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Die Propaganda von „PI“

Gestern hörte ich ein sehr gutes Stück von Dorothea Jung über PI im Deutschlandfunk. (Hier nachzuhören und zu lesen). Auszüge:

(…) sind die Kommentarspalten von „pi-news“ das propagandistische Herzstück des Blogs. Ungehemmt brechen sich hier islamfeindliche Ressentiments Bahn. Nach dem Mord an der schwangeren Ägypterin Marwa el-Sherbini findet sich in dem Kommentarforum von „pi-news“ zum Beispiel der Eintrag:

„Mir tut es überhaupt nicht leid um diese verschleierte Kopftuchschlampe. Und noch dazu ein Moslem im Bauch weniger!“

Am Rand der Webseite eine Zeichnung, die den Kontinent Europa als weibliche Comic-Figur darstellt. Die Figur trägt blonde Zöpfe, Germanenhelm und Kreuzritter-Schild. Diese Europafigur versetzt einem Muslim einen Tritt. Genauer gesagt: der Karikatur eines Muslims. Die Karikatur zeigt ein Wesen mit Turban, Kaftan und Propheten-Bart – sowie einer Schweineschnauze. Angsterfüllt reißt das Geschöpf seine Schnauze auf, während ihm der Koran vor Schreck aus den Schweinepfoten fällt, während es über den halben Globus in hohem Bogen in die Türkei expediert wird. Dazu passend der Kommentar eines Users:

„Alle Moslems werden in ihre Herkunftsländer abgeschoben beziehungsweise in die ihrer Eltern oder Großeltern. Der Islam wird in Deutschland verboten. Deutsche, die zum Islam konvertieren, werden ins Arbeitslager eingewiesen, lebenslänglich.“

Da verwundert es nicht, dass „Politically Incorrect“ auch den Bundespräsidenten scharf angreift. Christian Wulf hatte in seiner Rede zum 3. Oktober gesagt, auch der Islam gehöre zu Deutschland. Der öffentlichen, auch innerhalb der Union laut gewordenen Kritik an diesem Teil der Rede setzen die User von „PI“ allerdings noch eins drauf:

„Wulff ist der schlimmste Bundespräsident, den wir je hatten. … Er ist intellektuell scheinbar nicht in der Lage die Gefahren durch die Islamisierung zu erkennen. … Dieser Mann gehört ausgewiesen!“

 

Deutschenfeindlichkeit an Berliner Schulen

Mein Beitrag aus der Zeit von heute über die Vorfälle an Berliner Schulen und den Versuch der Lehrergewerkschaft, sich einen Begriff von dem Problem des „Deutschenhasses“ türkisch- und arabischstämmiger Schüler zu machen. Es ist nicht meine erste Auseinandersetzung mit diesem Thema:

Es liegt ein Hauch von Panik in der Luft, als die Lehrerin endlich zu sprechen beginnt. Sie schluckt. Sie sagt: »Ich bekomme immer mehr Ehrfurcht und Respekt vor diesem Thema.« Dieses Thema, das ist die »sogenannte Deutschenfeindlichkeit« ihrer türkisch- und arabischstämmigen Schüler.

Kein Wunder, dass die Lehrerin so beklommen ist. Nur zwei Straßen entfernt vom Tagungsort hetzt der Rechtspopulist Geert Wilders (siehe Seite 12/13) gegen Muslime, die angeblich Deutschland durch Masseneinwanderung unterwerfen wollen. Die Lehrerin, die ihr halbes Leben an einer Schule in Neukölln verbracht hat, will mit der politisierenden Islamophobie nichts zu tun haben. Dies hier ist eine Veranstaltung des multikulturellen Ausschusses der linken Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Furcht, eine ohnehin schon hysterische Debatte noch weiter anzuheizen, füllt den Raum.
Zwei Mitglieder des GEW-Ausschusses für multikulturelle Angelegenheiten, Andrea Posor und Christian Meyer, hatten in einem Artikel für die Berliner Lehrerzeitung Alarm geschlagen, in den zunehmend segregierten Schulen verstärke sich das Mobbing gegen deutsche Schüler. Dieser bereits vor einem Jahr erschienene Hilferuf löste so heftige Diskussionen unter den Lehrern aus, dass man sich, wenn auch unter großen ideologischen Bauchschmerzen, entschloss, eine Tagung zum Thema einzuberufen. Alles selbstverständlich hochseriös, abgesichert mit Rassismusexperten, Migrantenvertretern, Bildungsforschern. Zu groß ist die Angst, selbst unter Rassis­mus­verdacht zu geraten.
Aber am Ende schaut dann eben alles auf diese Frau, die von der Pöbelei berichtet, der deutsche Schüler – und Lehrer – ausgesetzt sind. Sie lehrt seit mehr als zwanzig Jahren an der Otto-Hahn-Gesamtschule im Stadtteil Neukölln und heißt Mechthild Unverzagt.
»Ist ja irre, dass die auch noch diesen Nachnamen hat«, flachst ein Lehrerkollege in der hintersten Reihe vor lauter Anspannung. Dann redet Frau Unverzagt, und sofort wird es leise im vollen Tagungsraum des Berliner GEW-Hauses.
Sie spricht von »Ghettoisierungstendenzen« in Neukölln, einem sogenannten »A-Bezirk« (»A« für Alte, Arbeitslose, Ausländer, Alleinerziehende). An ihrer Schule seien über 80 Prozent der Kinder »nichtdeutscher Herkunftssprache«, die große Mehrheit davon türkisch- oder arabischstämmig. Fast alle Familien seien arm, viele zerrüttet. Die türkischen und arabischen Schüler seien tonangebend in ihrer Respekt­losig­keit gegenüber Lehrern. Sie bekämen dafür Anerkennung unter ihresgleichen und stärkten so ihr Selbstwertgefühl: »Wenn es bei uns mal sogenannten Unterricht gibt, erleben sie Misserfolge. Also tun sie alles, um ihn zu sabotieren.« Die deutschen Kinder hätten als kleine Minderheit »alle Qualitäten, die ein Opfer haben muss«. Sie müssten lernen, »sich unsichtbar zu machen«. Sie wollten während der Pausen nicht mehr auf den Schulhof, weil draußen nur ein Spießrutenlauf mit Beschimpfungen und Drohungen auf sie warte. Nicht nur deutsche, auch leistungsbereite türkische und arabische Schüler würden von den Wortführern niedergemacht. Ein türkischer Junge, der zu den guten Schülern zähle, werde als »schwul« beschimpft: »Jeder, der irgendwas erreichen will in der Schule, ist der Gegner. Es wird alles gemobbt, was anders ist.« Auch sie selber ist in demütigender und sexistischer Weise angemacht worden.
Es dauert eine Weile, bis die Teilnehmer sich nach Unverzagts Schilderungen fangen. An diesem Samstagmorgen kann man erleben, wie schwer es manchen Linken immer noch fällt, offen von den Konflikten des Einwanderungslandes zu reden. Eine Professorin für Rassismusforschung versucht nachzuweisen, dass die »strukturell benachteiligten Schüler« türkischer oder arabischer Herkunft per definitionem nicht zum Rassismus fähig seien, weil sie ja eine machtlose Minderheit darstellten. Nach dem Bericht von Mechthild Unverzagt wirkt das einigermaßen bizarr. »Diese Kinder waren noch nie in einer Minderheitensituation«, erwidert die Lehrerin.
Vielleicht liegt ja darin das Problem. Chris­tian Meyer, selber Lehrer an der Hector-Peterson-Gesamtschule in Kreuzberg und einer der beiden Autoren des Artikels, der die Debatte ins Rollen brachte, spricht von der »doppelten Segregationsfalle«: Nicht nur die Deutschen ziehen aus den »A-Bezirken« weg, sondern auch die bildungsbewussten Migranten. Die verbliebenen Schüler »kompensieren Frustrationen und Per­spek­tiv­losig­keit durch Macho-Gehabe«. Sie definierten sich stolz als Nichtdeutsche und blickten verachtend auf Deutsche als Ungläubige, »Schweinefleischfresser« und – wenn es sich um Mädchen handelt – »Schlampen«. Die trotzige Selbstausgrenzung von Losern, die sich an noch Schwächeren abarbeiten, ist für sich nichts Neues – nur dass die Schwächeren jetzt in manchen Berliner Kiezen Deutsche sind. Jagen nicht anderswo deutsche Rechtsradikale Juden, Linke und alles irgendwie Fremde?
Mancher bei der Tagung neigt dazu, die Sache allzu schnell wegzuerklären. Bei dem Verhalten der Jugendlichen müsse es sich wohl um die »Rückgabe erlebter eigener Diskriminierung« handeln, sagt ein Teilnehmer. Sofort sind Beispiele zur Hand, bei denen Mädchen mit Kopftüchern diskriminiert und arabische Jungs nicht in die Disco gelassen werden. Ein Teilnehmer fordert daraufhin mehr »Lehrer mit Migrationshintergrund«, andere verlangen eine Nachschulung der Pädagogen in »interkultureller Kompetenz«, ergänzt um die Möglichkeit für »ausgebrannte Kollegen, sich früh pensionieren zu lassen«. Und auf einmal wendet sich der Verdacht gegen die Lehrer, die von ihrer Ohnmacht erzählt hatten: Sind sie einfach zu wenig »kultursensibel«?
Christian Meyer lässt das nicht auf sich sitzen. Seit über 30 Jahren ist er an der Schule in Kreuzberg, und er hat einen »interkulturellen Kalender« produziert, der die Feste aller Religionen verzeichnet: »Wir haben Türkischunterricht, wir machen Fahrten in die Türkei, Lehrer haben Türkisch gelernt. Gegen die Segregation kommen wir aber mit mehr Interkulturalität alleine nicht an.«
Meyer macht sich Sorgen, dass neuerdings die religiöse Differenz zunehmend zur Selbststigmatisierung benutzt wird. Und er möchte, dass gerade diejenigen verstehen, wie alarmierend das ist, die sich für die Integration des Islams einsetzen. Wenn die Religion zum Mittel der Abgrenzung wird, spielt das am Ende gerade denjenigen in die Hände, die sich darin einig sind, dass der Islam mit westlichen Werten unvereinbar sei: Hasspredigern und Islamophoben.
Das Unbehagen, Deutsche als Opfer von Diskriminierung zu thematisieren, bleibt bei der Tagung bis zum Ende. Mechthild Unverzagt sagt schließlich fast reumütig, sie wolle den politisierten Begriff der Deutschenfeindlichkeit »nicht mehr hören«. Sie will sich nicht vor den Karren der Demagogen spannen lassen, die auch ohne Kenntnis der Verhältnisse per Ferndiagnose schon »den Islam« als Ursache ausgemacht haben. Aber sie möchte doch, dass man zur Kenntnis nimmt, dass ausgerechnet sie, die engagierte Lehrerin, den Hass der Verlierer abbekommt, der dieser Gesellschaft im Ganzen gilt.
Was tun? Gewerkschafter sind nie lange verlegen, Rezepte gegen Benachteiligung zu formulieren. Eine bessere Schule, ganztags und mit mehr Ausstattung, wurde dann auch gefordert, neue Unterrichtsformen, interreligiös ausgebildete Lehrer, eine größere soziale Mischung. Also genau das, was an der einst als hoffnungslos geltenden Rütli-Schule die Wende gebracht hat. »Es ist ein Verbrechen, wie das Potenzial dieser Kinder verschwendet wird«, sagte Mechthild Unverzagt, so als müsse sie noch einmal klarstellen, dass die Schüler nicht ihre Gegner sind. »Wir brauchen eine Lobby«, sagt sie fast flehend.
Für Lehrer wie Mechthild Unverzagt und Christian Meyer ist es wichtig, in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Sie fühlen sich alleingelassen. Sie brauchen keine Belehrung über die sozialen Ursachen des Mobbings, dem sie und andere ausgesetzt sind. Sie brauchen die Anerkennung, dass bestimmte Verhaltensweisen inakzeptabel sind, auch unter schlimmsten Bedingungen. Und so sind sie am Ende erleichtert, dass die Gewerkschaft die Angst vor der eigenen Courage überwunden hat.
Den Kampf mit der neu erstarkenden Rechten in Deutschland und Europa kann man auch so sehen: Wenn dieses Land eine Linke hat, die den öffentlichen Raum gegen jeden Rassismus verteidigt – auch den von Nichtdeutschen –, haben Rechtspopulisten ein Thema weniger.

 

Was Geert Wilders wirklich in Berlin gesagt hat

Es reicht nicht, Wilders als Nazi oder Scharlatan abzutun. Man muss versuchen, die Radikalität seiner Thesen zu verstehen. Mein Text aus der ZEIT von morgen, Donnerstag, den 7. Oktober, zum Auftritt von Geert Wilders in Berlin:
Der Erfolg des Rechtspopulismus in Europa hat viele Gründe. Einer davon ist die Kombination von Entrüstung und Ahnungslosigkeit aufseiten seiner Gegner. Die paar Dutzend, die gegen Geert Wilders Berliner Auftritt am vergangenen Samstag mobilmachten, trugen stilisierte Hitler-Bilder. Antifa-Folklore statt Analyse.
Wilders ist aber kein Nazi. Drinnen, im Saal des Hotel Berlin, leuchtete der Wahlspruch der neuen Partei (»Die Freiheit«), deren Geburtshelfer er sein möchte, auch in hebräischen Buchstaben( »Wir lieben die Freiheit!«). Bewusst wird die Grenze zur alten Rechten gezogen. Wilders Israelfreundschaft erfüllt zwei Funktionen. Erstens sagt sie: Ich bin zwar sehr blond, aber keine Bestie. Zweitens hat Israel in seiner antimuslimischen Geschichtstheorie eine wichtige Rolle als Frontstaat des Westens gegen die Welle des Islams, die Europa zu überrollen droht.
Geert Wilders Rechtspopulismus ist für Konservative eine größere Herausforderung als für die Linke. Karl-Theodor zu Guttenberg scheint das erkannt zu haben. Doch auch der CSU-Politiker macht es sich leicht, wenn er Wilders abtut als einen »jener Scharlatane, die dieser Tage herumturnen«.
Man muss sich die Mühe machen, jener Berliner Rede genau zuzuhören, der 700 Zuhörer im Hotel Berlin zujubelten. Denn wer dem zugleich abgedrehten und konsequenten Gedankengang von Wilders folgt, der versteht, welcher neue Radikalismus der Mitte sich zusammenbraut.
Gleich zu Beginn baut der freundliche Demagoge die Grundlage seines Arguments auf: Deutschland brauche »eine politische Bewegung, die die deutsche Identität verteidigt und sich der Islamisierung Deutschlands entgegenstellt«. Angela Merkel hingegen erkläre die Islamisierung Deutschlands für unvermeidlich«. Sie habe, so Wilders, die Bürger aufgerufen, sich auf »Veränderungen durch Einwanderung einzustellen«.
Damit ist mit wenigen Sätzen die Kampfzone skizziert: »Deutsche Identität« steht gegen »Islamisierung«, und Einwanderung ist gleich »Islamisierung«. Die deutsche Regierung nimmt Einwanderung hin, ergo: Merkel ist eine nützliche Idiotin der Islamisierung.
Dann begründet Wilders, warum der Islam eine politische Ideologie sei, die nur Ahnungslose für eine Religion halten könnten. Er beruft sich auf Islamkritiker ebenso wie auf radikale Islamisten. Zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden, wie es die Bundesregierung mit ihrer Islamkonferenz macht, ist danach sinnlos: Der Islam sei der dritte Totalitarismus nach Kommunismus und Nationalsozialismus. Die heutigen Führer des Westens seien unfähig, die Gefahr zu erkennen. Das Establishment – Politik, Medien, Kirchen, Universitäten – setze die Freiheit aufs Spiel, indem es den Islam anderen Re­ligionen gleichstelle. Das ist »Appeasement« des Islams, und also ist auch das gesamte Establishment ein Instrument der »Islamisierung«. Widerstand dagegen wird zur Pflicht.
Der Islam ist beileibe nicht nur durch Terrorismus gefährlich (obwohl dieser nach Wilders keine Pervertierung, sondern sein Wesen ist). Seine Ausbreitung, sagt er, geschehe historisch entweder durch militärische Eroberung – oder »durch die Waffe der Hidschra, der Einwanderung (…). Mohammed eroberte Medina durch Einwanderung. Hidschra ist auch das, dem wir uns heute gegenübersehen. Die Islamisierung Europas schreitet kontinuierlich voran.« Man muss sich die Radikalität dieses Gedankens und seiner logischen Konse­quenzen klarmachen: Muslimische Einwanderer sind Eroberer, Migration ist eine Waffe im Kampf des Islams um Herrschaft.
Wenn man diese Weltsicht teilt, müssen viele Maßnahmen legitim erscheinen, gegen die sich mancher vielleicht noch sträubt. Wilders möchte die Deutschen von ihren Schuldkomplexen befreien, damit sie ungehemmt »dem Kampf für ihre eigene Identität« nachgehen können. Er zeichnet eine apokalyptische Situation, die jedes Mittel gerechtfertigt erscheinen lässt. Ein Verbot des Korans, wie von Wilders gefordert, kann dann eigentlich nur ein Anfang sein. Moscheen und Kopftücher in unseren Städten zu akzeptieren ist Defätismus, eine Versündigung an der Freiheit. Wer Wilders Gedanken nachvollzieht, kann konsequenterweise Muslime nicht einmal dulden wollen.
Ein Scharlatan? Wilders sieht sich als Prophet des Endkampfs »für unsere Identität«. Er ist groß im Angstmachen, aber auch als Erlöser – von Schuldgefühlen und bürgerlichen Bedenken. Die Entfremdung des Volkes von der Politik ist sein Geschäft. Es läuft recht gut. Auch mitten in Berlin.

 

Wieviel Islam verträgt Deutschland?

Und wieviel Fakten die BILD?

Das ist ja hier nicht das BILD-Blog. Aber die Kollegen mit den großen Buchstaben haben heute diese geniale Zeile gemacht: Wieviel Islam verträgt Deutschland? Und weil sie dazu einen „Fakten-Check“ versprechen, muss ich hier doch noch einmal auf BILD eingehen.

Da findet sich zum Beispiel dieses „Faktum“:

Jede 10. muslimische Schülerin bleibt dem Schwimmunterricht fern.

Quelle ist angeblich der Bericht des BAMF über Muslimisches Leben in Deutschland. Nun habe ich den kürzlich auch nochmal durchgeschaut und kenne die einschlägige Stelle.

Da findet sich diese Tabelle:

Aus der Tabelle geht hervor, dass ganze 1,9 Prozent der muslimischen Mädchen den gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht aus „religiösen Gründen“ meiden.

Die Autoren der Studie schreiben:

„Im Vergleich zum Sportunterricht nehmen proportional deutlich weniger Schüler sowohl muslimischen als auch sonstigen Glaubens am gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht teil (Tabelle 27).
Ursache ist hauptsächlich, dass kein gemischtgeschlechtlicher Schwimmunterricht angeboten wird. Religiöse sowie sonstige Gründe für das Fernbleiben werden wie beim Sportunterricht kaum genannt. Mädchen nehmen tendenziell ebenso häufig am gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht teil wie Jungen.“

In anderen Worten: Jede fünfzigste muslimische Schülerin bleibt dem Schwimmunterricht aus religiösen Gründen fern. Es gibt keine signifikante Abweichung zu religiösen Vorbehalten im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften.

Oder noch klarer: Das Problem existiert nicht. Non-issue. Eine urban legend des Einwanderungslandes.

Wir haben weiß Gott genug Probleme (Arbeitslosigkeit, Bildungsversagen, Machotum). Müssen wir auch noch welche erfinden?

 

Wie BILD Deutschlands Islamisierung vorantreibt

Ein Fundstück aus der BILD von heute, die Wulffs Rede auf Türkisch bringt, passender Weise neben den fünf größten Sex-Irrtümern der Taliban platziert. Hier geht es zum Text.

Nur Hugo Müller-Vogg hält im Leitartikel noch gegen die Islamisierung durch Obermufti „Cumhurbaskan“ Wulff, die sogar vor der BILD-Zeitung nicht halt macht:

„Irritierend ist jedoch Wulffs Bild von Deutschland als christlich-jüdisch-islamischem Land.

Unser Verständnis von Freiheit und Menschenwürde gründet auf unserer christlich-jüdischen Tradition und der Aufklärung.

Sie verpflichten zu Toleranz gegenüber anderen Religionen.

Deshalb sollen Muslime ihren Glauben bei uns leben dürfen. Dass aber ihre Wertvorstellungen zum Fundament dieser Gesellschaft gehören sollen, dürfte viele Deutsche mehr irritieren als begeistern.“

Ich weiß nicht, irgendetwas an der neuerdings so populären Rede von der „christlich-jüdischen“ Tradition klingt schwerstens verlogen.

Man könnte fast denken, es habe 2000 Jahre lang das schönste christlich-jüdische Werte-Einverständnis geherrscht. Christen und Juden hatten anscheinend nichts Dringenderes zu tun als zusammen in herrlichster Harmonie die Toleranz und die Aufklärung zu entwickeln.

Bis irgendetwas dazwischenkam. (Nein, nein, nein: nicht diese Sache da, für die sie dieses Riesendenkmal in Berlin gebaut haben…)

Irgendetwas Unvorhergesehenes hat das wunderbare christlich-jüdische Einvernehmen gestört.

Die Musels! Plötzlich und unerwartet kamen Millionen von Musels ins christlich-jüdische Abendland und wollten frech dazugehören. So geht es ja nun nicht. Die schöne christlich-jüdische Symbiose kaputtmachen!

Im Ernst: Echt bizarr, dass nun ausgerechnet die Juden dafür herhalten sollen, dass die Moslems hier nicht hereinpassen.

 

Die Wurzeln des iranischen Antisemitismus

Der Sprecher der „Liberalen Studenten des Iran“, Saeed Ghasseminejad, hat einen hilfreichen Artikel über die Quellen des modernen Antisemitismus im Iran geschrieben. Er beschreibt kurz und knapp, wie der deutsche und der französische Faschsimus, der russische Kommunismus, eine bestimmte Lektüre der koranischen Quellen über Mohammed und die Juden und zuletzt der Tiersmondisme zu der verhärteten antisemitischen Haltung des Regimes führten.

Wichtig scheint mir sein Hinweis, dass Antisemitismus – so sehr er nun zu Obsession der Herrschenden geworden ist – keine tiefen Wurzeln in der langen Geschichte des Iran hat. Und ich hoffe, dass Ghasseminejad (Jg. 1982) auch Recht damit hat, dass die jüngere Generation dieser Obsession befremdet gegenübersteht und sie nicht teilt. Ghasseminejad lebt nach den Exzessen des letzten Jahres gegen die Grüne Bewegung in Paris.

Zitat:

„Anti-Semitism in Iran is a new obsession. Literature is a mirror which reflects the thoughts of a nation during its history. In Persian literature the Jews are not the bad characters. To be more precise Persian literature does not really speak about the Jews as much. Anti-Semitic thoughts began to become popular in Iran some years before the Second World War. It can be said that anti-Semitism in Iran has four roots.

1   German and French Fascism:

Many students were sent to Europe, mostly Germany and France, a few years before the beginning of the Second World War. These students became the architects of new Iran. Unfortunately one of the things they brought back as a gift was anti-Semitism which was widespread in Germany and France then. Ahmad Fardid was a good example of such students. He went to France and came back a disciple of Heidegger, a fascist and an anti-Semite. After the Islamic revolution in 1979 he became the spiritual guide of Islamist and anti-Semite militia-intellectuals and tried to justify ayatollah Khomeini’s anti-Semitic and anti-liberal efforts by combining Islam and fascism…“

 

Roland Koch gegen Sarrazin

Interview zum Thema „Konservativ“ heute in der FAZ. Roland Koch:

„Wenn Leuten wie Sarrazin die Diskussion überlassen wird, dann werden Konservative verlieren. Sarrazins Standpunkt ist ja am Ende nicht akzeptabel für aufgeklärte Konservative. Eine kluge Analyse mit unerträglichen Folgerungen ist keine konservative Politik. Obendrein ist diese Analyse noch nicht einmal klug, eher ein Beispiel für die intellektuelle Ladehemmung, die in Deutschland meistens dafür sorgt, dass verquaster Unsinn herauskommt, wenn einer mal konservative Standpunkte offensiv vertreten möchte. Hätte Sarrazin die letzten drei Kapitel nicht geschrieben, dann hätte er eine interessante wissenschaftliche Analyse eines Tatbestands vorgelegt. Aber so ist es dumpfer Biologismus. Davor graust mir. Das ist aus meiner Sicht gegen das Verständnis von Menschenwürde, das gerade Konservative haben. … Aus der Sicht eines Konservativen zerstört jemand, der so vorgeht wie er, die Diskussion. Er ist ein klassisches Beispiel für jene, die am Ende dafür sorgen werden, dass eine konservative Debatte nicht mehr stattfindet.“

Hört, hört.

 

Die Zumutung der Einwanderung

Paul Scheffer ist ein Pionier des Nachdenkens über Einwanderung und Integration. Sein Essay über „Das multikulturelle Drama“ in unseren Städten ist vor genau zehn Jahren erschienen. (Eine deutsche Version, allerdings gekürzt, hier.) Vieles von dem, was Scheffer 2000 beschrieben und analysiert hat, ist uns in der vergangenen Dekade zum täglichen Thema geworden: Segregation, Selbstabschottung, Extremismus im Namen des Islam, der Aufstieg des Rechtspopulismus.

Heute morgen habe ich Paul Scheffer in Triest getroffen. Bei einer Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung hielt er einen Vortrag über die Einwanderungsgesellschaft und ihre Konflikte – und was dies für eine Herausforderung für alle europäischen Gesellschaften bedeutet. Beim Frühstück hatten wir Gelegenheit, über die Lage in den Niederlanden zu reden, in der die etablierten Parteien auf einen Zustand der Unregierbarkeit zusteuern. (Ich war der Moderator der anschließenden Diskussion.)

Paul Scheffer wäre eigentlich der Denker der Stunde, finde ich, weil er als erster ein Modell entwickelt hat für die Prozesse, die in allen Einwanderungsgesellschaften unvermeidbar ablaufen. Diese Konflikte – und dazu dient ja auch ein Blog wie dieses hier (in den guten Momenten) – müssen wir annehmen und als etwas (möglicherweise) Produktives anzusehen lernen, statt sie vermeiden zu wollen, weil sie oft genug hässlich sind.

Scheffer sagt, in allen von ihm studierten Einwanderungsprozessen findet sich das Muster segregation – avoidance – conflict – accomodation. Also etwa: Segregation, Vermeidung, Konflikt, Verständigung. Unzweifelhaft stecken wir mitten in der Konfliktphase. (Was allerdings leider nicht bedeutet, dass die Segregation aufgehört hat. Sie geht parallel weiter und lässt künftige Konflikte ahnen.)

Die Segregationsphase zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl die Immigranten, als auch die aufnehmende Umwelt unter sich bleiben wollen. Die Bildung von ethnischen Kolonien hat Vorteile für Neuankömmlinge ebenso wie für die Aufnahmegesellschaft: Sie reduziert die Kosten und den Stress. Die Einwanderer finden billigen Wohnraum und Netzwerke, die sie tragen, die Einheimischen bleiben von sozialem und kulturellem Wandel verschont – und von Konkurrenz. Man meidet sich wechselseitig, unterstützt oft durch gezielte Separationspolitik (Wohnungsbau, Schulwesen).

In dieser Phase klammern sich beide Seiten an „den Mythos der Rückkehr“.

Wenn dieser nun zusammenbricht, sagt Scheffer, (und die Einwanderer sich eingestehen, dass sie welche sind und damit das Einwanderungsland zwingen zuzugeben, dass es eines ist), ist nicht plötzlich alles gut, weil man sich nun ehrlich gemacht hat. Im Gegenteil: Vermeidung ist jetzt unmöglich geworden, man sitzt im gleichen Boot und sieht einer gemeinsamen Zukunft ins Auge, die man vorher beidseitig geleugnet hat. Jetzt kommt es zum Konflikt, weil man sich genauer anschaut und sich fragt: Was, mit denen sollen wir ein WIR bilden? Jetzt wird das Andere des anderen zum Problem.

Und jetzt muss neu verhandelt werden, was daran akzeptabel ist und was nicht. Das bedeutet accomodation: Nicht Hinnahme des Anderen per se als gut und wunderbar und bereichernd, sondern lange und zähe Verhandlung über ein neues Wir. Wechselseitige Vorwürfe und Unterstellungen gehören notwendig dazu. Extremes Mißtrauen auch: Die Iren in Amerika haben 120 Jahre gebraucht, bis sie einen Präsidenten stellen durften, und JFK musste an jeden Tag seines Wahlkampfes klarmachen, dass seine Loyalität nicht Rom galt, sondern der Verfassung der USA. (Erinnert an etwas, nicht wahr?)

Scheffer ist einer der ersten Kritiker des Begriffs der Multikulturalität, weil er diesen Begriff schlicht für eine Falle und im Effekt für rassistisch hält: Er sperrt eine ganze Gruppe in ein Konzept von „Kultur“ ein, er errichtet die Schranken, die er eigentlich überwinden will. Der Begriff der Multikulturalität stammt aus der Phase der Vermeidung, die wir nolens volens überwunden haben – die Phase, in der man sich wechselseitig keine Fragen stellte.

Ohne ein gemeinsames Wir, das auch gemeinsame Werte und Regeln beinhaltet, kann eine ausdifferenzierte Gesellschaft nicht überleben, ja sie kann noch nicht einmal ordentlich miteinander streiten. Paul hat auch ein anschauliches Beispiel für gelungene Integration in ein neues Wir. In einer Diskussion mit Haci Karacer von der Milli Görüs über die niederländische Rolle in Srebrenica kam es zu dem Punkt, dass Karacer Scheffer sagte: „Wir haben in Srebrenica versagt!“ Dass der konservative Amsterdamer  Muslim von den holländischen Soldaten in diesem Plural sprach, war ein Zeichen dafür, dass er sich mit dem Land identifizierte – und das bedeutet eben auch mit den Schattenseiten und dem Versagen.

Bei dem neuen Wir geht es um geteilte Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft, nicht bloß um das Wissen um die Geschichte, das politische System, die holländischen Werte etc.

Für ein solches Wir braucht man aber bestimmte Fähigkeiten. Darum reden wir jetzt seit Jahren darüber, dass die Landessprache so existenziell wichtig ist.  Und darum ist es mir auch nach wie vor unverständlich, wieso türkische Lobbygruppen allen Ernstes gegen die Sprachtests für Neueinwanderer protestieren können, als wäre das eine fiese Schikane. Wer so agiert, schürt den Verdacht, er habe an der Teilhabe in dieser Gesellschaft, die nur durch Sprache möglich wird, kein Interesse – und so ist ja leider auch bei vielen der Eingeheirateten.

Auf solchen Voraussetzungen zu insistieren ist die Pflicht aller, die an diesem Wir interessiert sind. Es kann, so argumentierte Scheffer, nicht durch Kompromisse entstehen – durch ein Treffen in der Mitte – dieses Wir. Kein „middle ground“, bei dem sich alle ein bisschen aufeinander zu bewegen. In einer Stadt wie Amsterdam (oder Berlin, oder Stuttgart) mit über 100 Herkunftskulturen gibt es keinen „middle ground“, den man per Kompromiss finden könnte.

Für die Einwanderer heißt das auch, dass es keinen automatischen Anspruch auf „Respekt“ für ihre Eigenheiten gibt. Wer die Vorurteile der Einheimischen anprangert, wird automatisch mit seinen eigenen konfrontiert werden. Eine Religionsgemeinschaft, die Religionsfreiheit in Anspruch nimmt, wird sofort mit der Frage konfrontiert, wie sie es denn selbst mit den Grundfreiheiten hält. Das Gesetz der Reziprozität ist unerbittlich. Es trifft allerdings auch die Mehrheitsgesellschaft. Wenn sie die grundlegenden Freiheiten einer Minderheit beschneidet (Minarettverbot), wird sie es schwer haben, ihrerseits glaubwürdig die Treue zu den Grundwerten zu verlangen. Das Minarettverbot ist kein Beispiel dafür, wie eine Gesellschaft ein ein neues Wir aushandelt. Das Burkaverbot ist ein anderer Fall, weil es hier um ein allgemeines Gesetz geht, das den gleichberechtigten Verkehr in der Öffentlichkeit gerade ermöglichen will. (Jedenfalls auf dem Papier.)

Paul Scheffer hat in seinem Vortrag noch viel mehr Punkte gestreift, die ich hier nicht erwähnen kann.

Er macht sich Sorgen um die wachsende Segregation in den Städten und  Schulen seines Landes. In Deutschland sieht es nicht besser aus.

Und er sorgt sich um die größer werdende Schere zwischen dem Kosmopolitismus einer Elite und dem „tribalism of the locals“ – womit sowohl die Einwanderer als die Unterschichten gemeint sind, die mit ihnen zusammen leben müssen. Ein immer wiederkehrender Gedanke in seinen Schriften: Die Gefühle von Verlust und Angst, die durch den Wandel ausgelöst werden – auch bei den Alteingesessenen, dürfen nicht einfach abgetan und diskreditiert werden. Ein falsch verstandener Kosmopolitismus kann den Populismus der einfachen Antworten auf die Fragen der Einwanderungsgesellschaft befördern, gerade weil er die Schmerzen nicht ernst nimmt. Die Spaltung der Gesellschaft in eine Caffelatte-Fraktion derjenigen, die alles als Bereicherung begrüßen, was die Filterkaffetrinker als Zumutung empfinden, wäre fatal. Sie ist schon weit vorangeschritten, wie die Sarrazin-Debatte hierzulande zeigt.

Das ist eine Gefahr unserer Debatte über Sarrazin (die ich hier im Eifer wahrlich auch nicht immer vermieden habe): dass man bei der Kritik an seinen Argumenten und an dem Ton mancher seiner Fans die rationalen Ängste und Befürchtungen überspringt, die in der Debatte berücksichtigt und bearbeitet werden müssen.

Die politische Mitte trägt nicht mehr, wenn sie das nicht vermag. Das ist ein Phänomen überall in der westlichen Welt – in den Niederlanden derzeit besonders dramatisch. Scheffer glaubt, dass das politische System in seinem Land überhaupt nicht auf die Herausforderung eingestellt ist, die Balance zwischen „heritage and openness“ (Erbe und Offenheit) und „tolerance and belonging“ (Toleranz und Bindung“) neu auszutarieren. Aber das ist kein Den Haager Problem. Morgen ist Geert Wilders in Berlin.

 

Warum Henryk Broder Persilscheine ausstellt

Ich lese die „Achse des Guten“ nicht mehr oft, obwohl sie hier weiter in der Linkleiste vertreten ist. Der Dogmatismus, das ewige Eiferertum (das der ironischen Selbstetikettierung widerspricht) und die teilweise hässlichen Töne, vor allem in der Integrationsdebatte, haben mir die Sache lange schon vergällt. (Sorry, Hannes, Du bist die rare Ausnahme).

So habe ich auch nicht rechtzeitig mitbekommen, dass Henryk Broder meinen Post über Martin Peretz nun schon zum zweiten Mal eines eigenen Posts gewürdigt hat. Auch das könnte man übergehen, wenn nicht eine merkwürdige Faktenverdreherei dabei zu beobachten wäre. Dass Broder nicht in bester Form ist, zeigt sich allerdings schon an dem müden Namenwitzchen auf meine Kosten („Lau und Lauer“ – you can do better than this…).  Geschenkt.

Ärgerlich ist etwas anderes. Martin Peretz hat sich dafür entschuldigt, dass er sich von der hassvollen Debatte über die „Ground-Zero-Moschee“ so weit hat anstecken lassen, dass er Muslimen verfassungsmässige Freiheiten absprach, weil diese ohnehin dazu neigen würden, diese zu mißbrauchen.

Peretz ist also, wie ich geschrieben habe, über sich selbst erschrocken und hat das öffentlich gemacht. Das nenne ich Mut. Und die Sache ist eben darum bemerkenswert, weil er in der New Republic einen ultraloyalen Kurs gegenüber Israel fährt. Falkenhafter als Peretz geht’s einfach nicht. Allerdings auch schon früher oft in einem verachtungsvollen Ton, wenn es um Muslime und Araber geht. Darum hat zum Beispiel Paul Berman lange nicht für die New Republic schreiben wollen. Er sagte mir 2003 in New York, er finde Peretz‘ Ton unerträglich. Der schreibe über Araber nämlich oft, „als seien das keine Menschen wie wir“.

Das ist in der amerikanischen Linken – auch und gerade unter den Israelfreunden – seit langem ein Thema, und in dem von Broder  zitierten (aber offenbar nicht ganz gelesenen) Wikipedia-Artikel sind denn auch mehrere Dokumentationen der ziemlich fiesen Peretz’schen Äußerungen verlinkt.

Mich in die Nähe von Stephen Walt zu rücken, weil ich Peretz‘ Erschrecken über sich selbst in der aktuellen Debatte bemerkenswert finde, ist dann schon, lieber Henryk Broder, ein ziemlich durchsichtiges Manöver: Ich soll damit in eine antiisraelische, ach was, antisemitische Ecke befördert werden. Das Stichwort der „Protokolle von Zion“ fehlt natürlich nicht. Und es wird unterstellt, ich wolle, dass „Juden sich bei Deutschen“ entschuldigen. Dazu sage ich mal nix. Zu blöd. Nachdem letztens Merkel gar mit der Reichsschriftumskammer in Verbindung gebracht wurde…

Warum nun überhaupt diese Würde eines doppelten Posts: Kann es sein, dass da ein ganz kleines Erschrecken unseres – früher jedenfalls – besten Polemikers und Satirikers über seinen eigenen Werdegang in den letzten Jahren als „Islamkritiker“ zugrundeliegt? Jedenfalls würde ich es verstehen, wenn Henryk Broder sich manchmal über die Fans aus der selbstgerechten (angemaßten) Mitte der Gesellschaft erschreckte, die ihn als Moslembasher bejubeln, der er eigentlich gar nicht ist. Er ist eigentlich zu klug um nicht zu fühlen, dass einige von denen sich die Moslems nicht zuletzt deshalb vornehmen, weil das nun mal heute die legitime Wut-Zielgruppe ist, an der sich der deutsche Bürger abarbeiten darf. Mit den Juden geht das aus verständlichen historischen Gründen nicht mehr so einfach hierzulande. Und natürlich: Was ist schöner, als wenn den Deutschen ein Jude erlaubt, auf die Moslems herabzuschauen. Bingo, das ist der totale Persilschein.

Seit Jahren gibt Henryk Broder, der früher einmal zu Recht berühmt dafür war, dem deutschen Mainstream seine Verlogenheiten vorzuhalten, nur noch dem Affen Zucker. Es ist sicher schön, zur Abwechslung endlich einmal mit der gefühlten Mehrheit gegen eine Minderheit zu stehen. Aber Broder müsste das irgendwann verdächtig werden – so wie Martin Peretz, der sich öffentlich vor der Enthemmung des amerikanischen Diskurses gruselt.

Deutsche, kapituliert nicht vor dem Islam – Broders Botschaft trifft heute auf einen Wunsch nach nationaler Enthemmung, den er früher gnadenlos kritisiert und entlarvt hätte – so wie die früheren Appelle, die Deutschen sollten nicht vor jenen kapitulieren, die sie immer noch unters Joch der Schuld zwängen wollen.

Es ist mir absolut unerfindlich, warum Henryk Broder heute dabei mitmacht.

Immerhin, so lese ich seine beiden Kommentare zu Martin Peretz: Etwas arbeitet in ihm. Anders gesagt: Etwas brodert in ihm.

(Das musste dann doch sein. Tit for tat.)

 

Was Brasilien und die Türkei treibt

Fareed Zakaria, langjähriger Chefredakteur und Leitartikler von Newsweek International, hat seine letzte Kolume geschrieben, bevor er sich nun ganz der Konkurrenz von Time Warner, inklusive CNN, verschreibt. Ein Verlust:

There has been much worry about the activities of countries like Brazil and Turkey, with many Americans arguing that the two countries have become troublemakers, cutting deals with Ahmadinejad and turning away from America. But we have to understand the dynamic that is altering the power status of these countries. Twenty years ago Brazil was struggling to cast off a long legacy of dictatorship, hyperinflation, and debt. Today it is a stable democracy with impressive fiscal management, a roaring economy, and a wildly popular president. Its foreign policy reflects this confidence and a desire to break free of its older constraints.

In a speech in Geneva on Sept. 11, Brazil’s intelligent and ambitious foreign minister, Celso Amorim, explained that even eight years ago, the United States absorbed 28 percent of Brazil’s exports, but now buys only 10 percent, surpassed by China. Africa, too, is now a major trading partner for Brazil. In explaining the country’s new interest in Middle Eastern affairs, Amorim pointed out that Brazil’s 12 million Arabs would constitute the fourth or fifth-largest Arab nation in the world. Recently, in another speech, Amorim urged Brazil to be bold and expansive in its conception of its interests. “It is unusual to hear that countries should act in accordance with their means,” he said. “But the greatest mistake one could make is to underestimate [Brazil’s potential].”

Then consider Turkey. Twenty years ago, it too was perceived as a basket-case economy, dependent on American largesse, protected by the American security umbrella, and quietly seeking approval from Europe. It needed the West. But now Turkey has a booming economy, has an increasingly confident democracy, and is a major regional power. It is growing faster than every European country, and its bonds are safer than those of many Southern European nations.

Its foreign policy is becoming not so much Islamic as Ottoman, reestablishing a sphere of influence it had for 400 years. Abdullah Gül, Turkey’s sophisticated president, explains that while Turkey remains resolutely a part of the West, it is increasingly influential in the Middle East, Central Asia, and beyond. “Turkey is becoming a source of inspiration for other countries in the region,” he said to me while in New York last week.

Zwar stimmt die Pointe für Brasilien nicht ganz: Wenn ich richtig zähle, wäre Brasilien mit 12 Mio Arabern nur das zehntgrößte arabische Land, wenn auch immerhin deutlich vor Tunesien. (Und außerdem sind diese „Araber“ über einen langen Zeitraum eingewanderte Menschen vor allem aus dem Libanon und Syrien, teilweise auch christlicher Religionszugehörigkeit.) Dass erhebliche Minderheiten auch die Außenpolitik verändern, dürfte stimmen. Mehr noch als der Einfluss der Minderheiten dürfte im Fall Brasiliens der Energiehunger einer aufstrebenden Nation eine Rolle spielen.

Was die Türkei angeht: Es ist sehr provinziell, dass die Europäer vor lauter Verklemmung wegen der unlösbaren Beitrittsproblematik (niemand will die Sache absagen, niemand will sie vorantreiben) überhaupt keine Türkeipolitik haben. Haben wir kein Interesse am (Wieder-) Aufstieg einer (mehrheitlich) sunnitischen Macht in der Region, die mit Sicherheit rationaler agiert als unsere „moderaten arabischen Freunde“ und zugleich demokratischer ist und die Menschenrechte mehr achtet?