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Tümmler in Sicht!

 

Dass es in ihrer Stadt Delfine gibt, wissen viele Menschen in Istanbul nicht/ © Luisa Stelling
Dass es in ihrer Stadt Delfine gibt, wissen viele Menschen in Istanbul nicht/ © Luisa Stelling

Mitten in der türkischen Großstadt Istanbul leben Delfine. Eine Biologin erforscht den Lebensraum der Tiere, um sie zu schützen. Luisa Seeling hat sie für die KinderZEIT begleitet

Es fahren immer mehr Schiffe durch den Bosporus«, sagt die türkische Meeresbiologin Aylin. »Das ist das Problem.« Mehr als 50000 Schiffe, zum Teil riesige Frachter, durchqueren die Meerenge jedes Jahr. Viele Einwohner der türkischen Stadt wissen gar nicht, dass direkt vor ihrer Haustür Delfine leben. Aylin will das ändern. Sie nimmt regelmäßig Kinder und Jugendliche mit zu Bootsfahrten, um sie ihnen zu zeigen. Außerdem will sie die türkische Regierung davon überzeugen, strengere Regeln für die Schiffe im Bosporus durchzusetzen.

Dazu muss die Biologin aber erst einmal mehr über die Delfine dort herausfinden: Wie viele Tiere gibt es überhaupt? Wo schwimmen sie am liebsten? Vor welchen Booten haben sie Angst? Wie viel Lärm können sie ertragen?

Um Antworten zu finden, beobachtet Aylin die Delfine aus ihrem kleinen Boot heraus. Es fährt mit gedrosseltem Motor, um die Delfine nicht zu stören. »Kleine Fischerboote sind harmlos«, erklärt Aylin. Problematischer seien die großen Frachtschiffe. Sie sind so lang wie ein Fußballfeld, transportieren tonnenschwere Container, und ihre Dieselmotoren verschmutzen das Wasser. Denn viele Schiffe verlieren Motoröl, und das ist giftig für die Fische und Pflanzen.

Forscherin Aylin bei ihrer Arbeit auf dem Bosporus/ Luisa Stelling
Forscherin Aylin bei ihrer Arbeit auf dem Bosporus/ Luisa Stelling

Auch der Lärm macht den Delfinen zu schaffen. So ein Schiffsmotor macht ein Riesengetöse. Unter Wasser verbreiten sich die Schallwellen noch besser als in der Luft. Wenn eine Fähre durch den Bosporus tuckert, ist das für einen Delfin so laut wie ein Presslufthammer für einen Menschen.

Am gefährlichsten sind die Schleppnetze von Fischern. Die sind verboten, werden aber heimlich benutzt. Sie werden hinter großen Dampfern über den Meeresgrund gezogen und können so Abertausende Makrelen oder Blaufische auf einmal fangen. Die Delfine bleiben in den Schleppnetzen hängen und sterben qualvoll. Denn Delfine sehen zwar wie Fische aus, sind aber Säugetiere und müssen atmen. Wenn sie nicht auftauchen können, ertrinken sie.

Auf Aylins Forschungsboot sind immer Helfer an ihrer Seite, und jeder hat eine bestimmte Aufgabe. Aylin beobachtet die Delfine und macht Fotos. Ein Helfer hat ein Klemmbrett mit Tabellen und einen Stift in der Hand. Ein anderer hält den Computer und das GPS-Gerät. Wieder jemand anders steht auf dem Kapitänshäuschen und hält Ausschau, ob Delfine auftauchen.

Meist tun Aylin und ihre Mitarbeiter dann erst einmal eins: warten und aufs Wasser gucken. Als Sonnenschutz wickelt Aylin sich ein buntes Tuch um den Kopf. Damit sieht sie ein wenig aus wie eine Piratin. Irgendwann ruft jemand »Da!« – und die Arbeit geht richtig los. Dann haben sie einen Delfin entdeckt, zum Beispiel einen Großen Tümmler. Er gehört zu den drei Delfin-Arten, die im Marmarameer (siehe Karte) zu finden sind. Große Tümmler werden bis zu vier Meter lang. Sie haben einen schlanken, blaugrauen Körper. In eleganten Bögen tauchen sie immer wieder aus dem Wasser auf.

Jetzt passen alle genau auf. Sie bestimmen mithilfe des GPS-Geräts ihren eigenen Standort und tragen ihn in den Computer ein. So weiß Aylin später genau, wo das Boot war und wo der Delfin aufgetaucht ist. Einer von Aylins Helfern notiert, was die Gruppe sieht: Ist es ein einzelner Delfin oder eine Gruppe? Schwimmt er schnell oder langsam? In welchen Abständen taucht er auf? Außerdem zählen sie die Schiffe, die im Bosporus unterwegs sind. Alles wird in eine Tabelle eingetragen. Dabei müssen die Forscher aufpassen, dass ihnen der Wind nicht das Blatt vom Klemmbrett weht.

»Man kann die Delfine an ihrer Rückenflosse unterscheiden«, erklärt Aylin. Sie sieht bei jedem Tier etwas anders aus, oft hat sie auch Narben oder Kerben. Sie ist wie ein Passfoto. Aber um die Rückenflosse genau zu erkennen, geht alles viel zu schnell. Darum die vielen Fotos: »Die analysieren wir später«, erzählt Aylin. Manchmal gibt sie den Delfinen auch Namen. Da steht dann »Jack« unter den Fotos, »John« oder »Jonathan«. Aylin nennt ihre Kartei »Facebook für Delfine«.

Manchmal haben Aylin und ihre Helfer richtig Glück, und es tauchen immer mehr Delfine neben ihrem Boot auf. Dann haben sie allerdings noch mehr zu tun, und man hört nur noch das Tacktacktack der Kamera an Bord.

Nach ein paar Stunden haben Aylin und ihre Helfer viele Daten und Fotos gesammelt. Es ist eine Riesenarbeit, das alles auszuwerten. Aber eine wichtige Arbeit, sagt Aylin: »Wenn wir mehr über die Delfine wissen, dann wissen wir auch besser, was wir tun können, um sie zu schützen.«

bosporus

Der Bosporus ist eine Meerenge, also ein natürlicher Kanal, der die türkische Stadt Istanbul in zwei Hälften teilt. Er verbindet das Schwarze Meer im Norden mit dem Marmarameer im Süden. Weil es im Bosporus viele Fischschwärme gibt, leben dort Delfine.
Die Biologin Aylin erforscht die Meeressäuger.