„Wir haben abgeschworen“ – Ex-Muslime bilden „Zentralrat“

In Berlin hat sich heute der „Zentralrat der Ex-Muslime“ vorgestellt. Das ist natürlich eine Anspielung auf den „Zentralrat der Muslime„.
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Mina Ahadi und Arzu Toker erklärten vor der Bundespressekonferenz die Ziele ihres Vereins. Aber ist es wirklich ein Verein? Es handelt sich doch wohl eher um eine Aktion als um ein Bündnis auf Dauer. Denn wozu brauchen Menschen, die nicht repräsentiert werden wollen, einen Verein? Das ist doch geradezu widersinnig.

Nicht ganz, denn die „Ex-Muslime“ haben eine wunde Stelle im deutschen Integrations- und Islamdiskurs gefunden – und legen den Finger hinein. „Die Muslime“ als homogene Gruppe werden durch unseren Integrationsdiskurs erst konstruiert. Und dabei werden viele Menschen subsumiert, die nicht dazu gehören wollen (oder religiös völlig indifferent sind).
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Mina Ahadi (links) und Arzu Toker

Die beiden Frauen – Ahadi ursprünglich aus dem Iran, Toker aus der Türkei – sind nicht einverstanden damit, dass die bekannten Muslimverbände in Anspruch nehmen, für die ca. 3,5 Millionen Menschen zu sprechen, die selbst (oder deren Eltern) aus islamisch geprägten Ländern nach Deutschland gekommen sind.
Alle diese Menschen nämlich werden mittlerweile zu „deutschen Muslimen“ hochgerechnet – und der Staat nimmt die existierenden Muslim-Verbände als deren Sprecher an.
Die beiden Frauen nehmen nun aber für sich das Recht heraus, keine Muslime zu sein, obwohl „der Islam“ ihnen dies als Apostasie auslege.
„Für mich gelten der Koran und die Hadithen nicht“, sagte Arzu Toker in Berlin. „Ich erkläre hiermit, dass ich aus dem Islam austrete. Diese Verbände können also nicht für mich sprechen.“
Mina Ahadi, die schon im Iran gegen das Mullah-Regime gekämpft hatte, gab ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, wie sie heute in der deutschen Öffentlichkeit umstandslos als Muslima etikettiert werde: „Ich habe im Iran Frauendemonstrationen gegen die Kopftuchpflicht organisiert. Ich habe ein Komitee gegen Steinigungen gegründet. Und wenn ich in Deutschland im Fernsehen interviewt werde, steht da plötzlich unter meinem Bild die Zeile ‚Mina Ahadi, muslimische Frau‘. Meine Freunde haben mich ganz besorgt angerufen: ‚Was ist denn mit dir los, bist du fromm geworden?'“

Besonders der Karikaturenstreit habe sie davon überzeugt, dass die Ex-Muslime eine Stimme bräuchten: „Da sprach im Fernsehen ein Mann mit Bart und sagte: ‚Eine Milliarde Muslime sind beleidigt!‘ Ich war nicht beleidigt. Auch meine Freunde im Iran haben über die Karikaturen gelacht. Und in Ägypten waren sie in einer Zeitung zu sehen gewesen, ohne dass sich jemand aufgeregt hätte – bis die Islamisten die Sache hockzukochen begannen.“

Wenn die Islamverbände ein „Wort zum Freitag“ bekämen, so Arzu Toker, dann fordere sie hiermit ein „Wort zum Montag“ für Nichtreligiöse: „Da werde ich dann Nietzsche vorlesen.“

Die beiden Sprecherinnen der Initiative fürchten, dass die Islamverbände, die nur einen Bruchteil der so genannten Muslime vertreten, durch die Islam-Konferenz des Innenminister aufgewertet werden: „Wenn der sie einlädt, dann wird es schon in Ordnung sein, wird es heissen“, sagte Toker. Damit werde Kritik am Islam und an dem Islamverständnis der Verbände unterdrückt.

Die deutsche Öffentlichkeit solle sich nicht von der Kritik am Islam abhalten lassen durch jene Rassismus- und Islamophobievorwürfe, mit denen die organisierten Muslime schnell bei der Hand seien.
Der Islam sei frauen- und männerfeindlich, so Toker, weil er die Geschlechter als rein triebgesteuerte Wesen betrachte, die durch harsche Vorschriften getrennt gehalten werden müssten.
Die beiden Ex-Musliminnen sehen mit Sorge, dass der politische Islam in Form der Islamverbände vom deutschen Staat als Partner angesehen wird, mit dem man stellvertretend für „die Muslime“ spreche.
Religion müsse als reine Privatsache betrachtet werden – ebenso wie die Entscheidung, ohne Religion zu leben.

 

Das „Wort zum Freitag“

Da hatte das ZDF mal eine richtig gute Idee. Man werde von Mai an ein islamisches Wort zum Freitag einrichten, ließ der Chefredakteur Nikolaus Brender verlauten.
Doch nun sind ausgerechnet jene unzufrieden, die das ZDF eigentlich beglücken wollte – die Muslime.

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ZDF-Chef Nikolaus Brender. Foto: Carmen Sauerbrei, ZDF
Wie kann das sein? Dass der Islam in Deutschland dazugehört, ist mit Wolfgang Schäubles Islamkonferenz gewissermaßen amtlich geworden. Mutig ist es trotzdem, das Wort zum Freitag jetzt in Angriff zu nehmen.
In Deutschland gibt es keine breit streuende Islamophobie – aber doch eine starke Ambivalenz gegenüber der neuen Religion, die jetzt mitspielen will.
Abstrakt anzuerkennen, der Islam sei eine deutsche Tatsache, fällt nicht schwer. Doch wehe, wenn Muslime mit ihren Gebetshäusern in die Innenstädte drängen und ihr Bekenntnis sichtbar und hörbar leben wollen.
Ein Wort zum Freitag ist jedoch – genau wie die repräsentativen Moscheebauten – gerade in dieser Vertrauenskrise eine gute Sache: Wer die Integration der muslimischen Minderheit will, braucht Muslime, die Öffentlichkeit nicht scheuen.

Der Mut des ZDF-Chefredakteurs, dem Islam eine Tür in den Medienbetrieb zu öffnen, wird von manchen Verbandsvertretern allerdings nicht honoriert.
Der Zentralrat der Muslime fordert nun auch gleich die redaktionelle Hoheit über die Beiträge – wie im Fall der beiden christlichen Kirchen. Nikolaus Brender kontert, die redaktionelle Verantwortung liege »beim ZDF«. Er hat recht. Es gibt keinen Grundrechtsanspruch auf einen Sendeplatz. Dass die Muslime anders behandelt werden als die Kirchen, liegt auch in ihrer eigenen Verantwortung.
Sie sind in Vereinen und Dachverbänden organisiert, die (noch) nicht die Voraussetzungen erfüllen, als Religionsgemeinschaft nach deutschem Recht anerkannt zu werden. Sie sind untereinander zerstritten, und ein erster Anlauf zu einer gemeinsamen Organisation ist gescheitert.
Allerdings hätte das ZDF auch gleich seinen ganzen Mut zusammennehmen und auf eine richtige Fernsehsendung zielen sollen. Nun will man erst einmal im Internet anfangen.

Das riecht nach Angst vor der eigenen Courage. Soll das Wort zum Freitag eine muslimische Predigt oder eine Predigt an die Muslime sein? Wenn der ZDF-Chefredakteur sagt, es gehe um »Nachfragen« und eine »Dialogform«, dann müssen die Muslime annehmen, dass sie wieder nur sorgenvoll problematisiert werden.
Das ZDF stößt hier auf das dasselbe Problem, das auch den Innenminister in der Islamkonferenz umtreibt: Wer spricht für die Muslime?
Der Deal sollte sein: »Ihr bringt uns 20 wohlausgebildete Imame, die Deutsch sprechen, auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und den inneren Pluralismus des Islams widerspiegeln – und wir geben euch einen Sendeplatz. (Und vielleicht denkt ihr sogar mal darüber nach, Vorbeterinnen auszubilden. Ist natürlich nur so eine Idee.)«

 

Jeder dritte junge Muslim in England befürwortet die Scharia

Die Journalistin und Sozialforscherin Munira Mirza ist die Hauptautorin einer umfassenden neuen Studie, die Meinungen und Haltungen britischer Muslime untersucht. Download hier.
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Munira Mirza

Die Entfremdung vor allem der jungen Muslime in England ist höchst beunruhigend. Ein paar interessante Daten aus dem Bericht „Living Apart Together“ („Getrennt miteinander leben“) des britischen Thinktanks „Policy Exchange“, der auf der Studie beruht:

  1. 86 Prozent der Muslime sagen: „Religion ist das Wichtigste in meinem Leben“
  2. 62 Prozent der zwischen 16 und 24 jahre Alten sagen, sie haben mit Nichtmuslimen ebensoviele Gemeinsamkeiten wie mit Muslimen (bei den über 55 jährigen sind es immerhin 71 Prozent)
  3. 60 Prozent würden ihre Kinder lieber zu einer gemischten staatlichen Schule schicken, gegenüber 35 Prozent, die eine islamische Schule befürworten. Bei den Jüngeren sind es 37 Prozent, bei den Älteren (über 55 Jahre) nur 19 Prozent
  4. 59 Prozent würden lieber unter dem britischen Recht leben, 28 Prozent unter der Scharia. Auch hier bezeichnend der Altersunterschied: 37 Prozent der 16-24jährigen wollen die Scharia, gegenüber 15 Prozent der über 55jährigen
  5. 36 Prozent der 16-24jährigen glauben, die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion solle mit dem Tode bestraft werden, gegenüber 19 Prozent der über 55jährigen
  6. 7 Prozent „bewundern Organisationen wie Al-Kaida, die bereit sind, gegen den Westen zu kämpfen“. (13 Prozent der Jüngeren, 3 Prozent der Älteren)
  7. 74 Prozent der 16-24jährigen würden es bevorzugen, wenn Frauen das Kopftuch tragen, gegenüber 28 Prozent der über 55jährigen
  8. 21 Prozent der Muslime haben schon einmal Alkohol konsumiert
  9. 65 Prozent zahlen (islamisch verbotene) Zinsen auf einen Immobilienkredit
  10. 19 Prozent haben schon einmal Glücksspiele getrieben
  11. 9 Prozent geben zu, schon einmal Drogen genommen zu haben
  12. 41 Prozent nennen „Aussenpolitik wichtig“ für Muslime. Doch nur 18 Prozent kennen den Namen des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, 14 Prozent der Namen des Premierministers von Israel
  13. 84 Prozent sagen, trotz grosser Befürchtungen über „Islamophobie“, sie seien in der britischen Gesellschaft fair behandelt worden
  14. 75 Prozent finden es falsch, aus Angst vor Spannungen christliche religiöse Symbole zu vermeiden
  15. Auf die Frage, wer die Interessen der Muslime in Grossbritannien öffentlich vertrete, nannten nur 6 Prozent den „Muslim Council of Britain“, der sich selbst als zentraler Ansprechpartner versteht. 51 Prozent sagte, sie fühlten sich von keiner Organisation vertreten

Als ich kürzlich mit einem der Verantwortlichen für die Deutsche Islam Konferenz sprach und diese Studie erwähnte, bekam ich zu hören, dass die deutsche Regierung keine vergleichbaren Kenntnisse über Meinungen und Haltungen der deutschen Muslime hat. Warum nicht?

Ich möchte wetten, dass wir bei einer umfassenden Studie ähnlich überraschende Ergebnisse zu erwarten hätten.

Munira Mirza hat im Guardian eine eigene Deutung des Reports vorgelegt, die auch die vielen Überschneidungen zwischen der muslimischen Bevölkerung und der Mehrheit betont.

 

Die neue Kopftuchdebatte – Anfang vom Ende des muslimischen Machismo?

Seit die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz vor etwas mehr als zwei Wochen an die muslimischen Frauen in Deutschland appelliert hat, das Koptuch abzulegen und im Hier und Jetzt anzukommen, ist ihr Leben auf den Kopf gestellt. Die 1971 in der Türkei geborene Deligöz, die sich selbst als Lobbyistin für Migranten sieht, ist zur Hassfigur für Fundamentalisten und Nationalisten geworden, die sich in ihrem Macho-Gehabe nicht nachstehen. Sie wurde als „Nazi“ beschimpft, mal auch als neue Ayan Hirsi Ali, es gab Morddrohungen. Nun lebt sie unter Personenschutz.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, schrieb einen Brief an den türkischen Botschafter in Deutschland, Irtemcelik. Der ließ die Bitte um Hilfe kalt abtropfen: Es sei nicht Sache des türkischen Staates, sich in diesen Streit einzumischen. Künast solle sich lieber an die türkische Presse wenden. Wenn es darum geht, sich über vermeintliche Türkenfeindlichkeit beschweren, ist die Botschaft nicht so zurückhaltend. Der Botschafter sollte seine Haltung überdenken: Der größte islamische Verband in Deutschland, Ditib, wird de facto vom Religionsministerium in Ankara und von der Botschaft in Berlin aus gesteuert. Und da sollte der Botschafter nichts zu einem Thema zu sagen haben, dass säkulare und religiöse Türken in Deutschland spaltet?

Um so erfreulicher, dass sich eine breite, überparteiliche Front vor Ekin Deligöz aufbaut, um sie gegen das Klima der Einschüchterung zu beschützen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sagte im Deutschlandfunk, der Gesetzgeber müsse »mit aller Entschiedenheit durchsetzen«, dass man seine Meinung äußern darf. »Wenn man bedroht wird, dann ist was nicht in Ordnung.« Solange dies so sei, bekomme Deligöz Polizeischutz. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte: »Ein solches Klima des Hasses gegen eine Person, die lediglich ausspricht, was viele denken, ist nicht hinnehmbar.« Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte dem Sender n-tv: »Wir müssen jetzt alle Rückgrat zeigen, und sie hat die uneingeschränkte Solidarität der ganzen zivilisierten Gesellschaft verdient.«

Das ist eine überraschende schwarz-grüne Koalition: Über den Umweg der Kopftuchfrage entdecken die Innenpolitiker der Union den Feministen in sich. Aber man sollte nicht spotten: Die Union spricht neuerdings mit grösserer Glaubwürdigkeit in diesen Dingen. Seit Wolfgang Schäuble den Muslimen durch die Islam-Konferenz eine ausgestreckte Hand geboten hat und seine Absicht erklärt hat, den Islam hier einzubürgern, können Äusserungen zum Kopftuch und zum Verhältnis von Religions- und Meinungsfreiheit nicht mehr als Islamophobie abgetan werden.

Es kommt noch ein Aspekt hinzu: Die Debatte wird zum Glück nicht mehr nur zwischen Deutschen und Türken, Christen und Muslimen, zwischen Mehrheit und Minderheit geführt. Der Kampf der Kulturen findet tatsächlich statt, aber zunehmend innerhalb der jeweiligen Lager. Es stehen auch im Islam immer häufiger selbstbewußte Reformer gegen Konservative. Heute sind es vor allem Frauen mit – schreckliches Wort – Migrationshintergrund, die sich den Mund nicht mehr verbieten lassen und ihre Rechte einfordern – so wie die Anwältin Seyran Ates, die Soziologin Necla Kelek, die Autorin Serap Cileli, die SPD-Abgeordente Lale Akgün und nun auch die Grüne Ekin Deligöz. Die deutschen Türken könnten eigentlich stolz sein, eine ganze Reihe solcher bemerkenswerter Frauen hervorgebracht zu haben.

Aber leider werden sie von Männern repräsentiert, die den weiblichen Freigeistern um Jahre hinterherhinken. Sie haben sich in der Pose des Opfers eingerichtet. Alles dreht sich um Ehre, Respekt und Anerkennung. Sie sind stets vorwurfsvoll und leicht kränkbar, egal ob es um den EU-Beitritt, das Kopftuch oder den Genozid an den Armeniern geht.

Diese Repräsentanten haben grosse Probleme, sich auf die neue Lage einzustellen, die durch Schäubles Integrationsinitiative entstanden ist: Sie müssen nun von Minderheitenlobbyisten, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, sich (leider oft zu Recht) über Diskriminierung zu beschweren, zu Partnern werden, die auf Augenhöhe darüber verhandeln, welchen Beitrag sie zum Gedeihen des Landes leisten können.

Die Vertreter der islamischen Verbände haben nun zwar betont, sie teilten Deligöz‘ Meinung über das Kopftuch nicht, sie lehnten die Drohungen aber scharf ab. Das ist immerhin ein Anfang – auch wenn erst wochenlanger öffentlicher Druck sie dazu bewegt hat. Wenn sie als Teil der Zivilgesellschaft Respekt verlangen und anerkannt werden wollen, müssen sie in Zukunft endlich von sich aus die Menschenrechte verteidigen – und zwar nicht nur dann, wenn es um die Rechte der Kopftuchträgerinnen geht.

Die frechen Frauen, die keine Lust haben, sich länger von ihnen vertreten zu lassen wollen, passen natürlich nicht in den Kram. So ist es zu erklären, dass der Islamrat Deligöz in rüder Sprache zurechtwies, sie solle „ihr Brett vom Kopf“ entfernen, bevor sie übers Kopftuch redet. So ist die Entgleisung des Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, zu verstehen, der gestern nach der Aussprache mit Deligöz sagte: „Was sie gesagt hat, ist für mich Unsinn.“ Wichtig für ihn sei aber auch, „dass sie diesen Unsinn verbreiten darf“.

Diese gönnerhaft-unverschämte Art – nie würde man über einen männlichen türkischen Politiker derart herziehen! – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Macht der Machos in der türkisch-muslimschen Community schwindet. Wenn der Schmerz darüber nashlässt, werden die angehalfterten Patriarchen sehen, dass Ekin Deligöz und die anderen mutigen Frauen auch ihnen einen Dienst erweisen.