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Wird Amerika islamfeindlich?

Ich habe zusammen mit unserem Washington-Korrespundenten Martin Klingst eine Seite 3 über den New Yorker Moscheenstreit zu 9/11 geschrieben. Der Text aus der aktuellen Ausgabe der Zeit ist jetzt auch online zu lesen:

Kulturkampf um Moscheebauten – das war bisher eine europäische Eigenheit, auf die Amerikaner irritiert schauten. Doch jetzt, beinahe ein Jahrzehnt nach den Anschlägen, scheint plötzlich nichts mehr gewiss in Amerikas Beziehung zu den Muslimen im eigenen Land.

Im Verhältnis des Westens zum Islam gibt es ein transatlantisches Paradox: Europa mag in der islamischen Welt beliebter sein als Amerika. Doch bei der Integration seiner Muslime hat es viel größere Probleme als die USA. Amerika hingegen, durch zwei blutige Kriege in der islamischen Welt außenpolitisch diskreditiert, reüssierte dennoch bei der Integration islamischer Einwanderer. Man kämpfte zwar gegen militante Islamisten in Übersee, doch zu Hause schaute man streng auf die Trennung zwischen Islam und Islamismus. George W. Bush hatte nach dem 11. September 2001 nichts Eiligeres zu tun, als eine Moschee aufzusuchen und zu erklären, der Islam sei »eine Religion des Friedens«. Die Republikanische Partei achtete, solange sie regierte, auf die Differenz von Religion und terroristischer Ideologie. Vorbei. Im Moscheestreit von Manhattan werden die Grenzen verwischt. Mit voller Absicht…

Mehr hier.

 

Kann es sein, dass die Welt gerade durchdreht?

Der verrückte Pastor hat also erst einmal seine Absicht zurückgezogen, den Koran zu verbrennen. (Oder doch nicht? Er meinte wohl, man habe ihm versprochen, im Gegenzug die Moschee nicht zu bauen… Was eine irre Gleichsetzung!)

Ein anderer, noch verrückterer Pastor steht aber schon bereit, es doch zu tun, falls Jones sich nicht traut. (Phelps und seine Gemeinde sind bekannt dafür, mit „God hates Fags“-Plakaten bei Soldatenbegräbnissen aufzutauchen. Sie glauben nämlich, die amerikanischen Soldaten gottgewollt sterben, weil Amerika nicht genug gegen Homosexualität tut.) Übrigens haben die Phelps-Leute schon einmal (2008) einen Koran verbrannt und dies gefilmt – sie wurden ignoriert, wie es sich gehört.

Pastor Jones hat aber zig Kameras auf seinem Rasen, die jede seiner wirren Bekundungen in die Welt tragen. In anderen Worten: Die Medien machen diesen Irren erst zu einer Bedrohung für den Weltfrieden.

Auch die Hasskampagne gegen die Cordoba-Initiative ist ganz klar von interessierten Medien vom Zaun gebrochen und gesteuert worden, von der durchgeknallten Bloggerin Pam Geller und Murdochs New York Post, wie Salon nachgewiesen hat. (Danke, Boothby.)

Seit Tagen fährt die BILD-Zeitung eine heuchlerische Kampagne „für die Meinungsfreiheit“, in der Sarrazin zum armen Opfer stilisiert und zum Protest gegen den Bundespräsidenten (per BILD-Vordruck) animiert wird. Es wird hier dieselbe Politik kaputtgeschossen, deren bedauernswerten Zustand man dann später gerne mit Krokodilstränen beweint. Man möchte gerne die Wut der Leute auf die eigenen Mühlen lenken. Niemand sollte sich einbilden, solche Prozesse steuern zu können. Meine Vermutung: Tholo Sarrazin hat das gemerkt und es ist ihm unheimlich geworden. Er will den Bundespräsidenten nicht beschädigen, er will keine wochenlange Wulff-Hatz durch BILD, obwohl er Grund hat ihm groll zu sein. Darum hat er zurückgezogen, und dafür gebührt ihm Respekt. (Ist allerdings nur eine These, ob’s stimmt wied sich zeigen…)

Morgen wird sich Wilders in New York als Anführer der antiislamischen Internationale empfehlen. In drei Wochen wird er in Berlin erwartet, eingeladen von Herrn Stadtkewitz, Ex-CDU, der heute seine deutsche „Freiheitspartei“ vorgestellt hat.Viele Leute erwarten ihn wie einen Erlöser.

Und in Afghanistan, Pakistan, Teheran und Indonesien freuen sich die Islamofaschisten bereits auf ein herrliches Eid-Fest mit Antiamerika-Aktionen und Flaggenverbrennungen.

Etwas braut sich zusammen. Die Irren sind dabei, die Klinik zu übernehmen.

p.s. Ich fahre ab morgen für 5 Tage in die Türkei, um dort das Verfassungsreferendum zu erleben. Ich werde mich sicher melden. Bitte die Diskussionen im presserechtlich vertretbaren Rahmen halten, damit ich dieses Blog nicht abschalten muss.

 

Warum die Ground Zero Moschee gebaut werden sollte

Etwas Besseres als dieser Text von Leon Wieseltier über den New Yorker Moscheestreit (in der New Republic) ist nirgends zu finden:

„There are families of the victims who oppose Cordoba House and there are families of the victims who support it. Every side in this debate can invoke the authority of the pain. But how much authority should it have? I do not see that sentiment about the families should abrogate considerations of principle. It is odd to see conservatives suddenly espouse the moral superiority of victimhood, as it is odd to see them suddenly find an exception to their expansive view of religious freedom. Everybody has their preferred insensitivities. In matters of principle, moreover, polling is beside the point, or an alibi for the tyranny of the majority, or an invitation to demagogues to make divisiveness into a strategy, so that their targets come to seem like they are the ones standing in the way of social peace, and the “decent” thing is for them to fold. Why doesn’t Rauf just move the mosque? That would bring the ugliness to an end. But why don’t Palin and Gingrich just shut up? That, too, would bring the ugliness to an end. Certainly the diabolization of Rauf, an imam who has publicly recited the Shema as an act of solidarity and argued that the Declaration of Independence “embodies and restates the core values of the Abrahamic, and thus also the Islamic, ethic,” must cease. In a time when an alarming number of Muslims wish to imitate Osama bin Laden, here is a Muslim who wishes to imitate Mordecai Kaplan. Turn away, from him? But he may be replaced at his center by less moderate clerics, it is said. To which I would reply with a list of synagogues whose establishment should be regretted because of the fanatical views of their current leaders. I also hear that there should be no mosque on Park Place until there are churches and synagogues in Saudi Arabia. I get it. Until they are like us, we will be like them.

At the JCC on Q Street a few weeks ago, there was a family night for “kibbutz camp.” As the children sang “Zum Gali Gali,” an old anthem of the Zionist pioneers, I noticed among the jolly parents a Muslim woman swaddled in black. Her child was among those children! Her presence had no bearing on the question of our security, but it was the image of what we are protecting. No American heart could be unmoved by it. So: Cordoba House in New York and a Predator war in Pakistan—graciousness here and viciousness there—this should be our position. For those who come in peace, peace; for those who come in war, war.“

 

Die Islamisierung schreitet voran

Ein paar ungeordnete Eindrücke von gestern: Ich war eingeladen, bei der Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes auf einem Panel über „Islam in Europa“ mitzudiskutieren. Bei der „BoKo“ sind einmal im Jahr fast alle deutschen Botschafter und Gesandten in Berlin, um über verschiedene Dinge zu tagen.

Bevor wir überhaupt zu den Hauptthemen unseres Panels kommen konnten, war das ganze Haus schon ziemlich in Aufregung: Der Plan des Pfarrers Terry Jones, zum Gedenken an 9/11 Korane zu verbrennen, versetzt den gesamten diplomatischen Dienst, sofern er sich mit islamisch geprägten Ländern befasst, in Unruhe. Denn es ist offenbar, dass diese Aktion die Sicherheit aller westlichen Vertreter (und auch der deutschen Soldaten) gefährden kann, weil sie großartiges Futter für Extremisten ist. (Gut daß die Bundeskanzlerin bei ihrer Rede in Potsdam das Nötige dazu gesagt hat.)

Auf dem Panel saßen Joseph Maila, ein libanonstämmiger katholischer Islamexperte, der im französischen Außenministerium für Religonsfragen zuständig ist und neuerdings auch Chef des Planungsstabes ebendort. Maila verteidigte das französischen Modell des Bürgers, der einem „blinden Staat“ gegenüber steht, der nicht nach Religion oder Herkunft unterscheidet. Aber er gab auch zu, dass das eine schöne Fiktion ist. Ich verstieg mich zu der These, dass die Islamisierung Deutschlands wirklich voranschreitet. Allerdings ist es eine Islamisierung des öffentlichen Diskurses, die alles und jedes moslemisiert (und diese schreckliche Vereinfachung nun auch noch biologi(sti)sch zu untermauern versucht.) Wir produzieren im Diskurs mehr und mehr Muslime. (Ich höre das dauernd in diesen Tagen: So türkisch, so muslimisch habe ich mich in meinem Leben noch nicht gefühlt, sagen viele neue Deutsche, erschrocken über sich selbst. Hier wirst Du immer Muslim bleiben, immer Türke, immer Migrant, auch wenn Du gar nicht eingewandert bist, sondern hier geboren.) Professor Maila fand meine These richtig, er sah sie wohl als Bestätigung seines französisch-laizistischen Republikanertums.

Aiman Mazyek sprach für den Zentralrat der Muslime, Ali Ertan Toprak für die Aleviten, ich für die Medien, Haci-Halil Uslucan für das „Zentrum für Türkeistudien“. Mazyek wies zurecht darauf hin, dass die deutschen Muslime angesichts des Karikaturenstreits eine sehr vernünftige Position vertreten haben: Keine Ausschreitungen, friedliche Proteste und ein klares Bekenntnis zu Meinungsfreiheit, auch wenn es schmerzt.

Jetzt, angesichts der Sarrazin-Debatte, macht sich offenbar das Gefühl breit, dass es wenig bringt, wenn man sich verfassungsgemäß verhält, einen kühlen Kopf bewahrt und die Hitzköpfe in den eigenen Reihen in Schach hält. (Nicht dass man es tut, damit es etwas bringt. Aber selbst wenn man es tut, wird es nicht anerkannt und man steht immer weiter unter Verdacht.) Wie anders soll ein wohl integrierter, erfolgreicher Deutscher wie Mazyek die Debatte der letzten Wochen erleben – denn als Signal, dass er hier nie dazugehören wird? Die Wut, das tiefe Misstrauen, die Angst, die sich da allüberall ausdrücken, hinterlassen Spuren. Wochenlang beugt sich der biodeutsche Teil der Nation über deine Gene: das ist irgendwann nicht mehr lustig. Wenn Mazyek die Kanzlerin dafür kritisiert, zur Ehrung von Westergaard zu gehen, muss er sich gleich fragen lassen, ob er denn „für Zensur“ sei. Ist er nicht. Aber die Suggestion ist sofort da, und ich kann mir vorstellen, wie wütend man über so etwas wird: Na, wie finden sie das denn, wenn wir den Mann ehren? Eine Falle. Mazyek hat dann im Fernsehen ziemlich rumgeeiert über die Abwägung von „Respekt“ und „Meinungsfreiheit“. Warum nicht voltairisch sagen, ich lehne das aus vollem Herzen ab, was dieser Mann macht, aber ich werde für seine Freiheit kämpfen, es weiter zu tun. Denn wenn ich unser Gespräch recht verstanden habe, ist das in etwa die Haltung.

Interessant übrigens, wie dieselben Leute, die Merkel vorgestern noch angeprangert haben wegen ihrer Kritik an Sarrazin (BILD), sie heute wieder zur „mutigen“ Kanzlerin stilisieren, weil sie Westergaard die Hand geschüttelt hat. Oder wie sie versuchen, daraus einen Widerspruch zu machen (und  Sarrazin damit zum verfemten und verfolgten Dissidenten). Die Kanzlerin hat, wenn ich das einmal wohlwollend auslege, eine konsistente Haltung gezeigt: so erbarmungslos gegen Biologismus wie gegen Islamismus.  (Cool gefunden hätte ich es, wenn die Kanzlerin sich dieser Tage auch mal bei einem Iftar hätte sehen lassen. Dann könnte man den Handshake mit Westergaard nicht als verquere Botschaft zum Zuckerfest/Eid verstehen. Happy Ramadan allerseits!)

Ali Ertan Toprak hielt ein flammendes Plädoyer dafür, dass die Einwanderer und ihre Kinder dieses Land als ihres annehmen sollen. Er ist so patriotisch, dass manchem Botschafter ein Stirnrunzeln übers Gesicht huscht. Er hat Freude daran die anderen Deutschen damit zu verblüffen, wie begeistert er von diesem Land spricht. Die Aleviten – in der Türkei immer noch bedrängt und nicht frei, ihren Glauben so auszuüben, wie sie das richtig finden – leben in Deutschland auf. Aber auch er muss sich immer wieder anhören, dass man ihn automatisch mit der Türkei identifiziert.

Ein Blick ins Publikum – in die Gesichter der 50-60 Botschafter – zeigte übrigens, wie unglaublich homogen die Elite dieses Landes ist: Die Franzosen haben an höchster Stelle in ihrem internen Thinktank immerhin einen Mann mit Wurzeln im Libanon. Das Establishment des deutschen diplomatische Corps enthält unterdessen einige Ostdeutsche, aber andere Neubürger sucht man noch (fast) vergeblich.

Haci-Halil Uslucan konnte Zahlen anführen, die die Diskriminierung der bildungswilligen Türken belegen. Jeder auf dem Panel kannte ein Beispiel dafür. Ich habe dann etwas vorlaut dazwischengefunkt, nicht weil ich diese Erfahrungen bezweifle, sondern weil ich sie für nicht politisierbar halte. Der Diskriminierungsdiskurs ist eine Sackgasse. Man macht sich zum Opfer, und niemand mag Opfer (oder nur die falschen Leute).  Einwanderer werden immer diskrimiert, die Deutschen haben sogar die Vertriebenen nach dem Krieg schlecht behandelt, die doch angeblich ihr eigen Fleisch und Blut waren. Warum soll es Türken besser gehen. Da gibt es nur eins: dagegenhalten, besser werden, nicht aufgeben, wiederkommen bis sie dich durchlassen.

Dann war auch schon Schluss, denn wir mussten zum Fastenbrechen. Iftaressen, gegeben von Cornelia Pieper (FDP), Staatsministerin im AA, im Museum für Islamische Kunst auf der Museumsinsel. Seyran Ates war übrigens auch da unter den vielen Gästen, und ich war froh zu sehen, dass sie offenbar wohlauf ist.

 

Der Imam der „Ground Zero Moschee“ spricht

Der New Yorker Imam Rauf hat sich nun nach Wochen zu Wort gemeldet und das Projekt seines „Community Centers“ (i.e. „Ground Zero Moschee“) verteidigt. Er war, wie bekannt, im Auftrag des State Department unterwegs, um Amerika im Nahen Osten zu bewerben.
In einem Kommentar für die New York Times erklärt er, warum er nicht nachgeben will und was das Zentrum für eine Aufgabe haben soll. Er verspricht die Finanzierung offenzulegen und kündigt an, es werde Gebetsräume für andere Religionen, namentlich Juden und Christen, in dem Zentrum geben, sowie einen Gedenkraum für die Opfer des 11.September.
Er sagt auch, die Verteidigung des Projekts durch Präsident Obama und den Bürgermeister Bloomberg – einen Christen und einen Juden – habe in der islamischen Welt großen Anklang gefunden und helfe, die falschen Meinungen zu bekämpfen, Amerika befinde sich auf einem Kreuzzug gegen den Islam. „It was striking: a Christian president and a Jewish mayor of New York supporting the rights of Muslims. Their statements sent a powerful message about what America stands for, and will be remembered as a milestone in improving American-Muslim relations.“

Unterdessen scheinen die prominenten Republikaner kalte Füsse zu bekommen, was die geplante Krawall-Demo am 11. September am Ground Zero angeht: Newt Gingrich ließ mitteilen, er werde nicht persönlich erschienen und habe von vornherein nur eine Video-Botschaft in Aussicht gestellt. Sarah Palin hat andere Pläne, offenbar zusammen mit Glenn Beck in Alaska. John Bolton wird ein Video schicken. Ach ja, Geert Wilders ist weiterhin angekündigt.

Rauf schreibt: „The wonderful outpouring of support for our right to build this community center from across the social, religious and political spectrum seriously undermines the ability of anti-American radicals to recruit young, impressionable Muslims by falsely claiming that America persecutes Muslims for their faith. These efforts by radicals at distortion endanger our national security and the personal security of Americans worldwide. This is why Americans must not back away from completion of this project. If we do, we cede the discourse and, essentially, our future to radicals on both sides. The paradigm of a clash between the West and the Muslim world will continue, as it has in recent decades at terrible cost. It is a paradigm we must shift.“

Ich wiederhole meine Frage: Spricht so der Feind?

Anders gefragt: Wer ist hier der Freiheitskämpfer? Der blondmähnige Volkstribun aus Limburg oder dieser Imam?

 

„Burn a Koran day“

Momentaufnahmen aus dem amerikanischen Kulturkampf dieser Tage. Zum 11. September plant dieser evangelikale Pastor aus Florida einen „Burn a Koran day“:

Das zunehmend frostige Klima, in dem sich Figuren wie Pastor Jones (irriger Weise) als Vertreter der Mitte wähnen, wollen diese amerikanischen Muslime durch eine Medienkampagne auftauen:

 

Woher die Importbräute kommen

Kleines Fundstück zum Thema Importbräute aus der letzten Migrationsstatistik des BAMF (2008):

Man kann das so lesen: Aus Thailand, Ukraine und RUS werden zusammengenommen fast drei mal soviel Ehefrauen von deutschen Passinhabern importiert wie aus der Türkei.

Die thailändischen Frauen werden hauptsächlich von ethnischen Deutschen nachgefragt, türkische Frauen vorwiegend von türkischstämmigen Männern mit deutscher Staatsanghörigkeit, russische und ukrainische Frauen respektive von Einwanderern aus diesen Ländern, die den deutschen Pass erworben haben.

Die gesamte Familienzusammenführung aus der Türkei betrug 2008 übrigens 8376 Personen, inklusive Ehemänner (2203) und Kinder (1281). Die Zahlen sind rückläufig.

Quelle

 

Im Reich des Widerlichen: kein Kommentar zu Sarrazin

Werte Mitblogger: Zur Sarrazin-Debatte fällt mir partout nichts Besseres ein als mein nun auch schon fast ein Jahr alter Text von der Seite 3 der ZEIT. Steht alles drin, was ich dazu denke.

Als ich ihn vorhin kontrollehalber wiederglesen habe, wurde mir deutlich, dass ich mich lieber weiter zurückhalte. Über Sarrazin II habe ich anläßlich von Sarrazin I (Lettre-Interview) alles gesagt, was mir dazu einfällt. Meine Schlußpointe steht: Die mutlose Politik lädt die Bürger geradezu  ein, sie zu verdächtigen und zu verachten.

Sarrazin hat seinerzeit mit einem Leserbrief darauf geantwortet, der schon von der gleichen urdeutschen Haltung der  „verfolgenden Unschuld“ geprägt war wie seine derzeitigen Reaktionen auf den von ihm selbst kalkuliert inszenierten Tohuwabohu. Peinlich, das. Alles sehr unbürgerlich und nicht sehr fein. Aber eben nicht neu und auch darum für mich nicht ergänzungsbedürftig.

Ich habe das Buch seit etwa fünf Wochen in einer mit Wasserzeichen versehenen Datei vorliegen. Jedermann, der das Gebaren des Verlages kennt, wusste von Anfang an, dass es sich um einen geplanten Krawall handelte. Durch den Wirbel um das Lettre-Interview ist man ja erst darauf gekommen, dass hier noch mehr geht. Ich bin froh, dass DIE ZEIT sich dazu nicht hergegeben hat, sondern mit einem kontroversen Interview in die Debatte eingestiegen ist.

Der SPIEGEL hat (parallel mit Bild) die Auszüge gedruckt. Jetzt aber stehen die Kollegen offenbar ratlos vor der Debatte, die „aus dem Ruder gelaufen“ (SPIEGEL von heute) sei. Ich zitiere aus der aktuellen Ausgabe: „Sarrazin hat die Debatte mit einem falschen Zungenschlag begonnen. Er beschrieb Mängel bei der Integration, die tatsächlich beklagenswert sind, aber er verknüpfte sie mit biologstischen Gedankenspielen. Er räsonierte über die Vererbbarkeit von Intelligenz und schwadronierte über ein ‚bestimmtes Gen‘, das ‚alle Juden teilen‘. Damit war er beim Biologismus und bei der Rassenlehre, und er war im Reich des Widerlichen… (…) , hat er sich für den Satz über ein jüdisches Gen entschuldigt. Aber erst einmal hatte ihm die Provokation gefallen, und manchem seiner Anhänger vielleicht auch.“

Tja. Hat dem SPIEGEL die Provokation nur 2 Wochen zuvor nicht auch „erst einmal“ gefallen? Im „Reich des Widerlichen“ – die Formel gefällt mir. Ach, man ist so recht froh, dass ihm das mit den Juden passiert ist (wie eine Art Tourette-Syndrom bei deutschen „Querdenkern“, nur dass die nicht „Penis“ rufen müssen, sondern „Jude“). So kann man den peinlichen Herrn jetzt entsorgen.

Im Lettre-Interview ist alles schon enthalten – die feine eugenische Note, die Unterschichtenverachtung, die Suggestion, dass Deutschland durch die Fruchtbarkeit der Türken und Araber immer dümmer wird. Das postume Erschrecken mancher Kollegen ist entweder Unkenntnis oder Heuchelei, ebenso wie die zahlreichen Versuche, das nun unter den Teppich zu kehren mit dem Hinweis, dass er doch bitteschön „kein Genetiker“ (Sarrazin) sei und es ihm primär um die Integration gehe.

Nur eins noch: Dass ein Mann erst in dem Moment ins „Reich des Widerlichen“ eintritt, in dem er etwas über Juden und Gene sagt, während er vorher ungestraft und unter großem Gejohle und bedächtigem Kopfwiegen des Publikums über türkische und arabische Gene bramarbasieren kann – das kann einem auch zu denken geben.

Ach, soviel zu bedenken…

 

In eigener Sache

Werte Mitblogger,

ich habe den Kommentarbereich der beiden letzten Artikel geschlossen. Vielleicht ist das mehr eine Geschmacksfrage…

Aber es mißfällt mir zunehmend, das in einem Blog, für das ich immerhin meinen Namen hinhalte, soziobiologisch und eugenisch herumdilettiert wird, angeregt durch den gewissen Herrn S.

Ich will gar nicht sagen, dass alles haltlos ist, was da geschrieben wird. Manches allerdings. Aber das ist nicht der Punkt.

Ich schätze grundsätzlich bekanntermaßen einen sehr weit gezogenen Debattenrahmen, in dem es auch persönlich und emotional zugehen darf (soll).

Wenn sich aber plötzlich zahlreiche Diskutanten berechtigt fühlen, das Fortpflanzungsverhalten einer ganzen Gruppe zu kommentieren, kommt mir die Suppe hoch.

D i e heiraten falsch; d i e kriegen zuviele Kinde; d i e kriegen zu dumme Kinder; d i e heiraten ihre Cousins und Cousinen; d e r e n Fortpflanzung ist ja in Wahrheit ein Eroberungsprojekt (aber warum dann die Cousinenehe?); ach, wie schaffen wir es nur, dass d i e  weniger Kinder kriegen…

Eine Gesellschaft, in der jeder dahergelaufene Meinungsträger sich berechtigt fühlt, über intimste und, ja,  heiligste Dinge ganzer Gruppen zu urteilen und zu schwadronieren, die schafft sich selber ab.

Darum lassen wir das hier bitte erst mal.

Ich bitte alle jene um Verständnis, die hier mit viel Einsatz versucht haben, die Debatte in rationalen und humanen Bahnen zu halten.

Mir aber ist die ganze Richtung nichts, und darum schneide ich die Diskussion hier einfach mal ab.

Grüße, JL

 

Soll man Sarrazin ausgrenzen?

Sarrazins Buch macht die erwartbaren Wellen. Und das schon vor Erscheinen.

Am nächsten Montag sollte es eigentlich im „Haus der Kulturen der Welt“ in Berlin vorgestellt werden. Das HkW – wie hätte man einen besseren Platz finden können?! Hier wird üblicherweise nichtwestliche Kunst und Kultur ausgestellt oder diskutiert. Das HkW ist eine Art umgekehrtes Goethe-Institut, das interessante Künstler und Intellektuelle aus aller Welt gleich neben das Kanzleramt mitten nach Berlin holt. Es ist ein Versuch, Berlin weltoffen darzustellen, den Kulturbegriff zu erweitern und den Gewinn aus einer Mischung vieler Kulturen zu betonen. Also ein Hassort für alle, die gegen Muslime hetzen, indem sie sie ironisch als „Kulturbereicherer“ oder ähnliches titulieren. Und das Haus steht auch noch gleich neben den berühmten „Türkengrill“-Wiesen des Tiergartens, über die sich manche so gerne aufregen.
Dort also sollte Sarrazin sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ vorstellen – eigentlich ein genialer Ort für die bereits laufende, überfällige Debatte. Doch nun hat das Haus offenbar kalte Füße bekommen und will die Veranstaltung absagen.
Nein, selber absagen will man dann doch nicht, das wirkt irgendwie peinlich und riecht nach Feigheit und Zensur. Also wurde gestern eine Mail herumgeschickt, in der es hieß, Sarrazin habe sich geweigert, eine kritische Stimme auf dem Podium zu dulden, und wenn er dabei bleibe, ja dann…
Also das überzeugt mich nun nicht. Entweder man sagt die Sache ab und gesteht einen Fehler bei der Planung des Events, oder man zieht es durch. Für kritische Stimmen im Publikum dürfte ohnehin gesorgt sein. So aber wird sich Sarrazin nun wieder in der Pose gefallen können, er sei ein umbequemer Mahner, dessen Wahrheiten das linke Justemilieu einfach nicht zu ertragen in der Lage ist. Schwache Vorstellung des HkW.
Und der Migrationsrat Berlin-Brandenburg sattelt jetzt auch noch drauf. Als wäre der (zweifehlafte) Erfolg nicht genug, die Veranstaltung schon verhindert zu haben. Ich zitiere aus einer soeben verschickten Meldung:

„Das Haus der Kulturen der Welt hat gestern in einer Pressemitteilung angekündigt, Sarrazins Lesung abzusagen, da er einen kritischen Gesprächspartner ablehne. Der MRBB begrüßt diese Positionierung des HkW. Trotzdem bleibt der Aufruf an die OrgansiatorInnen des Internationalen Literaturfestivals, Sarrazins Hetze kein Raum zu bieten, bestehen. Weiterhin wird der MRBB AutorInnen des Internationalen Literaturfestivals kontaktieren, um sie zu informieren, mit wem sie das Forum teilen, und zu einem Boykott aufzurufen.


‚Es geht hier nicht um eine Meinung, über die diskutiert werden kann, sondern um Extremismus. Sarrazins Äußerungen sind gefährliche rassistische Propaganda, die die Gesellschaft spaltet. Wer Sarrazins Hetze Raum bietet oder mit ihm den Raum teilt, macht sich der Komplizenschaft mit Rassismus schuldig. Gerade jetzt ist eine eindeutige Positionierung gegen rechtspopulistische Propaganda wichtig. Nicht nur dann, wenn es sich um ‚Pro Deutschland‘ oder NPD handelt‘, so Nuran Yiğit Vorstandsmitglied und Sprecherin des MRBB. Der Fall Sarrazin ist ein Paradebeispiel dafür, dass Rassismus kein Randgruppenproblem ist, sondern der Mitte der Gesellschaft entspringt.


Also echt, liebe Leute: Schaltet mal einen Gang runter. Jetzt macht man sich schon schuldig, wenn man mit ihm einen Raum teilt? Das ist ja bizarr. Macht man sich dann nicht auch schon schuldig, wenn man überhaupt über ihn schreibt? Oder ihm die Zeitungsseiten für ein Interview öffnet, wie heute in der ZEIT?

Wenn man nicht mehr mit ihm in einen Raum darf, wie soll man ihn mit einer Gegenmeinung konfrontieren? Wenn man nicht mehr darüber schreiben darf, wie soll man seine Thesen widerlegen? Wie aber soll man sich dann „positionieren“? So wird das Ganze zu einem Glaubenskampf.

Und übrigens halte ich es auch nicht für sehr hilfreich (und vor allem: nicht zutreffend) zu behaupten, Sarrazin sei ein „Paradebeispiel“ dafür, „dass Rassimus der Mitte der Gesellschaft entspringt“.

Die „Mitte der Gesellschaft“ in Deutschland ist nicht rassistisch. Das einfach so zu behaupten gibt der NPD Recht, die tatsächlich glaubt, Sarrazins Buch bedeute die Ankunft ihres Denkens in der „Mitte“. Der Migrationsrat spielt mit diesen dämlichen, überzogenen Einlassungen das Spiel der Rechtsradikalen mit.

Auseinandersetzung, Widerlegung, Konfrontation – darum kommt man nicht herum. Verbot, Ausgrenzung, „Positionierung“ ist kein Ersatz für eine Debatte.

p.s. Dass die SPD sich von dem Mann trennen muss, steht auf einem anderen Blatt. Eine Partei ist ein Tendenz-Verein mit bestimmten Grundwerten, Zielen und Umgangsformen. Sarrazin gehört nicht mehr zur Sozialdemokratie.

p.p.s. Leider hatten sich in meinen Text Fehler eingeschlichen. Necla Kelek sollte an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen. Sie wird bei der offiziellen PK mit Sarrazin im Haus der Bundespressekonferenz am kommenden Montag dabei sein. Ich bitte, die Fehler zu entschuldigen und danke für die Hinweise.