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Der Islam-Faschismus marschiert – die Polizei schaut zu

Bilder von der Berliner Anti-Israel Demonstration am Wochenende: Teilnehmer schreien „Tod, Tod, Israel“ – vollkommen unbehelligt, ja offenbar geschützt von den deutschen Ordnungskräften. Eine Teilnehmerin ruft laut und deutlich „Juden raus aus Palästina“ in die Kamera. Eine starke Gruppe der Kalifatspartei Hizb-ut-Tahrir marschiert als Block und schreit, in gutem Deutsch: „Eine Umma, ein Staat. Die Lösung ist das Kalifat.“ Dann bedankt sich der Generalsekretär von Milli Görüs, Oguz Ücüncü, bei den Anwesenden. Krönender Abschluß: Ein Statement der Marxistisch Leninistischen Partei Deutschlands gegen Israel. Nach Beobachtungen von Augenzeugen waren auch bekannte Neonazis mit in der Demo, die etwa 7.000 Teilnehmer hatte. Ein Plakat trug die Aufschrift: „Der Holocaust ist kein deutsches Monopol. Bürger Deutschlands, befreit euch vom Schuldkomplex der Geschichte.“

 

Massenmorde an Arabern und Muslimen

Aus gegebenem Anlass: Da wir dieser Tage viel über die zivilen Opfer der israelischen Angriffe hören, sind folgende Zahlen vielleich interessant. Das folgende habe ich vor zwei Jahren bereits hier gepostet, noch unter dem Eindruck des Libanonkrieges.

Der israelische Journalist Ben Dror Yemini hat dieser Tage in der Zeitung Ma’ariv eine Serie veröffentlicht, die weit über Israel hinaus Aufsehen erregen sollte. Der Titel der drei Aufsätze lautet “Und die Welt schweigt” – über das Leiden der Muslime und Araber. Wenn in unseren Debatten über Terrorismus und Islamismus davon die Rede ist, man müsse endlich “die Ursachen” der islamischen Wut gegen den Westen bekämpfen, dann wird dabei meist an die Situation der Palästinenser unter der Besatzung gedacht.

Ben Dror Yeminis Forschungen erlauben es, das Leiden der Palästinenser in den Zusammenhang der muslimisch-arabischen Leidensgeschichte der letzten Jahrzehnte zu stellen. Der hoch respektierte Journalist hat etwas sehr naheliegendes getan: Er hat – so weit es die Zahlen von amnesty, der VN und anderer vetrauensvoller Quellen zulassen – einfach mal zusammengerechnet, in welchen Konflikten die meisten Araber getötet wurden. Seine Zahlen – er hat sich an die jeweils konservativste Schätzung gehalten, sind erschütternd:

  1. Algerien – ca. 600.000 Getötete, vor allem durch die französische Armee zwischen 1954-1962
  2. Sudan – zwischen 2.6 und 3 Millionen Tote in mehreren Bürgerkriegen und Völkermorden, die seit Mitte der fünfziger Jahre von arabischen Muslimen an schwarzafrikanischen Bewohnern des Südens begangen wurden, auch unter ihnen viele Muslime
  3. Afghanistan – 2 bis 2.5 Millionen Tote, davon mehr als die Hälfte durch die sowjetische Invasion, der Rest durch den anschließenden Bürgerkrieg
  4. Somalia – 400.000 bis 550.000 Tote in dem seit 1977 andauernden Bürgerkrieg
  5. Bangladesh – 1.4 bis 2 Millionen, nachdem das Land 1971 die Unabhängigkeit von Pakistan suchte. Nach einem Regierungsbericht Bangladeshs werden 1.247 Millionen Tote den systematischen Massakern der pakistanischen Armee zugeschrieben
  6. Indonesien – 400.000 Tote durch Massaker der Suharto-Armee in den Jahren 1965-1966
  7. Irak – 450.000 – 670.000 Tote im Krieg mit dem Iran zwischen 1980-88. (Auf Seiten des Iran starben 450.000 bis 670.000 Menschen.) Bis zu einer halben Million Toten durch “Säuberungen” aller Art unter Saddam Hussein. Bis zu 200.000 Schiiten wurden 1991-92 während des Aufstands durch die irakische Regierung getötet. Zwischen 200.000 und 300.000 Kurden wurden vom Bath-Regime ermordet. Eine halbe Million Iraker ging an den Folgen der UN-Sanktionen zugrunde. Täglich sterben sunnitische und schiitische Muslime im Bürgerkrieg nach der Besatzung des Irak. Etwa 100.000 Opfer soll die Besatzung nach manchen Schätzungen gekostet haben.
  8. Libanon – 130.000 Menschen, vor allem durch Landsleute anderer Religion und Ethnie getötet zwischen 1975 und 1990. 18.000 Opfer des libanesischen Bürgerkriegs gehen auf israelische Einmischung zurück.
  9. Jemen – 150.000 Tote im Bürgerkrieg zwischen 1962 und 1970
  10. Tschetschenien – 80.000 bis 300.000 Opfer zwischen 1994 und 2001
  11. Jordanien – 10.000 bis 25.000 Ermordete in den Massakern des “Schwarzen September” (palästinensische Schätzung), bei denen die jordanische Armee palästinensische Flüchtlinge tötete
  12. Kosovo – ca. 10.000 tote Muslime zwischen 1998 und 2000
  13. Syrien – ca. 20.000 Tote bei dem Massaker von Hama (1982), dem Gipfelpunkt der systematischen Verfolgung der Muslimbruderschaft durch Hafis El Assad
  14. Iran – zehntausende Tote nach der Revolution von 1978. Bis zu einer Million Toten im Krieg mit dem Irak
  15. Palästina – ca. 60.000 Tote im arabisch-israelischen Konflikt, die Mehrzahl davon nicht palästinensisch, sondern aus den umliegenden arabischen Staaten. 1378 Palästinenser wurden während der ersten Intifada getötet, 3700 seit Beginn der zweiten

Ben Dror Yemini schreibt, nachdem er diese furchtbaren Zahlen ausgebreitet hat, mit einiger Plausibilität, daß die Muslime und die Araber selber am meisten unter der Fixierung der Weltöffentlichkeit auf den Palästina-Konflikt leiden. Die wahren Ursachen ihres Leidens werden nicht thematisiert.

 

There are those that claim that Arab and Muslim states are immune from criticism, because they are not democratic, but Israel is more worthy of criticism because it has democratic pretences. Claims like this are Orientalism at its worst. The covert assumption is that the Arabs and the Muslims are the retarded child of the world. They are allowed. It is not only Orientalism. It is racism.

The Arabs and the Muslims are not children and they are not retarded. Many Arabs and Muslims know this and write about it. They know that only an end to the self-deception and a taking of responsibility will lead to change. They know that as long as the west treats them as unequal and irresponsible it is lending a hand not only to a racist attitude, but also, and mainly, to a continuation of their mass murder.

The genocide that Israel is not committing, that is completely libelous, hides the real genocide, the silenced genocide that Arabs and Muslims are committing mainly against themselves. The libel has to stop so as to look at reality. It is in the interest of the Arabs and the Muslims. Israel pays in image. They pay in blood. If there is any morality left in the world, this should be in the interest of whoever has a remaining drop of it in him. And should it happen, it will be small news for Israel, and great news, far greater news, for Arabs and Muslims.

 

„Krieg gegen Gaza“ – der Konflikt in Al Jazeera

Ich sehe seit zwei Wochen häufig am Tag Al Jazeera English, um den Gaza-Konflikt nicht nur durch die westliche Brille zu betrachten.

Ich kann diese Erfahrung nur empfehlen. Al Jazeera ist etwas Neues im Meinungskampf um den Nahostkonflikt.

Der Konflikt wird dort als „Krieg gegen Gaza“ gedeutet, so die immer wiederkehrende Formel. (Nicht „Krieg gegen Hamas“, wohl gemerkt.)

Immer wieder sieht man die zivilen Opfer der palästinensischen Seite. Der Sender kann als einziger weltweit beanspruchen, mit einem Korrespondenten in Gaza präsent zu sein. Die Berichterstattung ist oft parteiisch, aber nicht unfair. Der israelische Regierungssprecher kam gestern zu Wort und mußte sich Fragen über die angeblichen Phosphorbomben anhören. Er sah nicht gut aus dabei. Er war es nicht gewöhnt, sich solchen Fragen zu stellen.

Der Mix aus westlichen Gesichtern und einer bunteren Truppe von qualifizierten Journalisten arabischer, asiatischer und afrikanischer Herkunft ist etwas Neues – selbst im Vergleich zu BBC World.

Man kann diesen Sender nicht als übliche arabische Staatspropaganda abtun. Im Gegenteil: Hier öffnet sich der Raum zu einer Debatte, die den Machthabern gefährlich werden kann. Hier werden israelische Generäle gehört, und dann kommen Hamas-Leute zu Wort. 

Ich finde Al Jazeera zu einseitig, was das Deutungsmuster „Krieg gegen Gaza“ angeht. Und der Sender hat einen blinden Fleck, was die Herrschaft der Hamas in Gaza betrifft. 

Aber: Hier ist eine insgesamt glaubwürdige und relevante publizistische Gegenmacht entstanden, die die westlichen Medien mit ihren eigenen Mitteln bei einer wachsenden Gruppe von Zuschauern in die Defensive bringt.

in Zukunft wird man im Hintergrund immer auch Al Jazeera English laufen lassen, wenn es in Nahost kracht.

(Al Jazeera English hier live gucken.)

 

Gegen Hamas hilft nur Gewalt

Dies wird heute in der taz vertreten von Micha Brumlik. 

Er fragt, ob die Hamas auch den Weg der Fatah von der Terrorgruppe zur akzeptierten politischen Kraft werde gehen können – und kommt zu einem negativen Befund:

Sogar wenn man davon absieht, dass die Hamas eine antisemitische Partei ist und man diese Passagen aus ihrer Charta wider besseres Wissen als missglückten Ausdruck von Antizionismus konzediert, wird klar: Mit dieser Partei ist kein Kompromiss im Sinne der politischen Moderne möglich. Vergleicht man etwa die Charta der Hamas mit dem längst ad acta gelegten antizionistischen Programm der Fatah, einen demokratischen Staat in Palästina bei Gleichberechtigung aller muslimischer, christlicher und jüdischer Bürger anzustreben, wird das sofort deutlich. Das inzwischen obsolete Programm der Fatah proklamierte wenigstens – glaubwürdig oder nicht – die Idee einer demokratischen Nation. Anders die Charta der Hamas: Sie kennt kein demokratisches, souveränes Staatsvolk, sondern nur Gott unterworfene Muslime hier und widerwillig geduldete Dhimmis dort. Scharia und moderner Nationalstaat aber sind, auch in seiner verspäteten Schwundform, unvereinbar. Ideen jedoch, die einander unauflösbar widersprechen, können auch in der Wirklichkeit nicht koexistieren. Hier weist keine dialektische Synthese einen Weg. Die respektablen Träume der pragmatischen Vernunft zerschellen deshalb. Denn man hat es hier mit einem der glücklicherweise eher seltenen Fälle eines genuinen Feind/Feind-Verhältnisses zu tun, das in der Sache nur durch Gewalt zu entscheiden ist.“

Brumlik ist der Meinung, daß „die demokratisch legitimierte Hamas ob der inneren Widersprüchlichkeit ihres Prinzips, fürsorglicher Gottesstaat und Terrorzelle in einem zu sein, von der weltgeschichtlichen Bühne“ verschwinden wird.

Ich bin da nicht so sicher. Die Islamische Republik Iran lebt mit diesen Widersprüchen auch schon recht lange.

Es bleibt aber in jedem Fall das Problem bestehen, dass am Ende die Hamas wahrscheinlich nicht vollkommen eliminiert werden kann. Etwas von ihr wird überleben, und man wird mit diesem Rest irgendeinen modus vivendi finden müssen. Der Anspruch der Palästinenser auf einen Staat ist nicht aus der Welt zu schaffen. Die Blockade Gazas und die Besetzung der Westbank müssen enden. Das ist schwerer ins Werk zu setzen, als einen Krieg zu führen.

 

Obama will mit Hamas sprechen…

…lassen, weiß der Guardian aus gut unterrichteten Kreisen.

Es gehe nicht um direkte Verhandlungen, sondern um nichtöffentliche Kontakte, zunächst auf Geheimdienstebene, ganz so, wie es in den Siebzigern auch mit der Fatah gemacht wurde.

Ist diese Haltung überraschend, nachdem Obama zu den israelischen Angriffen auf Hamas sehr beredt geschwiegen hatte? Vielleicht schon, aber ich sehe keinen Widerspruch darin. Eine Hamas, mit der man eventuell reden kann, wird es erst nach einem abgeschlossenen israelischen Krieg geben. 

Die militärische Dezimierung und Unschädlichmachung  der Gruppe ist eine Voraussetzung dafür, dass mit dem verbleibenden politischen Kern geredet werden kann – aus einer Position der Stärke.

Man sollte den Krieg in Gaza darum auch nicht als Indiz lesen, dass Israel einem zunächst klandestinen politischen Prozess mit Hamas ganz und gar ablehnend gegenüber steht. 

Fest steht jedenfalls, dass die amerikanische (und europäische) Politik des Nichtredens mit Hamas nichts gebracht hat. Es gibt zweierlei Alternativen zu ihr: Krieg oder Verhandlungen. Oder vielleicht: Erst Krieg, dann Verhandlungen.

Das heißt aber auch: Wird der israelische Krieg ein Desaster und Hamas überlebt in ihrer alten Form, dann wird auch nichts aus Verhandlungen.

 

Die Deutschen und Gaza

Ein Leser schreibt als Antwort auf unseren Gaza-Schwerpunkt in der ZEIT dieser Woche:

Ich würde mich freuen, wenn Ihre Zeitschrift einmal knapp und unmißverständlich zum Ausdruck brächte:
Kann eine Bevölkerung ein in ihrem Namen handelndes kriegslüsternes Regime nicht wegjagen, sondern läßt zu, daß es seine Nachbarn mit Ausrottung bedroht, wird sie zu Recht bekämpft. Die geringe Anzahl toter Frauen und Kinder der Palästinenser sind zwar zu bedauern, aber unvermeidlich. Das sollten wir Deutsche eigentlich noch in der Erinnerung haben: Wir haben das Nazi-Regime nicht beseitigen können und daher Tausende von Toten durch Luftangriffe hinnehmen müssen.
Hochachtungsvoll 

Ich habe mit der historischen Parallele ein Problem: Die Palästinenser in Gaza sind erstens nicht mit den Deutschen zu vergleichen, die ganz Europa mit Krieg überzogen hatten und dafür auf die stärkste Armee ihrer Zeit zurückgreifen konnten. Und zweitens ist der Luftkrieg gegen Deutschland auch nicht in toto zu rechtfertigen. Oder soll etwa der Untergang Hamburgs im großen Feuersturm eine Rechtfertigung für das israelische Vorgehen in Gaza sein? Die Israelis werden sich bedanken für solche Vergleiche! Wir sollten nicht diesen aktuellen Konflikt im Spiegelkabinett historischer Verweise zu verstehen versuchen.

Was nichts daran ändert, dass die Hamas gegenüber Israel völkerrechtswidrige, antisemitische und genozidale Positionen vertritt und dafür bekämpft werden muss.

 

Israelischer Miltärexperte: Alles läuft nach Plan

Martin van Creveld, der berühmte israelische Militärhistoriker, ist mit der Gaza-Offensive zufrieden und glaubt, dass Israel seine Ziele erreichen könne. Die Fehler des Libanon-Kriegs von 2006 würden diesmal vermieden.

Was aber nun, da man mit Bodentruppen in Gaza steht?

„In the face of such resistance, the last thing the Israelis want to do is to barge down the alleys of Gaza, Rafa, and Khan Yunnis. Instead, it is a question of provoking the enemy to fire – coming just close enough to flush him out of his hiding places and bring him to battle. To accomplish this they must advance carefully and systematically, using every means; electronic intelligence, signals intelligence, whole arrays of unmanned airborne vehicles, sophisticated night vision equipment and possibly also Palestinian collaborators (human intelligence). Once the enemy has been identified they rely on their air force and infinitely superior artillery to blast away the Hamas fighters. To the Palestinians unlucky enough to get involved in the fighting the process is likely to be very costly – mais c’est la guerre.

For all the Israeli shortcomings that the 2006 war in Lebanon revealed, after five weeks of incessant pounding Hezbollah’s will was broken and it agreed to a ceasefire. This time around Prime Minister, Ehud Olmert, and Minister of Defence, Ehud Barak, have made it clear that they mean business; perhaps this explains why, so far, Hezbollah leader, Hassan Nasrallah has done nothing more than hold speeches.

Considering how much better prepared and organised the Israelis are this time around, there is good reason to hope that the result of the present campaign will be similar, namely an end to the rockets and the insertion of some kind of international force that will limit, if not prevent, Hamas‘ ability to rearm. Judging by the intensive and very successful reconstruction activity that has taken place in southern Lebanon, such an outcome can only benefit both sides.“

Quelle

 

Joschka Fischer: „Das ist der zweite israelisch-iranische Krieg“

Mein Kollege Patrik Schwarz und ich haben für die aktuelle Ausgabe der ZEIT mit dem früheren Aussenminister Joschka Fischer über den Konflikt in Gaza gesprochen. Mehr lesen Sie morgen in der Wochenzeitung Ihres Vertrauens:

DIE ZEIT: Herr Fischer, der bewaffnete Konflikt in Gaza hatte kaum begonnen, da hat die Bundeskanzlerin sich bereits die israelische Sicht zu eigen gemacht, wonach die Schuld ausschließlich auf der Seite von Hamas liege. Ist das die richtige Position für Deutschland?

Joschka Fischer: Bei allem Respekt: Auf die Bundeskanzlerin kommt es in diesem Konflikt nicht allzu sehr an. Tatsache ist, dass die Hamas einer für die Menschen in Gaza fatalen Fehlkalkulation erlegen ist: Sie meinte, sie könne in Gaza mittels der Raketenangriffe auf Israel ein zweites Südlibanon inszenieren. Hamas hat nicht mit dem Lernprozess der Israelis gerechnet und die Kräfteverhältnisse falsch eingeschätzt. Gaza ist nun mal nicht der Südlibanon. 

ZEIT: Ist es nicht trotzdem problematisch, wenn Deutschland sich so früh so einseitig auf eine Seite des Konfliktes schlägt? 

FISCHER: Frau Merkel hat darauf hingewiesen, dass man angesichts der humanitären Tragödie in Gaza nicht deren Ursache vergessen soll. Hamas hat den Waffenstillstand für beendet erklärt und den Beschuss Südisraels mit Raketen wieder aufgenommen. Das sind Tatsachen, über die ein internationaler Konsens besteht. Selbst in den arabischen Staaten spricht man von einer Teilschuld der Hamas, und das ist schon sehr außergewöhnlich.

ZEIT: Auch wenn man die Schuldfrage so beantwortet, stellt sich die Frage nach der Klugheit und Verhältnismäßigkeit der israelischen Reaktion. Muss die Regierung dazu nicht etwas sagen?

Fischer: Es ist natürlich äußerst wichtig, im Falle eines Krieges auf die Schonung der Zivilbevölkerung zu dringen. Deren Lage ist in Gaza katastrophal! Aber es fällt schon auf, dass diese Frage all die Monate nicht auftauchte, als der Süden Israels mit Raketen beschossen wurde. Für jeden, der diese Situation beobachtete, war klar, dass Israel sehr bald würde reagieren müssen.

ZEIT: Beschränkt das Bekenntnis zu einer Konfliktpartei nicht auch die deutschen Möglichkeiten, diplomatisch von Nutzen zu sein? 

Fischer: Da muss ich die Bundesregierung in Schutz nehmen: Wir sind parteiübergreifend solidarisch mit Israel, und das ist Teil unserer Staatsräson seit Gründung der Bundesrepublik. Unsere klare Haltung zu Israel – bedingt durch unsere Geschichte – ist die Bedingung dafür, dass die Türen sowohl in Jerusalem wie auch in Ramallah für uns offen stehen. 

ZEIT: Was antworten Sie denen, die beklagen, dass es auf der einen Seite durch Raketenbeschuss in sieben Jahren 32 Tote gibt, auf der anderen über 500 binnen weniger Tage?

Fischer: Aber was heißt das denn? 32 Tote sind vertretbar – und 500 nicht mehr? Dann wären wir bei einer modernen Form von Auge um Auge, Zahn um Zahn. Nein – die Opferzahlen sind schlimm, aber sie zeigen auch die katastrophale Fehlkalkulation der Hamas. Denn darin drückt sich auch das militärische Kräfteverhältnis aus.

ZEIT: Eine Mehrheit der Öffentlichkeit hierzulande fühlt sich eher aufseiten der palästinensischen Opfer. Wie soll die Regierung damit umgehen?

Fischer: Das ist eine Führungsaufgabe, da müssen Sie die Bundeskanzlerin fragen. Ich weiß, dass »Solidarität mit Israel« eine schwierige Position ist. Aber in einer offenen Gesellschaft muss man seine Positionen eben auch so erklären, dass aus Minderheiten Mehrheiten werden. Die Israelis als die Täter, die Palästinenser als die Opfer – das ist eine falsche Wahrnehmung der Nahostkonflikts. Es wäre eine Falle für die deutsche Politik, dieser verzerrten Wahrnehmung zu folgen und quasi als Palästina-Solidaritätskomitee zu agieren. Und ich rate der Bundesregierung, dem zu widersprechen und zu widerstehen. Dem Volk aufs Maul schauen – ja. Aber eine Regierung wird nicht ins Amt gewählt, um dem Volk nach dem Maul zu reden. Das ist das Gegenteil von Staatskunst. 

ZEIT: Aber führt uns nicht die aktuelle Situation an ein Grunddilemma deutscher Israelpolitik: Im Kopf wissen wir um die Wichtigkeit der Solidarität mit Israel, aber mit jedem Tag der blutigen Konfrontation wird es schwerer, die Zahl der Toten für gerechtfertigt zu halten?

Fischer: Ich bestreite ja nicht, dass die steigende Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung uns nicht tatenlos zuschauen lassen kann. Ein dauerhaftes Schweigen der Waffen muss erreicht werden. Und ohne Zweifel ist an Israel als Demokratie und als Rechtsstaat ein hoher Maßstab anzulegen. Gerade wenn wir unsere Solidarität mit Israel ernst nehmen, müssen wir uns auch für die legitimen Interessen des palästinensischen Volkes einsetzen. Aber wir müssen auch das Dilemma zur Kenntnis nehmen, in dem sich die israelische Führung befindet. Schon vor mehr als drei Jahren hat sich die israelische Armee aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen. Das war eine Chance auf palästinensische Selbstbestimmung. Faktisch aber wurde der Gazastreifen zum Aufmarschgebiet der Radikalen. Es ist wohlfeil, jetzt Israel zur Zurückhaltung aufzufordern. 

ZEIT: Ist das überhaupt noch der gleiche Konflikt, in dem Sie seinerzeit vermittelt haben? 

Fischer: Nein. Das Zentrum des Konflikts ist nach Osten gewandert. Es geht hier auch um den Drang des Irans – als Sponsor von Hamas und Hisbollah – nach einer regionalen Vormachtstellung. Dank der genialen Strategie der Regierung Bush wurde Iran in diese Position gehievt. Die Destabilisierung des Iraks und die Überantwortung weiter Teile des Landes in die Einflusszone des Irans haben diesen Spieler stark gemacht. Der Gazakrieg ist insofern auch ein Stellvertreterkrieg. Man kann es so sagen: Der erste iranisch-israelische Krieg war der Libanonkrieg, der zweite tobt jetzt in Gaza. 

ZEIT: Was wird am Ende dieses Krieges stehen?

Fischer: Der Kern bleibt für mich: Wenn eine noch so erfolgreiche Militäroperation – was immer das hier am Ende heißen mag – nicht politisch unterfüttert wird mit einem Fortschritt bei der Zweistaatenlösung, dann wird das Ganze sich wieder festfahren.

 

Arabischer Antisemitismus nach Gaza

Wir können uns auf eine neue Runde einstellen. Ausgerechnet in Al-Hayat, der als vergleichsweise liberal geltenden panarabischen Tageszeitung, sind heute diese Worte zu lesen:

„Israel is a Nazi state that has no right to exist.“

Und der Chefredakteur Ghassan Gharbel ergeht sich in folgender Phantasie:

„The beast is insatiable. Corpses intensify its hunger. The beast is unquenchable (sic). The running blood intensifies its thirst. The beast is unsatisfiable. The small corpses supporting the walls incite it to destroy and kill further.

The beast is aroused and troubled. The more it kills, the (more, JL) restless it becomes. It treats its unrest with more causes of unrest. Every crossroads alarms it. Every tree. Every roof. Every window. It smells hostility in eyes, in keffiyehs‘, in signs of victory, in the handkerchiefs of bereaved mothers and the anger of widows. It fears the branch if it stirs and the laundry line if it moves in the crowded camp.

The beast is wounded. It builds a fortress into which fear creeps. The beast is sleepless. It builds a wall that cannot keep the wind out. It kills the father, but the son inherits his keffiyeh.“