Jerusalem/Tel Aviv Israel beobachtet die Ereignisse in Ägypten mit wachsender Panik. Angela Merkel hat das zwar vor ihrem Besuch am Beginn dieser Woche geahnt. Sie ist gekommen, um Israel ihrer Freundschaft zu versichern – und zugleich der Neigung entgegenzusteuern, sich angesichts des historischen Umbruchs in der Region verängstigt einzuigeln. Doch wie tief die Verstörung der Israelis geht, merkt sie am Ende ihrer Reise, als ein israelischer Fernsehjournalist sie fragt, wann denn der Westen auch Israel werde fallen lassen – nachdem er nun bereits seinen wichtigsten Verbündeten Mubarak abgeschrieben hat.
Während in den westlichen Medien die meisten Analogien zu 1989 gezogen werden, fürchtet man in Israel ein zweites ’79. Damals wurde der Schah gestürzt und im Rahmen eines breiten Volksaufstandes ins Ausland gezwungen. Und dann kaperten bekanntlich die Islamisten die Revolution, nachdem sie zunächst eine breite Koalition von Kräften geduldet hatten. Der Schah war ein Verbündeter und Klient des Westens gewesen (und ein Freund Israels). Das Ägypten Sadats und Mubaraks trat nahtlos an seine Stelle und wurde noch viel wichtiger als der Iran: als Garant der Südgrenze Israels, als kalter Friedenspartner Israels, der de facto die Möglichkeit eines weiteren arabisch-israelischen Kriegs verhinderte. Seit dem Friedensschluss zwischen Sadat und Begin gab es nur noch asymmetrische Konflikte, in denen Israel überlegen war: Intifada und Terror. Ägypten half bei der Eindämmung der Hamas in Gaza. Und jetzt? Steht das alles zur Disposition, wenn ein Regime etabliert wird, das mehr Rücksicht auf die israelkritische Meinung der Bevölkerung nehmen wird?
So sehen es viele in Israel. Die Tatsache, dass die Massen in Ägypten bisher noch nicht viel Energie auf den Nahostkonflikt verschwendet haben, beruhigt hier einstweilen wenige. Man lebt in dem Gefühl, dass es früher oder später gegen den jüdischen Staat gehen wird. Die Türkei ist schon verloren, Ägypten womöglich auch, Libanon in den Händen der Hisbollah, und in Jordanien hat der König soeben unter den Eindruck der Ereignisse in Tunesien und Ägypten die Regierung gefeuert.
Benjamin Netanjahu ist nicht berühmt dafür, in Pressekonferenzen Sentimentalitäten auszubreiten. Aber an diesem Montag ist die Rede von einem Freund in Not, den die ganze Welt offenbar aufgegeben hat: Ägyptens Präsident Mubarak. Das Land, das Krieg gegen uns geführt hat, hat vor 32 Jahren Frieden mit uns geschlossen, sagt der Premierminister. Ein israelischer Journalist fragt im Pressezelt vor dem Amt des israelischen Regierungschefs: „Warum hat der Westen Mubarak fallen lassen?“ Angela Merkel bestreitet dies, lobt gar Mubaraks „konstruktive Rolle“ im Nahostkonflikt und wirbt dann um Verständnis für die Unzufriedenen auf den ägyptischen Straßen und ihre „legitimen Beschwernisse“: „Das wird man nicht länger unterdrücken können.“
Sie redet ein wenig wie eine Therapeutin, die Israel helfen möchte, sich an die neue Realität im Nahen Osten heranzutasten. Eben der Wandel aber ist es, der Israel unterschwellig in Panik versetzt. Man kann die Frage so zuspitzen: Kann Demokratie in der islamischen Welt gut für Israel sein? Müssen Führer, die mehr auf Stimmungen der Bevölkerungen Rücksicht nehmen, sich nicht gegen Israel positionieren? Der Syrer Assad wird am Dienstag in Haaretz bereits mit den Worten zitiert, sein Regime sei „stark wegen meiner Anti-Israel-Position.“
Die deutschen Minister, die an diesem Montag mit ihrer Entourage das Hotel Kind David in Jerusalem belegt haben, waren eigentlich gekommen, um ein Stück deutsch-isarelische Normalität zu üben: Regierungskonsultationen. Merkel, Westerwelle, Brüderle, Niebel, Schavan, de Maiziere, Schröder, Röttgen und Ramsauer sind hier hergereist um einmal nicht über den ewige Nahostkonflikt und das Gedenken an den Holocaust zu sprechen – Forschungszusammenarbeit, Jugendaustausch, gemeinsame Entwicklungsprojekte in Afrika. Und welches schönere Zeichen der Normalisierung gibt es als eine „Vereinbarung zur Deutsch-Israelischen Dialogplattform Elektromobilität“?
Die israelische Öffentlichkeit wird davon allerdings diesmal nichts erfahren. Von Merkels Begegnung mit Netanjahu bleibt in den hiesigen Medien nur dessen Warnung übrig, dass in Ägypten Islamisten die Macht übernehmen könnten, wie man es bereits im Iran einmal erlebt habe.
Auch die deutschen Minister und Diplomaten werden in allen Gesprächen mit den Sorgen der Israelis über die Lage in Ägypten konfrontiert. Was wird aus dem Friedensvertrag? Wer sichert die Grenze nach Gaza und unterbindet den Schmuggel? Wenn die Jordanier und die Saudis sehen, dass der Westen nichts für seinen wichtigsten Verbündeten in der Region tun kann oder will – werden nicht auch sie sich abwenden?
Merkel befürchtet, dass die Israelis in eine Art Angststarre verfallen und den Friedensprozeß mit den Palästinensern nun endgültig abschreiben. Ohne den Garanten Ägypten im Hintergrund, der sowohl mit Abbas als auch mit der Hamas in Gaza reden konnte, gebe es ohnehin keine Chance auf eine Einigung, sagen die Skeptiker in Israel.
Merkel will das nicht gelten lassen und dringt jetzt erst recht auf Fortschritte. Mag ja sein, dass mit den Autokraten auch die berechenbaren Partner für die Israelis wackeln. Die schlichte Wahrheit ist, daran läßt Merkel keinen Zweifel, dass weder die USA, noch Deutschland, noch Israel darauf einen nennenswerten Einfluss haben. Wir haben keine Kontrolle über die Lage, sagt Angela Merkel. Und weil sie selbst schon einmal einen Volksaufstand von innen erlebt hat, weiß sie, wovon sie redet. Gerade darum glaubt sie, müsste man nun alle Energie darein setzen, die Lage für Israel zu entgiften.
Und darum drängt sie Netanjahu, Abbas ein neues Angebot zu machen, um den Friedensprozess aus dem Koma zu holen. Am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz trifft sich am kommenden Wochenende das Nahostquartett. Merkel glaubt, es wäre fatal, wenn in einer Zeit rapiden Wandels ein Signal des Status Quo davon ausginge. So deutlich wie noch nie zuvor, das ist aus Delegationskreisen zu hören, drängt sie Netanjahu darum, den Siedlungsbau zu stoppen. Bei jeder Gelegenheit erwähnt sie öffentlich den Siedlungsbau als Hindernis für einen Friedensschluss.
Als Merkel und Netanjahu nach den Gesprächen am Montag vor die Presse treten, versuchen sie nicht einmal, ihren Dissens zu verbergen. Es geht nicht um die Siedlungen, sagt Netanjahu. Es geht um die Anerkennung Israels als jüdischer Staat. Dazu könnten die Palästinenser sich nicht durchringen, und darum schöben sie die Siedlungen nur vor, die dem Frieden nicht im Wege stehen.
Israel, ergänzt er, sei jetzt die einzige Insel der Stabilität in der Region. Das soll werbend klingen, aber es ist ein hilfloses Klammern an eine Ordnung, die gerade vor aller Augen zusammenbricht. Merkels freundlich-besorgtes Werben, den Wandel als Chance zu nutzen, ist einstweilen abgewehrt.
Aber nicht alle in Israel denken so. Beim greisen Präsidenten Schimon Peres findet Merkel ein offenes Ohr für ihr Plädoyer gegen den Stillstand:“Wir sehen in Ihnen eine echte Freundin“, sagt der Präsident demonstrativ. Sie sehen die Dinge, wie sie wirklich sind. Sie ergeben sich nicht dem, was ist, sondern orientieren sich an dem, was sein soll.“ Peres scheint Merkels Sicht zu teilen, dass Stagnation für Israel schädlich ist. „Was heute im Nahen Osten passiert, erfordert eine Veränderung“, sagt er, und dankt Merkel für die deutsche Unterstützung der Palästinenser: „Israel ist eine Insel, aber so kann es nicht bleiben. Denn die Insel muss auf den Ozean achtgeben, nicht der Ozean auf die Insel.“
Im führenden außenpolitischen Thinktank Israels, dem Tel Aviver INSS schließt Merkel ihren Besuch ab. In einer Rede vor Politikern und Militärs sagt sie fast flehentlich, ein Stop für den Siedlungsbau möge zwar heute ein schwieriges Thema sein: „Aber wie wird man in 10 oder zwanzig Jahren darüber denken? Wer glaubt, er könne heute warten, der irrt. Die Dinge liegen auf dem Tisch. Und so wie die Lage sich entwickelt, werden sie nicht leichter werden.“