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Bekenntnis zum arabischen Selbsthass

Khaled Diab, ein bemerkenswerter arabischer Intellektueller ägyptischen Ursprungs, der lange in Brüssel gelebt hat und nun aus Jerusalem bloggt, hat ein Stück geschrieben, in dem er prophezeit, dass nur Juden und Araber, die sich selbst hassen, dem Nahen Osten Frieden bringen können.

Sein Blog ist lesenswert, ebenso die Kolumnen im Guardian (wie diese über die „arabische  Mythen über die westliche Frau“ und die „westlichen Mythen über den arabischen Mann„).

In seinem Selbsthass-Stück heißt es:

Naturally, it goes without saying that, like any self-respecting ‘self-hater’, I don’t regard myself as such. Rather, I believe that many of the people who fire off accusations of self-loathing are usually self-righteous and cannot admit their side commits any wrongs. They tend to abide by the precept that it is ‘my side, right or wrong’ and that we shouldn’t ‘hang our dirty laundry’ out in public.

So, why do some people adopt such harsh tones against members of their group who express dissenting views, no matter how rationally or honestly expressed?

In general terms, not conforming to the mainstream view of your community carries with it the risk of ostracisation. More specifically, the concept of ‘self-hate’ seems to enjoy the most currency among groups, minorities and peoples who feel under attack, threatened marginalised or demonised and so feel that it is important for all members to pull rank.

In the Jewish context, the long and painful history of anti-Semitism and discrimination, not to mention pogroms and the Holocaust, as well as popular Arab hostility towards Israel, has bred a level of hyper-defensiveness in the minds of many.

This explains why the ‘self-hate’ label – which gained popular currency following Theodor Lessing’s 1930 book Der Jüdische Selbsthass (Jewish Self-hatred) – probably has a longer history among Jews than among other groups. It can also be particularly virulent, as illustrated by the toxic Jewish SHIT list of over 7,000 allegedly “Self-Hating and Israel-Threatening” Jews.

This sense of embattlement engenders the misguided belief in the mainstream of the Jewish psyche that Israel should be defended at any cost and regardless of its actions.

Similarly, though Arabs have not experienced anything as apocalyptic as the Holocaust, most of the Middle East lived through centuries of foreign domination (Greek and Hellenic, Roman and Byzantine, Persian, Arabian, Turkic and Ottoman, British and French, etc.) in which the locals more often than not lived as effective second-class citizens in their own countries, over-taxed, oppressed and largely excluded from the corridors of power.

So, when the promise of independence came around after the collapse of the Ottoman Empire, the fact that the Palestinians were the first Arabs to be denied their freedom has transformed the Palestinian question into one of the most emotive issues in the collective Arab conscience, leading many to view it with greater irrationality than most other issues. (…)

 

Israel vor einer dritten Intifada?

Das syrische Regime, das vor wenigen Tagen erst wieder auf die eigenen Leute geschossen hat – viele Dutzende sollen erst am letzten Freitag wieder bei Demonstrationen umgekommen sein –, hat einen Hoffnungsschimmer am Horizont gesehen:

Eine neue Intifada wäre die Lösung! Und also lässt die gleiche Regierung, die sogar Minderjährige zu Tode foltert, nur weil sie zu Hause Freiheit fordern, Hunderte von Palästinensern ungehindert auf die israelische Grenze zu spazieren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Umso besser vielleicht, wenn möglichst viele von ihnen getötet werden? Dann kann endlich der Nahostkonflikt wieder den arabischen Frühling überlagern, der selbst vor Damaskus nicht halt gemacht hat.

Die Palästinenser, die bei den Naksa-Märsche gestorben sind, sie sind Assads Kanonenfutter. Niemals wäre es möglich, ohne das gnädige Auge des Diktators in Hundertschaften an der Grenze aufzutauchen.

Leider ist es zwar bei der jetzigen israelischen Regierung nicht auszuschließen, dass auch sie ein Interesse an einer Eskalation hat, weil dies den wachsenden Druck von ihr nehmen würde, wieder in Verhandlungen einzutreten.

Aber: Wer auf eine Grenze zu marschiert und sich weigert, nach mehrfacher Aufforderung stehen zu bleiben, der riskiert halt sein Leben. Das ist keine neue Erkenntnis und keine Besonderheit dieser Grenze.

Die israelischen Grenztruppen haben nach ersten Berichten alle nichttödlichen Mittel erschöpft, bevor sie scharfe Munition zu verwenden begannen. Sie haben mehrfach das Feuer eingestellt, um eine Versorgung der Verwundeten zu gewährleisten. Die Demonstranten haben diese Feuerpausen nicht beachtet und damit den Tod der Verwundeten in Kauf genommen.

Wenn die Palästinenser sich zu friedlichen Protesten gegen die Besatzung entschließen, ist das begrüßenswert. Wenn der Eindruck entsteht, es gehe hier doch darum, auf Teufel komm raus zu provozieren und Märtyrer zu produzieren, wird daraus nichts Gutes entstehen – zumal wenn das Ganze vom syrischen Regime ausgenutzt wird, das Hunderte seiner eigenen Leute umbringt:

“I would note that these protests were carried live on Syrian television” an Israeli official said. “They do not carry the protests against their own regime live. They made a decision to try to exploit this for their own purposes.”

Allerdings macht gerade diese Situation es um so dringlicher für Israel, zu einem Akteur im Friedensprozess zu werden, statt sich in der Defensive einzuigeln. Wer eine politische Alternative zu dieser dritten Intifada anbietet, nimmt seinen Gegnern ein Instrument aus der Hand. Wer das versäumt, arbeitet ihnen zu.

 

Das Massaker von Itamar

Wegen anderer Nachrichten wird eine Tat nicht genügend wahrgenommen, die womöglich gravierende Folgen haben wird: Das abscheuliche Massaker an einer Familie israelischer Siedler im Westjordanland. Das Ehepaar Fogel und drei ihrer Kinder wurden  vor wenigen Tagen in der Siedlung Itamar auf grausame Weise ermordet. Einem drei Monate alten Baby wurde die Kehle durchgeschnitten.

Es gibt unbestätigte Angaben, dass sich die Al-Aksa-Märtyerbrigaden zu den Morden bekannt hätten. In Rafah (Gaza) wurden Süßigkeiten verteilt, um die Tat zu feiern. Der Palästinensische Premierminister Salam Fajad hingegen verurteilte die Tat.

Die israelische Regierung hat sich entschlossen, die grausigen Bilder der Opfer zu veröffentlichen – um zu zeigen, mit welcher Art von Feind es Israel zu tun hat. Kurz nach dem Bekanntwerden der Tat verkündete die Regierung, man werde 400 neue Wohnungen im Westjordanland genehmigen. Damit wird der Siedlungsbau regierungsamtlich zu einer Art Vergeltungsaktion deklariert  – eine verhängnisvolle Eskalation als Antwort auf eine Eskalation der anderen Seite. Denn die Siedler rücken so noch mehr in den Fokus des Krieges.

Die Täter verfolgen, sie stellen und sie einer gerechten Strafe zuführen – das wäre die richtige Reaktion. Warum aber deren Hasspropaganda – dass Siedler keine Zivilisten sind und selbst Kinder darum getötet werden dürfen – entgegenkommen, indem man Siedlungsbau als Antwort auf ein Massaker weitertreibt? Unterminiert man damit nicht die eigene Position?

Aber jenseits jeder Debatte über die israelische Politik muss man sich diese Tat vor Augen halten: Sie ist in ihrer Bestialität in der Tat so erschreckend, dass sich ein Abgrund öffnet. Ein Familie, im Schlaf abgeschlachtet. Das hat etwas von Ritualmord. Die Kombination der Bilder von den in ihrem Blut liegenden Fogels mit denen von den Süßigkeitenverteilern in Rafah wird nicht ohne Wirkung auf die israelische Psyche bleiben.

Palästinenserpräsident Abbas scheint das zu sehen, wenn er heute den Mord von Itamar „ekelhaft, unmoralisch und unmenschlich“ nennt. Aber ob er mit seinen Worten noch jemand erreicht? Die Bilder könnten stärker sein. Es hat erst mehrere Tage mit Aufforderungen aus Israel gebraucht, bis Abbas diese Worte fand.

 

Die vierte Mutation des Antisemitismus

Nicht nur das iranische Fernsehen verbreitet das Gerücht, dass die Juden hinter dem Mord von Alexandria stecken. In ganz alltäglichen Facebook-Debatten trifft man auf Menschen, die eben noch völlig normal schienen und plötzlich anfangen, herzumzuspekulieren, „wem denn bitte schön dieser Anschlag nützt“. Antwort, für diese Sorte Leute offensichtlich: Israel! (Ich habe erstmals jemanden auf Facebook entfreundet, weil er mit solchem Irrsinn kam…)

Aus diesem Anlass empfehle ich eine Rede des britischen Oberrabiners Lord Jonathan Sacks vom letzten Sommer, in der Rabbi Sacks über die vier Mutationen des Judenhasses spricht. Wenn manche Leute von einer Debatte über ein mutmassliches Al-Kaida-Attentat in Alexandria in zwei, drei Schritten schnurstracks bei Israel landen, dann ist offensichtlich, wie aktuelle die Überlegungen zur neuen Mutation des antiisraelisch/antizionistisch drapierten Antisemitismus sind:

We are living through the fourth mutation. It differs from the others in various respects. Number one: the new antisemitism, unlike the old, is not directed against Jews as individuals. It is directed at Jews as a nation with their own state. It is directed primarily against the state of Israel, but it gets all Jews as presumptively Zionist, hence imperialistic, and usurpers and all the rest of it. And all the medieval myths have been recycled; it was Jews who were responsible for 9/11, it was Israel who was responsible for the tsunami, with nuclear underwater testing by Israel. What, you didn’t know this? I always wonder, have they blamed us for the oil spill yet? Just wait, be patient; they’re working on it. So that is the first characteristic which didn’t exist before, because Jews, as a nation state in their own land, didn’t exist before. In other words we have at least 82 Christian nations as part of the United Nations, there are 56 Islamic states, there is only one Jewish state but that, for many people, is one too many. It is far too big – what do the Jews need all that land for? There’s a lovely park in South Africa, with all the lions and giraffes, called Kruger National Park, it’s a really lovely park. The state of Israel is smaller than the Kruger National Park, but it’s too big. So we now have this new form of anti-Zionism about which I think the sharpest comment was made by Amos Oz; he said that in the 1930s, antisemites stood up and sent Jews to Palestine. Today they stand up and say ‘Jews out of Palestine’. They don’t want us to be here, they don’t want us to be there, they don’t want us to be. That is the first difference.

Jonathan Sacks
The second difference is that whereas other forms of antisemitism, especially racial anti-semitism, were carried by national cultures so that you could ask at the time of the Dreyfus trial, is France an antisemitic country? You could ask, is Germany, is Austria, is Italy, is Britain an antisemitic country? In those days, antisemitism was carried by national cultures and so there were some antisemitic nations and there were nations that were distinctly not. But today there is no such thing as a national culture. Today antisemitism, hate and paranoia in general, but antisemitism specifically is carried by the new global media which are extremely focused and extremely targeted so that you can get major incidents of antisemitism in a country that is not antisemitic at all. If we take a slightly different look at it, the suicide bombers of 7/7 were, after all, born in Britain; they lived in Britain, they were educated in Britain, their own friends and neighbours thought that they were perfectly nice people. They didn’t know until after 7/7 and after those video testimonies were shown what deep hatred they had conceived of Britain. So it is very hard to identify and it’s very easy to become very paranoid. America thinks this about Britain: that Britain is an antisemitic country. They don’t realise that there is no such thing any more as antisemitism as a phenomenon of national cultures unless politician decides to make that part of the public discourse of politics. When that happens, as has happened very recently in the case of Turkey, we’re in a very dangerous situation. But the new antisemitism, by and large, is not conveyed like the old.
And finally the legitimisation of it. We often fail to realise that it is not easy to justify hating people, it really isn’t. It is very easy to move people to hate but it is very hard to make them feel that they are justified in hating. And therefore antisemitism has always had to be legitimated by the supreme source of moral authority in a culture at any given time. And what was the supreme source of moral authority in Europe in the Middle Ages? The church, religion. And therefore antisemitism in the Middle Ages was religious. You could not justify hatred on religious grounds in the post-Enlightenment emancipated Europe of the 19th century.
What was the highest authority in Europe in the 19th century? The answer was science. Science was the new glittering paradigm and therefore you will find that 19th century and early 20th century antisemitism was legitimated by two, what we now know to be, pseudo-sciences. Number one: the so-called scientific study of race and number two: the so-called science known as social Darwinism. The idea that, just as in nature, so in society, the strong survive by eliminating the weak.
Today science is no longer the highest authority because, although it has given us unprecedented powers, among those powers is the power to destroy life on earth. So what is the supreme moral authority today? The supreme moral authority since the Holocaust, since the United Nations Universal Declaration in 1948, is human rights. Therefore, if you are going to justify antisemitism, it will have to be by reference to human rights. And that is why in 2001 at Durban, Israel was accused by the human rights NGOs of the five cardinal sins against human rights: racism, ethnic cleansing, apartheid, attempted genocide and crimes against humanity. And those are the three things that make the new antisemitism different from the old.

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Kann man den Islam vom radikalen Irrsinn befreien?

Die Palestinian Authority, also die Fatah-Regierung in der Westbank, geht seit einiger Zeit sehr hart gegen radikale Prediger vor.

Der neue Minister für Religiöse Angelegenheiten, Mahmoud Habbash, hat die Kontrolle über die Moscheen übernommen. Der Hintergrund: Über radikale Prediger hat die Hamas im Westjordanland einen erheblichen Einfluss ausgeübt.

Jetzt ist Fatah offenbar entschlossen, diesen Kanal zu schließen. Die Washington Post schreibt, die Freitagspredigten würden von Habbash zentral verfasst und den Moscheen übermittelt. Die Imame müssen diese Texte als grundlage ihrer Predigten nehmen. Wenn sie davon abweichen, werden sie von Sicherheitsdienst gemeldet.

Die Imame müssen auch durch die Moscheen rotieren, um „Gedenkenkontrolle“ der Gläubigen durch einzelne Prediger zu verhindern. Das System erinnert stark an das türkische Modell des Staatsislams (Diyanet) oder auch an den Zugriff des ägyptischen Staates auf die Religion. Die Zentralisierung der Religion stellt aber für die Westbank eine Novität dar – und die Gegenpropaganda der Hamas lässt auch nicht auf sich warten:

The firm grip on mosques is the latest element in a long effort to curb the strength of Hamas that has included widespread arrests and bans on Hamas media and gatherings. On Tuesday, when 70,000 people gathered in Gaza to mark the 23rd anniversary of the founding of Hamas, there were no rallies in the West Bank to mark the occasion.

The United States has pushed the Palestinian Authority to put an end to the vitriolic sermons that the United States and Israel say undercut peace efforts. But it has been careful not to overtly praise the latest effort. While seen as helpful to U.S. goals, the crackdown also reveals an authoritarian streak in a Palestinian leadership routinely hailed by American officials for its governance.

Such central government control of clerics is not uncommon in the Arab world. But it is disappointing to those who had expected greater tolerance from the Palestinian Authority, which rules parts of the Israeli-occupied West Bank. As part of its clampdown, the ministry has banned Hamas-affiliated imams from preaching. Those who are authorized to preach are paid by the Palestinian Authority.

„The Palestinian Authority’s plan is to combat Islam and the religious trend within it,“ said Sheikh Hamid Bitawi, a well-known Islamic religious authority in Nablus who delivered sermons for four decades before the Palestinian Authority banned him three months ago.

Bitawi estimates that dozens of other imams have been prevented from preaching since the crackdown started, leading to a preacher shortage at many mosques. „I’m sure the popularity of Fatah [Abbas’s party] and the Palestinian Authority is going down,“ Bitawi said. „They will be punished for their behavior.“

Ein Problem könnte sein, dass die Repression der Extremisten als Verbeugung vor den Forderungen der USA und Israels gesehen wird. Aber Habbash wehrt sich gegen solche Vorwürfe. Der Kampf gegen den Antisemitismus, führt Mahmoud Habbash, selber islamischer  Theologe,  als Kampf um die Seele seiner eigenen Religion. Ein mutiger Mann.

Habbash insists his goal is to advance Palestinian unity, not to appease the United States or Israel. So far, the Palestinian Authority has focused most of its attention on the mosques and responded quickly when it sees a problem.

After an imam urged Muslims to kill Jews in a sermon broadcast on a Palestinian government-run television station earlier this year, U.S. officials complained. Habbash apologized, said the imam had been a last-minute substitute, and ordered the next Friday’s sermon at all mosques to be about tolerance among followers of Islam, Judaism and Christianity.

Habbash, 47, taught Islamic law and wrote a newspaper column before being forced to flee the Gaza Strip after Hamas seized control of the territory in 2007. Today, he is one of the government ministers closest to Abbas. His policy also makes him one of the most endangered: While most ministers travel with two bodyguards, he has six.

„My main message is, we need to liberate Islam from this madness, from this extremism and wrong understanding of Islam,“ he said. „Islam does not incite to hate.“

Khalil Shikaki, chief pollster at the Palestinian Center for Policy and Survey Research, said the overall crackdown on Hamas, including the mosque policy, has clearly weakened Hamas in the West Bank. „They have no media – no newspapers or magazines“ in the West Bank, he said. „No doubt they have lost the mosques as a key platform.“

Liberate Islam from this madness.

Starke Worte. Wer so etwas sagt, begibt sich in Palästina in Lebensgefahr.

 

Türkei: Mit Öcalan reden? Israel: Mit Hamas reden?

In der Türkei kommt es wieder zu blutigen Gefechtigen zwischen der Armee und den kurdischen PKK-Milizen.
Hinter der Eskalation steht offenbar der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan. Er hatte aus seiner Haft den Gesprächsprozess aufgekündigt. Erdogan deutet dies als Desinteresse der PKK an einer Versöhnung.
Die im türkischen Parlament vertretene Kurdenpartei BDP fordert nun aber einen direkten Dialog der Regierung mit Öcalan: Es könne nur eine Lösung des festgefahrenen Problems geben. Sie rief die Regierung erneut auf, offiziell und direkt mit dem inhaftierten Öcalan zu verhandeln.
„Wenn man einen Dialog mit der PKK und Öcalan aufnimmt“, so betonte BDP-Chef Selahattin Demirtas, „dann ist die BDP der Meinung, dass die Frage der Gewalt gelöst werden kann. Daran glauben wir fest.“

Erdogan lehnt das ab. Derselbe Staatsmann ist aber der Meinung, dass Israel sich mit der Hamas an einen Tisch setzen müsse. Im Grunde haben die israelische und die türkische Regierung bei allen Unterschieden sehr ähnliche Strategien zum Umgang mit den militanten Minderheiten auf jenen Gebieten, die umstritten sind. Netanjahu glaubt, die Palästinenser in der Westbank durch ökonomische Entwicklung befrieden zu können, so dass sie keinen vollwertigen Staat mehr anstreben werden (economic peace). Der Hamas soll so durch Förderung der Fatah das Wasser abgegraben werden. Erdogan hat das türkische System für die Kurden sehr geöffnet, um den Druck aus den Autonomiebestrebungen zu nehmen. Beide Regierungen wollen keinen Friedensprozess, bei dem sich beide Seiten Aug in Auge gegenübersitzen.

Vielleicht fahren sie ja deshalb im Moment so aufeinander ab, weil sie so ähnlich ticken?

 

Wie die Türkei über die Köpfe der Araber herrscht

Mit Kulturimperialismus! Durch den Erfolg türkischer Soap-Operas, die den arabischen Markt dominieren. Ein faszinierender Artikel in der New York Times zeigt, dass die Türkei auf allen Gebieten dabei ist, als Soft Power den Nahen Osten aufzurollen:

A Hamas leader not long ago was describing to a reporter plans by his government to start a network of Shariah-compliant TV entertainment when his teenage son arrived, complaining about Western music and his sister’s taste for the Turkish soap operas. Then the son’s cellphone rang.

The ring tone was the theme song from “Noor.”

If this seems like a triumph of Western values by proxy, the Muslim context remains the crucial bridge. “Ultimately, it’s all about local culture,” said Irfan Sahin, the chief executive of Dogan TV Holding, Turkey’s largest media company, which owns Kanal D. “People respond to what’s familiar.” By which he meant that regionalism, not globalism, sells, as demonstrated by the finale of “Noor” last summer on MBC, the Saudi-owned, Dubai-based, pan-Arab network that bought rebroadcast rights from Mr. Sahin. A record 85 million Arab viewers tuned in.

That said, during the last 20 years or so Turkey has ingested so much American culture that it has experienced a sexual revolution that most of the Arab world hasn’t, which accounts for why “Noor” triumphed in the Middle East but was considered too tame for most Turks. Even Mr. Sahin wonders, by contrast, whether the racier “Ask-i Memnu,” a smash with young Turks, threatens to offend Arabs unless it is heavily edited.

“You have to understand that there are people still living even in this city who say they only learned how to kiss or learned there is kissing involved in lovemaking by watching ‘Noor,’ ” explained Sengul Ozerkan, a professor of television here who conducts surveys of such things. “So you can imagine why the impact of that show was so great in the Arab world and why ‘Ask-i Memnu’ may be too much.

“But then, Turkey always acts like a kind of intermediary between the West and the Middle East,” she added.

Or as Sina Kologlu, the television critic for Milliyet, a Turkish daily, phrased it the other day: “U.S. cultural imperialism is finished. Years ago we took reruns of ‘Dallas’ and ‘The Young and the Restless.’ Now Turkish screenwriters have learned to adapt these shows to local themes with Muslim storylines, Turkish production values have improved, and Asians and Eastern Europeans are buying Turkish series, not American or Brazilian or Mexican ones. They get the same cheating and the children out of wedlock and the incestuous affairs but with a Turkish sauce on top.”

Ali Demirhan is a Turkish construction executive whose company in Dubai plans to help stage the next Turkish Emmys there. One recent morning he was at a sunny cafe in a mall here recalling a Turkish colleague who had just closed a deal with a Qatari sheik by rustling up three Turkish soap stars the sheik wanted to meet.

Mr. Demirhan sipped Turkish coffee while Arabs shopped nearby. “In the same way American culture changed our society, we’re changing Arab society,” he said, then paused for dramatic effect. “If America wants to make peace with the Middle East today, it must first make peace with Turkey.”

 

Warum die israelische Besatzung so schnell nicht enden wird

Dies erklärt Jeffrey Goldberg in seinem oft vorzüglichen „Goldblog“:

„For the typical Israeli (and again, I’m not talking about settlers, but about people who have, in the past, agreed in principle that the Palestinians should have an independent state) two events in particular have soured them on the chance for compromise. In 2000, the Israeli army pulled out of Lebanon. It was hoped that this pull-out would lead to peace on the northern border, but instead it led to rocket attacks by the Iranian-sponsored Hezbollah. In 2005, Israel unilaterally pulled its soldiers and settlers out of Gaza. Again, rockets followed. The saving grace of these rockets attacks — both the Lebanon attacks and the Gaza attacks — was that the rockets did not reach the center of the country — Tel Aviv, as well as Israel’s only international airport, Ben-Gurion.

Now, of course, the peace process, such as it is, hinges in part on an Israeli willingness to withdraw from the West Bank, including the hills of the West Bank that overlook Tel Aviv, the airport, and the entire thickly-populated central region of the country. This withdrawal will not be happening anytime soon, because there is a high degree of certainty among Israelis that a withdrawal from the West Bank hills would be followed not by peaceful reconciliation, but, again, by rockets.  No Israeli wants to be a freier, a sucker, and right now the Israelis feel like suckers. Twice in ten years they’ve withdrawn from territory, and twice they’ve been hit by rockets. They are not doing this again, not until the politics of the Palestinians — and the politics of Iran — change dramatically.“

 

Warum die israelische Besatzung endlich enden muss

David Shulman, Professor an der Hebrew University von Jerusalem und Mitglied der israelischen Friedensbewegung, findet harte Töne für die Regierung Netanjahu/Lieberman:

„We are observing unmistakable signs of “multiple systems failure,” the direct result, in my view, of four decades of occupation. The very nature and future of Israel’s society and political system are at stake, and the danger of collapse into a repressive regime run by the secret security forces is very great. Many of us would say that the line was crossed long ago.

It is important to understand the depth of the change that Israel has undergone since the present government came to power in the spring of 2009. Netanyahu heads a government composed largely of settlers and their hard-core supporters on the right. Their policy toward Palestine and Palestinians rests upon two foundations: first, the prolongation, indeed, further entrenchment of the occupation, with the primary aim of absorbing more and more Palestinian land into Israel—a process we see advancing literally hour by hour and day by day in the West Bank. Second, there is the attempt to control the Palestinian civilian population by forcing them into fenced-off and discontinuous enclaves. Gaza is the biggest and most volatile of the latter, and it is the only one, so far, to have put a Hamas government in power; but if the political situation in the West Bank continues to worsen, or if the deadlock continues, it is likely that Gaza will not be the last such place.

Maintaining the occupation is, of course, incompatible with making peace, and indeed it should be clear by now to all that the present Israeli leadership has no interest in resolving the conflict. Quite the contrary: the ongoing proximity talks with the Palestinian Authority are no more than a diversion. I know of no one in Israel who takes them seriously, least of all the Netanyahu government. Gaza itself provides another helpful distraction. The very idea of peace based on mutuality, compromise, and at least minimal respect for the dignity of the other side is anathema to the men and women in the Cabinet who are making the decisions.“

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Götz Aly: Es war kein Massaker, aber katastrophale Fehlplanung

Götz Aly korrigiert seine Einschätzung vom letzten Montag über die Aktion der israelischen Armee auf der Mavi Marmara. Von einem Massaker spricht er in seiner neuen Kolumne heute in der Berliner Zeitung nicht mehr. Er habe sich „im Informationsnebel erregt“:

„Fest steht inzwischen, dass auf dem Schiff ‚Marvi Marmara‘ von den Gaza-Aktivisten massive, geplante und gewollte Gewalt ausging. Umgekehrt hatten die israelischen Verantwortlichen eine Spezialeinheit zur Terroristenbekämpfung als Polizeitruppe eingesetzt. Ihre unangemessene Wahl von Taktik und Mitteln führte zu einem bestürzenden Ergebnis – die Soldaten gerieten in Panik und erschossen neun Menschen. Das bestätigt eine Äußerung aus der israelischen Polizeiführung, die sinngemäß lautet: Uns wäre das nicht passiert, weil wir wissen, wie man gewalttätiger Demonstranten mit angemessenen Methoden Herr wird.“

Aly kritisert, dass die linken Bundestagsabgeordneten sich mit Islamisten eingelassen haben: „Es ist befremdlich, dass die Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger von der Linken sich mit solchen Leuten gemein machten und anschließend von ihrer Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch mit Blumensträußen empfangen wurden. Die Vereine, die den Schiffskonvoi organisierten, als harmlose NGOs, als gewissermaßen gemeinnützige Menschenrechtgruppen zu verkaufen, erscheint leichtfertig. Die türkische IHH zeigt deutliche Nähe zur Hamas und zu keineswegs gewaltfreien islamistischen Aktivitäten. Frau Groth hat nichts gesehen, weil sie auf dem „Frauendeck“ eingeschlossen war. Die Tatsache, dass es auf dem Schiff des Friedensvölkchens getrennte Frauen- und Männerdecks gab, hat sie nicht irritiert.

„Die israelische Regierung hat sich keines ‚Massakers‘ schuldig gemacht. (…) Wohl aber verantwortet die Regierung eine verhängnisvolle Fehlplanung und schwere politische Fehler. Unter normalen Bedingungen müsste sie zurücktreten.“

Ich sehe das heute genauso.

Und damit ist ja noch nicht einmal der Kern der Debatte berührt, der uns in den kommenden Wochen beschäftigen sollte: Sinn, Zweck und Legitimität der Blockade von Gaza, deren Konsequenz die fatale Maramara-Aktion letztlich war.

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