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Wie die Blockade Gaza kaputt (und seine Einwohner krank) macht

Dies beschreibt Yousef Munayyer in einem kurzen und faktenreichen Stück für Foreign Policy. Seine Informationen beruhen auf den Angaben internationaer Hilfsorganisatonen. Teils sind es auch Zahlen israelischer Organisationen.

Viele Menschen leben mit Stromausfall von 8-12 Stunden täglich. Die Wasserqualität ist gefährlich, weil die zerstörten Abwassersysteme wegen der Blockade nicht wieder aufgebaut werden und die Entsalzungskapazitäten nicht ausreichen. Es herrscht chronische Mangelernährung bei über 10 Prozent der Bevölkerung, vor allem bei Frauen und Kindern. Medizinische Versorgung ist wegen der zerstörten Infrastruktur sehr eingeschränkt. 60 Prozent der produzierenden Industrie ist geschlossen, die Arbeitslosigkeit liegt bei über 40 Prozent. Der Fischfang, einst eine Exportindustrie, kann wegen der Beschränkung der befahrbaren Seemeilen den Eigenbedarf nicht mehr decken. Fisch wird aus Israel importiert.

Und eine solche Politik soll nicht Hass säen?

 

Fotos: Wie die israelischen Soldaten geschlagen wurden

Die größte türkische Tageszeitung Hürriyet hat Fotos von den Ereignissen an Bord der Marmara veröffentlicht. Man sieht auf ihnen, wie die israelischen Soldaten von den Gaza-Aktivisten geschlagen werden. Bei mindestens einem Soldaten sind blutende Wunden zu sehen. Ein anderer wird eine Treppe hinauf (oder hinunter) geschleppt. Zwei der Aktivisten warten mit Eisenstangen (die aussehen wie Schiffsausrüstung) auf die Soldaten.

Die Fotos zeigen klar, dass die Aktivisten an Bord entschlossen Gewalt anwendeten. Und da sie aus der Kamera eines Beteiligten stammen und in einer türkischen Zeitung veröffentlicht wurden, werden sie auch nicht als israelische Propaganda abgetan werden können.

 

Worum es beim Krieg Israels gegen die Hamas geht

Der Schweizer Publizist Frank A. Meyer versucht, Ordnung in die Ereignisse der vergangenen Woche zu bringen. Ein hilfreicher Artikel im „Blick“:

„Erstens: Im Gaza-Streifen, eine Autostunde von Tel Aviv entfernt, errichtet die islamistische Organisation Hamas ein Terrorregime, das jede Opposition und jede Kritik gewalttätig unterdrückt, das die palästinensischen Frauen, die zu den emanzipiertesten der arabischen Welt gehörten, wieder brutaler Männerherrschaft unterwirft.
Zweitens: Die Hamas baut ihr «Staatsgebiet», den Gaza-Streifen, im strategischen Interesse des Irans zur Raketenbasis gegen Israel aus. Mit Kassam-Raketen beschiesst sie täglich israelisches Gebiet, am letzten Donnerstag mit vier Raketen, am Freitag mit zwei, am Samstag ebenfalls mit zwei.
Drittens: Die Hamas erkennt weder das Existenzrecht Israels an, noch respektiert sie bestehende Verträge zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten. Sie bekennt sich dazu, Feind des Judenstaates zu sein.
Viertens: Israel befindet sich mit dem Hamas-Staat im Krieg.
Fünftens: Mit dem Kriegsinstrument einer Blockade will Israel die Hamas an der Einfuhr von Waffen, insbesondere von Raketen hindern. Das Land hat dabei immer das Beispiel Libanon vor Augen, wo die Hisbollah trotz Uno-Truppenpräsenz heute im Besitz von 40 000 modernen Raketen sein soll. Nach Berechnungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums verfügt die schiitische Terror-Organisation damit über mehr Raketen als die meisten souveränen Staaten der Welt …“

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Wie Israels Blockade Hamas stärkt

Dies beschreibt der Economist in seiner aktuellen Ausgabe. Es gibt keine schwere humanitäre Katastrophe in  Gaza, wie ja auch die Verteidiger der isarelischen Position immer wieder betonen. Aber vielleicht ist das gar keine gute Nachricht, wie der Economist zeigt: Denn das kommt daher, dass die Hamas eine Kriegsökonomie aufgebaut hat, die es ihr erlaubt, totale Kontrolle über den Streifen auszuüben. Es scheint, als würde die Sanktionspolitik die Islamisten fest im Sattel halten:

The policy began within weeks of Israel’s pull-out from Gaza in 2005. At the start, America tried to keep the gates open, brokering an Agreement on Movement and Access with Israel to allow the export from Gaza of hundreds of trucks of produce a day, regular bus convoys to and from the West Bank and the opening of a Palestinian-controlled crossing at Rafah to Egypt. But the agreement was in ink only. After just one year Gaza’s exports stood at a mere 8% of the agreed amount, Rafah was closed and the buses never came. Once the strip was under Hamas’s total control, Israel declared it a hostile entity, and prevented movement to and from the territory.

Initially Hamas and other militant groups, drunk on their self-claimed success in forcing Israel’s departure, sought to fight their way out with projectiles. The number of mostly home-made rockets hitting Israel rose from 281 in 2004 to 1,750 in 2008; and their range rose from a few kilometres to reach Tel Aviv’s outskirts. But stung by the ferocity of Israel’s reprisals, most lethally in the January 2009 war, Hamas reined in its fire and forced others to do likewise. So far this year 34 rockets have landed in Israel, none launched by Hamas. “Hamas is defending Israel,” chuckles an Israeli foreign ministry official.

Instead Hamas has turned its energies inward. With Gazans locked inside the 40km by 10km (154 square-mile) strip, the siege has given Hamas a free hand to mould the place. Its leaders liken Gaza to a ribat, a warrior monastery, and its inmates to murabitoun, or militant monks, recalling the 11th-century revivalist movement which withdrew to the Moroccan highlands before sweeping onto the Moroccan plains and Andalusia. They regale the struggle to survive with the same terminology they once used for fighting Israel. To ensure supplies they created a “resistance” economy, supervising the digging of an elaborate web of tunnels snaking under Gaza’s border with Egypt.

At first the resistance economy failed to meet people’s needs. But today, thanks to the tunnels, Gaza’s shop shelves are brimming with goods that often arrive cheaper and faster than when Israel opened the gates. Winches hoist in aggregates, allowing a spate of road repairs and housing construction….

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Ein Amerikaner unter den Toten auf der Marmara

Ein amerikanischer Bürger mit türkischen Wurzeln ist unter den Toten, die durch die israelische Militäraktion verursacht wurden: Furkan Dogan, ein Neunzehnjähriger, wurde nach türkischen Berichten vier mal in den Kopf geschossen. Das bringt die amerikanische Regierung unter Druck, von Israel Konsequenzen zu fordern.
Unterdessen wird berichtet, dass das irische Schiff Rachel Corrie auf dem Weg nach Gaza ist. Die Geschichte geht also weiter.

 

Gaza-Aktivist: „Ich wollte Märtyrer werden“

Dieses Video des englischsprachigen iranischen Fernsehsenders Press TV, der in seinen Beiträgen die Interessen der Teheraner Regierung vertritt, zeigt einen Teilnehmer der Free-Gaza-Flotte an Decke der „Marmara“.
Er wünscht sich, ein „Märtyrer“ zu werden und hofft, beim dritten Mal werde es gelingen.
Ob sein Wunsch erfüllt werden konnte, ist nicht ersichtlich.

Das Video wurde in diesem Schnitt von der israelischen Armee auf Youtube veröffentlicht.

 

Ein türkischer Blick auf das Gaza-Desater

Der außenpolitische Kopf der regierenden AKP, der Abgeordnete Suat Kiniklioglu, fordert heute in der Herald Tribune eine offzielle Verurteilung Israels durch die USA, eine Bestrafung der Verantwortlichen in Israel – und eine Aufhebung der Blockade Gazas.

Er macht auch klar, dass es hier um den Nahen Osten im Ganzen geht – und dass die Türkei bei dessen Gestaltung gehört zu werden erwartet.

Kiniklioglu ist in Amerika sehr gut verdrahtet. Eine Zeitlang hat er das Büro des German Marshall Fund in Ankara geleitet. Zitat:

„Along with many European nations, the U.N. and global public opinion, the U.S. has a moral responsibility to condemn Israel’s violence.

Turkey is closely monitoring the U.S. response. As Foreign Minister Ahmet Davutoglu noted, this is not a choice between Turkey and Israel. It is a choice between right and wrong, between legal and illegal.

In many respects, the Middle East is approaching an important crossroad. The United States will determine what sort of Middle East it will be dealing with in the future by its response to Israel’s actions. This could not be more urgent given the tension surrounding Iran’s nuclear program, the precarious situation in Iraq and the ongoing war in Afghanistan.

Furthermore, the flotilla raid has once again highlighted that the blockade on Gaza is no longer sustainable or justifiable.

Gaza today constitutes an open-air prison. According to Amnesty International, 1.4 million Palestinians are subject to a collective punishment whose aim is to suffocate the Gaza Strip.

Mass unemployment, extreme poverty and food price rises caused by shortages have left four in five Gazans dependent on humanitarian aid. That is why the Freedom Flotilla wanted to deliver aid. It also wanted to make a point of the need to allow Gazans to trade and interact with the rest of the world.

Turks have welcomed the Jews escaping from the Inquisition in Spain in 1492. Our diplomats have risked their lives to save European Jews from the Nazis. The Ottoman Empire and Turkey have traditionally been hospitable to Jews for centuries.

But we can no longer tolerate the brutal policies of the current Israeli government, especially if they cost the lives of our citizens. The conscience of neither the Turks, nor the international community, can any longer carry the burden of the Netanyahu government’s irresponsible policies. Both Israel and Turkey deserve better.“

Und aus einem weiteren Kommentar der New York Times sticht dieser Satz hervor: „One big winner in this week’s fiasco was the Iranian regime.“ Unter anderem dadurch, dass Israel der iranischen Propaganda in die Hände spielt – und seinen wichtigsten Verbündeten in der islamischen Welt, die Türkei, derart entfremdet. Allerdings hatte Erdogan schon seit der Operation „Gegossenes Blei“ Absetzungsbewegungen von Israel erkennen lassen. Aber warum muss man ihn auch noch antreiben?


 

Der Blick aus Gaza

Dieses lange Gespräch mit einem Bewohner Gazas, der dort für eine katholische Hilfsorganisation arbeitet, habe ich vor wenigen Wochen gesehen. Ich war beeindruckt von der moralischen Klarheit und vom Mut dieses Mannes (der Hamas hier offen kritisiert, obwohl das lebensgefährlich für ihn sein könnte). Angesichts der anhaltenden Debatte hier auf dem Blog über die Frage der Legitimität der Blockade und die Lebensqualität vor Ort kann ich es nur dringend empfehlen.
Mir hat es den Rest an Glauben genommen, dass die Blockade sinnvoll sein könnte.

Quelle.

 

Wer hinter der „Friedensflotille“ steht

Ein ausführlicher Hintergrundbericht heute in der New York Times über die türkische Gruppe IHH, über das Free Gaza Movement und Greta Berlin, die Gründerin.
Zitat:
Ms. Berlin, the outspoken co-founder, is originally from Los Angeles. She was married for 14 years to a Palestinian, with whom she had two children, and for 14 years to an American Jew. She likes to joke and says that makes her the most qualified “anti-Semite.”

But when she is not joking she says that her detractors in Israel are right, that she does not accept Israel as a Jewish state, though she contends that is part of a larger philosophy which opposes all national borders.

“You decide in your life what you are passionate about,” she said. “I happen to be passionate about the Palestinians who have had no rights since 1948.”

Gegen „alle nationalen Grenzen“ zu sein muss man sich allerdings leisten können. Israel braucht Grenzen, die es verteidigen kann. Die Palästinenser auch. Darum muss die Besatzung enden. Wer Israel nicht als „jüdischen Staat“ anerkennt, erkennt de facto Israel nicht an.
Und das ist dann schon ein Problem, wenn man für das Selbstbestimmunsgrecht der anderen Seite eintritt wie Frau Berlin. Ein Selbstbestimmunsgrecht nur für eine Seite ist nämlich keines.

 

Die „Marmara“ und die „Exodus“ im Kampf der Bilder

Der sicherheitspolitische Korrespondent von Haaretz, Yossi Melman, macht einen interessanten Punkt, indem er die israelische Regieurng daran erinnert, dass es auch für Juden einmal wichtig war, eine Blockade zu durchbrechen:

Despite having its eyes wide open, Israel fell into a trap. Israel knew that the organizers of the flotilla wanted to present the Israel Defense Forces to the world as an army that does not hesitate to use force. The flotilla organizers wanted deaths, casualties, blood and billows of smoke. And this is exactly what Israel gave them.

Every child knows that the conflict here is one of consciousness,images, emotion and gut-feelings; not one of justice or logic. Therefore, Israel should have acted differently.

Israel’s decision-makers should have revived memories of Israel’s own history. It shows just how short a historical memory the prime minister, defense minister, chief of staff, and Navy commander all have. They don’t remember the story of the Exodus ship in 1947.

The British Mandate authorities imposed a blockade on the shores ofthe land of Israel and Jewish leaders believed it was their right and their duty to break it. The Jewish immigrants on the Exodus decided to forcefully oppose every attempt to stop them. The Jewish leadership wanted to arouse the world’s conscience and gain a victory in the
battle for international sympathy.

In our day, Hamas leaders believe and act similarly. Without getting into the question of the justification or logic of the blockade imposed by Gaza and its residents, it was indeed clear that it was only natural that Hamas would try to break the blockade by force. They have been doing this by means of the smuggling tunnels and via the sea. It was clear that they saw it as their natural right to oppose attempts to stop the ships.

(…)Israel has played into Hamas‘ hands. It’s not the fault of the young soldiers who obeyed the orders of their commanders. The responsibility lies with the cabinet and the military planners.

No matter how one looks at the conduct of the Israeli government and the IDF, it is hard to understand how stupid and tragic it was. Time and again, Israel tries to prove that what can’t be solved by force can be solved by more force. Over and over, the policies of force fail. The problem is that with each failure, the part of the world in which we would like to belong is losing patience with us.


Hier ein paar Anregungen zu diesem Kampf der Bilder. Der Trailer zu Premingers Film „Exodus“ von 1960. Man beachte vor allem die Szene ab 1:48.

Und hier ein Video, das belegt, wie Hisbollah versucht, die Exodus-Ikonographie zu stehlen: