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Ist bin Ladens Tod kein Grund zum Jubeln?

Auf dem Weg zur Arbeit die Presseschau des Deutschlandfunks. Darin folgender Kommentar aus der Ulmer Südwestpresse. Er steht für einen merkwürdig verhaltenen und verdrucksten Ton, der viele deutsche Analysen bestimmt:

Zwar dürfe

die Nachricht vom gewaltsamen Ende des Top-Terroristen in Pakistan auch in der Bundesrepublik mit Erleichterung aufgenommen werden.

Für Jubel oder Triumphgefühle freilich gibt es keinen Anlass. So schrecklich bin Ladens Regime war, so zwingend verbietet es sich für jeden zivilisierten Menschen, Freude darüber zu empfinden, wenn Leben ausgelöscht werden, und sei es, um künftiges Blutvergießen an anderer Stelle zu verhindern. Selbst menschenverachtender Terrorismus darf uns nicht dazu bringen, angesichts von Todesopfern zur Tagesordnung überzugehen oder unser Gewissen allzu rasch mit dem Hinweis zu beruhigen, ein offen bekennender Massenmörder habe seiner gerechten Strafe eben nicht entkommen dürfen.

Für Deutschland bedeutet der Schlag gegen den Kopf von Al-Kaida keine grundlegende Veränderung der allgemeinen Sicherheitslage. Die Bundesrepublik bleibt im Visier der Terroristen, allen Fahndungserfolgen zum Trotz. Die über 100 „Heiligen Krieger“, die nach Erkenntnis der Behörden mitten unter uns leben, werden nun umso mehr auf eine Chance lauern, bin Ladens Tod zu vergelten.

Ich muß sagen, dass mich etwas an diesem Ton sehr aufwühlt. Was ist es? Der eitle Appell an die zivilisierten Gefühle, an das Gewissen im Angesicht des Untergangs eines Massenmörders, der ja implizit unterstellt, die „jubelnden und triumphierenden Amerikaner“ hätten dergleichen eben nicht? Das Herunterreden des Erfolgs von fast einem Jahrzehnt Geheimdienstarbeit?

Obama hat die riskante Strategie gewählt, ein Kommando zu schicken um bin Laden zu fangen. Er hätte enden könne wie Jimmy Carter nach der gescheiterten Geiselbefreiung von Teheran oder wie Clinton in Somalia (Black Hawk Down) – ein Hubschrauber ist ja auch tatsächlich abgestürzt. Es gab jedoch keine zivilen Opfer, wie sie vielleicht bei einem Drohnenangriff geschehen wären. Aber der deutsche Kommentator badet sich im Gefühl seiner überlegenen Gewissenhaftigkeit. Verzeihung, aber da kommt mir die Suppe hoch. Übrigens: Ulm, war da was? Multikulturhaus? Mohammed Atta? Said Bahaj? Fritz G.? In Deutschland hat die Sache angefangen. Aber die Deutschen schreiben über deren Ende, als wären sie bloss Rezensenten des Geschehens – und geben Noten in Zivilität. Wie kommen wir denn dazu?

Noch etwas: Das Unverständnis für die Wichtigkeit eines symbolischen Siegs gegen die fürchterlichste Ideologie der Jetztzeit, die uns über ein Jahrzehnt lang schon in Krieg und Zerstörung gerissen hat, ist niederschmetternd. Niemand muss alles gut heißen, was nach dem 11. September entschieden wurde. Seit Jahren bereits tobt berechtigter Weise die Debatte über Sackgassen und Dilemmata der Antiterrorpolitik. Aber ohne den Druck gegen Al-Kaida in Afghanistan – und auch gegen die Filiale im Irak, nachdem man einmal dort war! – hätte man bin Laden nicht fangen können. Aus Guantanamo kamen offenbar wichtige Hinweise. Das sollte uns eine gewisse moralische Bescheidenheit nahelegen, einen Sinn für unauflösliche Zwangslagen in einem asymmetrischen Kampf. Selbstverständlich wäre es besser gewesen, ihn früher zu fangen. Aber was hilft das jetzt?

Al-Kaida hat eine Geschichtsphilosophie. Bin Laden hatte ein historisches Projekt – die Wiedererrichtung des Kalifats. Er lockt als Figur des „Widerstands“ gegen alles, was uns heilig ist – die Ordnung der Menschenrechte, der Demokratie, der individuellen Freiheit – junge Leute in einen irrsinnigen apokalyptischen Kampf. Immer noch, wie die Festnahmen in Deutschland von letzter Woche zeigen! Es ist entscheidend, dass durch seine Niederlage gezeigt wird, dass diese aberwitzige Weltsicht des Dschihadi-Salafismus keine Chance hat.Dass sie eine historische Verliererstrasse ist.

Der arabische Frühling hat schon aufgezeigt, dass die Menschen in den arabischen Ländern heute mehrheitlich andere Formen des Widerstands gegen die Tyrannei dem apokalyptischen Wahn bin Ladens bevorzugen. Sie wollen kein Kalifat und auch keine andere Theokratie, sondern ein Leben in Würde, mit individuellen Rechten und demokratischen Freiheiten – und Chancen auf Wohlstand und Fortkommen. Der Tod des Massenmörders ist Wasser auf ihre Mühlen: Neben den Tyrannen und Autokraten wird nun noch ein Fluch von der islamischen Welt genommen – die Gegen-Tyrannei des religiösen Faschismus bin Ladens.

Wie kann man darüber keine Freude empfinden? Wie kann man darüber nicht jubeln? Das hat doch nichts mit Blutrunst zu tun. Der Tod dieses Mannes öffnet Möglichkeiten für eine sicherere und friedlichere Welt.

Der „Friedensbeauftragte“ meiner eigenen Kirche vermag das allerdings nicht zu sehen:

Der Tod des Terroristenführers Osama bin Laden kann nach Auffassung des Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, kein Grund zur Freude sein. „Ich würde es nicht mal als Erfolg bezeichnen“, sagte der leitende Bremer Theologe am Montag in einem epd-Gespräch. Es sei immer richtig gewesen, Bin Laden zur Rechenschaft ziehen zu wollen, betonte Brahms. Dies könne aber nur mit rechtsstaatlichen Mitteln geschehen.

„Ich würde es nicht mal als Erfolg bezeichnen“? Sicher. Man hätte einfach Islamabad bitten sollen, dass die pakistanischen Behörden den internationalen Haftbefehl vollstrecken – nach all den Jahren. Dann hätten die Pakistaner bin Laden an die USA ausliefern können. Obwohl: Hätten wir Deutschen dagegen nicht protestieren müssen, weil ihm ja wahrscheinlich in den USA die Todesstrafe droht?

 

Osama, Feind der Muslime

Wie hier schon mehrfach betont, tötet Al-Kaida vor allem Muslime. Eine Studie des Combating Terrorism Center der US-Militärakademie in West Point kam 2009 (nach Auswertung ausschließlich arabischer Quellen) zu folgenden Zahlen:

The results show that non‐Westerners are much more likely to be killed in an al‐Qa’ida attack. From 2004 to 2008, only 15% percent of the 3,010 victims were Western. During the most recent period studied the numbers skew even further. From 2006 to 2008, only 2% (12 of 661 victims) are from the West, and the remaining 98% are inhabitants of countries with Muslim majorities. During this period, a person of non‐Western origin was 54 times more likely to die in an al‐Qa’ida attack than an individual from the West.
The overwhelming majority of al‐Qa’ida victims are Muslims living in Muslim countries, and many are citizens of Iraq, which suffered more al‐Qa’ida attacks than any other country courtesy of the al‐Qa’ida in Iraq (AQI) affiliate.

Die Studie findet sich hier.

 

Teheran, Gaza, Berlin: Muslime reagieren auf bin Ladens Tod

Interessant die Teheraner Reaktion auf den Tod bin Ladens: Nun könnten die Amerikaner ja abziehen aus der Nachbarschaft, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. In anderen Worten: Die Amerikaner hatten guten Grund, dort zu sein.

Nach dem Tod des Terroristenführers Osama bin Laden sind US-Militäreinsätze in der Region nach Ansicht Teherans nicht länger gerechtfertigt. «Der Vorwand der USA und des Westens, ihr militärisches Vorgehen in der Region diene der Bekämpfung des Terrorismus, ist heute nicht mehr gültig», teilte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Ramin Mehmanparast, am Montag in Teheran mit.

Der Vorfall zeige, dass eine dermaßen gewaltige Militäroperation wie in den vergangenen zehn Jahren nicht nötig gewesen wäre, «um einer einzelnen Person entgegenzutreten», sagte Mehmanparast. Er hoffe, dass der Krieg und das Töten unschuldiger Menschen nunmehr beendet und Frieden und Stabilität in der Region ermöglicht würden.

Auch dies ist eine implizite Billigung der Kommandoaktion. Der Teheraner Kommentar lässt sich so deuten: Hättet ihr bloss von Anfang an auf gezielte Tötungen gesetzt! (So macht es der Iraner selbst am liebsten.) Nun möchte man gerne in der ausgerechnet durch den großen Satan USA von Teherans ärgsten Feinden gesäuberten Region (Taliban, Saddam, Osama) alleine gelassen werden und ein bisschen Hegemon spielen.

(Meine Prognose: No way!)

Unfasslich die Hamas, die ein rhetorisches Selbstmordattentat begeht:
Der politische Hamas-Führer im Gazastreifen, Ismail Hanija, verurteilte die Tötung Bin Ladens als «Mord»: „Wir verurteilen die Ermordung eines arabischen Heiligen Kriegers.“ Die US-Kommandooperation auf pakistanischem Boden sei «eine Fortsetzung der amerikanischen Politik der Gräueltaten», sagte der islamistische Politiker am Montag in Gaza-Stadt.

Das war’s dann mit der Fatah-Hamas-Versöhnung. Dieses drohende neue palästinensische Einheitsregime kann niemand unterstützen. (Unfasslich das Ganze auch deshalb, weil Al-Kaida Hamas längst abgeschrieben hatte – als viel zu moderat und demokratisch.)

Und wie äußern sich die offiziellen Sprecher der deutschen Muslime? Ayman Mazyek trifft den rechten Ton:

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland zeigt sich erleichtert über den Tod des Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden. Der «Bild»-Zeitung (Dienstag) sagte Mazyek: «Mit einer Mischung aus Erleichterung und Überraschung, dass bin Laden überhaupt noch lebte, haben viele Muslime seinen Tod aufgenommen. Durch seinen gewaltsamen Tod kann er nicht mehr vor ein ordentliches Gericht gestellt werden. Bei einer Verurteilung hätten die Opfer des 11. Septembers den Tätern so ins Gesicht schauen können. Die Seebestattung ist intelligent gewählt worden, so kann aus seiner Grabstätte später keine extremistische Kultstätte entstehen.»

 

Funky Osama

Mein Lieblingsfoto des Mannes, der uns ein Jahrzehnt gekostet hat.

Familie bin Laden 1971 in Falun, Schweden bei einem Ausflug. Osama (etwa 14 Jahre alt) rechts eingekreist.

 

Osama in Pakistan

Am 26.9.2006 hatte Jon Stewart den pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf zu Gast. Ich muss sagen, mir stockte der Atem, als Stewart nach 1.30 min die entscheidende Frage stellte: Wo ist Osama bin Laden? Die Antwort spricht für sich selbst.

Nun ist Osama bin Laden in der Nähe der pakistanischen Hauptstadt – in einer Garnisonsstadt – gefunden und erschossen worden. Die pakistanischen Geheimdienste sind in jedem Fall bis auf die Knochen blamiert: Entweder haben sie bin Laden geschützt und gedeckt. Oder sie hatten keine Ahnung, dass er nicht etwa im unzugänglichen Stammesgebiet versteckt war, sondern mitten in Pakistan, in einem großen gesicherten Anwesen. Oder, schlimmste Möglichkeit: Beides in Folge.

 

Bin Laden ist tot! (Bouazizi lebt.)

Die Nachricht vom Tod bin Ladens passt in den arabischen Frühling. Al-Kaida hatte seit Monaten Schwierigkeiten, die arabischen Revolten für sich zu vereinnahmen.

Zwar ist es sehr im Sinn des Netzwerks, die Autokraten stürzen zu sehen, die mit dem Antiterrorkrieg kooperiert haben. Auch dass die Herrscherhäuser wanken, die die Kriege der Amerikaner gegen Saddam Hussain gestützt und „ungläubige Truppen“ auf heiligem Boden geduldet haben, kommt Al-Kaida entgegen.

Doch der Wunsch der arabischen Völker nach Demokratie traf die Jihadi-Salafisten im Mark: Denn ihr Projekt war die Theokratie in einem wieder zu errichtenden Kalifat. Und jede Form der Herrschaft von Menschen widerspricht dem salafistischen Islam. Um eben diese geht es aber in den Aufständen gegen die Tyrannei von Marokko bis Damaskus.

Mit den Aufständen ist eine Alternative zu dem antihumanen, antiwestlichen, antisemitischen Dschihadismus entstanden: Eine andere Möglichkeit der arabischen Völker, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Auch andere Formen des terroristischen Kampfes als der Dschihadi-Salafismus (Hisbollah, Hamas) sind nun unter Druck, seit Syriens Regime schwankt: Der arabische Frühling hat die Selbstverbrennung an die Stelle des Selbstmordattentats gesetzt – ein historischer Moment in der arabischen Kultur.

Dazu passt, dass nun der schlimmste Feind der friedliebenden Muslime weltweit tot ist. Er war ein Feind der Menschheit, aber vor allem ein Fluch für die islamische Welt. Niemand hat so viel Elend über Afghanistan, Irak und Pakistan gebracht wie Osama bin Laden. Zu befürchten ist, dass seine mörderische Ideologie seinen Tod noch eine Weile überleben wird. Mit Racheakten ist zu rechnen. Aber der Tod des Führers könnte doch ein entscheidender Schlag sein. Die Amerikaner haben ihn auf See bestattet, nach islamischem Ritus, wie inoffizielle Quellen betonen. Es ist vorbei.

Al-Kaida hat versucht, sich in Marokko durch ein schändliches Attentat in einem Café wieder ins Spiel zu bringen (und offenbar in Deutschland durch die Planungen, die am Wochenende durch die Verhaftungen vereitelt wurden). Solche Taten führen nirgendwohin. Sie machen den Menschen nur klar, wie sich die Bewohner Israels während der zweiten Intifada gefühlt haben, als die Diskotheken und Cafés mit Bomben angegriffen wurden. Solche Taten können eine freie Gesellschaft nicht besiegen, und sie könne eine Tyrannei nicht zum Einsturz bringen.

Eine Selbstverbrennung hat die Diktatur besiegt. Möglich ist immerhin, dass freiere Gesellschaften daraus entstehen.

Es lebe Mohammed Bouazizi. Osama bin Laden ist tot.

 

Draußenpolitik

Mein Kommentar aus der Jüdischen Allgemeinen von heute (und damit ein frohes Pessach- respektive Osterfest):

Wie sieht Deutschland seine Rolle in der Welt? Bei unseren Freunden und Verbündeten ist der Eindruck entstanden, die Deutschen lebten mit zwei Be- griffen der Globalisierung, die sie bequem auseinanderhalten. Da ist einerseits die wirtschaftliche Öffnung und Verflechtung, an der prächtig verdient wird. Andererseits gibt es die »böse« Globalisierung. Die der Gefahren und der Verantwortung, in der immer die anderen zuständig sind. Die deutsche Enthaltung bei der Libyen-Resolution bestärkt diesen Verdacht.

Außenminister Westerwelle hat erklärt, warum die Bundesrepublik unter keinen Umständen an der Intervention gegen Muammar al-Gaddafi teilnehmen dürfe: Man wolle nicht auf eine »schiefe Ebene« geraten. Weniger diplomatisch ausgedrückt: Wer »Schutz der Zivilbevölkerung« sagt, wie es in der UN-Resolution 1973 heißt, meint Krieg. Und da hält sich Deutschland eben raus.

Es dauerte allerdings nur einen Monat, bis sich die unsterbliche Weisheit Herbert Wehners bewahrheitete: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen. Um seine Partner in Nato und EU nicht vollends im Regen stehen zu lassen, hat Deutschland nun humanitäre Hilfe für Libyen zugesagt – notfalls auch militärisch abgesichert.

Diese Beteiligung soll aber in Westerwelles Worten »etwas völlig anderes als die an einem Kriegseinsatz« sein: »Humanitäre Hilfe ist neutral, sie schaut nur auf die Opfer.« Das ist bemerkenswert: Deutschland schreibt sich eine neutrale Rolle zu und »schaut nur auf die Opfer«. Neutralität gegenüber Gaddafi, der sein eigenes Volk mit Streubomben beschießt? Bei jeder Gelegenheit betont Westerwelle, dass der »Diktator« seine Legitimität verwirkt habe, als er Truppen gegen sein eigenes Volk einsetzte. Deutschlands Enthaltung will zu diesen starken Worten nicht so recht passen. Grundsätzlich gefragt: Kann ein in Europa so wichtiges Land wie Deutschland sich in Äquidistanz üben? Nachbarn und Alliierte sind zumindest alarmiert. Kehrt Berlin zurück auf den Sonderweg, der schon einmal in die Isolation führte? Das zwar (noch) nicht. Aber ein Pfad ist schon mal getreten. Und der führt ins Abseits.

Merkwürdig: Kein deutscher Chefdiplomat war je so unbeliebt wie Westerwelle, obwohl doch seine ganze Außenpolitik auf Popularität zielt: für ein konkretes Abzugsdatum aus Afghanistan, für die Abrüstung der letzten US-Atomraketen hierzulande, für einen Sitz im UN-Sicherheits- rat und gegen eine Beteiligung an der Libyen-Intervention.

Die Anfänge dieser Politik reichen zurück in Westerwelles Oppositionszeit. 2006 stritt er gegen den Einsatz der deutschen Marine vor dem Libanon, wo unter UN-Mandat verhindert werden sollte, dass die Hisbollah weiter mit Waffen gegen Israel versorgt werden konnte. Und das, obwohl sogar der jüdische Staat einen solchen Einsatz guthieß. Aus demselben Geist hat Westerwelle sich früh gegen eine Flugverbotszone in Libyen festgelegt. Nun liegt der Makel auf der deutschen Außenpolitik, man hätte dem bereits angekündigten Massaker in Bengasi zugesehen.

Es führt also eine Linie von Libanon bis Libyen. Nationalpazifismus wird offenbar wieder zur politischen Größe: Deutschland hält sich raus und zieht sich raus, wo immer es geht, im Zweifel auch auf die Gefahr hin, Freundschaften und Bündnisse zu gefährden, die bisher gerade für liberale und konservative Außenpolitiker als unverzichtbar galten.

Dabei geht es »nur« um Libyen. Das nordafrikanische Land ist in der Region nicht von vorrangiger strategischer Bedeutung – wenn der Tyrann und Terroristenfreund Gaddafi erst einmal weg ist. Gerade deshalb wird die deutsche Neupositionierung in diesem Fall zu Recht so aufmerksam beobachtet. Was bedeutet sie auf anderen außenpolitische Feldern?

Schon im Herbst könnte sich eine Lage entwickeln, die Deutschland auf eine noch viel schwerere Belastungsprobe stellt. Die Palästinensische Autonomiebehörde droht mit einer einseitigen Souveränitätserklärung. Die Planspiele laufen schon, in denen die Folgen durchexerziert werden. Früher oder später würde, wenn es so weit kommt, der Ruf nach einer internationalen Friedenstruppe laut werden.

Was wird Deutschland dann aus seinem Kapital als »ehrlicher Makler« machen, dessen es sich so gerne rühmt? Wird die Bundesregierung aus seiner Glaubwürdigkeit auf beiden Seiten des Konflikts die Pflicht zum Handeln folgern? Oder gibt es ein Nein aus dem Geist der Neutralität? Denn gefährlich und unpopulär wird auch diese Mission. Eigenartig, dass man sich ausgerechnet bei einer konservativ-liberalen Regierung über die Antwort nicht im Klaren sein kann. Nur eines ist gewiss: Eine Enthaltung wird es nicht geben können.

 

Einwanderung begrenzen und steuern ist nicht „rechts“

David Cameron, der britische Premier, hat letzte Woche eine Grundsatzrede zur Einwanderung gehalten. Genauer gesagt: Es war eine Rede über die Einschränkung der Einwanderung. Erwartungsgemäß wurde sie vor allem von links her kritisiert. Auch der liberaldemokratische Koalitionspartner nahm den Regierungschef hart ran. (Hier die Rede.)

Das halte ich für kurzsichtig. Der Nationalstaat ist einstweilen das einzige Gefäß der Demokratie, das wir haben (bis eventuell auch einmal eine supranationale Demokratie auf europäischer Ebene funktioniert, braucht es eine weitere Generation). Die Möglichkeit zur Kontrolle der Grenzen und (post-Schengen) der Staatsangehörigkeit ist ein Kernelement der Staatlichkeit. In anderen Worten: Wenn der Eindruck entsteht, ein Staat habe darüber keine Kontrolle mehr, unterhöhlt das die Legitimität dieses Staates. Die Linke  in Deutschland hat dies in den Jahren zwischen dem Asylkompromiss von 1992  und den Schily’schen Sicherheitsgesetzen zehn Jahre später gelernt.

Cameron setzt sich in seiner Rede mit den Migrations-Defätisten auseinander, die von der Nichtsteuerbarkeit von Wanderungsprozessen ausgehen. Grossbritannien kann die Migration innerhalb der EU zwar nicht mehr steuern, aber die macht auch nur einen geringen Anteil aus. Der wesentliche Teil ist die außereuropäische Migration, und die ist mit fast 200.000 Zugängen im letzten Jahr in der Tat sehr hoch. Cameron kündigt an, Schlupflöcher zu stopfen, wie etwa bei der Vergabe von Studentenvisa, wo es offenbar einigen Mißbrauch gibt. Beim Familiennachzug soll es auch Beschränkungen geben. Die Kriterien zur Erteilung von Arbeitsvisa werden erhöht. Außerdem sollen die Anreize im Sozialsystem korrigiert werden, damit sich Arbeit wieder mehr lohnt als Stütze (also das, was in Deutschland erst durch Rotgrün angefasst wurde, Stichwort Hartz 4).

Ich finde einige der Beispiele, mit denen Cameron arbeitet zwar etwas tendenziös (der chinesische Koch, das indische Plakat). Aber insgesamt hat diese Rede für meinen Geschmack keinen falschen Ton. Es wird nicht ethnisiert, nicht religiös oder kulturalistisch argumentiert. Cameron argumentiert vom Gemeinwohl her, und es ist dumm, das als „rechts blinken“ abzutun.

Ich finde, er hebt sich mit seiner pragmatischen Rede wohltuend von den Schwesterparteien auf dem Kontinent ab. Sarkozy macht spektakuläre Symbolpolitik (Burka, Identitätsdebatte), die am Ende keine relevantes Problem löst. Die Christdemokraten fallen immer wieder zurück in Kulturalismus und religiöse Identitätsspiele (Kruzifix), und sie machen eine irrationale Zuwanderungspolitik, die an deutschen Interessen vorbeigeht. Die Einkommensgrenzen für begabte und hoch qualifizierte Einwanderer sind hierzulande zum Beispiel viel zu hoch.

Die britischen Konservativen hingegen stehen für ein Punktesystem, das Einwanderung nach rationalen Kriterien zu regeln versucht. Warum ist das bei uns nicht denkbar, obwohl doch das Volk eine recht pragmatische Einstellung hat?

 

Oranje boven – eine Königin gegen Wilders

Die Königin der Niederlande, Beatrix, war für mehrere Tage in Deutschland. Wie immer, haben solche Besuche eine inwärtige und eine auswärtige Seite. Die Königin wollte offenbar einige Botschaften nach Hause senden.

Das Bemerkenswerte: Im gegenwärtigen Klima der Niederlanden ist Deutschland zum guten Beispiel avanciert. Für alle Seiten, interessanter Weise. Es tobt eine Art Deutungskampf um den großen Nachbarn. Geert Wilders hatte sich ja bekanntlich begeistert darauf gestürzt, als die Bundeskanzlerin Multikulti für gescheitert erklärt hatte. Nun würden die Deutschen endlich aufwachen und seine Sicht habe sich bis in die Regierung durchgesetzt.

Beatrix setzte nun auf ihrem Deutschlandbesuch Gegenpunkte. Bei dem Festbankett lobte sie ausdrücklich die Rede des Bundespräsidenten vom 3. Oktober, in der Wulff den Islam als zu Deutschland gehörig bezeichnet hatte. Das war eine klare Botschaft nach Hause, wo Wilders den Koran verbieten lassen will. (Man muss dazu wissen, dass die Reden der Königin minutiös vom Regierungschef revidiert werden, in diesem Fall dem von Wilders geduldeten Liberalen Mark Rutte. Also könnte es sich auch um eine subtile Spitze Ruttes gegen Wilders handeln.)

Schließlich ließ Beatrix einen Besuch am Brandenburger Tor ausfallen, bestand aber auf einem Termin im auch in den Niederlanden bekannten Ortsteil Neukölln, wo sie in Anwesenheit von Bezirksbürgermeister Buschkowsy und Klaus Wowereit ein Projekt für Migrantenkinder besuchte. Auch Wilders war ja letzten Herbst in Berlin gewesen, um hier mit einer seiner apokalyptischen Islamreden die Partei „Die Freiheit“ aus der Taufe zu heben.

Schon vor drei Jahren hatte Beatrix in einer Weihnachtsansprache für den Zusammenhalt in der niederländischen Gesellschaft geworben. Wilders hatte sich damals angegriffen gefühlt – wahrscheinlich zu recht: „In dem, was einem Menschen lieb und heilig ist, ist er am meisten verwundbar.“ Ein wichtiger Satz, den man auch in Deutschland beherzigen sollte.

 

Ägypten verurteilt Blogger: auf dem Weg zur Militärdiktatur?

Fällt Ägypten zurück in die Tyrannei der Mubarak-Ära – ausgerechnet im Moment, in dem Mubarak vor Gericht gestellt wird?
Am Sonntag ist ein bemerkenswerter junger Mann in Abwesenheit zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Maikel Nabil Sanad ist ein 26jähriger Blogger und Aktivist, der zu den Revolutionären vom Tahrir-Platz gehörte. Wenn die ägyptische Revolution eine Facebook-Revolution war, dann ist Maikel Nabil Sanad der erste Facebook-Gefangene der neuen Zeit.

Maikel Nabil Sanad

Das Militärgericht hat ihn nämlich wegen eines Blog-Artikels und seiner Facebook-Kommentare verurteilt, in denen er Menschenrechtsverletzungen des Militärs angeprangert hat. Das zeigt, wie eng die Grenzen des Sagbaren in Ägypten jetzt gezogen werden, wenn es um die wahren Machthaber im Lande geht: die Militärs.

Maikel Nabil Sanad ist ein erstaunlicher Mann: von Ausbildung her Tierarzt, hat der Kopte vor 2 Jahren eine Gruppe begründet, die das Recht auf Kriegsdientsverweigerung einklagt. Er selbst hat aus Gewissensgründen den (obligatorischen) Dienst an der Waffe verweigert. Außerdem hat er sich immer für Israel ausgesprochen, eine wahrhaft mutige Tat in Ägypten. Zwar hat er die gegenwärtige israelische Regierung auf Facebook auch für ihr Verschleppen des Friedensprozesses kritisiert, aber dennoch hat er immer Israel als eine Demokratie verteidigt. (Wow, dDer Junge ist wirklich ein Gefahrensucher.) Während der Proteste auf dem Tahrir ließ er sich vom isarelischen Fernsehen interviewen und bat die israelische Öffentlichkeit um Solidarität mit der Demokratiebewegung. Mubaraks außenpolitische Instrumentalisierung des Friedens mit Israel, kombiniert mit antizionistischer Propaganda daheim, hat er stets kritisiert.

Passt so ein Querkopf nicht ins neue Ägypten?

Die westlichen Regierungen, die beim  Aufbau der Demokratie in Ägypten helfen wollen, müssen seine Verhaftung aufs schärfste verurteilen und auf seine sofortige Freilassung dringen.

Maikel war bereits während der Demonstrationen im Februar verhaftet worden. Er hat über die Tage in Haft einen Bericht verfasst. Dieser Bericht sollte Warnung und Ansporn an die Demonstranten sein, nicht nachzulassen, weil sonst allen das gleiche Schicksal drohen würde. Nun ist Maikel vielleicht sein Mut zum Verhängnis geworden.

In dem Bericht heißt es:

I’m writing this time not to take revenge, but to let people know what would happen to them if this revolution failed. Our revolution will protect us from these actions to be repeated against me and all of you.

War das eine flüchtige Hoffnung?

p.s. Maikel hat aus der Haft eine Note an Mideast Youth schmuggeln können. Ich ziehe meinen Hut vor diesem Geist:

In oppressive countries, the noble persons dwell behind the bars. Don’t grieve my friends, I’m in the normal place!

I’ve made a mistake when I was in Hisham Mubarak Law Center once, and declared my intention to write a sequel to my article “The army and the people were never one hand.” However, when I get detained in order not to write a specific article, it becomes the most valued testimony I could ever receive in my lifetime!

This is the seventh time to get detained; Two times in Syria, two times at the hands of the Egyptian police, and three times at the hands of the Egyptian military. How many times are required before I can live free?!

In Mubarak’s era, detentions were issued by administrative decisions. But nowadays, blessed with the Military Council, detentions pass through military court rulings!

Yesterday, Saturday 9th April 2011, I’ve commemorated the second anniversary of No for Compulsory Military Service Movement by drinking juice and eating some pieces of chocolates. O’ Egypt! Why do you always steal our joy deliberately?!

I’m reminiscing Mubarak and State Security days now! At least, I have never been sent to prison, and neither beaten by a state security officer, nor sexually harassed!

Weirdly enough, on the walls of the opposite cell, some prisoner has inscribed “This is from the favour of my Lord.*” Is this your favour, Lord? Do You really bless those who kill and torture our brothers?!