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Der Wertekonflikt mit dem traditionellen Islam

Mitbloggerin Miriam fasst die Debatte über Integration und Islam folgendermaßen zusammen:

„Aus meiner Sicht führt primär die Kollision von traditionellen und modernen Werten zu der Problematik, die wir hier diskutieren. Zum Beispiel:

1. Individualismus versus Kollektivismus bzw. Familialismus

2. Gleichberechtigung der Geschlechter versus Gleichwertigkeit und Komplementarität

3. Unterwerfung unter den Willen Gottes bzw. Älteren/Eltern versus Verhandlung. (Das mag im Zusammenhang mit Gott paradox klingen. Aber dadurch, dass der Gott der Christen ein Gott-Vater ist, ändert sich die Beziehung zu diesem “Vater” in dem Maße, wie die Beziehung zu irdischen Vätern sich ändert.) Man bezeichnet moderne Familien als “Verhandlungshaushalte” und traditionelle Familien als “Befehlshaushalte”. Verhandlungshaushalte fördern und fordern Individuierung im Sinne der Entwicklung einer autonomen Persönlichkeitsstruktur, und sie betreiben Individualisierung im Sinne der Freisetzung des Einzelnen aus der Umklammerung des Kollektivs. Eben diese Freisetzung ist ein Kennzeichen der modernen Gesellschaft und ihre Abwesenheit ist ein Merkmal traditioneller Gemeinschaften.

4. “Reinheit” im Sinne von Jungfräulichkeit. Gesucht wird eine Frau, die “sauber” ist. Eine Frau, die vor der Ehe “berührt” wird, gilt als “dreckig. Das traditionelle Reinheitsgebot begünstigt die Endogamie, auch ein traditioneller Wert, und erschwert die Exogamie. Denn man will nicht die Katze im Sack kaufen, sondern wissen, mit wem (auch mit welcher Sippe) man es zu tun hat. Mit dem Reinheitsgebot im Zusammenhang steht die

5. “Ehre” (namus) als unantastbares Merkmal eines Kollektivs, das vom sexuellen Verhalten der weiblichen Mitglieder des Kollektivs abhängt. Die junge Frau, die vor der Ehe ihre Jungfräulichkeit verliert, verliert nicht nur die eigene Ehre, sondern entehrt die ganze Familie. Die Verantwortung, die man in dieser Hinsicht als Frau trägt, erschwert die Individuierung, denn dabei riskiert man das ganze Familiengebäude zum Einsturz zu bringen. Aber auch die Männer tragen eine Verantwortung, nämlich Fehltritte ihrer Schwestern, Frauen sogar ihrer Mütter zu verhindern. Das zwingt sie in die Rolle des Aufpassers und erschwert ihre Emanzipation von der traditionellen Pascha-Rolle. (Die traditionell erzogenen kurdischen Mädchen, die ich kenne, klagen am meisten über ihre Brüder, auch ihre jüngeren Brüder, die sie Paschas nennen und die ihnen vorschreiben möchten, wie sie zu leben haben.) Die traditionelle Vorstellung von Ehre prägt auch die Art und Weise, wie die deutsche Gesellschaft betrachtet wird, denn aus traditioneller Sicht sind die meisten Frauen ehrlos und die meisten Männer verdienen die Bezeichnung namussuz adam (ehrloser Mann), weil sie die Verwahrlosung ihrer Frauen nicht verhindern. Auch das erschwert die Integration.

Ich löse Integration von der ethnischen und religiösen Ebene und betrachte sie (auch) als Übergang von der Tradition in die Moderne, als Überwindung traditioneller und Übernahme moderner Werte. Das setzt weder das Leugnen der ethnischen Herkunft noch die Aufgabe der Herkunftsreligion voraus. Zwei prominente Frauen, die diesen Weg erfolgreich gegangen sind (und die es sogar schafften, ihre Eltern zumindest ein Stück weit mitzunehmen) sind Seyran Ates und Hatice Akyün. Sie zeichnen sich durch eine starke Ich-Identität im Sinne von Lothar Krappmann aus, d.h. es gelingt ihnen, Balance zu halten zwischen den Anforderungen der sozialen Umwelt und ihren eigenen Bedürfnissen. Diese Leistung ist um so bewundernswerter, wenn man bedenkt, dass sich diese Frauen mit den konfligierenden Anforderungen der traditionellen Herkunftsgruppe und der modernen deutschen Gesellschaft sich auseinandersetzen müssen.

Im folgenden Beitrag in der ZEIT blickt Ates auf ihre Kindheit in Istanbul und Berlin zurück und beschreibt ihre Vorstellung von Freiheit und Individuum sowie ihren Kampf um eine Balance zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen ihrer türkischen Umwelt:

„Es dauerte nicht lange, bis ich begriff, warum ich solch ein Leben führte. Ich war ein Mädchen, ich stellte die Ehre der Familie dar, und mein Jungfernhäutchen, von dem ich lange nicht wusste, was das überhaupt ist, war von größerem Interesse für die Großfamiliengemeinschaft als mein Gehirn. Wenn ich mein Gehirn benutzte und meine Meinung äußerte – meist eine, die sich für ein türkisches Mädchen nicht schickte –, wurde ich für verrückt erklärt. Da war es wieder; wenn auch angeblich scherzhaft. In meiner näheren Umgebung wurde ich als die kluge Verrückte bezeichnet. Ich hatte nicht das Gefühl, verrückt zu sein. Aber irgendwie merkte ich schon, dass wir nicht so gut zusammenpassten: die türkische Kultur in Deutschland und ich. Meine gesamte Umgebung kontrollierte alle weiblichen Wesen auf Schritt und Tritt. Wobei ich leider sagen muss, dass nicht nur Männer dieses System aufrecht erhielten.

Ich wollte mich von dieser Enge befreien. Es war nicht die kleine Wohnung, das fehlende Kinderzimmer, sondern der Staub aus Anatolien, der mir die Luft zum Atmen nahm. Jeder Tag fing an mit dem Traum nach Freiheit und endete damit. Ich habe diesen Traum so lange geträumt, bis ich ihn für mich verwirklichen konnte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Dinge, die ich mir erträumt habe, tatsächlich in Erfüllung gegangen sind. Ich musste nur meinen Anteil dazu tun. Das habe ich von den Deutschen gelernt. Sie haben mir beigebracht, dass ich ein Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und eigene Meinung habe. Und sie haben mir beigebracht, dass alle Menschen gleich sind. Diese wunderbare Freiheit des Körpers und des Geistes steht allen Menschen zu.“

 

Neues vom Irren mit der Bombe

Machmud Ahmadinedschad liebt die Vereinten Nationen, speziell die Generalversammlung. Was Youtube für Pastor Jones aus Florida ist, das ist die General Assembly für den iranischen Präsidenten: Eine Chance auf die Aufmerksamkeit der Welt. Allerdings wird das jedes Jahr schwerer, denn er muss sich ja selbst übertreffen an Absurdität. Einfach nur Israel – pardon, gibt’s ja gar nicht: ich meine natürlich die „zionistische Einheit“ – angreifen bringt’s nicht mehr, das tun ja heute sogar schon die Erdogan und Gül.
In diesem Sinn ist ein voller Erfolg zu vermelden. Achmadinedschad hat eien interessante neue Theorie zu 9/11 vorgestellt:
„He said there were three theories about the origins of the Sept. 11 attacks, including ‚that some segments within the U.S. government orchestrated the attack to reverse the declining American economy and its grips on the Middle East in order also to save the Zionist regime.'“

Klasse gemacht, zugleich die Amerikaner gegen sich aufgebracht – und die dahinterliegende zionistische Verschwörung angesprochen. Ich meine, sowas wird man doch wohl noch sagen dürfen in diesem Hohen Hause…

Der Hintergrund für diese neueste Bizarrerie wird daheim vermutet. Ajatolla Jannati scheint Machmud zuletzt bei den irrsinnigen Verschwörunsgtheorien überholen zu wollen:

„But analysts noted that his remarks should be viewed through the prism of domestic politics in Iran, where conservatives try to outflank him. They said that during a recent Friday prayer sermon, Ayatollah Ahmad Jannati said that 84 percent of Americans believed their own government was behind the attacks.“

Angesichts dieses Wettbewerbs möchte ich nicht viel wetten auf eine baldige Wiederaufnahme der Verhandlungen über das Nuklearprogramm.

 

Populismus aus Angst vor dem Volk

Ich kann die Angst riechen, hier im Berliner Regierungsviertel. Ihr beißender Geruch strömt aus Zeilen wie diesen, die Sigmar Gabriel vor wenigen Tagen Spiegel Online diktiert hat:

„Wer auf Dauer alle Integrationsangebote ablehnt, der kann ebenso wenig in Deutschland bleiben wie vom Ausland bezahlte Hassprediger in Moscheen.“

Er hatte offenbar das Gefühl, nach Wochen der Kritik an Sarrazin auch mal zu beweisen, dass er kein Weichei ist, dass er auch mal was „gegen Ausländer“ sagen kann. Dumme Sprücheklopferei als Antwort auf eine Debatte, die dem Vorsitzenden zu entgleiten droht? Denn bekanntermassen sind viele in der SPD der Meinung, dass Sarrazin „doch irgendwie Recht hat“, wenn er bloß die Hobbygenetik weggelassen hätte und es vielleicht ein bisschen netter gesagt hätte. Sowas kommt unter anderem davon, wenn man jahrelang die Debatte über Integration und Islam verpennt, liebe SPD.

Jetzt aber nachholen zu wollen, indem man einerseits Sarrazin als „Herrenreiter“  und geistigen Erben der Eugenik überführt, wie letzte Woche in der ZEIT geschehen, andererseits aber Sprüche klopft, die suggerieren, der Mann habe eben doch irgendwo Recht – das ist wirklich fatal.

„Integrationsverweigerer“ und „vom Ausland bezahlte Hassprediger“ in einen Satz zu mischen, heißt das Geschäft derjenigen zu betreiben, vor denen man Angst hat.

Da stellt sich doch dem Publikum die Frage: Ach, wenn es denn so viele Integrationsverweigerer im Lande gibt (in dem auch die SPD zuletzt elf Jahre regiert hat), warum erfahren wir das jetzt – und was hat denn die SPD in der Regierung dagegen getan? Und warum gibt es überhaupt „vom Ausland bezahlte Hassprediger“ bei uns, wie Gabriel suggeriert? Hat der SPD-Innenminister Schily etwa nichts dagegen getan? (Doch, hat er, aber Gabriel ist offenbar zu faul, das jetzt zu erklären…)

Kurz gesagt: Der Angstgeruch, der hier durchs Regierungsviertel schweift, macht mir Angst. Nicht nur die SPD strömt ihn aus, von allen Seiten hört man Sprüche, die signalisieren sollen, dass man den Sarrazin doof findet, sich aber  nicht zu schade wäre, auch mal was gegen die da, die Ausländer, die Muslime zu machen.

Das macht einen Witz aus der besonnenen Politik der letzten Jahre, in der Gefühl und Härte, Fördern und Fordern  keine Gegensätze mehr waren.

Gefragt ist jetzt Führerschaft im Verteidigen dieser Errungenschaft, keine Sprüche, um dem vermuteten dumpfen Volkswillen zu schmeicheln. Gefragt sind politische Führer, die den Leuten mehr zutrauen.

 

Ein Jude leistet Abbitte bei Muslimen

Vor wenigen Tagen war Yom Kippur, der wichtigste jüdische Feiertag. Ein Tag des Innehaltens, Fastens und Bereuens, ein neuer Anfang im Leben für viele Juden. G-tt kann nur bestimmte Sünden vergeben, nicht etwa, wie bei den Katholiken, einfach alles für ein paar Avemarias.

Was man seinem Nebenmenschen angetan hat, muss auch der selber vergeben. Man kommt also nicht drumherum, sich direkt an den Geschädigten zu wenden, was sehr viel peinvoller sein kann als das halbanonyme Geständnis im Dunkeln des Beichstuhls, von dem der Betroffene ja – Beichtgeheimnis- nie erfahren wird.

Und anlässlich dieses Tages der Vergebung hat Martin Peretz, der Herausgeber der New Republic, nun etwas sehr Bemerkenswertes getan. Er hat in seinem Editorial die Muslime um Verzeihung gebeten für einige Sätze, die er in Wut und Angst hingeschrieben hat, und die ihm nun selber peinlich sind.  Ich zitiere:

This is the eve of Yom Kippur, or the Day of Atonement. Introspection is the order of the day. The Jewish tradition divides sin into two categories, sins against God and sins against man, and insists that God can forgive the former but not the latter, because only the sinned against have the power to absolve the sin. This is why the asking of forgiveness is an act of supreme importance in this season. I myself have much to ask forgiveness for, and much of this asking will be done in private, as is appropriate. But there are sins that are committed in public, and in this past year I have publicly committed the sin of wild and wounding language, especially hurtful to our Muslim brothers and sisters. I do not console myself that many other Americans at this moment are committing the same transgressions, against others. I allowed emotion to run way ahead of reason, and feelings to trample arguments. For this I am sorry.

Worum aber geht es? Hier aus einem früheren Post die betreffenden Sätze:

The embarrassing sentence is: „I wonder whether I need honor these people and pretend they are worthy of the privileges of the First Amendment, which I have in my gut the sense that they will abuse.“ I wrote that, but I do not believe that. I do not think that any group or class of persons in the United States should be denied the protections of the First Amendment, not now, not ever. When I insist upon a sober recognition of the threats to our security, domestic threats included, I do not mean to suggest that the Constitution and its order of rights should in any way be abrogated. I would abhor such a prospect. I do not wish upon Muslim Americans the sorts of calumnies that were endured by Italian Americans in connection with Sacco and Vanzetti and Jewish Americans in connection with communism. My recent comments on the twisted Koran-hating reverend in Gainesville will give evidence of that. So I apologize for my sentence, not least because it misrepresents me.

Übrigens; „These people“ – das bezieht sich auf dem hier viel besprochenen Imam Rauf und seine Gemeinde, denen auch Martin Peretz nicht wohl gesonnen war. Um so bemerkenswerter diese öffentliche Abitte. Chapeau!

Ein bisschen mehr Geist von Yom Kippur könnte unserer Debatte hierzulande auch gut tun.


 

Antimuslimismus?

Habe ich’s nicht gesagt? Der Begriff der „Islamophobie“ taugt nichts, obwohl es eine arge und steigende Islamfeindlichkeit gibt. Nicht nur hierzulande, sondern in weiten Teilen der westlichen Welt (Willkommen im Club, Schweden!)

Armin Pfahl-Traugber macht in der taz eine ähnliche Unterschiedung wie ich damals in meinem Text:

Mit einer Ablehnung des Islam muss sich nicht automatisch eine Ablehnung von Muslimen verbinden. Dies zeigen sogar die Daten der GMF-Studie selbst: Während zwar eine Mehrheit von 65,9 Prozent im Jahre 2003 der Aussage widersprachen: „Die muslimische Kultur passt durchaus in unsere westliche Welt“, wiesen 65,6 Prozent zugleich die Aussage: „Bei Personen muslimischen Glaubens bin ich misstrauischer“, weit von sich.

Auch andere empirische Studien zeigen, dass es zwar eine deutliche Zunahme von Kritik und Ressentiments gegen den Islam gibt. Das geht aber nicht automatisch mit einer wachsenden Feindseligkeit gegen Muslime einher. Sowohl empirische wie theoretische Argumente sprechen daher dagegen, pauschal von „Islamophobie“ zu reden.

Besser sollte man vielleicht von „Antimuslimismus“ oder „Muslimenfeindschaft“ sprechen. Diese beiden synonymen Begriffe zielen auf die Feindseligkeit gegenüber Muslimen als Muslime ab. Es handelt sich hier nicht um einen bloßen Streit um Worte, die Bezeichnungen stehen vielmehr für unterschiedliche Inhalte. Wenn von „Antimuslimismus“ die Rede ist, dann ist jedenfalls klar, dass es dabei nicht um die Kritik an der muslimischen Religion geht, wie immer rational und begründet diese auch sein mag.

Allerdings muss ich nahc den letzten Wochen sagen: Ich hoffe sehr, dass das noch stimmt, dass es also eine Kritik an der Religion des Islam, ihren Traditionen und Werten gibt, die sich nicht automatisch in eine Muslimfeindlichkeit umsetzt. Zweifel und weitere Beobachtung dringend geboten.

 

Warum Deutschland eine (andere) liberale Partei braucht

Soeben ist das Sonderheft der Zeitschrift Merkur erschienen. Ich habe dort über den real existierenden Liberalismus der FDP nachgedacht. Auszug:

Ohne Zweifel: Es gibt in Zeiten wie diesen Bedarf für eine vernünftige staatsskeptische Partei. Sie müsste einen zweiten Blick auf jene staatlichen Interventionen werfen, die Konsequenzen für kommende Generationen haben können, wie etwa die zahlreichen Milliarden-Rettungspakete. Aber nicht nur das ganz große Staatshandeln, auch das staatliche Hereinregieren im Kleinen verdient skrupulöse Aufmerksamkeit. Wir haben uns an das Mikromanagement der Lebensführung durch Instrumente des Nanny-State schon sehr gewöhnt − vom Rauch-, Kopftuch- und (demnächst vielleicht) Burkaverbot über Ehegattensplitting, Vätermonate bis zum Glühbirnenbann. Es käme darauf an, auf beiden Ebenen nicht von vornherein ideologisch dagegenzuhalten.

Es geht gewissermaßen um Staatsskepsis für Erwachsene, für Menschen, die den etatistisch-planerischen Überschwang der Siebziger ebenso hinter sich gelassen haben wie den gegenläufigen Optimismus der Thatcher und Reagan (auf sozialdemokratischer Seite: Clinton, Blair und Schröder), mit einem geordneten Rückzug des Staates würde schon von selber alles besser.
Von Ronald Reagan ist das Apercu überliefert, die neun schrecklichsten Worte der englischen Sprache lauteten: »I’m from the government, and I’m here to help.« Das würden wir wohl kaum mehr so sagen, spätestens seit dem Moment nach der Lehman-Brothers-Pleite, als staatliches Handeln eine große Depression verhindern musste. Nun muss die liberale Staatsskepsis sich auf die Höhe dieses geschichtlichen Ereignisses begeben, will sie nicht als Endmoräne des Reaganismus gelten.

Nicht erst der mit Mühe und Not verhinderte Crash des Herbstes 2008, sondern zuvor schon der 11. September 2001 hatte den Staat neu ins Blickfeld der Bürger gerückt. Anders als bei früheren Terrorwellen, die einzelnen Vertretern der Elite gegolten hatten, trat hier ja ein nichtstaatliches Netzwerk gegen die Bürger der freienWelt an und nahmsie direkt insVisier. Dieser neue Terror − in New York, London,Madrid und Bombay − war eine Herausforderung der Staatlichkeit als solcher. Die Bürger erwarteten Schutz vom Staat und erkannten scheiternde Staatlichkeit in Teilen der Welt als Mitursache der neuen asymmetrischen Konflikte.
Die deutschen Liberalen hatten dazu keinen Gedanken beizusteuern. Man erschöpfte sich in der Kritik der Schilyschen Sicherheitsgesetze, doch ohne zu reflektieren, dass dem angegriffenen und herausgeforderten Staat im Auge der Bürger eine neue Legitimation zugewachsen war. Es war, was auch immer man von den Sicherheitsgesetzen halten mag, nicht mehr zunächst der Staat, vor dessen Übergriff man den Bürger schützen musste. Diesen Staat musste man nun stärken gegen einen äußeren nichtstaatlichen Feind, und darum gestanden die Bürger dem Staat auch so viele erweiterte Rechte zu. Das Thema ist nicht damit erledigt, dass man hier die Exzesse zurückführt. Eigentlich ist das ein großes, klassisches Thema für Liberale: die Neudefinition des Staates in einer Welt, in der nicht bloß andere Staaten oder supranationale Institutionen, sondern nichtstaatliche Akteure − von den Taliban bis zu den Hedgefonds-Managern − ihm das Leben schwer machen.
Der FDP bietet sich in der Gesellschaftspolitik ein dankbares Thema an: die gefährdete Mitte, von der ja auch der Parteivorsitzende Westerwelle so häufig spricht. Nur findet er nicht den Ton, in dem diese Mitte gerne angesprochen wird. Es ist wahr: Die Mitte schrumpft in Deutschland, wenn auch noch nicht dramatisch. Dabei geht es aber nicht einfach nur um die mittleren Einkommen, sondern um eine Lebensform− um jene schwer fasslichen Milieus von Facharbeitern, Akademikern, Beamten und freien Berufen, die in Deutschland ein erstaunlich homogenes Wertemuster ausgebildet haben, in dem gute Ausbildung, Verantwortungsgefühl und bürgerliche Umgangsformen immer noch hochgehalten werden.

Was hat man nicht über die Mitte gespottet! Es ist aber mittlerweile eine gut durchlüftete Bürgerlichkeit, die in diesen Milieus gepflegt wird, und parteipolitisch ist sie nicht gebunden. Sie ist durch die Sozialdemokratie eines Helmut Schmidt ansprechbar, durch die Merkel-CDU, aber auch durch pragmatische Grüne, die schon in Teilen der Republik die Bürgermeister stellen. Liberale Bürgerlichkeit ist in Deutschland keineswegs mehr an eine nominell liberale Partei gebunden. Im Gegenteil: Zwischen Teilen dieser freiheitlich gesinnten Gesellschaftsschichten und den Liberalen gibt es geradezu ein Abstoßungsverhältnis. Statt dies als Indiz für eine untergründige, unkurierbare Illiberalität des deutschen Wesens zu nehmen, sollte sich die FDP fragen, woran es liegen mag, dass viele Herzensliberale sich außer Stande sehen, sie zu wählen.

Die deutsche Gesellschaft von heute ist so weitgehend durchliberalisiert, dass zum Beispiel ein schwuler Außenminister auch in konservativen Kreisen kein Grund zur Aufregung ist, eher noch zum heimlichen Stolz auf die Liberalität des eigenen Landes. Die Deutschen sind so tief imprägniert mit liberaler Staatsskepsis, dass es manchmal schon zu hysterischen Abwehreaktionen kommt − so etwa bei der beabsichtigten Sperrung von Kinderpornoseiten, die sofort eine Kampagne gegen »Zensur« hervorrief.

Was bleibt da den Liberalen noch zu tun? Wie redet man in einer solchen Gesellschaft − und vor einem solchen breiten Zielpublikum − einnehmend von der Freiheit? Sie muss heute und hierzulande nicht mehr gegen das Spießertum, auch nicht in erster Linie gegen einen übergriffigen Staat und schließlich kaum noch gegen totalitäre Ideologien verteidigt werden. Diese Schlachten sind geschlagen, wenn auch Nachhutgefechte immer wieder nötig sein werden.

Wie aber soll man dann im heutigen Deutschland von der Freiheit reden, der inneren wie der äußeren? Die Freiheit zur persönlichen Entfaltung muss nicht mehr lauthals verteidigt werden. Selbstverwirklichung als hoher Wert ist bis tief in konservative Milieus hinein durchgesetzt (wie die öffentlich debattierte Affäre des Gesundheitsministers Seehofer eindringlich bewiesen
hat). Die Kosten der Freiheit hingegen werden überall sichtbar, zum Beispiel in zerstörten Ehen und in den Kämpfen, die Alleinerziehende zu bestehen haben. Auf der großen politischen Bühne ist nach dem Ende der totalitären Diktaturen kein Erbe in Sicht, der die Ordnung der Freiheit im Westen gefährden könnte. Der Islamismus bleibt ein Problem, hat aber nicht das Zeug zum Nachfolger für Faschismus und Kommunismus.

Während die private Freiheitsmaximierung also an gewisse Grenzen
stößt, ist der Kampf der freien Gesellschaften gegen äußere Feinde zugleich eine komplizierte Sache geworden, man denke nur an die erfolgreiche Kombination von ökonomischer Liberalisierung und rigorosem Autoritarismus in China. Und schließlich ist der Markt nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr einfach als reine Quelle der Freiheit zu reklamieren. Er zeigt in Gestalt des Kasinokapitalismus auch Züge einer Gefahr für die Freiheit − als großer Gleichmacher, als Vernichter von Lebenschancen.

Wie also soll die FDP von der Freiheit sprechen, damit sie von der Mitte unter diesen Umständen gehört wird? Wie verteidigt man die Freiheit unter Bedingungen der Freiheit? Nicht mit hohlem Pathos und geborgten Gegnerschaften aus dem Weltbürgerkrieg.
Westerwelle kann es nicht lassen, überall »Sozialismus« zu riechen, und auch sein junger Adlatus Christian Lindner, ein möglicher Nachfolger, erkennt in Vorschlägen der Linkspartei gerne »Sowjets«. Eine heimliche Sehnsucht nach den übersichtlichen Achtzigern und der Blockkonfrontation scheint die Déjà-vu-Gefühle dieser beiden zu treiben.

Damit korrespondiert eine Art Gutmenschentum der Freiheit, das immer das Positive sehen will und die Schmerzen derjenigen herunterspielt, die in der Multioptionsgesellschaft nicht zurechtkommen. Ein Markt, der für viele Menschen kein Freiheitsquell mehr ist, kommt im FDP-Weltbild nicht vor.
(…)

Der Niedergang der FDP in der Regierung ist kein Grund zur Genugtuung. Zwar gibt es heute Liberale in allen Parteien, aber nur der Partei des real existierenden Liberalismus stellt sich die Frage, was es heißt, unter Bedingungen der Freiheit liberal zu sein, in aller Direktheit und Grundsätzlichkeit. Darum würde sie eigentlich gebraucht. Freiheit braucht Tugenden. Eine freiheitliche Ordnung ist ja mehr als jede andere darauf angewiesen, dass ihre Akteure sich, orientiert an Werten, selber steuern. Liberale sollten also auch etwas dazu zu sagen haben, welche Ausübung der Freiheit heute die Freiheitschancen künftiger Generationen gefährdet: durch Verschuldung, Ressourcenverschwendung und andere Formen der Optionenvernichtung.
Allgemeiner gesagt: Es werden Liberale gebraucht, die in der Lage sind, über die moralischen Voraussetzungen einer freiheitlichen Ordnung nachzudenken, die auch der beste Markt nicht bereitstellen kann, und die sich auch nicht scheuen darüber zu reden, wenn die ungeordnete Freiheit sich selbst gefährdet. Falls es solche Liberale in der FDP gibt, wäre jetzt kein schlechter Moment, aus dem Versteck zu kommen.

 

Eine demokratische Revolution in der Türkei

In der Türkei spielt sich ein Umsturz ab – aber diesmal ist es eine Coup des Volkes für mehr Demokratie. Nichts zeigt den Abschied vom Autoritarismus so deutlich wie diese Nachricht: Nur einen Tag nach dem überwältigenden Mehrhheitsvotum für die Verfassungsreform hat eine breite Koalition von Befürworten und Gegnern des Referendums Klagen eingereicht – gegen die überlebenden Generäle des Putsches von 1980. Nun wird der greise Putschist Kenan Evren sich vor Gericht für die Menschenrechtsverletzungen der achtziger Jahre verantworten müssen, was bisher durch einen speziellen Verfassungsartikel verhindert wurde. Künstler, Intellektuelle, Kommunisten, Kurden machen sich gemeinsam die Möglichkeit zunutze, die ungesühnten Verbrechen der Militärjunta zu verfolgen.
Und es sind ausgerechnet die von ihnen früher oft verdächtigten islamischen Konservativen von Erdogans AKP, die ihnen durch das Referendum zu diesem Recht verholfen haben.

Ist das Land weiter gespalten, wie manche Kommentatoren behaupten? So einfach ist es nicht. Erdogan hat es geschafft, die Wählerbasis seiner Partei bei dem Referendum enorm zu verbreitern. Die meisten liberalen Intellektuellen haben ihn unterstützt, auch wenn viele sagten „Ja, aber es ist nicht genug“ (so ihr Slogan). Zugleich hat er eine große Gruppe der Ultranationalisten von der MHP an sich binden können, obwohl deren Führer zum Boykott aufgerufen hatten. Die MHP steht vor dem Aus.

Die Kemalisten von der CHP haben sich blamiert. Außer einem „Nein“ hatten sie nichts zu bieten – eine eigene Vision für eine moderne Türkei fehlte völlig. Zum Sinnbild der Unfähigkeit der einst staatstragenden Partei wurde die peinliche Tatsache, dass der Parteiführer Kilicdaroglu selber nicht wählen konnte, weil er im Istanbuler Wählerverzeichnis nicht registriert war. Im Wahlkampf hatte er sich dazu hinreißen lassen, antieuropäische Verschwörungstheorien über die Reformen zu verbreiten, weil die EU die Erdoganschen Reformen positiv bewertet hatte. Die CHP ist versucht, sich aus hilfloser Opposition gegen die AKP zur antieuropäischen Partei zu entwickeln.
Die CHP mutete ihren Wählern zu, ein Reformpaket, dass die Türkei verwestlicht und an Europa heranrückt, weil es  Arbeiter- und Minderheitenrechte stärkt und den Bürgern durch einen Ombudsmann mehr Einfluss bringt, abzulehnen – und zwar wegen alter Vorbehalte gegen die vermeintlichen „Islamisten“. Vorbehalte, die in den letzeten Jahren widerlegt worden sind durch die Demokratsierung und den ökonomischen Boom des Landes. Die alte Republikpartei ist zur Partei des Neins und des Verdachts geworden. Die Zukunft gestalten die anderen.
Und hier liegen vielleicht die wahren Probleme des türkischen Systems: Auf absehbare Zeit gibt es keine nennenswerte Opposition mehr für Erdogan, der für ein breites Spektrum wählbar geworden  ist – vom rechten Rand bis zur linksliberalen Elite. Erdogan könnte vesucht sein, seinen Erfolg – es ist schon die siebte gewonnene Wahl, seit er Bürgermeister von Istanbul wurde – für einen Wandel des Regierungssystems zu nutzen. Es wird bereits darüber debattiert, ob die Türkei mit einem Präsidialsystem nicht noch stabiler würde. Erdogan hat bewiesen, dass er in einem solchen System wahlen gewinnen könnte.

Aber die Türkei braucht heute nicht mehr Macht für die Exekutive und mehr Zentralismus, sondern im Gegenteil mehr Dezentralisierung und eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft. Es wird befürchtet, dass die Regierung durch die Reformen einen stärkeren Einfluss auf die Justiz bekommen wird. Die Gefahr ist real, denn die Verfassungsrichter werden künftig mehrheitlich vom Präsidenten benannt. Wenn Erdogan das Votum als Ermunterung verstehen sollte, einen autoritären Weg einzuschlagen, hin zu einem Putinismus alaturka, dann würde er seine breite Koalition verlieren.
Was die Kritiker allerdings beiseite schieben, ist die Tatsache, dasss auch das Parlament nun erstmals drei Verfassungsrichter berufen kann – und dass die türkische Justiz bisher alles andere als eine neutrale Macht war. Die Überpolitisierung der Justiz, die sich als letztes Bollwerk des Kemalismus sah und abweichende Meinungen unter den Vorwürfen des Islamismus und des Separatismus gnadenlos verfolgte, musste gebrochen werden.
Jetzt wird man allerdings sehen müssen, ob die Politisierung wirklich zugunsten einer unabhängigen Justiz beendet wird – oder nur umgekehrt wird durch eine nicht dem Militär, sondern der Regierung hörige Richterschaft.
Was mit den angeklagten Generälen geschehen wird, ist ein erster Test.
Wer dieser Tage mit türkischen Diplomaten und Spindoktoren der Regierungspartei redet, trifft auf ein neues türkisches Selbstbewußtsein. Nicht zu Unrecht: 30 Jahre nach dem Militärcoup hat das Land sich klar für die Demokratie stark gemacht. Dieser 12. September wird die Türkei nachhaltig verändern.
In Europa wird das viel zu zaghaft aufgenommen. Man spürt in den klammen europäischen Reaktionen die Angst, dass einem immer mehr Argumente gegen den Beitritt der Türkei aus der Hand geschlagen werden. Dabei sollte man das doch feiern: Das wichtigste islamisch geprägte Land in unserer Nachbarschaft hat sich unter großem Ringen und nach langer demokratischer Debatte eindeutig für den westlichen Weg entschieden.

 

Warum man auf Deutschland stolz sein soll

Nicolas Kulish von der New York Times hat ein neues Selbstbewußtsein in Deutschland ausgemacht, das fern ist von den hysterischen Untergangsphantasien, die unsere Debatten in den letzten zwei Wochen geprägt haben. Recht hat er. Deutschland hat schon ganz andere Sachen geschafft als die Integration der 4 Mio muslimischen Einwanderer. (Zum Beispiel die Integration der 18 Mio Ostdeutschen mitsamt einem maroden Staat und zusammenbrechender Wirtschaft oder zuvor der 12 Mio Ostvertriebenen, die mit kaum mehr als einem Koffer kamen.)

Das Stück ist lesenswert: Es zeigt ein Land, in dem noch Dinge von Wert hergestellt werden; in dem der Fluch der Vergangenheit die junge Generation nicht mehr überschattet; ein attraktives, lebenswertes Land mit allem Grund zu Stolz und Optimismus. In den Leserbriefen der Times wird Deutschland als das Modell im Westen gepriesen. Sowas habe ich noch nie erlebt. Zitat aus dem Text:

Despite the uproar over integration, the country celebrated as one over its soccer team’s surprise success this past summer. The players’ ethnic backgrounds spanned from Brazil to Poland to Tunisia, including the young German star Mesut Özil, whose family comes from Turkey, Germany’s largest source of immigrants.

“I told my Turkish barber that I thought Argentina was going to beat Germany,” said Shayan Parvand, 35, a Hamburg businessman and one of the 16 million people in Germany with what is known here as a migration background. “He got really mad at me, and said, ‘Özil is going to shoot a goal.’ ”

Mr. Parvand’s family could well represent the proud but complex new Germany. He was born in Iran and his wife grew up in the former East; they have a 4-year-old daughter and 2-year-old son.

“I said to my wife recently that I’d like to build a house,” Mr. Parvand said, “and get one of those German flags to go with it.”

 

Vorwärts in die Ära der Unvernunft

Pastor Jones hat seine Bücherverbrennung abgesagt. Er hatte seinen Spass: Wochenlang war er das Zentrum des Universums (jedenfalls wenn man Internet und Kabelfernsehen zu Rate zieht). Ein paar Menschen in Afghanistan sind tot, ein paar mehr verwundet wegen Pastor Jones. Er wird sich dadurch bestätigt fühlen. Wir haben noch nicht einmal einen Koran verbrannt – und die drehen trotzdem durch! Und hat er nicht Recht: Es gibt, wie wir seit den Karikaturen wissen, in der islamischen Welt sehr willige Kooperationspartner beim Kulturkampf. Großartig. Jemand anderes wird das Konzept wahrscheinlich aufnehmen. Jedermann kann heute einen Krieg starten, Internetzugang vorausgesetzt.

Herr Wilders aus Den Haag war in New York. Er hat Bürgermeister Bloomberg für seine „selbstmörderische“ Toleranz gegenüber den Muslimen mal so richtig vorgeführt, Lincoln-Zitat inklusive. Er hat davor gewarnt, die Moschee der Cordoba-Initiative bauen zu lassen, weil das ein Triumph derjenigen wäre, die nach dem 11. September „in Europas Strassen getanzt haben“ – muslim youths. (Das muss ich verpasst haben. Ich war am 11. September 2001 in der Türkei. Und dort waren die Menschen gelähmt und erstarrt angesichts dieser Barbarei im Namen ihrer Religion.)

If a mosque were built here on Ground Zero such people would feel triumphant. But we, we will not betray those who died on 9/11.

For their sakes we cannot tolerate a mosque on or near Ground Zero. For their sakes loud and clear we say: No mosque here! For their sakes, we must draw the line. So that New York, rooted in Dutch tolerance, will never become New Mecca.

(…)

Mayor Bloomberg forgets, however, that openness cannot be open-ended. A tolerant society is not a suicidal society.

It must defend itself against the powers of darkness, the force of hatred and the blight of ignorance. It cannot tolerate the intolerant – and survive.

This means that we must not give a free hand to those who want to subjugate us.

Die Kräfte der Finsternis, die Macht des Hasses, und der Fluch des Unwissens. Die wollen uns unterwerfen in Form der Corodoba Moschee des Imam Rauf und seiner Frau, Daisy Khan.

Wilders steht wie die iranischen Ajatollahs im apokalyptischen Endkampf. Natürlich will er die Freiheit nicht steinigen, sondern bewahren vor ihren Feinden. Wer es nicht so sieht, muss ein verblendeter Mulitkulti-Idiot, Dhimmi, Burkaversteher, Apeasenik sein. Er verweist immer wieder auf die Unfreiheit in der islamischen Welt und die Unmöglichkeit, dort überall frei Kirchen zu errichten. Damit New York kein neues Mekka wird, keine Moscheen mehr. Aber würde New York nicht gerade dadurch ein bisschen mehr Mekka? Oder ist das jetzt schon wieder ein „selbstmörderisch toleranter“ Gedanke?

Allerdings war – was Wilders natürlich verschweigt – der Islam schon Teil des Lebens in den Zwillingstürmen. Es gab einen „prayer room“ auf der siebzehnten Etage des Südturms. In der New York Times beschreibt einer der damaligen Besucher ihn so: “It was so freeing and so calm,” Mr. Sareshwala, 47, said in a phone conversation from Mumbai, where he is now based. “It had the feel of a real mosque. And the best part is that you are in the epicenter of capitalism — New York City, the World Trade Center — and you had this island of spiritualism. I don’t think you could have that combination anywhere in the world.” Das ist New York.

Der Westen wurde getroffen an 9/11. Es gab aber keine Hassreaktionen gegen Muslime im Westen, wie man sie vielleicht hätte erwarten können. Nirgendwo jagte der Mob Muslime durch die Strassen. Es brannten keine Botschaften islamischer Staaten. Bush ging in eine Moschee, und alle westlichen Regierungen beschworen Religionsfreiheit und Toleranz für loyale muslimische Bürger. Eine endlose Reihe von Dialogveranstaltungen und Islamkonferenzen war die Folge. Eine bemerkenswerte Reaktion: eine Absage an den „Krieg der Kulturen“. Zugleich führten wir da draussen  zwei Kriege gegen den Terror und zur Verbreitung der Demokratie und der Menschenrechte. Die waren nicht so erfolgreich wie gehofft. (Woher eigentlich kam diese Hoffnung?)

Jetzt sind wir erschöpft, ausgepowert, frustriert. Wir wissen nicht, wie wir den Rückzug so hinkriegen sollen, dass wir nicht schlechter dastehen als vor dem ganzen Horror, der so viele Menschenleben gekostet hat. Aber es wird einen Rückzug geben müssen. Wir müssen (irgendwann) raus aus Afghanistan. Im Irak hat der Rückzug schon begonnen.

Zugleich macht sich Ernüchterung breit, seit wir anerkennen, dass das Zusammenleben mit Muslimen in unseren Gesellschaften ein Dauerzustand und keine Episode sein wird. Was nicht gut läuft, kann man nicht mehr ignorieren. Der Nachbar, der bleibt, wird anders gemustert als ein Gast, der übermorgen weg ist.

Hier wird es allerdings keinen Rückzug geben können. „Disengagement“ gibt es nicht in der Einwanderungsgesellschaft.  Reden vielleicht gerade darum heute so viele über „die“, als gäbe es eine Möglichkeit, sie wieder wegzubekommen? Wilders „neues Mekka“ und Sarrazins Selbstabschaffung Deutschlands sind maßlose Übertreibungen realer Ängste. Wie konnten wir nur – neun Jahre nach dem 11. September – bei diesem abgrundtiefen Pessimismus, bei dieser Botschaft des Mißtrauens, der Misanthropie, der Wut und des westlichen Selbsthasses landen?