Von Kinshasa nach Bukavu. Keinen halben Tag dauert die Reise von der Hauptstadt in den Osten des Kongo – und doch wähnt man sich in einem anderen Land. In Kinshasa beherrschen die jüngsten Manöver von Weltbank und Gläubigern des hoch verschuldeten Kongo die Schlagzeilen. In Südkivu geht es um Probleme anderen Kalibers: die Hutu-Rebellen der FDLR, die kongolesische Armee und der low-intensity-war der beiden, den sie manchmal gegeneinander und meist gegen die eigene Bevölkerung austragen.
Nicht, dass dieser Konflikt überall sichtbar wäre. In Bukavu muss man dieser Tage nicht die FDLR fürchten, sondern die Erdrutsche der Regenzeit und die Lastwagen auf glitschigen Schlammpisten. Aber hier, in der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, laufen die Informationen aus dem Hinterland zusammen. Fast zwölf Monate sind vergangen, seit die kongolesische Armee den Hutu-Rebellen der FDLR offiziell den Kampf angesagt hat. Fast vier Wochen ist es her, seit die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die im deutschen Exil lebenden FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni hat verhaften lassen. Ein schwerer Schlag für die Truppe, so hoffen UN-Experten. Und wie sieht die Lage vor Ort aus? Beginnen wir mit einer Stippvisite bei alten Bekannten.
„Schlecht“, konstatiert nüchtern Jean-Paul Ngongo, Anwalt und Chef der Menschenrechtsorganisation Vovolib (Voix des sans voix ni liberté). Nicht so dramatisch schlecht wie im Sommer, als zehntausende in Südkivu vor den Kampfhandlungen flohen. Aber, so Ngongo, es vergehe kaum ein Tag ohne getötete Zivilisten. Radio Okapi meldet FDLR-Attacken auf Dörfer im Territorium Uvira und neue Flüchtlinge in Shabunda. Auf Ngongos Schreibtisch liegt die herausgerissene Seite eines Schulheftes, „Territorium Kalehe, Bezirk Bunyiakiri, Gemeinde Karale, 16. November, 14 Uhr “ steht da mit akkurater Handschrift notiert. Der 16. November, das war einen Tag vor der Verhaftung von Murwanashyaka und Musoni in Deutschland. An diesem Tag sollen FDLR-Rebellen in Karale zehn Menschen exekutiert und mehrere Dorfbewohnerinnen vergewaltigt haben. Die Provinzregierung spricht später von zwei Toten und neun Vergewaltigten.
Unstrittig sind die Ereignisse des Folgetages: Mehrere hundert wütende Demonstrantinnen aus Karale schleppen die Leiche einer verstümmelten Frau mehrere Kilometer bis zum nächsten UN-Stützpunkt, legen sie den pakistanischen Blauhelmen buchstäblich vor die Tür, rufen „Schluss mit den Vergewaltigungen“, beschimpfen die UN-Soldaten als Feiglinge und heimliche Komplizen der FDLR. „Was natürlich Unsinn ist“, sagt Ngongo, der selbst vor Ort war, „aber die Leute sind einfach zermürbt und verzweifelt.“ Weil die örtliche Polizei die Demonstration auflösen will, feuert sie Warnschüsse ab – offenbar nicht nur in die Luft. Zwei weitere Menschen werden getötet.
Ein ähnlicher Fall hatte sich einige Wochen zuvor unweit von Kamituga, rund 170 Kilometer südlich von Bukavu, ereignet. Zwei Männer wurden von FDLR-Trupps bei der Feldarbeit überfallen und enthauptet, eine Protestdemonstration der Bevölkerung endete mit Warnschüssen der Polizei – dieses Mal schoss sie tatsächlich nur in die Luft. So berichtet es nicht nur der Vizegouverneur der Provinz, Jean-Claude Kibala, so berichtet es auch Dieudonné Wasolu, der das Außenbüro von Vovolib in Kamituga leitet. Wobei es sich in diesem Fall weniger um ein Büro, als um eine Holzhütte auf der Avenue Transco, Kamitugas Hauptschlammpiste, handelt. Eigentlich geht es der Stadt deutlich besser als noch vor einem Jahr.
Straßenmarkt in Kamituga
Es gibt Strom, das Krankenhaus hat seinen Betrieb wieder aufgenommen, die Stadt selbst gilt als sicher, ebenso die Schotterstraße nach Bukavu, Waren sind billiger geworden, seit sie per LKW transportiert werden können und nicht mehr eingeflogen werden müssen. Fortschritte, die Richtung Wiederaufbau zeigen und auf die umliegende Region ausstrahlen könnten. Wäre da nicht der Krieg, sagt Wasolu, käme es im Hinterland nicht immer wieder zu Angriffen, Racheakten, Vertreibungen.
Zu sechst arbeiten sie hier an der „Avenue Transco“, ihre Ausstattung besteht aus ein paar Mobiltelefonen, Papier und Kugelschreibern. „Barfuß-Anwälte“ könnte man sie nennen, obwohl die meisten gar keine Juristen sind. Die Vovolib-Mitarbeiter fordern bei der Polizei Auskunft über Verhaftete, sie befragen Zeugen in Dörfern nach Attacken der FDLR, gehen in die maisons d’écoutes, um die Aussagen von Vergewaltigungsopfern aufzunehmen. So nennen sie die Beratungsstellen für Frauen, die oft nur aus einem Bretterverschlag bestehen. Die Vergewaltigungen, sagt Wasolu, hätten deutlich zugenommen. Die Täter sind hauptsächlich FDLR-Rebellen und Armeeangehörige. Die neueste Taktik der Hutu-Rebellen aber „sind Entführungen. Sie überfallen ein Dorf, kidnappen ein Dutzend Leute und verlangen dann hundert Dollar Lösegeld pro Kopf. “
Diese jüngste Variante der Geldbeschaffung ist offenbar eine Folge der militärischen Schwächung der FDLR. MONUC-Sprecher wie lokale NGOs, deren Einschätzungen sonst weit auseinanderklaffen, sind sich zumindest darin einig: FDLR-Einheiten in Süd Kivu seien in kleinere Trupps aufgesplittert worden, hätten die Kontrolle über einige rohstoffreiche Gebiete verloren und sind jetzt ins Kidnapping-Geschäft eingestiegen. Das entspricht zumindest für Süd Kivu nicht ganz dem Bild der wieder erstarkten Rebellentruppe, welches eine Gruppe von UN-Experten in ihrem jüngsten Bericht an den Sicherheitsrat gezeichnet hat. Für die Bevölkerung verheißt das wenig Trost: Manche der Splittergruppen suchen einen Weg zu desertieren, viele andere sind unberechenbarer und in ihren Aktionen brutaler als zuvor.
Erschwerend kommt hinzu, dass in Kamituga nun die 14. Brigade der kongolesischen Armee stationiert worden ist, eine für Plünderungen und Disziplinlosigkeit berüchtigter „Mistbande“, wie eine andere Menschenrechtsaktivistin sagt. Die 14. Brigade wird zudem verdächtigt, Geschäfte mit FDLR-Truppen zu machen. Dabei sind keineswegs alle Einheiten der kongolesischen Armee gleichermaßen verschrien. Es geben durchaus Brigaden, sagen lokale NGOs, die gut ausgebildet seien und sich diszipliniert verhielten.
Pakistanische Blauhelme beim Fahnenappell in Südkivu
Zurück in Bukavu sitzt Jean Paul Ngongo gerade über der Jahresbilanz in Sachen Strafjustiz. Vovolib hat im Jahr 2009 achtzehn Frauen juristisch betreut, die ihre Vergewaltiger angezeigt haben. In sechzehn dieser Fälle hätten die Richter Gefängnisstrafen zwischen zwei und zehn Jahren verhängt. Sechs der Verurteilten seien schließlich im Gefängnis gelandet. Kongolesische Justiz-Arithmetik.
Und die anderen?
„Das Übliche“, sagt Ngongo. „Ein paar Scheine für die Wärter – und weg sind sie.“
Aber der Anwalt hat noch eine überraschende Statistik parat: Zehn dieser Urteile seien vom Militärgericht verhängt worden, in einem Fall sogar gegen einen Oberst. Zehn Urteile wegen Vergewaltigung gegen Soldaten und Offiziere? Wenn der gute Ngongo sich da nicht verzählt hat, dann ist das ein erstaunlicher Fortschritt.
Wie kommt’s?
„Internationaler Druck. Die UN sind massiver aufgetreten, der Besuch von Hillary Clinton im Ostkongo hatte Wirkung“, sagt Ngongo. „Außerdem viel Aufklärung vor Ort. Und mehr mutige Frauen, die vor Gericht gehen.“