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1393

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Gestern hat in Kabul ein neues Jahr begonnen: 1393.

Ich habe den Tag mit einer befreundeten Familie verbracht. Um in ihr Wochenendhaus etwas außerhalb von Kabul zu kommen, stand ich erstmal eineinhalb Stunden im Stau – und mit uns tausende andere Familien aus Kabul.

Zum Essen gab es die üblichen (riesigen) Mengen an Reis, Fleisch, Salat, Brot und Obst. Die Männer machten Witze über Kandaharis – die Bewohner einer Provinz im Süden Afghanistans, die angeblich alle schwul sind – und die Frauen scherzten über eine TV-Bericht aus England, in dem Ehemänner ihre Frauen auf den Schultern tragen mussten. „Das wäre bei mir schwierig“, sagte die Frau unseres Gastgebers, „so fett wie ich geworden bin.“ Der Großvater erzählte stolz von seinen Enkelkindern und lachte sich kaputt, als ich sagte, dass ich mit drei Geschwistern für deutsche Verhältnisse aus einer großen Familie stamme. Einer der Enkel machte Handstände und zeigte wie ein Bodybuilder seine Muskeln, der andere sang ein paar Lieder vor und zählte das Alphabet auf Englisch auf; ein dritter, vielleicht zwei Jahre alt, spielte fast den ganzen Nachmittag mit seiner Plastikpistole.

Die Großmutter erklärte mir, dass Eid das bessere Fest sei – weil es einen religiösen Hintergrund habe. Und weil Naurus, Neujahr, traditionell eigentlich kein paschtunisches Fest sei. Viele Mullahs, sagte sie, hätten Naurus sogar verboten.

Ein paar Bräuche gibt es trotzdem:

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„Haft Mewa“  – eine Obstspeise, die am letzten Abend des Jahres zubereitet wird. „Haft mewa“ heißt „sieben Früchte“: helle und dunkle Rosinen, Mandeln, Walnüsse, Aprikosen, Datteln und Pistazien. Alles wird in Wasser aufgekocht und über Nacht eingeweicht.

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Atan – ein traditioneller Tanz, der bei vielen Anlässen aufgeführt wird. Männer tanzen im Kreis, drehen sich dabei um ihre eigene Achse und kreisen mit den Händen über ihren Köpfen. Immer mal wieder geht einer in die Mitte und gibt, während die anderen in die Hocke gehen und klatschen, eine kleine Solodarbietung.

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Bäume pflanzen – das war für unseren Gastgeber in diesem Jahr besonders praktisch, er hatte den Wochenend-Garten erst neulich gekauft. „Im Sommer ist hier dann alles grün“, sagte  er. „Und die Küche wird hoffentlich auch schon fertig sein. Dann können wir hier essen und draußen arbeiten und es uns gut gehen lassen.“ Neuanfang und Hoffnung gehören zusammen, das ist in Kabul nicht anders als überall sonst auf der Welt.

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Wardaki-Witze

Die Wardakis sind in Kabul das, was in Deutschland die Ostfriesen sind. Die angeblich Dummen, über die es tausende Witze gibt. Mein Favorit:

Ein Wardaki beobachtet durch einen Türspalt, wie seine Frau mit einem anderen Mann rummacht: „Wenn das meine Frau ist“, denkr er, „muss ich der Mann sein, den sie küsst… Aber wer ist dann der perverse Typ, der uns durch den Türspalt beobachtet?“

 

Souvenirs

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Erst hatte ich gedacht, die Wände des Gebäudes wären aus Mosaik. Dann zog ich meine Schuhe aus, stapfte strumpfsockig über den regennassen Platz zum Eingang der Moschee und merkte: es sind bemalte Fliesen.

 

Ein Einzelstück

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Dieser Junge lief vor meine Kamera und streckte mir „seine“ Taube entgegen. Solange, bis ein Straßenfeger in zurechtwies: das sei nicht gut, was er da mache. Die Tiere seien schließlich heilig.

 

Der Markusplatz von Afghanistan

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Vor der Blauen Moschee in Masar i Scharif sind unzählige Tauben. Sie gelten als heilig, fressen aus der Hand und werden jeden Tag hunderte Male fotografiert. Heute auch von mir – ich bin für ein paar Tage in der größten Stadt im Norden Afghanistans.

 

 

„I am so happy“

Heute gibt’s am Kiosk in der gedruckten ZEIT die neue Ortszeit. Sie heißt „Frauentag im Knast“ und handelt – mittelmäßig überraschend – vom Frauentag.

Der ist in Kabul, anders als in Deutschland, so ereignisreich, dass gar nicht alles in die Kolumne gepasst hat. Zum Beispiel mein Besuch in der Jugendstrafanstalt. Ich war mit ein paar Menschenrechtlern dort, die bunte Kopftücher an die jungen Insassinnen verteilten. Als wir ankamen, hatten die Mädchen gerade Unterricht, Dari. In der letzten Reihe, ganz links, hatte ein Mädchen etwas auf ein Papier gekritzelt. „Hast du das gemacht? Das ist schön“, sagte ich – weil es einer der Sätze ist, die ich auf Dari kann und weil ich mir schweigend wie ein Zoobesucher vorkam. Dann schaute ich genauer. Rechts eine Frau mit Burka, links eine Frau mit Kopftuch. Dazu zwei Sprechblasen mit persischer Schrift. Ich fotografierte die Zeichnung (mit meinem eingeschmuggelten Handy) und bat später eine der Menschenrechtlerin um eine Übersetzung. Die Frau in Burka sagte: „My rights are violated. I want my rights.“ Und die Frau mit Kopftuch:„I am so happy.“

Drei Stunden nachdem ich mein Handy ins Gefängnis geschmuggelt und das Foto gemacht hatte, verlor ich es. Mein Vater würde sagen: „Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort.“

 

„Und wer wird Koch?“

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Diese Jungs verkaufen Schokoladenriegel auf der Straße, putzen Schuhe und schwenken zwischen fahrenden Autos kleine Weihrauchfässer.

Und: sie lernen schreiben, lesen, rechnen. Einmal die Woche für eine Stunde. Dort entstanden diese beiden Fotos.

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„Was macht ihr heute noch?“, wollte ich die Jungs fragen. Aber mein schlechtes Dari machte aus Versehen ein „Was wollt ihr werden?“ draus. Die Antworten: Pilot, Lehrer, Polizei, Soldat.

„Und wer wird Koch?“, fragte ich. Die Jungs lachten, dann zeigten sie auf einen Hazara-Jungen mit schmalen Augen. „Der sieht aus wie ein Chinese, dann kann er bestimmt auch chinesisch kochen.“

Mehr Fotos gibt’s hier.