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Vorsicht, bissig!

 

Halloween dürfen alle schrecklich blutrünstige Vampire sein/ © Getty Images

An Halloween werden viele als Vampire verkleidet durch die Straßen ziehen. Seit wann erzählt man sich Geschichten über »Untote«? Und gibt es sie wirklich?

Von Maja Nielsen

Die einen denken an spitze Zähne, muffige Särge und an viel, viel Blut. Anderen fällt beim Thema Vampire das romantische (oder kitschige) Liebespaar Bella und Edward aus den Twilight – Büchern von Stephenie Meyer ein. Es gibt so einige Mädchen, die von einem Freund wie Edward träumen. Kein Wunder, der Vampir sieht gut aus, ist charmant und unsterblich (im wahrsten Sinne des Wortes) in seine Angebetete verliebt. »Gibt es einen Freund wie Edward auch im echten Leben?«, fragt ein Mädchen auf einer Fanseite im Internet.

Die Antwort lautet: Nein! Auch wenn Vampire heute in Filmen und Rollenspielen, in Fernsehserien, bei Halloween-Partys, im Internet und in Büchern zum Leben erwachen – in Wirklichkeit existieren sie nicht.

Woher kommen aber dann all die Geschichten über Vampire? Wer sind die Vorfahren von Edward? Um das herauszufinden, muss man in der Zeit sehr weit zurückgehen. Aber Achtung! Dabei wird es jetzt reichlich blutrünstig!

Der Glaube an Vampire ist auf der ganzen Welt verbreitet und wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Man kann die Blutsauger mit Engeln vergleichen: Beide gibt es nicht, sie leben nur in der Fantasie. Allerdings gehören Engel auf die Seite des Lichts, ins Reich des Guten; Vampire auf die Seite der Finsternis, ins Reich des Bösen.

Vampire sind dem Glauben nach Verstorbene, die nachts aus den Gräbern steigen, um das Blut der Lebenden zu trinken. Im Schutz der Dunkelheit schleichen sich Vampire an ihr schlafendes Opfer heran und hocken sich auf dessen Brustkorb. Erst rauben sie ihm die Luft zum Atmen. Dann beißen sie es und saugen mit dem Blut meist gleich alle Lebenskraft mit aus dem Leib.

Vampire, glaubte man, hätten es besonders auf ihre Verwandten abgesehen. Starb ein geliebtes Familienmitlied, wurde mancher Angehörige krank vor Verzweiflung, einige wurden sogar so krank, dass sie ebenfalls starben. Den Trauer-Tod konnte man sich früher nicht erklären – und schob ihn dem zuerst Gestorbenen in die Schuhe: Er war als Vampir zurückgekehrt.

Fernhalten konnte man die Blutsauger mit Knoblauch, um ein Opfer aber aus den Fängen eines Vampirs zu befreien, gab es bloß eine Möglichkeit: Der Vampir musste endgültig ins Jenseits befördert werden. Nur die mutigsten Männer eines Dorfes wagten sich dafür nachts auf den Friedhof. Sie gruben den Leichnam aus und durchbohrten ihn mit einem Pflock. Einige versuchten aber auch die Untoten zu überlisten: Es gab Gerüchte, dass Vampire alles, was sie sahen, zählen mussten. Sie waren sozusagen zählsüchtig. Deshalb legten man verdächtigen Toten einen Haufen Samen in den Sarg. So wären die Vampire mit Zählen beschäftigt und hätten keine Zeit für ihre blutigen Taten – hoffte man.

Besonders viele Legenden über die untoten Wesen stammen aus Südosteuropa. Viele Leute glauben dort noch heute an Vampire. Im Jahr 2003 zum Beispiel gab es in dem kleinen rumänischen Dorf Marotinu de Sus große Aufregung. Der Feldarbeiter Petre Toma war bei einem Unfall gestorben, kurz darauf erkrankte eine Verwandte von ihm schwer. War Toma als Vampir zurückgekehrt?, fragten sich die Dorfbewohner. Die Familie beschloss, ihn unschädlich zu machen – sicher ist sicher. Sechs Männer zogen zum Friedhof und buddelten Tomas Sarg aus; und tatsächlich wurde die Verwandte wieder gesund. Ein Zufall zwar, der den Aberglauben der Leute aber noch bestärkte.

Im Mittelalter nahm die Angst vor Vampiren immer dann zu, wenn viele Menschen an Seuchen wie der Pest starben. Das lag daran, dass die Totengräber, wenn sie die Leichen einsammelten, versehentlich auch Menschen auf ihre Karren luden, die nur bewusstlos waren. Wenn diese später erwachten und zum Beispiel im Sarg verzweifelt gegen den Deckel klopften, zitterten die Dorfbewohner natürlich vor Schreck.

Im 18. Jahrhundert veränderte sich der Vampirglauben stark. 1732 untersuchte der österreichische Arzt Johann Flückinger mehrere unverweste Leichen. Wir wissen heute, dass manche Körper langsamer verwesen, zum Beispiel weil sie an einem Ort liegen, an den keine Luft gelangt. Der Gletschermann Ötzi ist ein berühmtes Beispiel dafür, aber den kannte Flückinger noch nicht. Der Arzt war damals überzeugt, dass sich die Leichen mit der »Vampirkrankheit« angesteckt hatten.

Große Angst erfasste daraufhin Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete in Europa. Überall wurden Leichen aus ihren Gräbern gerissen und unschädlich gemacht – obwohl es natürlich gar keine »Vampirkrankheit« gab. Bald war kaum noch ein Friedhof unberührt. Und hatte man bis dahin geglaubt, dass sich ausschließlich arme Menschen in Blutsauger verwandelten, hielt man es jetzt für möglich, dass auch Reiche und Adelige betroffen waren.

Den berühmtesten adeligen Vampir, Graf Dracula, erschuf der irische Horrorschriftsteller Bram Stoker vor mehr 100 Jahren. Seine Geschichte spielt in Transsilvanien in Südosteuropa – also in der Region, in der sich die Menschen noch heute vor Vampiren fürchten. Im Mittelalter herrschte dort tatsächlich ein blutrünstiger Fürst namens Draculea, der zum Vorbild für die Gruselgestalt wurde. Stoker ahnte beim Schreiben seines Buchs wahrscheinlich noch nicht, wie berühmt sein Vampir einmal werden würde.

Zahllose Male wurde die Geschichte verfilmt, und Graf Darcula folgten viele weitere Vampirfiguren, auch für Kinder und Jugendliche: Graf Zahl aus der Sesamstraße, Rüdiger aus Der kleine Vampir oder eben Edward aus der Twilight – Saga. Anders als Dracula sind diese Figuren nicht mehr gruselig und schrecklich, sondern auch lustig. Aus den abscheulichen und furchteinflößenden Gestalten sind gute Freunde oder schöne Superstars geworden. So können wir heute selbst für den Gruselfaktor sorgen – und uns jetzt an Halloween ein Plastikgebiss mit langen Eckzähnen in den Mund schieben.

© Gerstenberg Verlag

Mehr lesen? Maja Nielsen hat ein Buch zum Thema geschrieben: Vampire – Die wahre Geschichte von Graf Dracula, erschienen im Gerstenberg Verlag