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Zwei Erfolge für das UN-Ruanda-Tribunal

Ein paar Tage noch, dann soll am 19. Oktober  in Den Haag der Prozess gegen Radovan Karadzic eröffnet werden. Bevor die Scheinwerfer mal wieder auf das UN-Jugoslawien-Tribunal (ICTY) fallen, ein kurzer Blick auf den anderen UN-Strafgerichtshof, über den kaum einer redet:  Das Tribunal für Ruanda (ICTR).

Eigentlich sollte das ICTR, dessen Sitz sich im tansanischen Arusha befindet, bis 2010 seine Türen schließen. Doch noch laufen über 20 Verfahren – und gerade sind dem Gericht zwei große Fische ins Netz gegangen: Ende September lieferten die kongolesischen Behörden Grégoire Ndahimana nach Arusha aus. Ndahimana, ein Hutu,  war während des Völkermordes 1994 in Ruanda Bürgermeister der Stadt Kivumu und wird beschuldigt, dort ein Massaker an mehreren tausend Tutsi mit organisiert zu haben.

Wenige Tage wurde in Ugandas Hauptstadt Kampala Idelphonse Nizeyimana verhaftet. Nizeyiamana, ein ruandischer Berufsoffizier, stand auf der Fahndungsliste des ICTR ganz oben. Ermittlungen zufolge war er schon von 1990 an mit Plänen für einen Genozid an Ruandas Tutsi befasst und soll Sondereinheiten des Militärs für das Massenmorden im April 1994 befehligt haben. Am Dienstag wurde auch Nizeyimana nach Arusha ausgeliefert. Damit ist die Liste der flüchtigen Angeklagten des ICTR auf elf Namen geschrumpft.

Ruandas Nachbarländer, vor allem der Kongo, nehmen ihre Verpflichtung zur Strafverfolgung jetzt offenbar weitaus ernster. Ndahimana war im August in der kongolesischen Provinz Nordkivu während eines Militäreinsatzes gegen die Hutu-Miliz der FDLR festgenommen worden. In deren Reihen befinden sich bekanntlich mehrere Haupttäter des Genozids von 1994. Auch Nizeyimana, der ehemalige Offizier, war nach 1994 in den Ostkongo geflogen und hatte dort jahrelang für den politischen Flügel der FDLR gearbeitet. Deren Präsident, Ignace Murwanahsyaka, wiederum lebt seit Jahren als politisch anerkannter Flüchtling in Deutschland.

Für das UN-Ruanda-Tribunal sind das zwei bedeutende Fahndungserfolge. Und sie vergrößern das aktuelle Dilemma des Gerichts: Es muss – ähnlich wie das UN-Jugoslawien-Tribunal – seine eigene Abwicklung planen und hat gleichzeitig soviel Arbeit wie selten zuvor.

Für das Gericht in Arusha ist die Verhaftung von Nizeyimana ähnlich bedeutsam wie für das ICTY die Festnahme von Radovan Karadzic. Allerdings kann sie den einen großen Makel des ICTR nicht wett machen: Alle Versuche der Anklagebehörde, auch die Kriegsverbrechen der Tutsi-Rebellengruppe Ruandische Patriotische Front (RPF) zu untersuchen, wurden unterbunden. Die RPF hatte unter ihrem Führer Paul Kagame im Sommer 1994 den Genozid  gestoppt, die Täter mitsamt mehreren hunderttausend ruandischen Hutu in die Flucht geschlagen – und dabei nach Angaben von UN-Ermittlern und Menschenrechtsorganisationen selbst Massaker an mehreren zehntausend Hutu begangen. Kagame selbst hatte massiven Druck auf das ICTR und auf den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ausgeübt, jegliche Ermittlungen in Richtung RPF zu unterbinden – und dabei auch seine exzellenten Verbindungen zu den USA ausgespielt. Mit Erfolg, wie man sieht.

Kagame ist heute Ruandas Präsident und fährt unter internationalem Beifall einen erfolgreichen Kurs, den man als „autoritäre Politik der Versöhnung und des Wiederaufbaus“ bezeichnen kann. Ruanda gilt heute als  afrikanisches Musterländle mit Demokratie-Defizit. Eine Aufklärung der Verbrechen seiner RPF ist in weite Ferne gerückt. Was nicht ausschließt, dass ihn diese Vergangenheit irgendwann doch einholt.

 

Präsident forever? Guinea und Kongo

Was haben Joseph Kabila, Präsident des Kongo,  und Moussa Dadis Camara, Präsident von Guinea, gemeinsam?
Beide sind Armeeoffiziere und Staatschefs rohstoffreicher Nationen mit einer bitterarmen Bevölkerung.
Beide galten einmal als Hoffnungsträger. Kabila, weil er willens war, den horrenden Krieg in seinem Land zu beenden, Camara, weil er nach seinem Putsch im Dezember 2008  korrupte Regierungsmitglieder und Staatsbeamte an den Pranger stellte und versprach, sich nach demokratischen Wahlen aus der Politik zurückzuziehen.
Beide erweisen sich inzwischen für ihre Bürger als lebensgefährlich – vor allem für solche, die öffentlich ihre Grundrechte einfordern.

Camaras Soldaten haben am Montag in der Hauptstadt Conakry ein Massaker angerichtet, über 150 Menschen erschossen, erschlagen oder mit dem Bajonett erstochen, und über 1000 verletzt. Augenzeugen berichten von Frauen, die auf offener Straße von Soldaten vergewaltigt wurden. Die Opfer hatten auf einer Demonstration gegen Camaras Vorhaben protestiert, doch bei den Wahlen anzutreten. Führer, die sich an der Macht fest krallen – das kennt man in Guinea. Camaras berüchtigter Vorgänger Lansana Conté war 24 Jahre an der Regierung, Guineas erster Präsident Sekou Touré 26 Jahre.

50.000 Menschen waren dem Aufruf zur Demonstration gefolgt. 50.000, die trotz anhaltender Repression der Junta auf die Straße gingen. Das deutet auf eine wachsende und mutiger werdende zivile Opposition hin. Die wurde vorerst mit einem Blutbad gestoppt. Camara hat nun eine zweitägige Staatstrauer samt Ausgangssperre angeordnet. Das kann man als Gipfel des Zynismus sehen oder als Versuch, Zeit zu gewinnen. Oder beides.

Kongos Präsident Joseph Kabila, im Gegensatz zu Camara mehr oder weniger demokratisch gewählt, will sich offenbar auf scheinlegalem Weg eine lebenslange Option auf das Präsidentenamt schaffen. Nach Berichten des französischen Auslandssenders RFI, die inzwischen in Kinshasa bestätigt worden sind, soll eine Kommission an der „Reform“ der kongolesischen Verfassung arbeiten: geplant sei unter anderem, so RFI, die Beschränkung auf zwei Amtszeiten für den Präsidenten aufzuheben und die Unabhängigkeit der Justiz maßgeblich einzuschränken.

Von Protesten ist erst einmal nichts zu hören. Die Opposition im Parlament ist faktisch lahm gelegt (wozu, unbeabsichtigt, auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag mit seinem Haftbefehl gegen Kabilas Gegner Jean-Pierre Bemba beigetragen hat). Der Geheimdienst kehrt langsam zu alter Form zurück,  Militär-und Polizeigewalt gegen politische Gegner ist gängige Praxis. Attacken auf Journalisten und Menschenrechtler häufen sich – vor allem dann, wenn diese Korruption und dubiose Deals zwischen Regierung und Rohstoff-Firmen recherchieren. „Hier geht’s wieder zu wie unter Mobutu“, klagen Menschenrechtler. Militärs, die sich an der Macht festkrallen – das kennen die Kongolesen. Mobutu Sese Seko regierte 32 Jahre lang.

Und nun? Breite Wirtschaftssanktionen verhängen?

Schwierig bis unmöglich, weil oft kontraproduktiv und im UN-Sicherheitsrat vermutlich nicht durchsetzbar. Im Fall von Guinea könnte allerdings die politische Krise die Investoren nervös werden lassen. Guineas marode Wirtschaft hängt fast völlig vom Bauxit-Export ab. Bislang haben sich Konzerne wie Rio Tinto und UC RUSAL weder an der Repression unter Lansana Conté noch am erratischen Benehmen von Camara gestört. Das könnte sich ändern.

Was noch – außer Protestnoten zu formulieren?  Die Afrikanische Union (AU) spielt im Fall Guinea eine wichtige Rolle. Die AU ist zwar selbst alles andere als ein lupenreiner Club der Demokraten. Aber sie hat in den vergangenen Jahren den Trend weg vom Diktatorenunwesen hin zur Wahlkabine unterstützt und Putschisten in mehreren afrikanischen Ländern politisch abgestraft.

Gleich nach dem Militär-Putsch Ende vergangenen Jahres hatte die AU Guineas Mitgliedschaft suspendiert und dann Mitte September weitere gezielte Sanktionen gegen Junta-Mitglieder angedroht, sollte Camara tatsächlich bei den Wahlen kandidieren. ECOWAS, die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, fordert inzwischen eine internationale Untersuchungskommission, um das Blutbad zu untersuchen. Vertreter aus diesen Institutionen werden – mit Unterstützung von EU und UN – jetzt versuchen müssen, zu vermitteln und zunächst das Schlimmste zu verhindern: weitere Gewalt gegen Zivilisten, einen Gegenputsch durch rivalisierende Fraktionen in der Armee, einen totalen Staatskollaps. Dann befände sich Guinea schnell in der Dauerkatastrophe eines failed state mit Bürgerkrieg, aus der seine Nachbarländer Liberia und Sierra Leone gerade mühsam heraus kriechen.

Der politische Druck zeigte Mitte der Woche erste Wirkung.  Camara ließ verkünden, er wolle nun eine Übergangsregierung unter Beteiligung aller Parteien – und eine Untersuchungskommission.

Im Kongo ist die internationale Gemeinschaft mit einem anderen Problem konfrontiert, das sie selbst mit geschaffen hat: Europa und die USA haben den Aufstieg Joseph Kabilas massiv unterstützt – und dann zähneknirschend hingenommen, dass der Mann im Umgang mit der Opposition eben jene  Schlagstöcke (und Schlimmeres) einsetzt, die von der EU für den Aufbau einer neuen Polizei gestiftet worden sind. Kabila ist, wenn man so will, der afrikanische Karzai des Westens: Strategisch zu wichtig, als dass man ihn fallen lassen könnte oder wollte. Die Vorteile seiner Hausmacht wiegen in Kriegszeiten – und die herrschen im (Ost)Kongo wie in Afghanistan – schwerer als seine politische Repression und sein zunehmend autoritäres Gebaren.

Also wieder die Frage: was tun? Zunächst einmal demokratische Oppositionelle und Bürgerrechtler schützen und unterstützen, was zum Teil auch geschieht. Die Justiz stärken: Menschenrechtsgruppen fordern schon länger „hybride Gerichte“ mit kongolesischen und internationalen Richtern , um die massiven Menschenrechtsverletzungen von Polizei und Armee zu verfolgen.

Mehr Hilfe für Provinzverwaltungen. Und schließlich internationales shaming and naming. Die Verfassung ist eine der wichtigsten Errungenschaften in der kongolesischen Nachkriegszeit. Die ganze internationale Buchstabensuppe von AU über EU bis UN und USA wird klar machen müssen, dass Kabila die Verfassung nicht auf dem Schleichweg klein „reformieren“ kann. Schon allein um des viel zitierten Friedens willen. Kabilas Macht ist gewachsen, seine Beliebtheit keineswegs, schon gar nicht in Kinshasa, wo er noch nie besonders populär war. Sollte er wirklich die „Mobutu-Option“ der lebenslangen Präsidentschaft anstreben, sind auch die Kinois womöglich irgendwann auf den Barrikaden.

 

…und nun zum Wetter (2): Die Stadt, die Flut und die Beatles

Kennen Sie Ouagadougou? Peer Steinbrück, unser launiger Finanzminister, hat neulich mal im Streit um Steueroasen die Schweiz mit Ouagadougou verglichen, was erstere sehr übel nahm. Eigentlich hätten die Bewohner der Hauptstadt von Burkina Faso mindestens so viel Grund gehabt, beleidigt zu sein. Erstens ist ihr Land anders als die Schweiz kein Hafen für schmutziges (oder hinterzogenes) Geld und zweitens findet dort alle zwei Jahre das pan-afrikanische Film-und Fernsehfestival statt, inzwischen die Top-Adresse für unabhängige Filmemacher des Kontinents und damit ein afrikanisches Cannes. Nur ohne Strand und Yachten.
Anfang September hat es Burkina Faso samt Hauptstadt bei den schlimmsten Regenfluten seit Jahrzehnten böse erwischt. Krankenhäuser,  Wohngebiete und die nationale Cinematheque standen oder stehen noch unter Wasser, abertausende Menschen sind obdachlos. Ähnlich sieht es in Sierra Leone, im Niger und im Senegal aus. Betroffen sind vor allem die Städte wie Freetown und Dakar, also rapide wachsende Ballungszentren ohne Stadtplanung und ausreichende Infrastruktur. Inwieweit das Hochwasser schon eine Folge der Erderwärmung ist, darüber scheiden sich die Geister der Experten noch. Jedenfalls ist es ein Vorgeschmack auf die Konsequenzen des Klimawandels, die genau jene am schlimmsten treffen werden, die am wenigsten dafür können.
In Dakar richteten die Einwohner ihre Wut jedoch nicht gegen Industrienationen, sondern gegen die eigene Regierung, deren Präsident Abdoulaye Wade sich das ganze Desaster aus dem Urlaubsdomizil ansah. Im Senegal wird eher selten demonstriert, aber dieses Mal flogen Steine, brannten Reifen.
Nicht schön, aber vielleicht trotzdem die gute unter all den schlechten Nachrichten. Nous en avons marre lautet die Parole, wir haben die Schnauze voll. Nicht nur vom Hochwasser und der kläglichen staatlichen Nothilfe, sondern von ständigen Stromausfällen und wachsender Kriminalität.
Youssou N’Dour, Senegals musikalischer Superstar, hat den Zorn seiner Landsleute unter dem Titel Leep mo Lendem (Alles liegt im Dunkeln) gerade zur Melodie des  des Beatles-Song Ob-la-di-ob-la-da vertont, womit viele Senegalesen nun ihrerseits kleine Protestvideos im Internet vertonen.
Wem die Beatles für den Ernst der Lage zu nett klingen, der dreht die Songs des senegalesischen Rappers Didier Awadi auf. Einer seiner Hits heisst Sunugal (Unser Boot). Sunugal ist eine harsche Anklage gegen die eigene Elite, deren Politik immer mehr junge Männer aus dem Land und auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa treibt. Und es ist auch ein wütender Appell an eben diese jungen Männer, gefälligst hier zu bleiben und Druck zu machen.

 

…und nun zum Wetter: Frau Merkel, der Nil und der Klimaschutz

Wer am Sonntag Abend das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier gesehen hat, weiß jetzt einiges über den politischen Horizont deutscher Fernsehmoderatoren. Die Frage, ob  Kanzlerin und Vize-Kanzler sich duzen, erschien den vier Journalisten offenbar relevanter als solch öde Sachthemen wie der Klimawandel, an dem bekanntermaßen auch ein paar andere globale Schicksalsfragen hängen. Zum Beispiel die Versorgung großer Regionen mit Trinkwasser, die Zukunft der Landwirtschaft und die weltweite Migration.
Die UN haben gerade in ihrem jährlichen World Economic and Social Survey (WESS) einen konkreten Vorgeschmack auf das Wetter von morgen und seine Folgen für Welternährung und Gesundheit gegeben. Der UN-Nachrichtenservice IRIN hat sich die Mühe gemacht, die wichtigsten Prognosen für Afrika heraus zu filtern, also für jenen Kontinent, der eigentlich schon genug andere Probleme hat. Wie so oft gilt auch hier: die Lage ist dramatisch – und komplex.
Ägypten droht bei steigenden Temperaturen in den nächsten vierzig Jahren ein Rückgang um bis zu 30 Prozent bei landwirtschaftlichen Erträgen. Verminderte Niederschläge könnten den Flusslauf des Nils verändern. Alles in allem kann das heißen: Dramatisch weniger Trinkwasser und dramatisch teurere Lebensmittel für eine wachsende Bevölkerung.
In Kenia würde ein Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter Einnahmen aus der Landwirtschaft dezimieren, Hochlandregionen in Äthiopien hingegen könnten bei wärmeren Temperaturen und mehr Niederschlag mit einer längeren Anbau-Saison rechnen. Die Menschen in westlichen Sahelzone dürfen sich bei fortschreitender Erderwärmung darauf freuen, dass Malaria rapide zurück geht. Dafür müssten sich die sehr viel zahlreicheren Bewohner des Rift-Valley auf mehr und heftigere Fieber-Epidemien einstellen.
Nun wird jeder deutsche Wahlkampfstratege oder Fernsehmoderator sagen, dass der Flusslauf des Nils nichts im Bundestagswahlkampf zu suchen hat und es bedauerlicherweise das Publikum überfordert, deutsche Umweltpolitik im Kontext des Niedergangs der Lagunen-Fischer im Golf von Guinea zu erklären.
Mag ja sein. Aber Umfragen zufolge hält die Mehrheit der Deutschen den Klimawandel für bedrohlich, weswegen einige von ihnen sogar Blogs von Experten lesen, die mit Fakten, Zahlen und Grafiken gespickt sind. (Empfohlen sei an dieser Stelle zum Beispiel KlimaLounge, das Blog der drei Klimaforscher Anders Levermann, Stefan Rahmstorf und Martin Visbeck)
Ein oder zwei Fragen an die beiden Spitzenkandidaten zum Thema CO2-Emissionen hätten den Aufmerksamkeitspegel der Zuschauer am Sonntag also eher erhöht als gesenkt.
Womit wir wieder bei den wirklich wichtigen Dingen wären: Duzen sich Frau Merkel und Herr Steinmeier nun?
Keine Ahnung. Ich glaube nicht.

 

In Sachen FDLR

So kurzlebig können bessere Nachrichten aus dem Kongo sein. Vorvergangenen Freitag hatte der deutsche Server OVH auf Intervention der Berliner tageszeitung die Website der Hutu-Miliz FDLR abgeschaltet. Seit einigen Tagen ist die Seite, offenbar mit neuer Registrierung bei einer britischen Web-Firma wieder online. So viel zu den Tücken der Globalisierung.

Zur Führung der FDLR gehören Mitverantwortliche des Völkermords 1994 in Ruanda. Auf ihrer Website  dementiert die FDLR  wortgewaltig jedes Statement der UN, jeden Zeitungsartikel über Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutungsstrategien, mit der die Miliz seit Jahren die Bevölkerung im Ost-Kongo terrorisiert. Zuletzt erregte ein Bericht der „New York Times“ den Ärger der FDLR-Führung. Darin berichten Reporter über demobilisierte Hutu-Rebellen aus Burundi, die – ohne Arbeit und Einkommen – nur zu gern den Lockrufen der FDLR folgen und im Kongo wieder zur Waffe greifen. Die verspricht den Söldnern Diamanten, Gold und einen heldenhaften Kampf für die Sache der Hutu. Kommentar der FDLR: „Schamlos erlogen.“

Fakt ist: Diese Rekrutierungen finden statt, wie die UN bestätigen. Der Konflikt zwischen den Ethnien der Tutsi und der Hutu hatte auch in Burundi einen jahrelangen Bürgerkrieg mitangefacht. Dessen Spätfolgen schwappen wieder einmal in Gestalt von Wander-Rebellen in den Kongo. So viel zur Grenzenlosigkeit von Konflikten.

Die Pressemitteilungen der FDLR werden übrigens nicht mehr von deren Präsidenten Ignace Murwanashyaka unterzeichnet. Murwanashyaka, der seit Jahren in Mannheim als anerkannter politischer Flüchtling lebt, verzichtet derzeit auf öffentliche Äußerungen. Weil er wiederholt gegen ein Verbot der politischen Betätigung für die FDLR verstoßen hatte, wurde er vor einigen Monaten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das Verbot hatte die Stadt Mannheim verhängt, der inzwischen aufgegangen ist, wer sich da in ihrem Zuständigkeitsbereich nieder gelassen hat.

Als Sprachrohr fungiert nun der in Paris lebende Exekutiv-Sekretär der FDLR, Callixte Mbarushimana. Mbarushimana arbeitete 1994 in Kigali für das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) und war laut eines UN-Ermittlungsberichts an der Ermordung von 32 Tutsi beteiligt – darunter seine Kollegen bei UNDP. Das Internationale Ruanda-Tribunal (ICTR) stellte das Verfahren 2002 ein. Mbarushimana galt offenbar als „zu kleiner Fisch“. Er bekam schließlich politisches Asyl in Frankreich, nachdem er – trotz Berichten über seine Beteiligung am Genozid – noch mehrere Jahre weiter bei den Vereinten Nationen gearbeitet hatte. Im Juli 2008 wurde er auf dem Flughafen Frankfurt festgenommen, Anfang November aus der Untersuchungshaft wieder entlassen. Angeblich reichten die Beweise nicht aus, um ein Verfahren zu eröffnen. So viel zur internationalen Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrecher.

 

Better News from Congo (2)

Genau gesagt, kommen die besseren Nachrichten nicht aus dem Kongo, sondern aus Berlin. Einige werden sich an den ZEIT-Artikel über Ignace Murwanashyaka erinnern. Murwanashyaka ist Präsident der FDLR, jener Hutu-Miliz, die unter anderem von Hauptverantwortlichen des Völkermords in Ruanda 1994 geführt wird und die seit ihrer Flucht in den Ostkongo dort die Bevölkerung terrorisiert und Rohstoffe plündert.

Der über Interpol gesuchte Murwanashyaka lebt nicht im Kongo, sondern als Asylberechtigter in Deutschland. Von seinem Wohnsitz in Mannheim aus leitet er seit Jahren die FDLR und organisiert zusammen mit anderen Exil-Ruandern Unterstützung aus dem Ausland. Er war mehrfach zu FDLR-Milizen im Ost-Kongo gereist und steht laut eines Untersuchungsberichtes der UN in ständigem Kontakt mit FDLR-Kommandanten in den Kivu-Provinzen. UN-Experten kritisieren seit Jahren, dass westliche Regierung das Exil-Netzwerk der FDLR weitgehend ungestört schalten und walten lassen – zum Beispiel durch Finanztransaktionen oder durch Propganda mit Hilfe einer Website.

Die ist nun seit Freitag nachmittag abgeschaltet. Die taz hatte sich die Mühe gemacht, beim verantwortlichen Server, der Firma OVH, nachzufragen, ob ihr eigentlich klar sei, wessen Seite sie da unter der Adresse fdlr.org hostet. Offenbar hatte OVH schon früher Informationen von den UN über die Hutu-Miliz erhalten. Doch gegenüber der taz gab sich die Geschäftsleitung ahnungslos. „Kenntnis von diesem Kunden haben wir erst heute durch Sie erlangt“, schrieb sie an die Redaktion in Berlin. „Die Website fdlr.org haben wir vom Netz getrennt und dem Kunden fristlos gekündigt.“

Nein, ein vernichtender Schlag gegen die FDLR ist das nicht. Aber ein überfälliger Schritt, das zu tun, was UN-Experten seit Jahren von den Mitgliedsländern fordern: das Netzwerk der FDLR-Diaspora auszuhebeln.

Was die Nachrichten aus dem Ostkongo angeht: die sind weiterhin schlecht. Die Militäroffensive der kongolesischen Armee gegen die FDLR hat eine neue humanitäre Katastrophe ausgelöst. Beide Kampfparteien begehen horrende Verbrechen an der Zivilbevölkerung. NGOs und Kongo-Experten sind sich längst einig  darüber, dass „Operation Kimia II“, wie der Militäreinsatz genannt wird, abgebrochen werden muss.

Und was dann? Die International Crisis Group schlägt eine Alternativstrategie vor: absolute Priorität des Schutzes von Zivilisten durch die UN und die Armee; ein neues Programm zur Demobilisierung und Entwaffnung vor allem jüngerer FDLR-Milizionäre, von denen viele offenbar die Nase voll haben vom bewaffneten Kampf; Angebote zur Umsiedlung in Drittländer für solche, die nicht am Genozid 1994 beteiligt waren, aber Angst vor einer Rückkehr nach Ruanda haben; und, last not least, Militäreinsätze von professionell ausgebildeten (und bezahlten) Einheiten gegen den harten Führungskern der FDLR.

Was fehlt? Eigentlich nichts, außer ein paar Millionen Dollar und dem politischen Willen von Berlin über Brüssel bis Washington, diese Strategie auch umzusetzen.

 

Die unausprechliche Tat: Vergewaltigung von Männern

Es war nie mehr als ein Flüstern. Als Frauengruppen nach dem Bosnien-Krieg forderten, Massenvergewaltigungen endlich als Kriegsverbrechen zu ahnden (statt sie wie bisher als „normale Kollateralschäden“ zu bedauern), da machten auch Gerüchte über vergewaltigte Männer die Runde. Aber niemand wagte, laut darüber zu reden.
„Um Himmels willen, seien Sie still“, bat flehentlich die Mitarbeiterin eines Frauenzentrums im Kosovo, als ich kurz nach Kriegsende 1999 nach männlichen Opfern sexueller Gewalt fragte. „Viele“, sagte sie schließlich, als wir wieder im Auto saßen, und uns niemand hören könnte. „Viele von denen, die in serbischen Gefängnissen waren.“ Aber niemand, absolut niemand könne darüber reden. Schon gar nicht die Betroffenen selbst.

Jetzt hat Jeffrey Gettleman, Afrika-Korrespondent der New York Times, im Ostkongo mehrere Männer getroffen, die mutig oder verzweifelt genug waren, über das zu sprechen, was ihnen angetan wurde: einer von ihnen, Kazungu Ziwa, ein 53 jähriger Tierpfleger wurde vor mehreren Wochen von Bewaffneten nachts in seiner Hütte überfallen und vergewaltigt. „Allein der Gedanke an das, was mir passiert ist“, sagt Ziwa, bringe ihn an den Rande der Erschöpfung. Ziwa und einige andere Männer waren nicht nur bereit, über ihr Schicksal zu reden, sondern ließen sich auch fotografieren.

Vergewaltigung ist das einzige Verbrechen, bei dem die Scham der Tat am Opfer, nicht am Täter hängen bleibt. Gerade deshalb funktioniert sexuelle Gewalt so gut als Waffe im Krieg. Frauen werden nach einer Vergewaltigung oftmals von ihren Männern verstoßen, womit nicht nur das Leben des Opfers, sondern das einer ganzen Familie, eines ganzen Dorfes zerstört werden kann. Mit dem sozialen Tod des Frau verschwindet immer auch eine Mutter, eine Bäuerin – und damit auch die Versorgerin einer ganzen Gruppe.

Auch Ziwa weiss, dass ihn seine Familie und Nachbarn nun ächten. In ihren Augen ist er zum „Buschweib“ geworden. Bei der Vergewaltigung von Frauen besteht die soziale Erniedrigung darin, sie – und damit die Ehre der Gemeinschaft – zu „beschmutzen“ und zu „schänden“. Bei vergewaltigten Männern besteht sie darin, dass sie zu Frauen „degradiert“ werden.

Sexuelle Kriegsgewalt gegen Männer ist inzwischen gerichtskundig. Das UN-Jugoslawien-Tribunal in Den Haag hat mehrere Fälle in Anklageschriften dokumentiert. Aber niemand hat je verläßliche Angaben oder Schätzungen über die Anzahl männlicher Opfer in Bosnien und im Kosovo liefern können. Zu groß ist das Tabu, zu groß die Angst der Betroffenen, darüber zu reden.

Im Kongo sind Zahlenangaben noch schwerer zu verifizieren. Hilfsorganisationen berichten einhellig, dass im Zuge der Militäroperationen gegen die Hutu-Milizen der FDLR die Zahl der Vergewaltigungen durch alle Konfliktparteien dramatisch gestiegen ist. Etwa zehn Prozent der Fälle betreffe Männer, meldet die American Bar Association, die amerikanische Anwaltskammer, die in Goma, der Hauptstadt der Provinz Nordkivu, eine juristische Beratungsstelle aufgebaut hat. Doch gezielte Hilfsangebote für männliche Opfer gibt es bislang keine.

 

Hillary in Afrika

Politikerinnen in Afrika brauchen ein dickes Fell. Das gilt auch für ausländische Ministerinnen auf Besuch. Hillary Clinton befindet sich derzeit auf einer Mammut-Tour durch sieben Länder südlich der Sahara. In Kenia bot ein Lokalpolitiker 40 Ziegen und 20 Kühe für ihre Tochter Chelsea – als Zweitfrau. In Kinshasa forderte man sie bei einer Fragestunde mit Studenten auf, die Ansichten ihres Gatten Bill zu den Problemen des Kongo wiederzugeben. Madame Secretary was not amused. „Mein Mann ist nicht der Außenminister. Ich bin die Außenministerin.“

Zumindest die gastgebenden Staats-und Regierungschefs dürften das begriffen haben. Kenia, Südafrika, Nigeria, Angola und die Demokratische Republik Kongo erlebten eine amerikanische Außenministerin, die ihre Doktrin der smart power recht beeindruckend vorführte. Salopp formuliert besagt die Strategie der „klugen Macht“ gegenüber Afrika: ‚Hallo, Amerika nimmt den Kontinent ernst – als potenzielle Wirtschaftsmacht, als potenziellen Sicherheitspartner. Amerika braucht und will afrikanische Rohstoffe. Aber Amerika ist nicht China, das bei seinen Geschäften in Afrika weder Menschenrechte noch Korruption anspricht.’

Und so mussten sich die Gastgeber einiges anhören: Kenias Regierung bekam einen öffentlichen Rüffel für ihre Weigerung, die Drahtzieher des Bürgerkriegs im Januar 2008 zur Verantwortung zu ziehen; Südafrikas Jacob Zuma wurde eindringlichst aufgefordert, eine härtere Gangart gegen Zimbabwes Robert Mugabe einzulegen; Kongos Präsident Joseph Kabila hatte offenbar eine keineswegs harmonische Diskussion mit Clinton über die verheerende sexuelle Gewalt im Osten des Landes, für die vor allem seine Armee verantwortlich ist. In Angola, dessen Erdöl die USA brauchen, schloss Clinton ein Handelsabkommen ab und gab ganz forsch der Presse bekannt, dass ihr notorisch demokratiescheuer Gastgeber José Eduardo dos Santos „baldmöglichst“ Wahlen abhalten wolle.

Und Nigerias Führung musste schon vor der Ankunft Clintons vernehmen, dass Washington das westafrikanische Land als das „wichtigste südlich der Sahara“ ansieht. Und als „das korrupteste“.
Alles nur Rhetorik? Natürlich ist das alles erst mal nur Rhetorik. Aber die Rhetorik von Menschenrechten und good governance, kann ein politisches Klima schaffen, in dem Reformwillige bestärkt werden. Nicht mehr und nicht weniger hat Hillary Clinton jetzt geleistet.

Barack Obama hatte wenige Wochen zuvor mit seiner ersten Afrika-Reise den Boden bereit, wobei sein Auftritt in Ghana eher unter die Rubrik „Afrika-findet-seinen-Superstar“ fiel. Hillary kam nun mit ihrer smart power und klug gewählten, diplomatischen Provokationen hinterher.

Nirgendwo wurde das deutlicher als im Kongo. So ungeschminkt wie kein anderer Staatsgast hat Clinton die erbärmliche Bilanz der kongolesischen Regierung benannt – angefangen von der Korruption bis hin zur Epidemie der sexuellen Gewalt und der anhaltenden Straflosigkeit für Vergewaltigunger. Die Regierung sei aus schwierigsten Bedingungen „nach mehreren Jahren des Krieges hervorgegangen“, sagte sie im Rundfunk. „Aber es gibt keine Ausreden mehr.“ Und weil die schärfste Kritik immer dann am besten wirkt, wenn man sich auch an die eigene Nase fasst, verlangte sie nicht nur von Staatspräsident Kabila mehr Einsatz, sondern auch von den Vereinten Nationen und den USA. 17 Millionen Dollar hat Clinton für den Kampf gegen sexuelle Gewalt zugesagt, was den Aufbau einer Sondereinheit der Polizei miteinschließen soll.

Diese Politik des gezielten Brüskierens funktioniert langfristig nur dann, wenn man moralische Rhetorik nicht durch politische und militärische Praxis konterkariert. Diese Lehre sollte die Obama-Administration nach Guantanamo und waterboarding begriffen haben. Nirgendwo lässt sie sich besser umsetzen als in Afrika, denn nirgendwo sonst haben die USA – unabhängig vom Obama-Bonus – noch so viel moralisches Kapital.

Das kann man ganz schnell verspielen. Äquatorial-Guinea, ein kleines Land an der westafrikanischen Küste, stand wohlweislich nicht auf der Reiseroute der amerikanischen Außenministerin. Äquatorial-Guinea hat außer viel Öl und Gas seit 30 Jahren auch einen der brutalsten Diktatoren zu bieten. Teodoro Obiang Nguemo heisst der Mann. Der mit Abstand größte Investor in dem kleinen Land sind die USA. Die amerikanische Außenministerin nannte Obiang bei einem Staatsbesuch in Washington „einen guten Freund“. Das ist jetzt drei Jahre her, und die Ministerin hieß damals noch Condoleeza Rice. Die Zeiten können sich ändern. Können. Bis 2015 wollen die USA 25 Prozent ihrer Ölimporte aus dem Afrika südlich der Sahara beziehen. Man darf gespannt sein, wie sich das mit der Doktrin der smart power vereinbaren lässt.

 

Fellini in Kinshasa

Beach Ngobila, gegen halb vier Uhr nachmittags. Sie preschen um die Ecke Richtung Markt, als müssten sie eine Festung stürmen. Vornweg die Beinamputierten auf Dreirädern, schwitzend die Handpedale kurbelnd. Ihre Gesichter sind verzerrt vor Angst aus der Kurve zu kippen. Auf ihren Ladeflächen türmen sich Kisten und Säcken. Links und rechts schieben, zerren und brüllen ihre Gehilfen, Halbwüchsige mit gesunden, kräftigen Armen und Beinen. Dazwischen lauern, hoch konzentriert, die  Straßenkinder auf ihre Chance – einen Unfall, einen Wagenbruch oder eine herunterpurzelnde Kiste. Auf Kniehöhe wischt ein bulliger Kerl vorbei. Als hätte ihn jemand in der Mitte durchgehauen, sitzt sein Rumpf auf einem Holzbrett mit Rädern, er schiebt sich mit den Händen voran, weicht geschickt den Schlaglöchern und den Krüppeln aus, die auf Krücken hinterher spurten und ihre Beine wie die einer Marionette hin-und her schleudern.
Fellini in Kinshasa? Nein. Die Fähre aus Brazzaville ist angekommen. Ada steht mitten im Gewühl und sagt, ich solle beim Markt auf ihn warten, bis alles abgewickelt ist.

Ada Ketou ist 36 und vom Kopf bis zur Hüfte ein muskulöser Mann. Seine Beine sehen aus wie zwei abgeknickte Hölzer. Ich habe ihn das erste Mal 2002 getroffen und eine Geschichte über ihn geschrieben, die ich ihm jetzt, sieben Jahre später, mitbringe. Bisschen spät, findet Ada, aber besser als nie.

Ada erkrankte mit sechs Jahren an Polio. Eine Tante habe ihn verhext, hatte er mir erzählt, aus Eifersucht, weil er beliebter und hübscher gewesen sei als ihre eigenen Kinder. Wenn jeder Eifersuchtsanfall solche Folgen hätte, d ich mir, säße ganz Kinshasa im Rollstuhl.

Aus Ada Ketou wäre in den meisten anderen afrikanischen Ländern ein Bettler geworden. In Kinshasa ist er Vizepräsident einer Gewerkschaft, Mitglied einer Fußballmannschaft, Warenimporteur und Exporteur am Beach Ngobila. Außerdem verheiratet und Vater von fünf Kindern.

Beach Ngobila ist kein Badestrand, sondern Kinshasa in Reinkultur: Verkehrsknotenpunkt, Industrieruine, Warenumschlagplatz, Jagdgebiet für Polizisten und Zöllner, kleinkrimineller Brennpunkt, Solidargemeinschaft, Müllhaufen und Herrschaftsgebiet der Amputierten, Behinderten und Kriegsversehrten. Zweimal am Tag kreuzt die Fähre, ein Kahn, der an Humphrey Bogarts „African Queen“ erinnert, den Fluss zwischen Kinshasa und Brazzaville, beladen mit Warenbergen und Menschentrauben. An drei Tagen in der Woche tauscht Ada seine Krücken gegen den selbstgebauten Lastrollstuhl, belädt ihn mit Seife, Waschpulver, Streichhölzern, Schaumgummi-Matratzen oder was immer in Kinshasa gerade billiger ist als in Brazzaville, rollt mit Gebrüll hinein in die schubsende, keifende Menschenmenge und auf den morschen Planken hinauf an Bord.

Auf der anderen Seite das gleiche Spektakel, jeder handicapé hat an beiden Ufern seine halbwüchsigen Gehilfen, die beim Be-und Entladen helfen, Straßenkinder verjagen und wie kleine Eisbrecher Schneisen durch das Gewühl zu den Marktfrauen schlagen. Für sechs Dollar kauft Ada in Kinshasa einen Karton Seife, für acht verkauft er ihn in Brazzaville. Zurück fährt er mit bunt bedruckten Stoffen, safrangelb, azurblau, karminrot, afrikanische Muster, alles made in China. Acht Dollar pro Bahn, in Kinshasa zahlen die Händlerinnen zehn. Das klingt nach einer sicheren Profitmarge, aber die Zeiten sind schlecht, der Umsatz rückläufig, der Kurs des kongolesischen Franc taumelt. Außerdem müssten auch die Behinderten jetzt Zoll zahlen, behauptet er.

Mobutu hatte seinerzeit bei seinen Orgien der Selbstbereicherung immer wieder ein paar Krümel für das Volk fallen gelassen. Für die Behinderten und Gelähmten, von Gott und den Geistern genug gestraft, verfügte er eine Zollbefreiung. Das schuf einen Marktvorteil, ein Monopol und (mindestens) eine Gewerkschaft, die  Union des handicapés pour devéloppement (UHPD), die „Vereinigung der Behinderten für Entwicklung“. Im Volksmund auch „die Römer“ genannt, weil sich Geschäftsleute in Kinshasa zumindest anfangs an die Mafia erinnert fühlten. Wer sich mit der UHPD anlegte, hatte schnell ein Kommando Einbeiniger, Buckliger und Hinkender vor der Ladentür. Was den Umsatz empfindlich schmälern kann, denn kein Kinois geht gern in ein Geschäft, das von Verhexten blockiert wird.

Ada lächelt sein Sunnyboy-Lächeln. Alte Geschichten, alles übertrieben. Außerdem müsse jeder sehen, wo er bleibt. Das Leben werde ja nicht billiger. Die Fahrt auf der Fähre koste inzwischen fast zehn Dollar, Mitgliedsbeiträge und Sozialabgaben an die UHPD sind abzuführen, Gehilfen müssen bezahlt, Polizisten bestochen werden. Ich solle morgen mitkommen, sagt Ada, nach Brazzaville. „Wir spielen am Sonntag gegen die andere Seite.“ Geht nicht, sage ich, kein Visum.
„Die andere Seite“ – das ist die Fußballmannschaft der handicapés aus Brazzaville, Hauptstadt der Republik Kongo. Fußball trifft die Sache nicht ganz. Es handelt sich um Bodenakrobatik. Die Spieler bewegen sich auf Händen und Knien, hechten und rollen übers Feld. Ada sitzt oder kniet im Tor. Seine Mannschaft hat  noch eine Rechnung offen gegen Brazzaville, denn das letzte Spiel ging vor heimischem Publikum verloren.
Irgendwelche Schwachpunkte in der Mannschaft?
Welch eine Frage. „Bei uns gibt’s keine Schwachpunkte.“
Am Montagmorgen ruft Ada an. Statt der Revanche gab es nur ein Remis. 1:1. Er klingt kleinlaut, weswegen ich einen Torwartfehler vermute und nach etwas Aufmunterndem suche.
„Spielen Deine Kinder Fußball?“
„Ja. Der Älteste ist gar nicht schlecht. Ist schnell, der Kleine.“ Und läuft auf zwei Beinen.
Ada hat alle seine Kinder gegen Polio impfen lassen. Wer sie verhexen will, muss sich etwas anderes einfallen lassen.

 

Better News from Congo

„Better News statt Bad News“ – so nennt Winfried Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, seinen Rundbrief über das, was in Afghanistan außer Selbstmordanschlägen und Gefechten mit den Taliban passiert. Das ist eine ganze Menge: unter die Rubrik „Bessere Nachrichten“ fallen die beste Getreideernte seit 30 Jahren, ein rückläufiger Mohnanbau, ein Innenminister, der es offensichtlich ernst meint mit dem Kampf gegen Korruption und Drogenschmuggel, und deutsche Entwicklungsexperten vor Ort, die trotz kritischer Sicherheitslage nicht weniger sondern mehr Aufbauprojekte fordern. Mit Schönfärberei haben Nachtweis „Better News“ nichts zu tun. Er kennt Afghanistan so gut wie kaum ein anderer Politiker. Die Entwicklung dort beschreibt er als „komplex und uneindeutig“ – und es fuchst ihn, dass Journalisten dank ihrer Obsession mit Militär, Bomben und Krieg dieses Land zum „hoffnungslosen Fall“ erklärt haben. Wer sich also ein genaueres Bild von der Lage zwischen Kunduz und Kandahar machen will, wird diese Lektüre schätzen – und sehr bedauern, dass Nachtwei nach 15 Jahren aus dem Parlament ausscheidet.

„Better News“ oder: „Uneindeutig und komplex“ – diese Rubrik gibt es ab sofort auch aus dem Kongo. Die Berichterstattung über dieses Land fällt zwar sehr viel spärlicher als über Afghanistan. Aber auch im Fall Kongo hat sich die mediale Wahrnehmung auf einige wenige Aussagen reduziert: es ist heiß, es gibt viele Rebellen und viele vergewaltigte Frauen. Alles richtig, und in seiner Ausschließlichkeit doch völlig falsch.
Deshalb also – frei nach Erich Kästner – nicht die Frage: Wo bleibt das Positive? Sondern: Wo bleibt das  Komplexe?
Fangen wir im Ostkongo an. Über die Militärkampagne gegen die Hutu-Rebellen der FDLR (Forces démocratiques de libération du Rwanda) mit ihren verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung wurde in den vergangenen Wochen einiges berichtet.
Dagegen liest und hört man fast nichts über das politische Tauwetter zwischen dem Kongo und Ruanda, das auf die gesamte Region der Großen Seen ausstrahlen kann. Nicht nur auf nationaler, auch auf Provinzebene läuft die Zusammenarbeit zwischen dem Kongo, Ruanda, Burundi und Uganda inzwischen deutlich besser. In der ehemals schlimmsten Kriegsregion seit 1945 lebt langsam der alte Traum von einer Handelszone ohne Schlagbäume, Zölle und Steuerschranken wieder auf. Handel statt Schmuggel, freier Grenzverkehr statt latentem Kriegszustand.
Und was passiert „ganz unten“ in den Städten und Dörfern? Kamituga, die völlig auf den Hund gekommene Bergwerksstadt in Süd-Kivu, war 2006 fast völlig vom Straßenverkehr in die Provinzhauptstadt Bukavu abgeschnitten. Sämtliche Waren mussten mit altersschwachen Antonows für teures Geld eingeflogen werden. Ins örtliche Krankenhaus gingen die Leute höchstens noch zum Sterben, und wer nach der Behandlung doch wieder nach Hause wollte, den sperrten die Ärzte ein, bis die Rechnung bezahlt war.
Drei Jahre später ist die Stadt ist immer noch mehr Krisengebiet als Lebensraum. Aber inzwischen gibt es wieder eine Straße nach Bukavu, und ein Team von Cap Anamur baut in mühseliger Kleinarbeit das Krankenhaus wieder auf. Wie das aussieht, hat der Fotograf Jürgen Escher eindrucksvoll dokumentiert. Ebenfalls empfehlenswert die Erfahrungsberichte der Ärzte auf der Website von Cap Anamur.
Die behandeln zusammen mit ihren kongolesischen Kollegen nicht nur Kranke, sondern schulen auch einheimisches Personal. Techniker renovieren die maroden Gebäude. Demnächst sollen ein Röntgengerät und eine neue OP-Ausstattung eintreffen (so es der kongolesische Zoll denn zulässt).
Wie so häufig schafft Erfolg gleich neue Probleme. Das Krankenhaus von Kamituga ist jetzt chronisch überbelegt. Es hat sich schnell herum gesprochen, dass man dort tatsächlich gesund werden kann. Außerdem ist aufgrund der Militärkampagne gegen die Hutu-Milizen der FDLR die Zahl der Flüchtlinge in der Stadt gestiegen.
Soviel für heute aus der Rubrik „Uneindeutig und komplex“.