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Gegen die islamische Rechte

Mona Eltahawy ist meine Heldin der letzten Wochen. Niemand hat so eloquent und leidenschaftlich wie sie erklärt, wo die Chancen der arabischen Revolutionen liegen. Und niemand ist so klar wie sie darin, die Gefahren zu betonen, die von der „islamischen Rechten“ für jede Erneuerung ausgehen. Hier verweist sie Tariq Ramadan in seine Schranken. Chapeau:

 

Der Islam, liebstes Feindbild?

Am Wochenende auf einem Podium beim taz-medienkongress. Wie so oft ist es nachher nicht so leicht zu rekonstruieren, was man selbst gesagt hat. Das Thema war „Der Islam, mein liebstes Feindbild“. Auf dem Podium Hamed Abdel-Samad, Patrick Bahners (FAZ), Isabel Schayani (Monitor), Daniel Bax (taz). Moderiert wurde die Sache von Jan Feddersen (taz). Ein paar hundert Menschen füllten den großen Saal im „Haus der Kulturen der Welt“.

Unvermeidlich war es, dass diese Debatte so etwas wie eine Zwischenbilanz der Sarrazin-Diskussion versuchte. Abdel-Samad fand den Focus auf Sarrazin übertrieben; Patrick Bahners wunderte sich über manche bürgerliche Leser, die sowohl die Verteidigung des S. wie auch von Guttenberg und der Atomkraft verlangten (eine eigenartige Kombination, die sich mit Bahners Konzept von bürgerlich-liberalkonservativen Werten nicht verträgt); Isabel Schayani warnte bei allem Ärger über S. vor einer Verengung der Debatte auf die für den Mainstream genehmen Autoren; Daniel Bax zeigte sich alarmiert von der Akzeptanz für radikale Positionen in der bürgerlichen Mitte, die vor Jahren noch ausgegrenzt worden wären.

Ich habe versucht, auf dem Podium Positionen zu vertreten, nach denen auch dieser Blog hier funktioniert (wenn er denn funktioniert):

Polarisierung ist besser als Gleichgültigkeit (wenn sie nicht in Hass und Diffamierung ausschert).

Die deutsche Islamdebatte darf sich nicht harmloser machen als der innerislamische Streit um den rechten Weg in die Moderne. Keine Sprechverbote über Islamismus, mangelnde Geschlechtergerechtigkeit und andere Hemmnisse explizit theologischer Art für die Akkomodation des Islams im Heute.

Deutschland hat eine Debatte statt einer rechtspopulistischen Partei (so lange die Debatte nicht völlig desintegrierend wirkt – allerdings keine geringe Gefahr). (Mir ist’s lieber so, Abdel-Samad hätte lieber eine explizite Partei, damit diese sich entzaubern kann.)

Die Islamisierung des Diskurses über Integration muss zurückgefahren werden. Wir müssen wieder stärker unterscheiden zwischen religiösen, sozialen, bildungspolitischen, ökonomischen und sonstigen Problemen.

Die Mehrheitsgesellschaft darf ihre Identitätsdebatte (das ist die wichtigste Nebenfunktion des Islamkritikdiskurses) nicht auf Kosten einer religiösen Minderheit führen.

In zwei Punkten schien es mir einen Konsens auf dem Podium zu geben:

Unter allgemeinem Nicken sagte Abdel-Samad, dass „für eine größere soziale Mobilität in Deutschland gesorgt“ werden müsse. „Wenn Migranten die Gesellschaft mitgestalten können, dann wird sich einiges ändern.“

Und auch seine Hoffnung, dass der Wandel in der arabischen Welt das Bild des Islams (im Westen, aber auch in der islamischen Welt selbst) verändern werde, wurde vom Podium geteilt.

 

Warum Westerwelle Außenminister bleiben darf – und warum er gehen müßte

Mein Text aus der ZEIT von heute, S.4:

Es gibt Solidaritätsadressen, die bei näherer Betrachtung von Schmähungen kaum zu unterscheiden sind. Guido Westerwelle hat sie nach seinem Sturz zu erdulden: Es gebe »historische Beispiele«, ruft der zaudernde Vatermörder Christian Lindner ihm zum Abschied hinterher, »wie man Großes leisten kann in einem Staatsamt, auch wenn man nicht Parteivorsitzender« sei. So soll das Paradox übersprungen werden, dass Westerwelle zwar nicht mehr gut genug ist, die FDP zu repräsentieren – wohl aber die Bundesrepublik Deutschland.

Das historische Vorbild Genscher, auf den Lindner anspielt, ist den Liberalen dieser Tage überraschend schnell bei der Hand, um Westerwelles Verbleib im Amt zu rechtfertigen. Mit dem Vergleich tut man ihm und sich keinen Gefallen: Genscher hatte elf Jahre Entspannungspolitik vorzuweisen – die KSZE-Schlußakte mit ausgehandelt und jenes ostpolitische Netzwerk aufgebaut, dass dann mithalf, die deutsche Einheit zu gewinnen. Als er 1985 die Parteiführung abgab, war das der Preis, den Genscher für den Coup der Wende von 1982 zu zahlen hatte. Seine historische Leistung war, die Kontinuität der Ostpolitik von Schmidt zu Kohl garantiert zu haben. Seine außenpolitische Bilanz stand nie in Frage, und für Kohl blieb er koalitionspolitisch unabdingbar. Darum musste er Minister – und Vizekanzler – bleiben.
Merkel aber braucht den um Parteivorsitz und Vizekanzlerschaft reduzierten Westerwelle jetzt eigentlich nicht mehr. Er darf trotzdem Minister bleiben – als der steinerne Gast am Kabinettstisch.

Deutschland könnte einen handlungsfähigen liberalen Außenminister gebrauchen in diesen Zeiten. Das zeigte sich erst letzte Woche wieder, als Westerwelle nach China reiste, um in Peking eine von Deutschland bezahlte Ausstellung über die »Kunst der Aufklärung« zu eröffnen. Dort sagte er den schönen Satz: »Die Freiheit der Kunst ist die schönste Tochter der Aufklärung.« Aber sein Freiheistlied tönte blechern, weil er zuvor hingenommen hatte, dass der Sinologe Tilmann Spengler aus der deutschen Delegation gestrichen wurde, weil er eine Laudatio auf den verhafteten Nobelpreisträger Liu Xiaobo gehalten hatte. Damit nicht genug: Kurz nach Westerwelles Abreise wurde der Künstler Ai Weiwei verhaftet, der soeben angekündigt hatte, wegen der Repression in China in Deutschland ein Atelier zu eröffnen. Noch eine gezielte Demütigung Deutschlands – und damit auch ein beißender Kommentar zum Gewicht »wertegebundener« (Westerwelle) Außenpolitik. Erst zuhause protestierte Westerwelle gegen Ai Weiweis Verhaftung. Die chinesischen Freunde, mit denen zusammen Deutschland sich soeben in der Libyen-Frage enthalten hatte, betreiben eiskalt den Gesichtsverlust des »strategischen Partners« (Westerwelle). Willkommen in der multilateralen Welt.

Guido Westerwelle bleibt Außenminister? Man kann es auch so sagen: Außenminister, das ist nun das, was ihm bleibt.
Dabei hatte er hatte das Amt gewollt, weil er glaubte, dass es sich für den FDP-Parteichef so gehörte. Er wollte jenes Haus für die Partei zurückerobern, das einst ihre Bastion gewesen war, geprägt durch mehr als drei Jahrzehnte liberaler Außenpolitik der Scheel, Genscher, Kinkel. Nun hat die Partei ihn entsorgt, und das Amt verwandelt sich in eine Art politisches Abklingbecken, in dem Westerwelle einstweilen zwischenlagert. Das ist eigentlich gemeint, wenn die Parteifreunde sagen, er solle sich »voll auf sein Amt konzentrieren«. Als Westerwelle vor zehn Jahren seinen Amtsvorgänger Wolfgang Gerhardt besiseite schob, durfte der noch eine Weile Franktionsvorsitzender bleiben, bevor er zur Friedrich-Naumann-Stiftung weitergereicht wurde. Soll das Amt jetzt Westerwelles Naumann-Stiftung werden, mit fast 7000 Beamten der größte Thinktank der Welt?

Für die deutschen Diplomaten in der Welt und am Werderschen Markt in Berlin liegt in Westerwelles Konzentration aufs Amt eine gewisse Drohung, auch wenn sie das unter professioneller Loyalität verbergen. Die unterdrückte Enttäuschung über den zurechtgestutzten Chef wird nicht ohne Folgen bleiben. Als Parteichef und Vizekanzler brachte Westerwelle Gewicht mit. Doch bald wurde klar, dass man einen Innenpolitker bekommen hatte, für den das Außenamt immer eine abgeleitete Funktion behalten würde. Was Westerwele über Hartz 4 dachte, wußte bald jeder. Zur Eurokrise sind maßgebliche Gedanken nicht überliefert. Der Deal des Apparats mit Westerwelle hätte sein können: Du kannst von uns Glaubwürdigkeit und Seriösität bekommen – wenn Du dich beraten läßt. Kaum anzunehmen, dass das so noch gilt. Mit seinem Gewicht in der Koalition hätte er ein mächtiger Verstärker für die deutsche Diplomatie werden können. Nun aber drohen zwei Jahre Westerwelle unplugged.
Das Amt hat bisher noch jeden Chef zum Glänzen gebracht, nicht nur Selbstläufer wie Genscher und Fischer, sogar bekennende Anticharismatiker wie Kinkel und Steinmeier. Bei Westerwelle hat es erstmals nicht funktioniert. Und das ist merkwürdig: Kein Außenminister war je so unbeliebt, obwohl seine ganze Außenpolitik auf Popularität zielte: Er hat für ein konkretes Abzugsdatum aus Afghanistan gekämpft, für die Abrüstung der letzten US-Atomraketen in Deutschland, für einen Sitz im UN-Sicherheitsrat und gegen eine Beteiligung Deutschlands an der Libyen-Intervention. Die Angfänge dieser Politik reichen zurück in Westerwelles Oppositionszeit, als er 2006 gegen den Einsatz der deutschen Marine vor dem Libanon stritt, wo unter UN-Mandat (Unifil) verhindert werden sollte, dass die Hisbollah weiter mit Waffen gegen Israel versorgt werden konnte.

Es zeichnet sich eine Art liberaler Nationalpazifismus ab: Deutschland hält sich raus und zieht sich raus, wo immer es geht, im Zweifel auch auf die Gefahr hin, Freundschaften und Bündnisse zu gefährden, die bisher gerade für liberale und konservative Außenpolitiker als unverzichtbar galten. Es ist nicht so, dass Guido Westerwelle außenpolitisch keine Linie hat. Die Weigerung des Oppositionspolitikers, keine deutschen Matrosen zum Abfangen von Waffenlieferungen nach Nahost zu schicken, selbst als die Israelis das wollten, war ein Vorspiel seiner jüngsten Außenpolitik im Amt. Aus demselben Geist hat er sich nun früh gegen eine Flugverbotszone in Libyenfestgelegt. E hat ihn nicht irritiert, dass Aufständische und die Nachbarn wochenlang danach verlangten. Dass sich die engsten Verbündeten unter dem Eindruck von Gadhafis Radikalisierung von Skeptikern zu Interventionisten zu wandeln begannen, hat er offenbar nicht kommen sehen. Die Gefahr einer Isolierung zu erkennen, die Kanzlerin davor zu warnen und Gegenstrategien zu ersinnen, wäre aber die Aufgabe eines Chefdiplomaten gewesen.
Es gab durchaus, wie deutsche Diplomaten hinter vorgehaltener Hand berichten, Signale der treibenden Mächte Frankreich, USA und Großbritannien, dass man militärische Zurückhaltung der Deutschen akzeptiert hätte im Gegenzug für eine Ja-Stimme. Westerwelle behauptet aber weiterhin, Deutschland hätte sich den Forderungen nach militärischer Beteiligung nicht entziehen können und wäre auf eine »schiefe Ebene« gekommen. Mindestens so wichtig war eine innenpolitische Erwägung: durch die Enthaltung sollte eine Debatte über einen weiteren deutschen Militäreinsatz verhindert werden – kurz vor entscheidenden Wahlen. Die Debatte wurde verhindert, das Wahlkampfkalkül ist dennoch nicht aufgegangen. Und der außenpolitische Preis könnte hoch ausfallen.
Dabei schien Westerwelle im Februar endlich Tritt in seiner Funkiton zu fassen. Beherzt ergriff er das Freiheitsthema, das ihm der arabische Frühling frei Haus lieferte. Doch schnell wurde klar, dass bald war mehr vom deutschen Außenminister gefordert sein würde als Kaffeetrinken mit Bloggern in Tunis und touristische Abstecher auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Die Lage in Libyen eskalierte. Als Amerikaner und Franzosen sich angesichts des drohenden Falls von Bengasi entschlossen, den Diktator Gadhafi nicht gewähren zu lassen, kam es zur Kollision des Westerwelleschen Freiheitspathos mit seiner absoluten Entschiedenheit, sich rauszuhalten. Er nötigte seinen Beamten wider deren Ratschlag auf, sich bei der die Libyen-Resolution des Sicherheitsrates zu enthalten.

Im Oktober erst hatte er es als ersten großen Erfolg seiner Amtszeit gefeiert, dass Deutschland den nichtständigen Sitz im Weltsicherheitsrat erlangt hatte. »Warum wolltet ihr eigentlich unbedingt hier hinein? Um euch zu enthalten?« – solchen Hohn müssen sich die deutschen Diplomaten nun anhören.
Deutschland verhält sich neutral angesichts der größten Freiheitsbewegung seit 1989? Westerwelles lautes Insistieren, der »Diktator Gadhafi« (Westerwelle) müsse weg, macht die Sache nicht besser. Am letzten Freitag stand der deutsche Außenminister mit seinem chinesischen Kollegen Yang Jiechi gemeinsam vor der Presse. »Die libysche Sitiuation kann nicht durch militärische Mittel gelöst werden,« sagte er und verlangte eine »diplomatische Lösung« . Wie dieser Anspruch, ausgerechnet von Peking aus formuliert, wohl auf Franzosen, Briten, Amerikaner, Belgier und Schweden wirkt, die ihre Piloten über Libyen einsetzen, um Gadhafi in Schach zu halten? Die Vorstellung, dass sie am Ende den Deutschen das Verhandeln überlassen werden, ist abwegig.
Im Koalitionsvertrag haben sich Union und FDP zur »Idee des Westens als Grundlage und seinen Institutionen als Plattform deutscher Außenpolitik« bekannt. Der Westen müsse »zu mehr Geschlossenheit finden, um seine Interessen durchzusetzen und gemeinsame Werte zu bewahren.« Außenpolitiker der Union fragen sich unterdessen murrend, ob dieses Ziel noch gilt. Sie halten ihren Unmut gegen Westerwelle nur mühsam zurück, um den angeschlagenen Koalitionspartner nicht noch mehr in die Krise zu treiben.
Und mancher tröstet sich damit, dass Westerwelles Sturz als Innenpolitiker abermals eine Schwerpunktverlagerung der Außenpolitik ins Kanzleramt mit sich bringt. Es wird nun noch viel mehr auf die Kanzlerin ankommen.
Im Machtgefüge der Regierung war das Auswärtige Amt seit den Tagen Klaus Kinkels nicht so marginal wie jetzt. Der Unterschied: Damals konnte Deutschland sich das leisten. Die Einheit musste gestaltet werden, das Land war erst einmal mit sich selbst und der Beruhigung der Nachbarn angesichts seiner Größe beschäftigt.
Die Welt der asymmetrischen Kriege und humanitären Interventionen, der Währungskrisen und der amerikanischen Überdehnung, des Aufstiegs der Nichtwestler ist eine außenpolitische Dauerherausforderung. Heute ist Deutschland als Europas unbestrittenes Schwergewicht ständig gefordert. Es kommt darauf an, was in Berlin gedacht und entschieden wird – für Brüssel, Bengasi und Kundus.
Europa muss eine Haltung zum Aufstieg Chinas und anderer Nichtdemokratien finden – jenseits von Kotau und Überheblichkeit. Und der demokratischen Wandel in Arabien zu begleiten. Gute Themen für Liberale, eigentlich. Aber in beiden Fällen: Keine Enthaltung möglich. Außenpolitik ist heute Stresstest.
Dass Deutschland ihn mit einem entmachteten Außenminister bestehen kann, ist schwer vorstellbar.

 

Terry Jones ignorieren lernen

Absolut meine Meinung zu Terry Jones, der endlich den beabsichtigten Erfolg hat mit seiner Koranverbrennung – es ist Blut geflossen. Malte Lehming kommentiert:

„Anders als der dänische Karikaturist Kurt Westergaard, der den Propheten Mohammed mit einer Bombe als Turban gezeichnet hatte, war sich Jones über die potenziell todbringenden Folgen seiner Aktion im Klaren. Der Hass, den er säte, ging auf in jenen islamischen Freitagspredigern, die die Gläubigen aufstachelten. So verstärken sich Schreie und Widerschreie wie in einem Echo, das immer lauter wird, statt zu verhallen. Und gegen die Vernunft hat Jones sich imprägniert. Die gewalttätigen Reaktionen auf die Koran-Verbrennung wertet er als Beweis dafür, mit seiner Verurteilung des Islams recht gehabt zu haben.

In den USA ist es erlaubt, den Koran zu verbrennen. Es ist erlaubt, Kreuze oder die US-Fahne zu verbrennen. Es ist erlaubt, bei Beerdigungen von im Irak gefallenen Soldaten Schilder in die Luft zu halten, auf denen „Gott sei Dank für tote Soldaten!“ und „Gott sei gedankt für den 11. September 2001!“ steht. Das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung wird weiter ausgelegt als in allen anderen Staaten der Welt. Amerikaner sind stolz darauf. Durch aggressive Worte, Gesten und Symbole verletzt zu werden: Das gehört für sie zu den Zumutungen einer echten freiheitlichen Gesellschaft. Von Jones und dessen Missetaten haben sich alle entschieden distanziert – Präsident, Opposition, religiöse Organisationen. Nur Ignoranten oder Böswillige können behaupten, der radikale Kirchenmann repräsentiere mehr als sich selbst.

Nach Afghanistan und in den Irak sollte die Demokratie gewaltsam exportiert werden. In Tunesien und Ägypten ist das Volk dabei, sie aus eigener Kraft zu erkämpfen. Erst wenn man hier wie dort begreift, dass eine Gesellschaft auch Meinungsäußerungen, Blasphemien und künstlerische Freiheiten dulden muss, die ihr elementar zuwider sind, erst wenn man versteht, dass Gewalt nie gerechtfertigt ist, auch nicht bei Apostasie, erst dann werden die großen historischen Umwälzungen jene zivilisatorische Reife hervorbringen, die wirklich Mut macht. Wer Terry Jones verachtet, beachte ihn möglichst wenig.“

 

Warum noch FDP?

Im letzten Herbst habe ich für den Merkur über den „real existierenden Liberalismus“ der FDP geschrieben. In diesem Artikel habe ich Guido Westerwelle als „dead man walking“ bezeichnet. Nur wird er wohl als solcher deutscher Außenminister bleiben, nachdem er die Parteiführung der Liberalen abgelegt hat.

Aber wozu noch organisierter Liberalismus in einer durch und durch (na ja?) liberalen Gesellschaft? Warum bräuchte man eigentlich noch eine liberale Partei? Wie heute – unter Bedingungen der Freiheit – von der Freiheit reden?

Hier ein paar Überlegungen aus meinem Stück :

Wie redet man in einer solchen Gesellschaft − und vor einem solchen breiten Zielpublikum − einnehmend von der Freiheit? Sie muss heute und hierzulande nichtmehr gegen das Spießertum, auch nicht in erster Linie gegen einen übergriffigen Staat und schließlich kaum noch gegen totalitäre Ideologien verteidigt werden. Diese Schlachten sind geschlagen, wenn auch Nachhutgefechte immer wieder nötig sein werden.
Wie aber soll man dann im heutigen Deutschland von der Freiheit reden, der inneren wie der äußeren? Die Freiheit zur persönlichen Entfaltung muss nicht mehr lauthals verteidigt werden. Selbstverwirklichung als hoherWert ist bis tief in konservativeMilieus hinein durchgesetzt (wie die öffentlich debattierte Affäre des Gesundheitsministers Seehofer eindringlich bewiesen hat). Die Kosten der Freiheit hingegen werden überall sichtbar, zum Beispiel in zerstörten Ehen und in den Kämpfen, die Alleinerziehende zu bestehen haben. Auf der großen politischen Bühne ist nach dem Ende der totalitären Diktaturen kein Erbe in Sicht, der die Ordnung der Freiheit imWesten gefährden könnte. Der Islamismus bleibt ein Problem, hat aber nicht das Zeug zum Nachfolger für Faschismus und Kommunismus.
Während die private Freiheitsmaximierung also an gewisse Grenzen stößt, ist der Kampf der freien Gesellschaften gegen äußere Feinde zugleich eine komplizierte Sache geworden, man denke nur an die erfolgreiche Kombination von ökonomischer Liberalisierung und rigorosem Autoritarismus in China. Und schließlich ist der Markt nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr einfach als reine Quelle der Freiheit zu reklamieren. Er zeigt in Gestalt des Kasinokapitalismus auch Züge einer Gefahr für die Freiheit − als großer Gleichmacher, als Vernichter von Lebenschancen.
Wie also soll die FDP von der Freiheit sprechen, damit sie von der Mitte unter diesen Umständen gehört wird? Wie verteidigt man die Freiheit unter Bedingungen der Freiheit? Nicht mit hohlem Pathos und geborgten Gegnerschaften aus dem Weltbürgerkrieg. Westerwelle kann es nicht lassen, überall »Sozialismus« zu riechen, und auch sein junger Adlatus Christian
Lindner, ein möglicher Nachfolger, erkennt in Vorschlägen der Linkspartei gerne »Sowjets«. Eine heimliche Sehnsucht nach den übersichtlichen Achtzigern und der Blockkonfrontation scheint die Déjà-vu-Gefühle dieser beiden zu treiben.
Damit korrespondiert eine Art Gutmenschentum der Freiheit, das immer nur das Positive sehen will und die Schmerzen derjenigen herunterspielt, die in der Multioptionsgesellschaft nicht zurechtkommen. Ein Markt, der für viele Menschen kein Freiheitsquell mehr ist, kommt imFDP-Weltbild nicht vor. Alles, was die FDP den Verlierern zu bieten hat, sind dürre Worte darü-
ber, dass Freiheit nun einmal vor Gleichheit kommt. Die Botschaft ist: Pech gehabt.Wir brauchen euch nicht. Wir kommen auch ohne euch auf 15 Prozent. Die FDP sieht sich als Gewinnerpartei und glaubt offenbar, keine Rücksicht auf die Verlierer nehmen zumüssen.

Das ist allerdings zu kurz gedacht, weil die Attitüde auch viele in derMitte abstößt. Nicht etwa, weil die Mitte in diesem Land »Gleichheit statt Freiheit« wollte. Die Schicht der Leistungsträger hat ganz offenbar nichts gegen Konkurrenz, Meritokratie und Leistungsgerechtigkeit. Woher käme denn sonst dieWettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik?
Diese Mitte ist allerdings besorgt um die Nachhaltigkeit der Freiheit in Deutschland. Sie möchten nicht nur als Steuerbürger angesprochen werden, deren einziges Problem ist, wie sie »mehr Netto vom Brutto« rausbekommt.
Viele Mitte-Wähler fühlen sich durch eine solche Ansprache unangenehm berührt. Im Großen und Ganzen zahlt die Mitte hierzulande Steuern zwar nicht gern, aber klaglos − solange derDeal stimmt: gute Schulen, prompt reparierte Straßen, sozialer Frieden. Das wäre eigentlich ein Grund zur Freude für Liberale, weil sich darin ein Grundvertrauen in die Institutionen ausdrückt − eine dieserDahrendorfschen »Ligaturen«, die schwerwieder errichtet werden können, wenn sie in die Brüche gehen. Doch die FDP hatWahlkampf um Wahlkampf damit bestritten, das Misstrauen des Steuerbürgers zu schüren. Das war erfolgreich, aber auch immer ein wenig schäbig. Und hochriskant, wie sich nun zeigt: Wenn Steuersenkungen nicht möglich sind, wird eine Einthemapartei damit nämlich im Handumdrehen zur Nullthemenpartei. Die Erfolgsgeschichte des verarmten Liberalismus der FDP ist ironischerweise mit ihrem Regierungseintritt ans Ende gekommen. Die FDP ist, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, eine Partei am Nullpunkt geworden.
Der Parteichef Westerwelle, mit dem sich diese Entwicklung verbindet, ist nun ein »dead man walking«. Neue Gesichter werden gesucht. Doch woher nehmen? Die nächste Reihe ähnelt ihm doch allzu sehr. Wenn von den jungenMännern, die heute und wohl für Jahrzehnte noch das Gesicht des Liberalismus hierzulande prägen werden, einer doch einmal eine interessante
Geschichte aufweisen kann wie etwa der Gesundheitsminister Philipp Rösler, der als Kind vietnamesischer Boatpeople nach Deutschland kam, dann stürzt sich die Presse darauf. Der Phänotyp des FDP-Politikers heute ist nämlich ein etwas blässlicher junger Mann, der sehr schneidig auftritt, obwohl er außer Versammlungen der Jungen Liberalen nicht viel erlebt oder
gesehen hat.
Er ist nicht dumpf wie die frühere Generation intellektueller Zombies in der FDP. Nein, er hat seinen Hayek drauf und seinen Friedman, für besondere Gelegenheiten auch ein Prunkzitat von Dahrendorf, vielleicht gar eins von Röpke. Er spottet gerne über die Bremser und Bedenkenträger im Land. Das Leben scheint immer noch vor ihm zu liegen. Vielleicht kommt dieser Ein-
druck daher, dass er so ganz ohne biographischeUmwege und Irrtümer, ohne Bindungen, von denen man sich lösenmusste, ohne Inkonsistenzen und offene Rechnungen durchs Leben gegangen ist.
Dass die FDP nicht darauf gekommen ist, jemanden wie Joachim Gauck als Kandidaten für das Präsidentenamt vorzuschlagen − einen Freiheitsfreund, der mit seinem ganzen Leben im Widerstand gegen die SED-Herrschaft gezeigt hat, dass Liberalismus in Deutschland auch unter widrigsten Umständen Anhänger hat −, spricht Bände. Für eine solche Idee hatte man überhaupt keinen Blick mehr: So sehr war man wieder, wie einst bei Kohl, mitMachterhalt und Koalitionspflege beschäftigt, dass man sich von Merkel den blassen HerrnWulff diktieren ließ.
Der Niedergang der FDP in der Regierung ist kein Grund zur Genugtuung. Zwar gibt es heute Liberale in allen Parteien, aber nur der Partei des real existierenden Liberalismus stellt sich die Frage, was es heißt, unter Bedingungen der Freiheit liberal zu sein, in aller Direktheit und Grundsätzlichkeit. Darum würde sie eigentlich gebraucht. Freiheit braucht Tugenden.
Eine freiheitliche Ordnung ist ja mehr als jede andere darauf angewiesen, dass ihre Akteure sich, orientiert anWerten, selber steuern. Liberale sollten also auch etwas dazu zu sagen haben, welche Ausübung der Freiheit heute die Freiheitschancen künftiger Generationen gefährdet: durch Verschuldung, Ressourcenverschwendung und andere Formen der Optionenvernichtung.
Allgemeiner gesagt: Es werden Liberale gebraucht, die in der Lage sind, über diemoralischen Voraussetzungen einer freiheitlichen Ordnung nachzudenken, die auch der beste Markt nicht bereitstellen kann, und die sich auch nicht scheuen darüber zu reden, wenn die ungeordnete Freiheit sich selbst gefährdet.

Falls es solche Liberale in der FDP gibt, wäre jetzt kein schlechter Moment, aus dem Versteck zu kommen.

 

Kann der Libyen-Krieg begrenzt werden?

Die Libyen-Intervention muss immer noch gegen Kritik von zwei Seiten verteidigt werden. Die einen wollen eine aggressivere Strategie inklusive Regimewechsel als erklärtem (militärischem) Ziel. Nicht überraschender Weise sind manche dieser Kritiker Architekten, Vordenker oder Verteidiger des Irakkrieges gewesen.
Die anderen kritisieren, dass man sich überhaupt auf die Sache eingelassen habe, weil man am Ende in einen „Bürgerkrieg“ hineingezogen werde und die Verantwortung für ein weiteres Desaster vom Typ Afghanistan/Irak/Somalia übernehmen werde müssen.
Ich kann beidem nicht folgen.
Das Ziel Regimewechsel hätte niemals eine UN-Resolution mit der de facto Duldung durch Russen und Chinesen bekommen. Dies bedeutet deren Enthaltung: eine Ermöglichung der Intervention, denn sie hätten ja ein Veto einlegen können. Aber auch Russen und Chinesen wollten diesmal nicht als Zuschauer eines Massakers gelten. Die deutsche Enthaltung hat dem gegenüber in Wahrheit den Charakter eines Nein, weil Deutschland die Vetomacht fehlt.

Darauf zielte Obamas Bemerkung in seiner Rede, andere Nationen mögen es über sich bringen, einem Massaker zuzuschauen, Amerika sei anders. Auch die wichtige Unterstützung der arabischen Nachbarn hätte man mit einer offenen Regimewechsel-Politik nie bekommen. So kann man nun die Weichen für einen Regimewechsel stellen, ohne ihn militärisch und gar durch Besatzungstruppen durchzusetzen. Ob das gelingt, weiß niemand. Immerhin gibt es die Hoffnung, wie die jüngsten Desertionen wichtiger Figuren aus Libyen zeigen.
Es ist zweitens nicht auszuschließen, dass Libyen politisch instabil bleiben wird, dass es zu Stammeskämpfen kommen kann etc. Aber notwendig ist das keineswegs. Und wiederum ist es auch nicht notwendiger Weise so, dass aus der Intervention gegen Gadhafi folgt, dass der Westen die Verantwortung für den Nationenaufbau nach einem hoffentlich baldigen Ende der Feindseligkeiten übernimmt. Vielleicht werden UN-Peacekeeping-Truppen notwendig werden, aber die sollten von den Nachbarn oder von anderen islamisch geprägten Ländern aufgestellt werden (die Türkei ist schon humanitär sehr aktiv im Land).
In anderen Worten: Es ist alles andere als zwangsläufig, dass diese Intervention nicht begrenzt werden kann. Und es war gut und richtig, sie von vornherein so anzulegen.
David Brooks fasst zusammen, wie auch ich es sehe:

President Obama took this decision, I’m told, fully aware that there was no political upside while there were enormous political risks. He took it fully aware that we don’t know much about Libya. He took it fully aware that if he took this action he would be partially on the hook for Libya’s future. But he took it as an American must — motivated by this country’s historical role as a champion of freedom and humanity — and with the awareness that we simply could not stand by with Russia and China in opposition.

(…)

As president, of course, one also has to think practically. The president and the secretary of state reached a hardheaded conclusion. If Col. Muammar el-Qaddafi is actively slaughtering his own people, then this endeavor cannot end with a cease-fire that allows him to remain in power. Regime change is the goal of U.S. policy.

There are three plausible ways he might go, which inside the administration are sometimes known as the Three Ds. They are, in ascending order of likelihood: Defeat — the ragtag rebel army vanquishes his army on the battlefield; Departure — Qaddafi is persuaded to flee the country and move to a villa somewhere; and Defection — the people around Qaddafi decide there is no future hitching their wagon to his, and, as a result, the regime falls apart or is overthrown.

(…)

All of this is meant to send the signal that Qaddafi has no future. Will it be enough to cause enough defections? No one knows. But given all of the uncertainties, this seems like a prudent way to test the strength of the regime and expose its weaknesses.

It may turn out in the months ahead that we simply do not have the capacity, short of an actual invasion (which no one wants), to dislodge Qaddafi. But, at worst, the Libyan people will be no worse off than they were when government forces were bearing down on Benghazi and preparing for slaughter. At best, we may help liberate part of Libya or even, if the regime falls, the whole thing.

It is tiresome to harp on this sort of thing, but this is an intervention done in the spirit of Reinhold Niebuhr. It is motivated by a noble sentiment, to combat evil, but it is being done without self-righteousness and with a prudent awareness of the limits and the ironies of history. And it is being done at a moment in history when change in the Arab world really is possible.

 

Sollen Muslime „Spitzel“ werden?

Ich bin bekanntermaßen sehr kritisch, was die Islam-Äußerungen von Hans-Peter Friedrich, dem neuen Innenminister angeht.

Aber einen Aspekt der öffentlichen Kritik von muslimischen Vertretern halte ich für fahrlässig bis gefährlich – die Rede davon, man solle durch die „Sicherheitspartnerschaft“ zum „Spitzel“ gemacht  und zum Denunziantentum aufgerufen werden.

Entschuldigung: Was soll das denn heißen?

Wäre ein Muslim, der einen sich gefährlich radikalisierenden Glaubensbruder bei den Behörden meldet, ein „Spitzel“, ein „Denunziant“? Das ist die Logik der Extremisten. Es kann nicht der Ernst der Kritiker sein, dies zu unterstellen.

Wer sich so verhielte, wäre aber nichts anderes als ein korrekt handelnder Bürger. Ich bin überzeugt, dass sich die erdrückende Mehrzahl der Muslime eben so verhalten würde. Die Polizei hat einen guten Ruf unter dem muslimisch geprägten Deutschen. Sie genießt mehr Vertrauen als die meisten anderen Institutionen.

Wer jetzt tönt, die Einladung zur Partnerschaft mit den Sicherheitsbehörden komme einer Aufforderung zum Denunziantentum gleich, zerstört mutwillig dieses erstaunlich gute Verhältnis. Und er gibt implizit denjenigen Recht, die ohnehin schon zu wissen glauben, dass Muslime keine loyalen Bürger sein können.

Ich verstehe, wie ich bereits erklärt habe, die Vorbehalte gegen die Umwidmung der Islamkonferenz in eine Sicherheitsveranstaltung.

Dem kann man aber durch ruhige und maßvolle Kritik entgegensteuern. Es ist Blödsinn, sich jetzt in Boykottaufrufen zu ergehen, wie manche SPD-Politiker. Vor Jahren noch waren sie neidisch, nicht selber ein Instrument wie die DIK ersonnen zu haben. Zu Recht.Sie sollten sich lieber auf die Formulierung einer eigenen Integrationspolitik konzentrieren.

Es ist kurzsichtige Parteipolitik, die Muslimverbände gegen einen Minister noch weiter aufzuputschen, der dieses Instrument fast schon ruiniert hat. Wir brauchen es alle noch weiterhin.

 

Menschenrechtsbeauftragter besorgt über Islamkonferenz

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), hat sich heute gegenüber Journalisten zur Deutschen Islamkonferenz geäußert. Löning zeigte sich besorgt, dass die Bedeutung der Islamkonferenz für Deutschlands Menschenrechtspolitik unterschätzt werde. Er äußerte mehr als nur implizite Kritik an Äußerungen des neuen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) über den Islam. Die DIK hat nach Löning nicht nur innenpolitische, sondern auch immense außenpolitische Bedeutung für Deutschland.

Deutschland setzt sich in islamisch geprägten Ländern wie etwa der Türkei, in Ägypten oder in Pakistan für Religionsfreiheit ein. Wenn dann die üblichen Rückfragen kommen, wie es denn mit dem Status der Muslime in Europa aussehe, kommt die Islamkonferenz ins Spiel: Wir Deutschen garantieren jedermann Religionsfreiheit und für die daraus resultierenden rechtlichen, institutionellen und sozialen Fragen haben wir ein Forum, die DIK.

Nach dem Echo auf die am Dienstag zuletzt tagende Konferenz, sagte Löning, mache er sich ernsthaft Sorgen, „ob dieses Instrument als ein funktionsfähiges erhalten bleibt“: „Wenn wir uns weiter für die Religionsfreiheit in der islamischen Welt einsetzen wollen, müssen wir glaubwürdig sein. Deshalb machen mich Äußerungen unglücklich, dass bestimmte Religionen hier dazugehören oder auch nicht. So etwas kommt immer verkürzt an.“ Es sei nicht Sache des Staates zu dekretieren, welche Religionen hier in welchem Maße dazugehören.

Löning sagte auch, zwar seien Sicherheit und Prävention wichtige Themen, aber wenn man an einem Dialog interessiert sei, sei es doch vielleicht keine gute Idee, sie demonstrativ in den Vordergrund zu stellen. Eine Islamkonferenz, die den Islam zuerst und zuvorderst als Sicherheitsproblem behandelt, kann kein Dialogforum sein.

Und damit hat er recht. Unverständlich ist es ohnehin, warum Friedrich das Sicherheitsthema so nach vorne zieht: Von Beginn der DIK hat es eine Arbeitsgruppe zum Thema Sicherheit und Extremismus gegeben, und auf allen Ebenen unserer föderalen Ordnung läuft längst erfolgreich eine Kooperation zwischen Moscheen, Moscheeverbänden und Sicherheitsbehörden. Die an der DIK beteiligten Gruppen unterstützen das. Es ist darum völlig unnötig, sie in eine Ecke zu drängen.

Gerade im Licht der Frankfurter Tat, die Friedrich anführt, ergibt das keinen Sinn: Der Täter kam nicht aus dem Milieu der Ditib- oder VIKZ-Moscheen.  Er ist auch kein Alevit. Er hatte Kontakte in Salafisten-Kreise. Die sind wiederum nicht Teil der DIK. Im Gegenteil: die Salafisten lehnen die Kooperation der Verbände mit dem deutschen Staat ja gerade ab. Warum aber tut der deutsche Innenminister dann so, als könnten ihm die braven staatstreuen Ditib- und VIKZ-Leute dabei helfen, sich radikalisierende Randfiguren der Salafi-Szene ausfindig zu machen? Bizarr. Kenntnisreiche Leute aus dem Ministerium und aus dem VS fassen sich an den Kopf bei dieser offensichtlichen politischen Instrumentalisierung eines sinnvollen Sicherheitskonzepts (Deradikalisierung).

Markus Löning hat guten Grund zur Sorge, dass die DIK unter diesem Minister vor die Hunde geht. Und er tut gut daran zu erinnern, dass die Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik in Sachen der  Religionsfreiheit kurzsichtig ist.

 

Polenz: Deutschland muss das Waffenembargo gegen Gadhafi mit durchsetzen

Ruprecht Polenz (CDU) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Er hat noch nie gescheut, auch gegen die Linie der eigenen Partei Stellung zu beziehen. Zuletzt hat davon sein Buch „Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU“ Zeugnis abgelegt. Polenz hatte auch bereits im Bundestag die Position der Regierung in der Libyen-Frage kritisiert. Ich habe ihn für die morgige Ausgabe der Zeit befragt über Deutschlands Möglichkeiten, den entstandenen Schaden in den Bündnissen zu reparieren – und über die historische Bedeutung der UN-Resolution:

DIE ZEIT: Herr Polenz, das Flugverbot für Gadhafis Truppen ist in Kraft. Hätte Deutschland für die Intervention stimmen sollen?

Ruprecht Polenz: Ich habe immer gesagt, dass zwei Voraussetzungen für einen Einsatz erfüllt sein müssen: eine Resolution des Sicherheitsrats als völkerrechtliche Grundlage und zweitens eine sichtbare Beteiligung von Staaten der Region. Das letztere um zu vermeiden, dass der Eindruck entsteht, es gehe dem Westen ums Öl und nicht um humanitäre Gründe.
Deutschland hätte zustimmen sollen, als beides gegeben war. Das hätte nicht zwangsläufig bedeutet, sich auch militärisch zu beteiligen. Wir sind durch unser Engagement in Afghanistan, auf dem Balkan und am Horn von Afrika schon an der Grenze unserer Möglichkeiten. Eine Zustimmung hätte schon deshalb nicht automatisch die Verstrickung in einen weiteren Konflikt bedeutet.

ZEIT: Eben das aber war die Position des Außenministers und der Kanzlerin: Weil man deutsche Soldaten in Libyen ausschließen wollte, habe man sich nur enthalten können.

Polenz: Da stimme ich mit der Auffassung der Bundesregierung nicht überein. Bodentruppen wären durch die Resolution 1973 ohnehin nicht gedeckt. Russland und China würden sofort von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, um deren Entsendung zu verhindern. Auch Obama hat deutlich gemacht, dass die USA auf keinen Fall Bodentruppen einsetzen werden. Wer dennoch berechtigte Sorgen vor Weiterungen einer solchen Mission hat, kann sich auch ausklinken, wenn es so weit ist. Nun ist aber der Eindruck entstanden – wenn auch unbeabsichtigt – dass Deutschland nicht zu seinen Verbündeten steht. Das hätte man vermeiden müssen.

ZEIT: Hat Deutschland sich isoliert?

Polenz: Nein, so weit ist es noch nicht. Wir können dem Eindruck entgegensteuern, wenn wir jetzt in der Nato in den Stäben weiter mitarbeiten, die die Flugverbotszone und die anderen militärischen Aktionen in Libyen planen. Es wird auch über die Frage zu sprechen sein, ob sich Deutschland nicht doch an der Überwachung des Waffenembargos im Mittelmeer beteiligt.

ZEIT: Aber die Bundesregierung hat doch soeben die dazu fähigen Schiffe aus der Nato-Mission Active Endeavour im Mittelmeer zurückgezogen?

Polenz: Das war nicht anders möglich, denn deren Mandat war für den Antiterrorkampf ausgelegt. Aber der Verteidigungsminister scheint mir offen dafür zu sein, dass die Deutschen sich an der seeseitigen Kontrolle des Waffenembargos beteiligen. Ich fände das richtig. Deutschland hat in der Libyen-Resolution Nummer 1970 im UN Sicherheitsrat einem solchen Embargo zugestimmt, da läge es in der Konsequenz, auch an der Durchsetzung dieser Maßnahme teilzunehmen. Es ergibt keinen Sinn, einem Embargo zuzustimmen, dann aber seine Überwachung abzulehnen. Darüber müssen wir jetzt diskutieren.

ZEIT: Außenminister Westerwelle verteidigt die Enthaltung im Libyenkonflikt als Überzeugungstat, die im vollen Bewußtsein der bündnispolitischen Konsequenzen erfolgt sei. Ein deutscher Sonderweg ohne die traditionellen westlichen Verbündeten als neue Doktrin, ausgerechnet unter Schwarz-Gelb?

Polenz: Es gehört zu den Prinzipien der deutschen Außenpolitik, eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich innerhalb der europäischen Union zu pflegen. Und die deutsche Außenpolitik muss in eine gemeinsame Außenpolitik der EU eingebettet bleiben. Sicherheitspolitisch sind wir Mitglieder der Nato mit Rechten und Pflichten. Wir müssen darum nicht bei jedem Einsatz an vorderster Front dabei sein. Man kann seinen Beitrag auch an anderer Stelle bringen. Aber wir sollten schon darauf achten, dass wir nicht wie jene Länder wahrgenommen werden, mit denen wir jetzt gemeinsam gestimmt haben – Russland, China oder Indien.

ZEIT: Über Frankreich wird in Berlin derzeit sehr schlecht geredet. Sarkozy habe nur aus Profilierungssucht gehandelt.

Polenz: Frankreich will sicher auch in Libyen nachholen, was es in Tunesien versäumt hat: Empathie für die arabische Revolte. Als Sarkozy vorpreschte, waren die Bedingungen für eine erfolgreiche Intervention nur auf dem Papier erfüllt. Eine sichtbare Beteiligung der Araber haben wir bis heute nicht. Das ist wichtig, damit es nachher nicht heißt, der Westen mische sich imperialistisch ein. Al-Dschasira muss das filmen können. Aber wir sollten zurückhaltend sein mit Kritik an den Franzosen. Deren schnelles Eingreifen hat in Bengasi Schlimmstes verhütet.

ZEIT: Die Franzosen hingegen sind entsetzt, dass die Deutschen durch ihr Abstimmungsverhalten dokumentiert haben, dass sie einem Massaker in Bengasi zugeschaut hätten.

Polenz: Das ist ungerecht. Wir hätten ohnehin nur begrenzte Kapazitäten gehabt, um in Libyen mitzutun. Zum einen wären es unsere Awacs-Überwachungsflugzeuge gewesen, die zu Feuerleitstellen über dem Mittelmeer geworden wären. Weil das nach der deutschen Enthaltung nicht möglich ist, werden die jetzt über Afghanistan die Nato entlasten. Zweitens wären die deutschen ECR-Tornados gefordert worden, die besondere Fähigkeiten haben, feindliche Radaranlagen auszuschalten. Aber das war’s denn auch schon.

ZEIT: Nun hat die Nato das Kommando über die Libyen-Intervention übernommen – und die Deutschen stehen abseits?

Polenz: Nein. Das gibt den Deutschen die Möglichkeit, durch die Mitarbeit in den Nato-Stäben zu zeigen, dass unsere Enthaltung keine Abkehr vom Bündnis bedeutet.
ZEIT: Dürfen wir denn da konsequenter Weise mitmachen, nachdem wir der Resolution unsere Zustimmung verweigert haben?
Polenz: Wir brauchen in Deutschland kein Mandat des Bundestages, wenn ein ohnehin schon bestehender Stab eine solche Aufgabe erfüllt. In dem Moment, wo für eine spezielle Aufgabe neue Stäbe zusammengestellt werden, brauchen wir ein neues Mandat des Bundestages. Und die Bundesregierung sollte den Nato-Partnern signalisieren, dass sie dies auch bekommen würde. Deutschland darf sich jetzt nicht wegen der Mandatsfrage einen Knoten ins Bein machen.

ZEIT: Kritiker der Intervention sagen, die Bombardierung in Libyen gehe längst über das hinaus, was in der UN-Resolution vorgesehen ist, nämlich Schutz der Zivilbevölkerung. De facto agierten die westlichen Piloten als Luftwaffe der Rebellen, die jenen den Weg nach Tripoli freischießt.

Polenz: Das Mandat der Uno-Resolution geht sehr weit. Es schließt eigentlich nur Besatzungstruppen am Boden aus. Völkerrechtlich hat die Resolution erstmals das Prinzip der Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung beherzigt, die „responsibility to protect“. Das ist ein historischer Schritt, der noch nicht genügend gewürdigt wird. Aber man muss doch vor allem die politische Bedeutung der Resolution würdigen. Denn was ist in der arabischen Welt zwischen Oktober 2010 und März 2011 passiert? Die Araber haben keine Angst mehr. Wenn Gadhafi sich mit brutaler militärischer Gewalt durchgesetzt hätte, dann wäre die Angst wiedergekommen. Darum steht hier politisch mehr auf dem Spiel als nur Libyen. Der Militäreinsatz hat jetzt schon dazu geführt, dass Gadhafi sich in Libyen nicht mehr durchsetzen kann. Und damit ist ein ganz wesentliches Ziel auch hinsichtlich der Nachbarländer erreicht: keine Wiederkehr der Angst. Wie lange der Diktator sich jetzt noch halten kann, hängt an der Entwicklung der Kräfteverhältnisse im Land.

ZEIT: Also geht es doch um Regimewechsel?

Polenz: Das ist eine Frage, die die Libyer am Ende unter sich zu klären haben werden.
ZEIT: Wie lange kann der Einsatz noch dauern? Obama hat „eher Tage als Wochen“ in Aussicht gestellt.
Polenz: Das kann auch so kommen: Wenn Gadhafis Truppen sich nicht mehr bewegen, muss man auch nicht mehr eingreifen. Dann ist es ein Zustand intensiver Beobachtung und Kontrolle. Ziel ist, dass die Libyer selber entscheiden können, wie es weitergehen soll.
ZEIT: Macht sich, wer so interveniert, nicht zur Geisel der Aufständischen? Was, wenn die nun Vergeltung wollen und selber Massaker begehen?
Polenz: Das ist eine Gefahr. Aber wer Gadhafis Truppen hindert gegen Zivilisten vorzugehen, reduziert auch Anlässe für Vergeltung. Wird man das hehre Prinzip der Schutzverantwortung – „responsibility to protect“ – nun immer und überall durchsetzen können? Sicher nicht. Aber es ist ein Fortschritt deutlich zu machen, dass staatliche Souveränität, wie wir sie seit 1648 verstanden haben, nicht beinhaltet, dass ein Diktator mit seinen Bürgern machen kann, was er will.