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Ehe und Integration

Mitbloggerin Miriam meint:
„Diese ganze Fakten sind besorgniserregend.“
Ja, in der Tat. Aber ich habe die jungen Leute aus der Shell-Studie 2000 auch deswegen zitiert, um zu zeigen, dass es gesellschaftliche Normen sind, die Ehen bzw. Beziehungen mit Deutschen torpedieren und nicht Abneigung. Aus vielen Interviews mit Deutschtürkinnen und -Türken in der Studie ging hervor, sie würden gerne, wenn sie dürften, aber sie dürfen nicht.

„Wieviel Zeit haben wir noch?“

Diese Frage müssten sich eigentlich die türkeistämmigen Communities und Familien stellen. Sie müssten einsehen, dass Endogamie und transnationale Heirat Integrationsbarrieren sind, die sie selbst errichtet haben und die von ihnen abgebaut werden müssen.

Ich bin nicht sehr optimistisch, dass das passieren wird,
denn, wie man in diesem Blog unschwer erkennen kann, löst Kritik an arrangierten Ehen und traditionellen Normen einen Abwehrreflex aus, sogar bei den gebildeten türkeistämmigen Migranten, die Pioniere des Wertewandels sein könnten.

Ates, Kelek und Cileli werden von den eigenen Landsleuten nicht als Aufklärerinnen gefeiert, sondern gelten auch bei vielen türkeistämmigen Akademikern als Netzbeschmutzerinnen. Ihnen wird vorgeworfen, Einzelfälle zu verallgemeinern. Nach einem Vortrag von Kelek neulich sagte mir eine empörte Studentin: „Die macht es uns noch schwieriger, uns zu integrieren!“. Die an Kelek gerichteten Wortbeiträge von türkeistämmigen Zuhörern (allesamt Studierenden, z.T. mit Kopftuch) lassen sich so zusammenfassen:
„Bei uns gibt es keine Zwangsheirat, keine arrangierte Ehen und der Islam ist frauenfreundlich.“
Diese Abwehrhaltung ist es, die verhindert, dass ein Prozess der kritischen Reflexion in Gang kommt.

Um die soziale und wertmäßige Integration in die Moderne zu verhindern (d.h. um ihre Kinder nicht an die fremde Gesellschaft zu verlieren), haben sich ein Teil der türkeistämmigen Familien und Communities von Beginn der Migration an auf die Tradition berufen. Nicht bedacht wurde, dass es ohne soziale und wertmäßige Integration bzw. ohne das soziale und kulturelle Kapital, das man dadurch erwirbt, nicht möglich ist, sich erfolgreich bildungs- und berufsmäßig zu integrieren. Anstatt diese unerwünschte Nebenfolge zu thematisieren, setzt man in Teilen der türkischen Communities sogar noch eins drauf: Man beruft sich jetzt auf die Religion als eine Ebene der Legitimation des Status quo, die noch höher ist als die Tradition, um die soziale und wertmäßige Integration zu verhindern. Integrationssoziologisch betrachtet ist das Selbstsabotage. Aus Sicht der betreffenden Migranten ist es rationales Handeln, denn der Verlust der Kinder – oder der Ehre – wiegt schwerer als schulischer Misserfolg oder Arbeitslosigkeit.

Es ist schade, dass einige der klügsten deutschtürkischen Köpfe eine Lanze für die Tradition brechen. Zu ihnen zähle ich Ekrem Senol von jurblog, der auch für Milli-Görüs schreibt. Vielleicht könnte man ihn als Jurist zum Umdenken bewegen mit einem Hinweis auf Artikel 16 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, der lautet:

„1.Heiratsfähige Frauen und Männer haben ohne Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.
2.Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatten geschlossen werden. (…)“

Die strenge Endogamienorm in den traditionellen türkeistämmigen – sowie in anderen – Migranten-Communities verstößt gegen Artikel 16.1, denn diese Norm gebietet es den Mitgliedern, nur Menschen der eigenen Ethnie und Religion zu heiraten. Und arrangierte Ehen, wenn sie nicht auf ausdrücklichen Wunsch der künftigen Ehegatten hin in die Wege geleitet werden, verstoßen gegen Artikel 16.2. Es kommt häufig vor, dass Eltern die Ehe einfädeln und ihre Kinder erst zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Pläne einweihen. Aus Liebe zu und Respekt vor Eltern und Familie willigen die Betroffenen in die Heirat ein. Auch ein solches Arrangement verstößt gegen Artikel 16.2, denn die „Willenseinigung der künftigen Ehegatten“ ist eingeschränkt durch gesellschaftliche Normen der Liebe, der Rücksichtnahme und des Respekts, die das Wohl des Kollektivs über das individuelle Glück stellen und genauso viel oder sogar mehr Zwang ausüben können wie physische Gewalt.

 

Was wollen wir von China?

Mitblogger Rafael gibt zu bedenken:

„Nach Peking fahren und den Chinesen mal zeigen, wie toll der Westen ist, was soll das bringen? Wie viele Chinesen werden direkt mit westlichen Besuchern in Kontakt kommen? China ist ziemlich groß und dort leben eine Menge Leute.

 

Wir brauchen eine Strategie. Dazu ist es nötig, zunächst die Forderungen zu konkretisieren und diese dann klar zu kommunizieren. Das würde es dem Regime schwerer machen, die Proteste mit ihren Propagandalügen vor den Chinesen zu delegitimieren.

 

Also was fordern wir? Free Tibet? Mit dem kichernden Dalai Lama als gütigem Diktator? Alle Chinesen raus aus Tibet, ethnische Säuberung und viel Folklore?

 

Oder fordern wir Menschenrechte für alle Chinesen, einschließlich der Tibeter? Fordern wir von der chinesichen Regierung, dass ihr Volk frei entscheiden und mit uns zusammen die Zukunft der Welt gestalten kann? Fordern wir vielleicht auch mal was vom Dalai Lama, den wir alle so schrecklich lieb haben? Zum Beispiel, dass er gefälligst den unsäglichen, menschenverachtenden, reaktionären und geschichtsvergessenen Begriff „kultureller Genozid“ nicht mehr in den Mund nimmt?

 

Es gibt Millionen von Chinesen, die im Westen, in Demokratie, in Freiheit, aber dennoch in ihrer chinesischen Kultur leben. In den USA, in Europa und in Taiwan. Wenn wir wirklich an Strategien interessiert sind, wie die Propagandahoheit der Spiele aus den gierigen Fingern der KP-Bonzen ein Stück weit zu befreien wäre, dann sollten wir die fragen.“



			
 

Die Differenzierungsfalle

Ein Essay von Seyran Ateş
(Auszug aus einem Text, der heute auf der neuen Meinungsseite der ZEIT erscheint. Mehr an einem Kiosk Ihres Vertrauens.)

Wer sich wie ich seit Jahren an der Debatte über Integration beteiligt, wird immer wieder mit der Forderung konfrontiert, man müsse dies oder jenes doch bitte „differenziert betrachten“.
Differenzierung ist ein Zauberwort in der Integrationsdebatte. Es entscheidet darüber, ob jemand politisch korrekt ist oder nicht, ob er oder sie zu den Guten oder zu den Bösen gehört. Und was könnte man wohl gegen diese Forderung haben? Wer wollte schon gerne als undifferenziert, als polarisierend bewertet werden? „Sie waren toll, Sie haben das so differenziert dargestellt, sie haben nicht polarisiert. Vielen Dank“. Wenn nach einem Vortrag solches Lob kommt, macht sich meist Erleichterung breit.

Doch merkwürdig: Ich für meinen Teil denke mittlerweile, dass ich etwas falsch gemacht habe, wenn ich diesen Satz höre. Die Differenzierungsfalle hat mich erwischt. Konnte ich meine Position überhaupt vermitteln, wenn ich doch so schön differenziert habe, dass niemand sich auf den Schlips getreten fühlt? (…)

Die Differenzierungswächter hätten gerne, dass wir solange differenzieren, bis es nur noch unvergleichliche Einzelfälle gibt – keine Deutschen gibt, keine Türken, keinen Islam, keine Ehrenmorde und keine Zwangsehen. (Nur bei bedrängten Minderheiten wie den Kurden hört der Spaß auf, die traut sich kein politisch korrekter Deutscher wegzudifferenzieren.) Deutschland, gibt es dieses Land überhaupt? Deutschsein ist doch lediglich eine Konstruktion, glaubt der ausdifferenzierte, politisch korrekte Multikulti-Anhänger. Dass es so etwas wie eine deutsche Identität gibt, stellt eine Provokation für viele Linke und Liberale dar.

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Seyran Ates

(…)

Nach diesem Muster läuft die Debatte über die jüngsten Änderungen des Zuwanderungsgesetzes. Die Anforderung, Sprachkenntnisse schon im Herkunftsland zu erwerben, sei reine Türkenfeindlichkeit, hieß es von seiten der Migrantenverbände. Hunderte, wenn nicht gar Tausende anatolische Bäuerinnen, die Analphabetinnen sind – so die Klage -, dürfen nicht zu ihrem Ehemann nach Deutschland, wenn sie vor der Einreise keine ausreichenden Sprachkenntnisse nachweisen. Wie kann man nur von diesen armen Frauen verlangen, dass sie 300 – 400 deutsche Wörter lernen, sagen die Kritiker der Gesetzes. Diese Frauen sind doch eh schon Opfer des Kapitalismus, des Patriarchats, des Westens – und nun auch noch des deutschen Zuwanderungsgesetzes.

Warum sollen diese Frauen nicht einfach nachziehen dürfen? Liebende werden getrennt, das Zusammenkommen erschwert. Ich sehe regelmäßig in vor Romantik triefende Augen, wenn ich diese Erklärung höre. Die Forderung nach Sprachkenntnissen – da sind sich türkische Funktionäre und deutsche Gutmenschen einig – ist unmenschlich.
Haben sich diese armen Frauen denn etwa in einem romantischen Moment in einen in Deutschland lebenden Verwandten oder Bekannten der Familie verliebt?
Eine anatolische Frau vom Land ohne Sprachkenntnisse hat keine Möglichkeiten,sich auf dem Heiratsmarkt nach Gutdünken umzuschauen. Vieles spricht dafür, dass sie gegen ihren Willen ins reiche Deutschland verheiratet wird. Sie mag es zwar selbst durchaus auch als Befreiung empfinden, durch Heirat ihre Lebenssituation zu verändern. Doch damit sie in Deutschland dem Ehemann nicht schutzlos ausgesetzt ist, wäre es doch wohl von Vorteil, wenn sie einige wenige Worte Deutsch spricht, oder?

Wenn ich so argumentiere, schnappt die Differenzierungsfalle zu: Wie kann ich diese Frage überhaupt stellen? Das unterstellt doch, alle diese türkischen Frauen würden zwangsverheiratet werden. Das sei eine unzulässige Verallgemeinerung, eine Sünde wider das Differenzierungsgebot.

(…)

Wenn wir ein Einwanderungsland werden wollen, das seinen Namen verdient, brauchen wir eine Identifikation mit Deutschland. Damit können sich die Differenzierungsstreber nicht anfreunden. Den Einwanderern die Identifikation mit Deutschland nahezulegen, läuft politisch korrekten Menschen zuwider. Sie halten es für historisch überholt, daß der Mensch eine Identifikation mit dem Land brauche, in dem er lebt.

(…)

Es gibt nicht nur ein Identitätsproblem der Zuwanderer, sondern auch eines der Deutschen, die sich selbst und ihr Land nicht leiden können. Beide bedingen einander. Statt sich weg zu differenzieren müssen die Deutschen lernen, sich und ihre nationale Identität zu akzeptieren.

Es ist eine Ironie der Integrationsdebatte, dass diejenigen, die ihr Deutschsein verleugnen, uns Einwanderern immer wieder erklären, dass wir stolz darauf sein sollten Migranten – Türken, Kurden, Muslime zu sein. Sie kämpfen für den Erhalt unserer Identität und sind irritiert, wenn wir ihre Aufforderung nicht erfüllen. Wenn wir ihnen erklären, dass wir mehrere Identitäten haben, und zwar auch eine deutsche, sind sie ganz verzweifelt, weil sie nun gar nicht verstehen können, wie jemand freiwillig Deutscher sein kann. Ob diesen Menschen aufgefallen ist, dass Erdoğan ganz ähnlich wie sie argumentiert?

(…)

 

Ja, wir sind assimiliert

Zu meinem Text von letzter Woche und zur Zeit-Umfrage schreibt mir ein Leser :

„Es ist unsere ganz eigene Identität, die uns ausmacht. Eben diese, die durch keine andere ersetzbar ist. Vielleicht sind wir „überintegriert“, „deutlich deutsch“. Deutscher als ein Deutscher oder eine Deutsche. Wir tragen den Stolz in uns – fern von jeglicher Vergangenheit. Wir sind nicht belastet. Wir wissen, dass Deutschland in der Vergangenheit Belastungsgrundlagen geschaffen hat, sehen jedoch die Deutschen in der Gegenwart und erleben sie auf human und sozial sehr hohem Niveau. Alle, so wie sie sind. Mit ihren Unterschieden, ihren Dialekten und ihrem Ehrgeiz. Nehmen wir mal die Bayern, sie sind authentisch, sie sind die deutlichsten Deutschen könnte man meinen. Aber ehrlich und direkt muss man auch dazu sagen. Deshalb ist Roland Koch eigentlich ein Bayer, er weiß es nur nicht. Die „Hardliner, die Dinge ansprechen, welche in den Köpfen des Volkes für Unruhe sorgen, brauchen wir genauso, wie die Köpfe, die Deutschland vor allem in der Sozialdemokratie und bei den Grünen präsentiert. Die aktuelle sozialdemokratische Perspektive ist natürlich eine Ausnahme.
Deutschland ist eine perfekte Integrationsbasis. Sie bietet diese Plattform jedem, der Interesse zeigt. Wer das nicht versteht, hat ein Defizit im Erkennen von Möglichkeiten. Und es ist eindeutig: Die Sprache öffnet alle Türen. Sie ist der Schlüssel zum Erfolg. Das kann man wohl weltweit übertragen. Wenn man die Haupttür geöffnet hat, stehen weitere Türen offen. Niemals habe ich in den 40 Jahren Deutschland eine große Benachteiligung erfahren. Die kleinen Dinge, die Schikanen in der beruflichen Ausbildung oder die in der Kindheit erlebten Probleme sind nicht der Rede wert.

Ja, wir sind assimiliert. Wir sind deutsch. Wir können nicht anders. Schon gar nicht in der Türkei. Wir müssten dort Integrationsseminare wahrnehmen, um unser Leben als Türken führen zu können. Nur würde uns das nicht unbedingt zufrieden stellen, denn unsere demokratische Sozialisation hat uns geprägt, und wird uns weiterhin im Denken und Empfinden leiten. Nicht zu unterschätzen sind die sozialen Kontakte. Die Freunde und die Familie. Denkstrukturen, die unisono sind, die die gleiche nonverbale Sprache sprechen. Eigentlich ist alles super. Hoffentlich bleibt es auch so!

 

„Unterstützt Erdogan“

„Hi, ich bin ein in Berlin lebender Moslem und Türke, der in Deutschland aufwuchs. Auch wenn ich jüdisch oder ein Christ wäre, würde ich Erdogan absolut unterstützen.
Seitdem er das erste Mal gewählt wurde, hat er meinen Glauben an Politik allgemein und in meinem Geburtsland gestärkt.
Man hat versucht ihm alles anzulasten, ihn zu verwirren, und trotzdem hat er seine Linie verfolgt. Er will nur das beste für die Türkei, hat die Wirstschaft beflügelt, von Parasiten gesäubert, Toleranz gepredigt (Religionen und Gesellschaftsgruppen ). Packt an und quatscht nicht. Man (die Armee) sollte ihn lassen und nicht ständig unter Drohung halten. Er ist ein gläubiger Mensch, und auch wenn er die Thora oder Bibel lesen würde, auch ok. Er klebt nicht am Weltlichen, und dadurch fällt es mir einfacher, ihm zu glauben, dass er ein guter Mensch ist. Er steht zu seiner Frau, die ein Kopftuch trägt, mit all den Schwierigkeiten, die es mit sich brachte auf seinem Weg, das zeugt von Stärke und Glaubwürdigkeit. REAL SEIN. Mit der wahren Identität sich dem Westen präsentieren, wodurch er mehr Anerkennung erntet als so manscher Heuchleur der türkischen Politik. … Support Erdogan, he is a good guy…“

 

„Volker“ schreibt:
„Sehr geehrter Herr Lau, dies sehe ich nicht so. Es ist die falsche Entscheidung!

Wenn, wie immer wieder gesagt, die türkische Community ein Teil unserer Gesellschaft ist, dann hat sie dies auch zu sein. Und keine besondere Gruppe, die mehr oder weniger Aufmerksamkeit erfährt, mehr oder weniger Sonderrechte hat.

Die Absage der Folge des Tatort führt letzlich zu einer weiteren Stigmatisierung, die das Besondere hervorhebt. Indirekt wird damit dem nazistischem Gedankengut Vorschub geleistet, da durch die Absage der Folge eine Differenz betont wird. Eine Differenz, die besagt, dass hier Menschen sind, die auf Grund ihrer Herkunft, ihres Habitus, ihrer Gewohnheiten signifikant zu unterscheiden sind, die nicht zu der sog. Mehrheitsgesellschaft gehören, sondern separat und speziell zu behandeln sind.
Entweder leben wir hier in einer Gemeinschaft, oder wir betonen das Trennende, wie durch die Absage deutlich wird: Andere, nicht zu uns Gehörende sind zu Tode gekommen. Wie vom Nationalsozialismus formuliert. Die Absage macht sich damit zum Erfüllungsgehilfen einer zu bekämfenden Ideologie.“