critiques of Israel with reference to his own heritage but on the basis of a radical interpretation of Khomeinist ideology. The latter in its full form is only a little over 40 years old, so for everyone in Ahmadinejad’s age cohort, it is an adopted ideology for those who adhere to it, not an inherited one.

Sag‘ ich doch!


 

Iran gibt weniger fürs Militär aus als – Schweden!

Ein interessantes Faktum zur „iranischen Gefahr“ von Juan Cole in Salon:

Belief: Iran is a militarized society bristling with dangerous weapons and a growing threat to world peace.

Reality: Iran’s military budget is a little over $6 billion annually. Sweden, Singapore and Greece all have larger military budgets. Moreover, Iran is a country of 70 million, so that its per capita spending on defense is tiny compared to these others, since they are much smaller countries with regard to population. Iran spends less per capita on its military than any other country in the Persian Gulf region with the exception of the United Arab Emirates.

 

Sorgen eines Wechselwählers (7): Bekenntnis eines politischen Geisterfahrers

Zum letzten Mal – meine wöchentliche Kolumne zur Bundestagswahl (aus der ZEIT von morgen, Nr.41, S. 7):

Ich akzeptiere ohne Umschweife, dass ich die Wahl verloren habe. Es hilft kein Drumherumreden: Ich finde mich auf der Seite der Verlierer wieder. Ich habe SPD gewählt.
Überrascht bin ich allerdings nicht. Ich habe schließlich mit knirschenden Zähnen rot gewählt, weil mir das Desaster schon schwante. Und jetzt kann ich es ja sagen: Ich wollte sie gar nicht unbedingt an der Macht sehen, die Sozis. Elf Jahre sind erst mal genug. Diese Partei braucht eine Macht-Pause.
Das klingt paradox. Aber am letzten Sonntag schien es mir plötzlich vernünftig, eine chancenlose SPD zu wählen. Schwarz-Gelb verhindern? Darum ging es nicht mehr. Selbst wenn die Chance noch bestanden hätte: Ich hätte nicht mein Kreuz bei der SPD gemacht, um Merkel-Westerwelle zu blockieren. Ich hatte nun mal – und habe immer noch – keine Angst vor Angela und Guido. Mehr noch: Die Kampagne gegen die beiden als sozial kalte, radioaktiv strahlende Finanzhaie fand ich einfach nur töricht. Sie roch unangenehm nach den Achtzigern, als die Linke noch gegen die »geistig-moralische Wende« wetterte, als Kohl sie längst abgeblasen hatte.
Ich bin Wechselwähler. Durch Merkel bin ich vor vier Jahren schwach geworden und vom Rot-Grünen zum Unionswähler mutiert. Bereut habe ich es zwar nicht. Doch nun habe ich zu meinem eigenen Erstaunen noch einmal rot gewählt – vom erwartbar verlorenen Posten aus.
Eigentlich liegt mir das nicht. Ich will mit meiner Stimme etwas bewirken. Und beim Blick auf die Wählerwanderunsgdiagramme überkommt mich ein beißendes Gefühl der Vergeblichkeit: Der Wanderungssaldo zwischen SPD und Union beträgt 620.000 zu Gunsten der Kanzlerin! Hunderttausende Genossen stimmen für Merkel – und noch erstaunlicher: 430.000 wandern zur erzbösen FDP? Und ich auf der  Gegenspur als politischer Geisterfahrer?
Ich hatte es ja geahnt: Warum dennoch SPD? Eben weil ich mir schon dachte, dass die Stammkundschaft zuhause bleiben würde. Aber so viele – das hat mich doch umgehauen! Meine zarte Wechselwählerstimme ist kein Ersatz für zehn Hartz-4-Empfänger, die gar nicht mehr wählen.
Mein Wahlziel am letzten Sonntag war nur noch, die Demütigung der Partei zu verhindern. Damit bin ich – zugegeben – grandios gescheitert. Denn anders als meine Wenigkeit hat der SPD-Stammwähler nach elf Jahren Regierung keine sentimentalen Anwandlungen. Im Gegenteil. Nahezu zwei Millionen von seiner Sorte sind einfach zuhause geblieben. Seit 1998, rechnen uns die Demoskopen jetzt vor, hat sich die Wählerschaft der Sozis halbiert. Vielleicht haben die Leute ja Recht und die SPD braucht eine unmißverständliche Botschaft. Aber ein Desaster biblischer Dimension? Wo bleibt die Gerechtigkeit?
Klingt ganz schön sentimental.
Sei‹s drum: Ich habe nicht bloß aus Gefühligkeit und Mitleid SPD gewählt. Ich hatte ernsthafte taktische, demokratietheoretische Gründe. Ich glaube nämlich an das Modell der Volkspartei, das jetzt ein bisschen voreilig für obsolet erklärt wird. Ich hoffe sogar, in Zukunft wird es mehr als zwei davon geben. Keine Partei hat hierzulande Überlebenschancen als krawallige Klientelpartei, und das ist auch gut so. Alle müssen Volksparteien werden. Die FDP übt schon, die Linke sperrt sich im falschen Triumphgefühl. Und darum wird die SPD noch einmal gebraucht, genau wie die Union in ihrem Lager.
Ich bin merkwürdiger Weise auch als Verlierer eigentlich recht zufrieden mit dieser Wahl. Die Große Koalition war zwar besser als ihr Ruf. Sie hat die beiden Großen gezwungen, sich über ihre Nähe ehrlich zu machen. Aber für uns Wechselwähler war sie Gift. Wir brauchen keine ideologischen Lager im vermufften Retro-Look, aber ohne erkennbare Alternativen geht es nicht.
Eine stabile Regierung zu haben, ist nämlich nur das eine. Die Aussichten dafür stehen jetzt immerhin nicht schlecht. Aber für meinen seelischen Comfort als Wechselwähler ist wichtig, dass die Opposition als übernahmebereite Reserveregierung bereitsteht. Und da hakt‹s: Nach der Riesenklatsche vom Wochenende sehe ich nicht, wie das linke Lager sich unter Führung der Sozis zur schlagfähigen Ersatzmannschaft formieren könnte. Es ist ja nicht mal absehbar, ob die Sozis sich selber so bald eine neue Führung zimmern können. Viel hängt davon ab, ob der Linkspartei die SPD nun endlich klein genug ist – oder ob die wahre Demontage jetzt erst los geht.
Warum bin ich trotzdem alles in allem zufrieden? Die Volksparteien sind jetzt frei, unser zunehmend chaotisches Parteiensystem neu zu ordnen: Die Union muß der FDP die marktpopulistischen Flausen austreiben. Und die SPD (zusammen mit den Grünen) der Linken den Retro-Geist. Beide Parteien, die sich noch standhaft weigern, aus der Krise zu lernen, müssen sanft in die Gegenwart geführt werden. Und da hat die Machtverteilung ihren Sinn: Die Union kann das mit der FDP nur in der Regierung schaffen, die SPD mit der Linken nur in der Opposition.
Steinmeier war groß im Unglück: einen so graziösen Loser habe ich noch nie gewählt. Wer so anmutig, fair und ohne Ressentiment verlieren kann, dachte ich am Sonntagabend, dem möchte man wünschen, eines Tages auch mal zu gewinnen. Schon wieder diese Sentimentalität! Halten wir fest: Ich habe SPD gewählt, und die Partei hat verloren. Es war für die Katz.
Es tut mir zwar nicht leid. Trotzdem mache ich das so bald nicht wieder. Jedenfalls nicht aus dem gleichen Grund. Nächstes Mal, liebe Genossen, brauche ich schon ein besseres Motiv.

 

Was Außenminister Westerwelle will

Die Internationale Politik, das Organ der DGAP, hat das erste Interview mit dem Schatten-Außenminister:

Westerwelle: Für viele Menschen in der Welt sind die USA immer ein Orientierungspunkt für Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit gewesen. So haben auch viele Deutsche die USA über die schwierige Zeit des Kalten Krieges hinweg zu Recht gesehen – und übrigens auch jenseits des Eisernen Vorhangs, wo die USA immer eine enorme Anziehungskraft auf die Menschen ausgeübt haben. Dieses Bild hat in den vergangenen acht Jahren durch viele außen- wie innenpolitische Fehler der US-Administration Risse bekommen. Mit der Wahl von Barack Obama zum Präsidenten haben die Amerikaner ihre Fähigkeit zum Politikwechsel beeindruckend unter Beweis gestellt. Dabei sind es weniger die Ziele als die Wege, die Barack Obama von seinem Vorgänger unterscheiden – Dialog statt Isolation, Einbindung statt Eindämmung, Kooperation statt Unilateralismus, Stärke des Rechts statt Recht des Stärkeren.

… Wir wollen und brauchen den engen Schulterschluss mit den USA.

(…)  Meine Partei hat es deshalb als schweres Versäumnis wahrgenommen, dass die Bundesregierung die Möglichkeit, den Prozess der Neuausrichtung amerikanischer Außenpolitik nach den Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen, ungenutzt hat verstreichen lassen. Die Bundesregierung hat die Chance vertan, sich mit eigenen Ideen und Vorschlägen einzubringen und damit die Neuausrichtung amerikanischer Geostrategie mit zu beeinflussen. Einer der Gründe hierfür liegt darin, dass die Begeisterung für Barack Obama in Deutschland nirgends so wenig geteilt wurde wie in der Bundesregierung.

(Das letztere ist schon mal ein ziemlicher Schienbeintritt für Merkel. JL)

IP: Was sagen Sie zu Afghanistan: Exit-Strategie oder Bekenntnis zum Engagement?

Westerwelle: Jeden Bundeswehreinsatz wollen wir so schnell wie möglich wieder beenden. Man sollte aber nicht den Eindruck erwecken, als wären Exit-Strategie oder Bekenntnis zum Engagement Alternativen, die zum gleichen Ziel führten. Jetzt aus Afghanistan abzuziehen hieße, das Land wieder radikalen Islamisten zu überlassen, die erst die eigene Bevölkerung terrorisieren und dann den Terror in die Welt tragen. Die Bilder von öffentlichen Hinrichtungen und die Zerstörung religiöser Stätten durch die Taliban sind mir noch ebenso gut im Gedächtnis wie der 11. September 2001. Beides darf es in Zukunft nicht mehr geben. Dass man dies nicht dauerhaft von außen garantieren kann, ist vollkommen klar. Deshalb müssen die Afghanen so schnell wie möglich in die Lage versetzt werden, selbst für die Sicherheit in ihrem Land zu sorgen, damit die Entwicklung in anderen Bereichen weiter voranschreiten kann.

Dann wird auch der Zeitpunkt gekommen sein, einen schrittweisen Abzug der internationalen Truppenpräsenz in Afghanistan einzuleiten. Bei der Polizeiausbildung ist die Bundesregierung zu lange ihren selbst eingegangenen Verpflichtungen nicht ausreichend nachgekommen. Wer aber heute überstürzt abziehen will, der macht Kabul wieder zur Hauptstadt der Terroristen in der Welt. Wir sind nicht aus Altruismus in Afghanistan, sondern zum Schutz unserer eigenen Sicherheitsinteressen.

(Das sagen alle, aber wikrlich alle, außer der LINKEN. JL)
IP: Wie ist eine atomare Aufrüstung des Iran zu verhindern? Wie müsste der Umgang mit einer Atommacht Iran gestaltet werden? Und weiter: Wie wollen, wie können sich Deutschland und Europa für eine Friedenslösung in Nahost einsetzen?

Westerwelle: (…)

Eine Lösung im Streit um das iranische Atomprogramm fällt den Beteiligten auch deshalb so schwer, weil ihr Verhältnis durch viele Traumata belastet ist. Einer der Schlüssel zur Lösung liegt ohne Zweifel im iranisch-amerikanischen Verhältnis. Präsident Obama hat in seiner Kairoer Rede einen Kurswechsel vollzogen und einen ersten mutigen Schritt gemacht. Mit seiner Würdigung der iranischen Kultur und seinem Angebot zu direkten Verhandlungen hat er sich deutlich von der Eindämmungs- und Eskalationspolitik seines Vorgängers abgegrenzt. Er hat seine Fähigkeit zur Deeskalation unter Beweis gestellt, ohne dabei naiv zu sein. Das ist auch deshalb richtig und wichtig, weil es den Hardlinern in Teheran die Möglichkeit nimmt, den Westen als Provokateur darzustellen, was gerade angesichts des innenpolitischen Drucks im Iran wieder versucht wird.

Ein weiterer Schlüssel zur Entschärfung des Atomstreits liegt in der Umsetzung des Nichtverbreitungsvertrags (NPT), also einer konsequenten Politik der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Zwei wesentliche Elemente des NPT-Vertrags sind das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt sowie das garantierte Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Je ernster die existierenden Atommächte ihre Verpflichtung für eine nuklearwaffenfreie Welt nehmen, desto glaubwürdiger werden sie auch gegenüber Staaten wie dem Iran, denen eine nukleare Bewaffnung verlockend erscheint.

Hinsichtlich des Rechts auf eine friedliche Nutzung der Atomenergie sind kreative Ansätze gefragt, die den Energieinteressen der einen ebenso gerecht werden wie den berechtigten Sicherheitsinteressen aller anderen. Die Idee der Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs ist eine Möglichkeit, die uns dabei vielleicht weiterhelfen könnte. Wie bei nahezu allen Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle kommt es auch hier auf eine lückenlose Kontrolle an. (…)

(Interessant ist die starke Festlegung auf Abrüstung. Volle Kontinuität zu Steinmeier. Ob Guido mehr bewegen kann? JL)

(…)

IP: Welche außenpolitischen Prioritäten setzen Sie?

Westerwelle: Wir Liberale wollen, dass sich Deutschland wieder an die Spitze jener Staaten stellt, die für eine konsequente Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle eintreten. Konsequente Abrüstung und Rüstungskontrolle bedeuten mehr Sicherheit und mehr Vertrauen. Den Trend der vergangenen Jahre – wachsendes Misstrauen und daraus folgend die Gefahr einer neuen Aufrüstungsspirale – gilt es durch eigene Abrüstungsinitiativen umzukehren. Wir haben es für einen großen Fehler gehalten, dass sich Deutschland zuletzt bei den Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle so passiv gezeigt hat, obwohl unser Land bei diesem wichtigen Thema große Glaubwürdigkeit genießt.

(…)

Deutsche Außen- und Europapolitik war auch deshalb in den achtziger und neunziger Jahren so erfolgreich, weil wir die Interessen der kleineren Staaten ernst genommen und bei der Formulierung unserer eigenen Politikansätze berücksichtigt haben. Hierzu müssen wir wieder zurückfinden. Es ist ein Skandal, dass die Regierung in ihrer Politik gegenüber kleineren europäischen Ländern vor allen Dingen durch abfällige Worte aus dem Munde des Finanzministers aufgefallen ist.

(„Nimm dies, Steinbrück, Du böser Feind aller Steuerflüchtigen!“ Also das hätte er sich sparen können! JL)

 

Westerwelles Erfolg: Gay Pride

Noch ist Guido Westwerwelle gar nicht Vizekanzler und Außenminister – da beneidet uns die Welt schon um ihn:

Mein Lieblingsblogger Andrew Sullivan, der konservativ-katholische, offen schwule Obama-Freund, hat aus nahe liegenden Gründen Freude am deutschen Wahlergebnis – und fragt sich, warum so etwas in Amerika nicht denkbar ist, dem Ursprungsland der Gay-Rights-Bewegung:

„Westerwelle is now the world’s leading non-leftist gay leader. His politics are eclectic: for example, he favors removing the last American nuclear weapons from Germany. He came out formally five years ago. The Germans paid no mind.

Meanwhile, in America, there are almost no openly gay politicians, and one major party seeks to marginalize and disenfranchise gay people, stripping them of all relationship rights, and running ad campaigns focused on the „threat“ that openly gay couples pose to schoolkids.“

Ich hatte letzte Woche eine Gruppe von amerikanischen Deutschlandkennern zu Gast, die mich auch neidisch fragten.

He’s openly gay, right? And this is a total non-issue?

Ja, isses, und das ist auch gut so.

 

Erkennen Sie den Genossen…

…, der hier spricht? (Wer warnt in folgendem Zitat so eindringlich vor der drohenden Ökonomisiserung unserer Außenpolitik und macht dabei Heinrich Böll zum Zeugen?) Wer’s richtig rät, wird gegruschelt.

„Regime, die Bürger steinigen oder ihren Mädchen Bildung verweigern, die Gefangene foltern oder unliebsame Nachbarn erpressen, die Glaubens- und Gewissensfreiheit mit Füßen treten oder Terror exportieren, müssen unseren Druck spüren. Die universell anerkannten Werte – wie der Respekt vor der Würde des Menschen – sind jene Grenze, ab der aus dem Prinzip der  Nichteinmischung gemeinsame Verantwortung wird. Wer hier ehrlich auftritt, gewinnt mehr Glaubwürdigkeit als jener, der leisetritt und Deutschland im Ausland nur als oberster Handelsvertreter repräsentiert. Heinrich Böll hat uns ins Stammbuch geschrieben: Es gibt eine Pflicht zur Einmischung in die innere Angelegenheit der Menschenrechte.

 

Iran: geheime Atomanlage entdeckt

Nach einem Bericht der New York Times wird Obama heute bekannt geben, dass die USA von einer geheimen Anreicherungsanlage in Ghom, 100 Meilen südwestlich von Teheran, wissen.

Die bereits bekannte Anlage in Natans wird seit Jahren regelmäßig inspiziert. Es war aber seit langem vermutet worden, dass Iran eine geheime Anlage betreibe, um unbeaufsichtigt sein nukleares Reservoir zu vergrößern.

Offenbar war den Iranern vor kurzem aufgefallen, dass die Amerikaner Wissen von der Anlage in einem Berg bei der heiligen Stadt Ghom haben (dem theologischen Zentrum des iranischen Schiismus). Darum hat sich die amerikanische Regierung entschlossen, ihr Wissen mit den Verbündeten zu teilen und vor den Gesprächen mit den Iranern am 1. Oktober publik zu machen.

Mit der iranischen Strategie des Ausweichens und Verheimlichens wird es nun nichts. Und es ist auch nicht denkbar, dass bei den ersten direkten Gesprächen zwischen Amerikanern und Iranern um den heissen Brei herum geredet wird.

Ein amerikanischer Regierungsvertreter wird von der NYT zitiert: „Sie haben drei Mal betrogen, und sie sind drei Mal erwischt worden.“

American officials say that they have been tracking the covert project for years, but that Mr. Obama decided to make public the American findings after Iran discovered, in recent weeks, that Western intelligence agencies had breached the secrecy surrounding the project. On Monday, Iran wrote a brief, cryptic letter to the International Atomic Energy Agency, saying that it now had a “pilot plant” under construction, whose existence it had never before revealed.

Mehr hier.

 

Etwas dreht sich in der Afghanistan-Debatte

Auch in den USA. Heute stolpere ich über dieses Zitat meines Lieblingsbloggers Andrew Sullivan, früher ein verlässlicher Unterstützer des Krieges gegen die Taliban:

„The Islamist world is a brutal, backward, bigoted miasma. The idea that we can change this with troops, or that its continuation is somehow America’s responsibility, is, tragically, misguided.“

Mancher bereitet den innerlichen Truppenabzug vor.