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Das Massaker an den Free-Gaza-Aktivisten

Der Historiker Götz Aly, einer der führenden deutschen Spezialisten für die NS-Zeit, der sich derzeit in Israel aufhält, schreibt eine Kolumne in der Berliner Zeitung. Ich halte Alys Schärfe trotz der hier dokumentierten Gegengewalt der Aktivisten auf dem Schiff für voll gerechtfertigt:
„Das Massaker, das himmelhoch überlegene israelische Elitesoldaten gestern an wehrlosen Zivilisten angerichtet haben, ist ein feiges Verbrechen, das kein Recht, kein Kriegsvölkerrecht deckt. Bei aller Liebe zu Israel und seinen Bürgern halte ich die Formel „Unverhältnismäßigkeit der Mittel“ für deutlich zu schwach. Das israelische Oberkommando behauptete gestern, die Friedensaktivisten seien mit ein paar Beilen und Messern bewaffnet gewesen. Lächerlich. Eine faule Ausrede. Mögen die Aktivisten tatsächlich diese ‚Waffen‘ gehabt und sogar geschwungen haben, sie bedeuten nichts für Spezialeinheiten, die sich monatelang auf solche Einsätze vorbereiten, mit den modernsten Kampfmitteln ausgerüstet und darauf trainiert sind, zum Beispiel israelische Gefangene unverletzt zu befreien. Verantwortlich ist nicht eine wildgewordene Soldateska, sondern allein die israelische Regierung. Sie hatte tagelang Zeit, eine solche Kommandoaktion angemessen vorzubereiten. Ihr Verhalten spiegelt die Ratlosigkeit eines in sich blockierten Landes und die hinter Hyperaktivismus und starken Sprüchen schlecht verborgene Konzeptionslosigkeit des Kabinetts Netanjahu.“

 

Barak sollte zurücktreten

Tobias Kaufmann ist im Kölner Stadt-Anzeiger der Meinung, der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak müsse wegen der Kommandoaktion zurücktreten – und zwar auch dann, wenn die selbst ernannten Friedensaktivisten vor allem vorhatten, Israel zu provozieren. Ich stimme zu:

„Die israelischen Vorwürfe mögen sogar stimmen. Zypern hatte den Schiffen nicht umsonst das Einlaufen in seine Gewässer untersagt. Und spätestens die Weigerung der Aktivisten, auf die symbolträchtige Überfahrt ins blockierte Gaza zu verzichten und die Ladung der Schiffe statt dessen im israelischen Hafen Ashdod begutachten, ausladen und erst von dort in den Gazastreifen fahren zu lassen zeigte, dass Hilfe für notleidende Menschen frühestens auf dem zweiten Platz der Agenda der Aktion stand. Das erste Ziel war, Israel zu provozieren.

Aber all dies sind bestenfalls Indizien dafür, dass Israel mildernde Umstände geltend machen könnte – die Schuld an der Tragödie auf See kann Israels Regierung nicht abstreifen. Mehr noch: Gerade weil man wusste, wer oder was da auf die Küste zukommt, hätte Israels Marine die Schiffe niemals erstürmen dürfen. Nicht in internationalen Gewässern und nicht mit dem hohen Risiko, dass dabei Schüsse fallen und Menschen getötet werden können. Es ist etwas anderes, wenn Israel Schiffe aufbringt, die voller Waffen sind oder Komponenten des iranischen Atomprogramms transportieren.

Solche Aktionen mögen völkerrechtlich fragwürdig sein, sie sind aber aufgrund der israelischen Sicherheitslage nachzuvollziehen. Die Kommando-Aktion vom Montagmorgen aber ist nicht nachvollziehbar. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak ist nicht mehr zu halten.“

 

Israels Friedens-Flotillen-Desaster

Ich könnte es nicht besser beschreiben als Gideon Lévy in Ha’aretz. In den letzen Tagen hat die israelische Propaganda in erfrischendem Zynismus kundgetan, was sie von den Menschen in Gaza hält. Es wurden Broschüren verteilt, in denen die exzellenten Menus von Restaurants in Gaza aufgezählt wurden – „besonders zu empfehlen: Boeuf Stroganoff“. Die vermeintlich israelfreundlichen Blogger hierzulande reproduzierten diesen fiesen Mist auch noch und suggerierten, es geben überhaupt keine humanitäre Krise in Gaza. Ein Israel, das auf dieses Niveau herabsteigt, ist eine Schande (gerade im Licht der zionistischen Ideale).

Und nun auch noch eine Schießerei mit mindestens 10 Toten in internationalen Gewässern! Israel ist dabei, sich moralisch zu diskreditieren, selbst bei denen, die für sein Recht auf Selbstverteidigung eintreten.

Gideon Lévy schreibt:

„The chorus has been singing songs of falsehood and lies. We are all in the chorus saying there is no humanitarian crisis in Gaza. We are all part of the chorus claiming the occupation of Gaza has ended, and that the flotilla is a violent attack on Israeli sovereignty – the cement is for building bunkers and the convoy is being funded by the Turkish Muslim Brotherhood. The Israeli siege of Gaza will topple Hamas and free Gilad Shalit. Foreign Ministry spokesman Yossi Levy, one of the most ridiculous of the propagandists, outdid himself when he unblinkingly proclaimed that the aid convoy headed toward Gaza was a violation of international law. Right. Exactly.

It’s not the siege that is illegal, but rather the flotilla. It wasn’t enough to distribute menus from Gaza restaurants through the Prime Minister’s Office, (including the highly recommended beef Stroganoff and cream of spinach soup ) and flaunt the quantities of fuel that the Israeli army spokesman says Israel is shipping in. The propaganda operation has tried to sell us and the world the idea that the occupation of Gaza is over, but in any case, Israel has legal authority to bar humanitarian aid. All one pack of lies.

Only one voice spoiled the illusory celebration a little: an Amnesty International report on the situation in Gaza. Four out of five Gaza residents need humanitarian assistance. Hundreds are waiting to the point of embarrassment to be allowed out for medical treatment, and 28 already have died. This is despite all the Israeli army spokesman’s briefings on the absence of a siege and the presence of assistance, but who cares?

And the preparations for the operation are also reminiscent of a particularly amusing farce: the feverish debate among the septet of ministers; the deployment of the Masada unit, the prison service’s commando unit that specializes in penetrating prison cells; naval commando fighters with backup from the special police anti-terror unit and the army’s Oketz canine unit; a special detention facility set up at the Ashdod port; and the electronic shield that was supposed to block broadcast of the ship’s capture and the detention of those on board.

And all of this in the face of what? A few hundred international activists, mostly people of conscience whose reputation Israeli propaganda has sought to besmirch. They are really mostly people who care, which is their right and obligation, even if the siege doesn’t concern us at all. Yes, this flotilla is indeed a political provocation, and what is protest action if not political provocation?

Again we will be portrayed not only as the ones that have blocked assistance, but also as fools who do everything to even further undermine our own standing. If that was one of the goals of the peace flotilla’s organizers, they won big yesterday.“


 

Neue jüdische Lobby: Besatzung und Siedlungen sind „moralische Fehler“

Dies ist ein bemerkenswerter Satz: „Systematic support of Israeli government policy is dangerous and does not serve the true interests of the state of Israel.“
Die systematische Unterstützung der israelischen Regierungspolitik ist gefährlich und dient nicht den wahren Interessen des Staates Israel.
Wer schreibt dies? Eine neue jüdische Lobbyorganisation names JCall, die es nicht länger den etablierten Lobbyisten überlassen will, die jüdische Stimme gegenüber den europäischen Institutionen zu sein.
Weiter heißt es in dem Manifest:

„Wir stellen fest, dass die Existenz Israels erneut gefährdet ist. Die Gefährdung von außen ist nicht zu unterschätzen, doch ist diese nicht die einzige Gefahr. Eine Gefährdung liegt auch in der Besatzung und in dem Auf- und Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und in den arabischen Vierteln Ost-Jerusalems, die ein moralischer Fehler und ein politischer Irrtum sind und die u. a. zu dem inakzeptablen Vorgang der Delegitimierung Israels als Staat führen.“

Daher fordern die bisher 3666 Unterzeichner:

„1. Die Zukunft Israels bedingt notwendigerweise die Schaffung des Friedens mit dem palästinensischen Volk und die Gründung eines palästinensischen Staates gemäß dem Prinzip « zwei Staaten für zwei Völker ». Wir alle sind uns dessen bewusst, dass dieses Anliegen dringend ist. Bald wird Israel sich mit zwei katastrophalen Alternativen konfrontiert sehen: Entweder werden die Juden eine Minderheit in ihrem eigenen Land sein oder es wird im Lande ein Regime entstehen, das Israel beschämen und die Gefahr eines Bürgerkrieges heraufbeschwören wird.
2. Es ist daher von größter Wichtigkeit, dass die Europäische Union gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika Druck auf beide Parteien ausübt und ihnen hilft, eine vernünftige und schnelle Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu erreichen. Trägt doch Europa angesichts seiner Geschichte die Verantwortung für diese Weltregion.“

Es haben bereits einige der entschiedensten Unterstützer Israels unter den französischen Intellektuellen unterzeichnet – Alain Finkielkraut und Bernard-Henri Lévy. Auch Daniel Cohn-Bendit ist mit von der Partie. (Haaretz-Bericht hier.)

Als Vorbild für diese neue Form der kritischen Israelunterstützung kann man JStreet in den USA ansehen. Anders als JStreet, die in einer überwältigend israelfreundlichen Öffentlichkeit agiert, findet sich JCall in Europa in einer Situation vor, in der Israelkritik sehr verbreitet ist (und nicht immer aus den reinsten Motiven geübt wird). Man kann die Initiative als einen Versuch sehen, sich weder von der israelischen Seite noch von der Warte der reflexhaften Israelkritiker vereinnahmen zu lassen.

JCall hat den offenen Brief am gestrigen Sonntag dem europäischen Parlament zugestellt. Das ist etwas Neues: Juden fordern Europa auf, Israel wegen der Siedlungspolitik unter Druck zu setzen – und sie tun dies aus Loyalität zu Isarel und der zionistischen Idee eines lebensfähigen jüdischen Staates inmitten seiner Nachbarn.


 

Büßen die Araber (zu Unrecht) für den Holocaust?

Der große israelische Philosoph und Diplomat Shlomo Avineri erklärt in Ha’aretz, warum einige seiner Verwandten  sich nicht aus dem NS-beherrschten Polen nach Palästina retten konnten – wegen der erfolgreichen arabischen Opposition gegen die jüdische Einwanderung in der „dunkelsten Stunde des Judentums“.

„They succeeded in shutting the country’s gates during the darkest hour of the Jewish people. Anyone seeking reconciliation between us and the Palestinians must insist that both sides be attentive to the suffering of the other side, and that goes for the Palestinians as well as for us.“

Die damals in Palästina herrschenden Briten entschieden sich zum Appeasement gegenüber der arabischen Revolte, um den Nachschubweg aus Indien über den Suez-Kanal nicht zu gefährden. Man fürchtete, dass sich die Araber durch fortgesetzte gewaltsame Unterdrückung der Revolte zusammenschließen und näher an Nazideutschland und das faschistische Italien rücken würden. Die Briten deckelten darum im White Paper 1939 die  jüdische Einwanderung bei  75.000 und erschwerten den Immobilienerwerb für Juden in Palästina.

Die Appeasement-Politik hat den Mufti von Jerusalem nicht davon abgehalten, dennoch die Nähe Hitlers zu suchen:

„This policy did not completely achieve its goal; the Mufti of Jerusalem, Haj Amin al-Husseini, found his way to Berlin anyway. An anti-British and pro-Nazi rebellion erupted in Iraq, led by Rashid Ali. But as far as the Jews were concerned, the British continued to consistently apply the principles of the White Paper during the war. The gates were shut to legal Jewish immigration, the British navy fought illegal immigration and ships seeking to save Jews from the Nazi occupation (such as the Struma) were returned to their port of origin; some of their passengers died at sea, others in the gas chambers.

Guilt for the Holocaust lies with Nazi Germany and its allies. But an untold number of Jews, perhaps as many as hundreds of thousands – including my grandparents from the Polish town of Makow Podhalanski – were not saved and did not reach Mandatory Palestine because of the position taken by the Arabs.“

Avineri will vor allem ein Argument entkräften, dass man immer wieder in Debatten über die Legitimität Israels zu hören bekommt: „Warum mussten die Araber für den NS-Holocaust mit dem Verlust ihrer Heimat büßen?“

„One sometimes encounters the Palestinian argument that there is a basic injustice in the fact that they appear to have to pay the price for Europe’s crimes during the Holocaust. It’s true, of course, that Nazi Germany and its allies, and not the Palestinians, are those guilty of perpetrating the Holocaust. Nonetheless, any argument that links the establishment of the State of Israel exclusively to the Holocaust ignores the fact that modern Zionism preceded the annihilation of the Jews in World War II, even if the Holocaust clearly strengthened the claim for Jewish sovereignty.“

Die zionistische Einwanderung nach Palästina ging dem Holocaust erstens lange voraus, und zweitens hätten die Araber durch ihre Opposition gegen die jüdische Einwanderung ausgerechnet zur Zeit der schlimmsten jüdischen Bedrängnis eine Mitverantwortung für viele Opfer auf sich geladen.

Avineri hat Recht, an diesen dunkle Vorgeschichte der Staatsgründung Israels zu erinnern.  Man sieht hier, dass sehr viel mehr einer Aussöhnung im Wege steht als nur die Ereignisse der letzten Jahre.

Aber Empathie ist eben eine Sache auf Gegenseitigkeit. So lange eine isarelische Politik herrscht, die den Arabern Palästinas jedes Mitgefühl für ihre Katastrophe in Folge der Staatsgründung Israels verweigert, kann man kaum erwarten, dass jene der jüdischen Tragödie mit Empathie begegnen.

 

Warum Iran sich aus dem Nahostkonflikt heraushalten sollte

Begründet von einem Iraner auf Iranian.com:

If these people cannot find in their hearts to forgive each other after 60 years, then I say: the hell with them; they are cursed to hatred for the rest of their lives. Let them burn in that hatred!

We and the Iraqi’s forgave each other, although we killed a million of our youths and destroyed half of our countries. I was in the Iraq war, and saw their brutality first hand. Why can’t these Arab and Israeli’s forgive each other and get on with their lives. Their dead and wounded is not even a fraction of what we lost in Iraq-Iran war.

Ist was dran.

 

Die Avatar-Intifada

Bild: Reuters

Ende vergangener Woche protestierten diese Palästinenser im Na’vi-Kostüm am israelischen Sperrzaun nahe Bilin gegen die Besatzung.

Quelle.

 

Steinmeiers letzte Nahostreise

Von Sonntag bis Dienstag war ich mit dem Aussenminister unterwegs in Israel, Syrien und Libanon. Ich will keinen Reisebericht schreiben, sondern werde mir die Eindrücke aufheben für ein späteres Stück. Darum habe ich mich für eine Bildergeschichte entschieden, um der lieben Blog-Gemeinde meine vorläufigen Impressionen mitzuteilen. Es ist Steinmeiers 14. Nahostreise, und womöglich seine letzte.

Am Montagmorgen, gleich nach dem Besuch beim israelischen Präsidenten Peres, geht Steinmeier nach Yad Vashem, um der Opfer des Holocaust zu gedenken. Ins Kondolenzbuch schreibt er den trockenen und doch eben drum auch angemessenen Satz: Das Gedenken an die Schoah führt uns nach Israel. Die Gedenkfeier ist streng ritualisiert – Kranzablage, Entzünden der Gedenkflamme, Schweigeminute, fertig. Sie hat auch die Funktion, eine Quelle der Legitimität des Staates Israel zu bekräftigen – das „Nie wieder“.

Unmittelbar nach dem Gedenkakt läßt sich Steinmeier auf den Mount Scopus fahren, von wo aus man Siedlungsaktivitäten in den Blick nehmen kann. Sein  Nahostspezialist, Botschafter Andreas Michaelis, erklärt ihm anhand von Karten, wie die Siedlungen das Westjordanland zerschneiden. Natürlich ist das eine politische Geste vor dem folgenden Besuch bei Benjamin Netanjahu in der Knesset: Dass wir uns ohne Einschränkung zur Legitimität des Staates Israel bekennen, heisst eben nicht (mehr), dass wir die Siedlungspolitik hinnehmen. So ein Zeichen zu setzen hat sich die Bundesregierung bisher nicht getraut.

Bei Netanjahu und – später am Tag – Lieberman geht es sehr frostig zu. Steinmeier nutzt jede Gelegenheit, um die Worte „Zweistaatenlösung“ und „Siedlungspolitik“ zu sagen. Er ist gekommen, um dafür zu werben, dass man die neue Nahostpolitik Obamas als Chance begreifen möge. In Israel wird in diesen Tagen über einen Militärschlag gegen Iran spekuliert. Hat der amerikanische Vizepräsident Biden mit seinen Äusserungen vom Sonntag dafür grünes Licht gegeben? Oder hat er eigentlich sagen wollen: Wenn ihr (Israel) das macht, seid ihr auf euch allein gestellt? Über Lieberman schreiben die israelischen Zeitungen, er sei als Aussenminister irrelevant: Barak verhandelt als Verteidigungsminister mit Mitchell über die Siedlungen, Netanjahu ist fürs Verhältnis mit Amerika zuständig, und die Araber wollen mit Lieberman nicht reden, weil er einen Wahlkampf mit rassistischen Untertönen gegen sie gemacht hat. Lieberman will unbedingt eine Pressekonferenz mit Steinmeier, um endlich wieder einmal mit einem anderen Aussenminister ins Bild zu kommen. Israel, scheint mir, ist in einem Zustand äusserster Verwirrung: Unter Druck durch seine Freunde, und dies in einem Moment, in dem die iranische Gefahr die öffentliche Debatte bestimmt – und dann auch noch regiert von einer Koalition der Angst und des Kleinmuts. Schlechte Voraussetzungen für den Wandel, den Steinmeier predigt.

In der Jerusalemer Altstadt verkaufen (siehe Fotos oben und unten) arabische Händler diese T-Shirts mit zionistischen Spassbotschaften. Verrückte Stadt.

Man kann nicht direkt von Israel nach Syrien fliegen, nicht einmal mit einer Regierungsmaschine, weil zwischen beiden Ländern seit 1973 der Kriegszustand herrscht. Dabei wäre es von Jerusalem nach Damaskus nur ein paar Stunden Autofahrt. Also muss auch der deutsche Aussenminister eine Schleife über Zypern fliegen, um dann den syrischen Luftraum anzusteuern. Beim Anflug auf Damaskus erwische ich mich beim Suchen nach Bombenkratern in der syrischen Wüste (Foto unten). Aber natürlich werden die Geheimdienste dafür gesorgt haben, dass man nicht mehr sieht, wo die Israelis das syrische Atomprogramm beendet haben.

Der Präsident grüßt allenthalben in Damaskus, so auch hier auf dem Hausberg der Stadt, dem 1200 Meter hohen Kassioun. Aber es heißt, ihm gefalle der Personenkult nicht, und darum habe er die meisten Plakate in der Stadt abmontieren lassen.

Hier residiert nicht Dr. No, sondern Präsident Assad. In dem monumentalen Palast empfängt er seine (wenigen, aber es werden mehr) Gäste. Seine Wohnung liegt allerdings mitten in der Stadt, in einem besseren Viertel.

Das syrische Aussenministerium ist von erstaunlicher Schäbigkeit. Nicht mehr als ein umgebautes Apartmenthaus im Diplomatenviertel der Stadt. Seit den siebziger Jahren ist hier nicht mehr renoviert worden. Auf dem Foto ist das Foyer zu sehen, in dem Steinmeier seine Pressekonferenz mit dem Aussenminister Muallim abhalten wird. In dem Warteraum, in dem wir Journalisten auf die Minister warten, steht die „Great Soviet Encyclopedia“ in den Regalen, staubbeladen.

Schärfer könnte der Kontrast nicht ausfallen als zu dem Palast der Familie Hariri in Beirut, wo Steinmeier den designierten Ministerpräsidenten trifft, Saad Hariri, Sohn des (vermutlich von syrischer Hand) ermordeten Rafik Hariri. Ein wunderschöner Stadtpalast, mitten im mediterranen Gewimmel Beiruts, bewacht von Dutzenden schwer bewaffneter Männer. Der junge Hariri will einen nationalen Versöhnungsprozess beginnen. Seine Wahl ist erst möglich geworden durch die Nichteinmischung der Syrer, die den Libanon offenbar langsam aufzugeben bereit sind. Die Belohnung dafür ist das Nachlassen der diplomatischen Isolation. Steinmeier hat diese Politik schon früh forciert, als sie noch sehr unpopulär war. Jetzt erweist sie sich auch als klug, weil Syrien damit aus der iranischen Umklammerung geholt werden kann – und der Iran somit weiter isoliert.

Allerdings hat das Setting im Hariri-Palast etwas von „Der Pate 2“. Überall hängen die Bilder des ermordeten Vaters, und der Sohn füllt nun seine Fußstapfen aus. Wird er sich mit dem Oberhaupt der anderen großen Familie vertragen, die seinen Vater hat ermorden lassen (siehen oben)? Der junge Hariri macht den Eindruck, die Dinge anders angehen zu wollen. Aber kann er der Clanpolitik entkommen?

Alle Fotos: Jörg Lau

 

Gespräch mit einem zionistischen Siedlungskritiker

Am Rande der Tagung in Budapest über „Liberalism after Neoliberalism“ hatte ich Gelegenheit, Zeev Sternhell kennenzulernen, den bekannten israelischen Faschismusforscher.

Ich hatte seinerzeit darüber berichtet, dass er in seinem Haus in Tel Aviv beinahe einem Bombenattentat – vermutlich von radikalen Siedlern – zum Opfer gefallen wäre.

Er sagte, es gehe ihm gut. Er werde sich auch weiter nicht einschüchtern lassen, gleichwohl gebe es ihm zu denken, dass die Polizei nicht in der Lage sei, die Täter zu finden.

Ich fragte Sternhell nach seiner Meinung zu Obamas Versuch, die Israelis zu einem Stopp der Siedlungsprojekte zu drängen.

(Foto: Daniel Bar On, © Hebrew University of Jerusalem)

Er sagte, er hoffe auf Obamas Unnachgiebigkeit: „Wir können es einfach nicht mehr aus eigener Kraft schaffen.“ Nicht nur Israel sei in dieser Lage, auch die Palästinenser. Beide brauchen eine von außen aufgedrängte Lösung, weil die innere Kohärenz der politischen Führung es nicht mehr zulässt, die Probleme zu lösen.

Sternhell argumentiert seit Jahren für den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten, um das ursprüngliche Versprechen des Zionismus zu retten – eine Heimstätte für die Juden, einen Nationalstaat mit verteidigbaren Grenzen, in dem auch künftige Generationen im Frieden mit den Nachbarn leben können.

Ich fragte ihn, was denn eigentlich die andere Seite für eine Vision habe – diejenigen, die durch den Siedlungsbau das Land westlich des Jordans in Besitz nehmen und Israelis dadurch zu Kolonialherren machen. Wollen Sie Israel zur Kolonialmacht erheben – wo doch die Kolonialepoche eigentlich zur gleichen Zeit zuende ging als Israel gegründet wurde?

Sternhell sagte, diese Leute – die Siedler und ihre Politiker – glaubten, die Welt werde sich daran gewöhnen, dass es einfach eine weiteren miserablen unlösbaren Konflikt gebe, in dem immer wieder Blut fliesst und die eine Seite im Elend lebt. Die Palästinenser würden schon eines Tages resignieren oder verschwinden – das sei die Logik dieser Politik. Er lehne sie ab – aus Liebe zu Israel.

Hier sein Bekennntnis aus einem früheren Post auf dieser Seite:

Ich bin nicht nach Israel gekommen, um in einem binationalen Staat zu leben. Hätte ich als Minderheit leben wollen, hätte ich andere Orte wählen können, an denen das Leben als Minderheit sowohl angenehmer als auch sicherer ist. Aber ich bin auch nicht nach Israel gekommen, um ein Kolonialherr zu sein. In meinen Augen ist ein Nationalismus, der nicht universal ist, der nicht die nationalen Rechte anderer achtet, ein gefährlicher Nationalismus. Daher glaube ich, dass die Zeit drängt. Wir haben keine Zeit. …

Meine Generation, die erste Generation der Staatsgründung, für die die Existenz des Staates ein Wunder ist, verlässt nach und nach die Bühne. Und für uns ist es eine Tragödie, dies zu sehen. Für mich ist das wirklich das Ende der Welt. Denn  der Mensch will die Zukunft seiner Kinder und seiner Enkel gesichert wissen. Als Bürger will ich die Zukunft der Gesellschaft gesichert wissen, in der ich lebe. Und als Mensch strebe ich danach, etwas zu hinterlassen, Fingerabdrücke. Und ich will wissen, dass, wenn ich den Löffel abgebe, meine Töchter und Enkelinnen hier weiter ein normales Leben führen werden. Ein normales Leben, das ist, was wir wollten.