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Zeitung lesen in Kabul

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Jeden Morgen, außer freitags, lese ich zum Frühstück in der „Afghanistan Times“. Das macht nicht gerade gute Laune – wären da nicht Samedi und seine kleinen Zeichnungen. Auch heute, am Tag nach dem offiziellen Start der Wahlkampf-Kampagnen fand ich sie sehr gelungen.

 

Kleine Erwachsene

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Die meisten Kinder, die ich hier sehe, kommen wir vor wie kleine Erwachsene – das liegt nicht nur an der Kleidung. Irgendwie sind sie es ja auch.

 

Netzstrumpfhose und Burka

IMG_2442Der Pressebeauftragte der Polizei in Kundus bestellte diese Polizistin ins Büro, weil ich „doch sicher mit einer Frau reden wolle, wie das so ist als Frau hier zu arbeiten.“ Wir quatschten ein bisschen, sie witzelte mit ihren Kollegen. Dann sagte sie „Ich muss los“, nahm ihre Burka von der Garderobe und begann ihren Dienst.

 

Einmal und nie wieder

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Dieses Foto entstand bei einem Besuch in Kundus. Ein afghanischer Journalist hatte mich in sein Haus eingeladen, ich traf seine Mutter und seine Schwestern. Dann saßen wir stundenlang in seinem Zimmer und schauten Videos, die er gedreht hatte: Frauen, die von Vergewaltigungen erzählen; Kinder, die verstümmelt im Krankenhaus liegen, weil sie bei einem Anschlag getroffen wurden; Schießereien zwischen Soldaten und Aufständischen.

Sein zweijähriger Neffe saß die ganze Zeit dabei. Wir scherzten viel, weil der Kleine die gleiche Augenfarbe hatte wie ich und mich die ganze Zeit anstarrte. Irgendwann setzte der Journalist seinem Neffen seinen beigen Hut, den „Pakol“ auf. Der verdrehte die Augen und fing an zu lachen.

Am nächsten Tag sagte mir der Journalist, ich könne leider nicht mehr zu ihm kommen. Sein Neffe habe den Nachbarskindern ganz aufgeregt erzählt, dass heute eine Amerikanerin zu Besuch war. Nun, fürchtete der Journalist, sei es zu gefährlich.

 

Pressekonferenz im Minenfeld

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Infotafel, Äpfel, Wasser, Limo, Factsheets, Stühle und eine handvoll Journalisten. Meine bisher merkwürdigste Pressekonferenz, vor ein paar Monaten, mitten in einem riesigen Minenfeld in Parwan.

 

Soldatensorgen

Der Wehrbeauftragte der Bundeswehr hat heute seinen Jahresbericht übergeben. Er schreibt darin auch über die afghanischen Übersetzer der Deutschen:

„Auf einen besonderen Sicherheitsaspekt wiesen Soldatinnen und Soldaten des deutschen ISAF-Kontingents bei Truppenbesuchen im April und Oktober des Berichtsjahres hin. Sie äußerten die Sorge, dass afghanische Sprachmittler und ihre Familien nach Abzug der Bundeswehr bedroht werden könnten und dass dies ihre Loyalität gegenüber der Bundeswehr und ihren Soldatinnen und Soldaten beeinflussen könnte. Die Bundesregierung hat sich der Problematik angenommen und in Aussicht gestellt, Sprachmittlern eine Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten. Dafür reicht der Nachweis einer latenten Gefährdung des Antragstellers aus. Das ist zu begrüßen. Es bleibt zu hoffen, dass im Falle der Anerkennung einer solchen latenten Gefährdung den betroffenen Personen auch in angemessener Zeit ein Visum erteilt wird.“

Ein guter Freund von mir wartet immer noch auf eine Gefahreneinstufung der Bundeswehr, obwohl sie ihm in mehreren früheren Arbeitszeugnissen bescheinigte, dass er als Übersetzer ein potentielles Ziel der Regierungsgegner sei.

 

Barfuß in Plastikschlappen

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Einer meiner ersten Eindrücke aus Afghanistan: Zwei Kinder am Straßenrand, das Mädchen verdeckt ihr Gesicht gegen den Staub, den die Autos aufwirbeln. Der Junge ist barfuß in seinen Schlappen. Damals war Sommer. Jetzt ist es Winter, aber die Kinder auf den Straßen tragen nicht viel mehr als die zwei damals.

 

Ein Sack voller Geduld

Es ist abends, ich bin bei einem Freund zu einer Party eingeladen. Im Erdgeschoss sitzen vielleicht ein dutzend Männer. Immer mal wieder verschwindet einer nach oben, wo ein paar Leute aus dem Innenministerium Verträge mit Geschäftsleuten verhandeln.

Ein junger Afghane kommt an den Tisch, er hat bei einem Politiker Werbung für seine Projekte gemacht. Er setzt sich und schenkt sich ein großes Glas Whiskey ein. Dann sagt er:

„Weißt du, Afghanistan ist anders als jedes andere Land in der Welt. Wenn du was erreichen willst, brauchst du Geduld, viel Geduld. Du musst einen ganzen Sack voller Geduld mitbringen. Ehrlich gesagt musst du auch ein Ersatz-Herz mitbringen, eine Ersatz-Leber, einen Ersatz-Magen, für alles brauchst du einen Ersatz. Du musst sie immer in deinem Auto mit dir rumfahren, damit du sie jederzeit austauschen kannst.“

Ich lache. Ziemlich laut.

„Du lachst. Willst du wissen, warum? Weil du weißt, dass ich Recht habe. Ich habe gerade so viel geredet und verhandelt und gefeilscht, deshalb bin ich runter gekommen. Ich brauche ein neues Herz und eine neue Leber, bevor ich wieder hoch gehen kann.“

„Wenn es hilft, kannst du meine ausleihen.“

„Wirklich? Die kann ich gut gebrauchen. Ich hab zehn Ersatz-Organe mitgebracht, aber deine werd ich auch brauchen. Jetzt nicht, ein Herz und eine Leber sind noch übrig, aber nacher ganz sicher. Ich werd jetzt wieder hochgehen. Davor muss ich das hier noch trinken“ – und kippt sich den Whiskey runter.