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Better News from Congo (3): Ignace M. ohne Asyl

In diesem Fall müsste es heißen: Better news about the Congo. Am 11. Januar 2010 hat der 9. Senat des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Fall Ignace Murwanashyaka  (Az. 9B 08.3023) entschieden, dass der Exil-Ruander keinen Asylstatus mehr genießt.

Murwanashyaka, Präsident der FDLR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“) samt ihrer Hutu-Miliz, sitzt ebenso wie sein Stellvertreter Straton Musoni seit November 2009 in deutscher Untersuchungshaft. Die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe wirft ihnen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor – begangen von FDLR-Milizen im Ostkongo.

Dass die beiden Spitzen der FDLR jahrelang ungestört von ihrem deutschen Exil aus agieren konnten und Murwanashyaka im Jahr 2000 auch noch politisches Asyl erhielt, hatte den deutschen Justizbehörden wiederholt scharfe Kritik von Menschenrechtlern und UN-Experten eingebracht.

Die  FDLR, zu deren Anführern auch Täter des Völkermords 1994 in Ruanda gehören, kontrolliert und terrorisiert seit über 15 Jahren Gebiete im angrenzenden Ostkongo und gilt als ein Haupthindernis zur Befriedung dieser vom Krieg zerrütteten Region.

Eine inzwischen beendete Militärkampagne der kongolesischen Armee gegen die FDLR hatte vor allem zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Kongolesische und internationale humanitäre Organisationen bezeichnen „Operation Kimia II“ als Katastrophe – und die Kooperation der UN-Blauhelme mit der kongolesischen Armee als Desaster für die Vereinten Nationen.  Das ist zweifellos richtig, schließt aber nicht aus, dass „Kimia II“ die FDLR doch geschwächt hat, zumal die Miliz im  November von der Verhaftung ihrer Führer in Deutschland überrascht wurde.

Die tageszeitung berichtete Ende Dezember, die Nachricht habe die Truppen der FDLR demoralisiert. Immer mehr Deserteure stellten sich den UN-Blauhelmen und würden in Demobilisierungscamps nach Ruanda verbracht. Mit sinkender Kampfmoral ihrer Basis hat die FDLR-Führung schon seit längerem zu kämpfen. Die oft sehr jungen Milizionäre haben offenbar genug vom Plünderkrieg im Busch, wurden aber in der Vergangenheit durch Repression und gut organisierte Überwachung in den eigenen Reihen oft an der Flucht gehindert.

Statt also eine ausgehungerte, schlecht ausgebildete und völlig undisziplinierte Armee gegen die FDLR einzusetzen, hätte man deren Milizen womöglich durch gute psychologische Kriegsführung, durch mobile Auffanglager für Deserteure und durch eine internationale Polizeiaktion gegen ihr Führungsnetzwerk im Exil zermürben können. Das ist die bittere Schlussfolgerung aus diesen better news from Congo.

 

Helfen – aber wie? Spenden für den Kongo

Immer wieder fragen LeserInnen dieses Blogs nach Möglichkeiten, für die Opfer sexueller Kriegsgewalt im Ost-Kongo zu spenden. Die Antwort ist gar nicht so einfach. Erstens ist eine Auslandsüberweisung in den Kongo immer noch ein kompliziertes Unterfangen. Zweitens gibt es im internationalen Spendenwesen so einige Fußangeln und schwarze Löcher.

Wie man mit ganz einfachen Mitteln und langem Atem kleine Hilfen organisiseren kann, haben vier Schülerinnen aus Osnabrück gezeigt.

Schülerinnen sammeln für das Panzi Hospital

Nesrin, Dena, Sophia und Ana Pilar, alle zwölf Jahre alt, (auf dem Foto von rechts zusammen mit Lehrerin Tina Schick und deren Tochter Alyssa) engagieren sich seit der dritten Klasse für Projekte im Kongo. Beim letzten Anti-Kriegstag in ihrer Heimatsstadt sammelten sie umgerechnet 450 Dollar für das Panzi-Hospital in Bukavu, in dem vergewaltigte Frauen medizinisch behandelt werden. Das Geld konnte ich vergangene Woche im Hospital in Bukavu dem stellvertretretenden Leiter, Doktor Luhiriri, übergeben.

Panzi Team
Panzi-Mitarbeiter quittieren die Spende. Rechts Dr. Luhiriri

Da die Weihnachtszeit naht und die Leute – Wirtschaftskrise hin oder her – vielleicht ein paar Euro mehr für Hilfsorganisationen springen lassen, hier noch ein paar unverbindliche Tipps in Sachen Kongo:

Einrichtungen wie das Panzi-Hospital in Bukavu in Süd Kivu oder das Krankenhaus von HEAL AFRICA in Goma in der Provinz Nord Kivu leisten bewundernswerte Arbeit für die Opfer von Vergewaltigungen. Inzwischen sind sie international bekannt und dank ausländischer Hilfe relativ gut ausgestattet.

Dringend notwendig ist jetzt die Dezentralisierung der Versorgung. Wahrscheinlich schafft überhaupt nur eine Minderheit der Opfer den Weg in die großen Städte Bukavu oder Goma. Doch weder in den Dörfern noch in den kleineren Städten der beiden Kivu-Provinzen finden sie medizinische Behandlung. Eine erste Ausnahme: das Krankenhaus von Kamituga in Süd Kivu. Bis vor zwei Jahren war dieses nicht mehr als ein abgewracktes Siechenheim. Seit Sommer 2008 ist die deutsche Hilfsorganisation Cap Anamur zusammen mit den einheimischen ÄrztInnen und PflegerInnen dabei, daraus wieder ein funktionierendes Hospital zu machen – demnächst mit einer eigenen Abteilung für Opfer von Vergewaltigungen. Mehr dazu demnächst in diesem Blog. Wer jetzt schon spenden möchte, findet alle nötigen Informationen auf der Website von Cap Anamur.

Gleich eine Warnung hinterher: Erfolgreiche Arbeit lockt unverschämte Trittbrettfahrer. Eine Zeitlang behauptete ein „Deutsch-Afrikanisches Jugendwerk“, geleitet von der kongolesischen Honorarkonsulin in Frankfurt, Odette Maniema Krempin, den Wiederaufbau des Hospitals übernommen zu haben – und bat um Spenden. Nichts daran ist wahr, wie unter anderem jüngst das ZDF-Magazin Frontal 21 recherchiert hat.

Und noch eines: Wie alles andere hat auch das Elend seine Modethemen. Lange Zeit waren Kindersoldaten der Fokus internationaler Geldgeber und Spender. Jetzt sind es Opfer sexueller Kriegsgewalt. In beiden Fällen handelt es sich um horrende Probleme, die Aufmerksamkeit brauchen. Aber der Tunnelblick auf ein „Modethema“ führt oft dazu, dass man den Rest aus den Augen verliert. „Es wäre schön“, sagte mir unlängst eine kongolesische Aktivistin mit bitterem Sarkasmus, „wenn etwas mehr für die Frauen getan würde, die noch nicht vergewaltigt worden sind.“
Soll heißen: Viel fließt in die medizinische Nothilfe, einiges in die Reform der Justiz zwecks Bekämpfung der Straflosigkeit, aber immer noch herzlich wenig in die Prävention.

Prävention – das kann der Bau einer Straße ins isolierte Hinterland sein. Davon würden viele profitieren: Händler, die wieder Waren transportieren könnten; Polizisten und Richter, die schneller an ihren Einsatzort kämen; Hilfsorganisationen, die bislang abgeschiedene Regionen erreichten; Frauen, die sich sicherer bewegen könnten; Kriegsverletzte – und zu diesen zählen die meisten Vergewaltigungsopfer – die schneller in ein Krankenhaus gebracht werden könnten.

Prävention – das wäre vor allem die Reform des Militärs, von der nach Jahren internationaler Hilfe (unter anderem aus den Kassen der EU) immer noch herzlich wenig zu sehen ist. Das ist kein Problem, das einzelne Spender lösen können. Aber Spender sind auch Steuerzahler. Und als solche können sie – wie im Fall Afghanistan – ihre Regierungen und Abgeordneten fragen, was aus den hunderten Millionen Euro Aufbau- und Budgethilfe für die Regierung in Kinshasa eigentlich geworden ist.

 

„Barfuß-Anwälte“ im Kongo

Von Kinshasa nach Bukavu.  Keinen halben Tag dauert die Reise von der Hauptstadt in den Osten des Kongo – und doch wähnt man sich in einem anderen Land. In Kinshasa beherrschen die jüngsten Manöver von Weltbank und Gläubigern des hoch verschuldeten Kongo die Schlagzeilen. In Südkivu geht es um Probleme anderen Kalibers: die Hutu-Rebellen der FDLR, die kongolesische Armee und der low-intensity-war der beiden, den sie manchmal gegeneinander und meist gegen die eigene Bevölkerung austragen.

Nicht, dass dieser Konflikt überall sichtbar wäre. In Bukavu muss man dieser Tage nicht die FDLR fürchten, sondern die Erdrutsche der Regenzeit und die Lastwagen auf glitschigen Schlammpisten. Aber hier, in der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, laufen die Informationen aus dem Hinterland zusammen. Fast zwölf Monate sind vergangen, seit die kongolesische Armee den Hutu-Rebellen der FDLR offiziell den Kampf angesagt hat. Fast vier Wochen ist es her, seit die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die im deutschen Exil lebenden FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni hat verhaften lassen. Ein schwerer Schlag für die Truppe, so hoffen UN-Experten. Und wie sieht die Lage vor Ort aus? Beginnen wir mit einer Stippvisite bei alten Bekannten.

„Schlecht“, konstatiert nüchtern Jean-Paul Ngongo, Anwalt und Chef der Menschenrechtsorganisation Vovolib (Voix des sans voix ni liberté). Nicht so dramatisch schlecht wie im Sommer, als zehntausende in Südkivu vor den Kampfhandlungen flohen. Aber, so Ngongo, es vergehe kaum ein Tag ohne getötete Zivilisten. Radio Okapi meldet FDLR-Attacken auf Dörfer im Territorium Uvira und neue Flüchtlinge in Shabunda. Auf Ngongos Schreibtisch liegt die herausgerissene Seite eines Schulheftes, „Territorium Kalehe, Bezirk Bunyiakiri, Gemeinde Karale, 16. November, 14 Uhr “ steht da mit akkurater Handschrift notiert. Der 16. November, das war einen Tag vor der Verhaftung von Murwanashyaka und Musoni in Deutschland. An diesem Tag sollen FDLR-Rebellen in Karale zehn Menschen exekutiert und mehrere Dorfbewohnerinnen vergewaltigt  haben. Die Provinzregierung spricht später von zwei Toten und neun Vergewaltigten.
Unstrittig sind die Ereignisse des Folgetages: Mehrere hundert wütende Demonstrantinnen aus Karale schleppen die Leiche einer verstümmelten Frau mehrere Kilometer bis zum nächsten UN-Stützpunkt, legen sie den pakistanischen Blauhelmen buchstäblich vor die Tür, rufen „Schluss mit den Vergewaltigungen“, beschimpfen die UN-Soldaten als Feiglinge und heimliche Komplizen der FDLR. „Was natürlich Unsinn ist“, sagt Ngongo, der selbst vor Ort war, „aber die Leute sind einfach zermürbt und verzweifelt.“ Weil die örtliche Polizei die Demonstration auflösen will, feuert sie Warnschüsse ab – offenbar nicht nur in die Luft. Zwei weitere Menschen werden getötet.
Ein ähnlicher Fall hatte sich einige Wochen zuvor unweit von Kamituga, rund 170 Kilometer südlich von Bukavu, ereignet. Zwei Männer wurden von FDLR-Trupps bei der Feldarbeit überfallen und enthauptet, eine Protestdemonstration der Bevölkerung endete mit Warnschüssen der Polizei – dieses Mal schoss sie tatsächlich nur in die Luft. So berichtet es nicht nur der Vizegouverneur der Provinz, Jean-Claude Kibala, so berichtet es auch Dieudonné  Wasolu, der das Außenbüro von Vovolib in Kamituga leitet. Wobei es sich in diesem Fall weniger um ein Büro, als um eine Holzhütte auf der Avenue Transco, Kamitugas Hauptschlammpiste, handelt. Eigentlich geht es der Stadt deutlich besser als noch vor einem Jahr.

Straßenmarkt in Kamituga

Straßenmarkt in Kamituga

Es gibt Strom, das Krankenhaus hat seinen Betrieb wieder aufgenommen, die Stadt selbst gilt als sicher, ebenso die Schotterstraße nach Bukavu, Waren sind billiger geworden, seit sie per LKW transportiert werden können und nicht mehr eingeflogen werden müssen. Fortschritte, die Richtung Wiederaufbau zeigen und auf die umliegende Region ausstrahlen könnten. Wäre da nicht der Krieg, sagt Wasolu, käme es im Hinterland nicht immer wieder zu Angriffen, Racheakten, Vertreibungen.

Zu sechst arbeiten sie hier an der „Avenue Transco“, ihre Ausstattung besteht aus ein paar Mobiltelefonen, Papier und Kugelschreibern. „Barfuß-Anwälte“ könnte man sie nennen, obwohl die meisten gar keine Juristen sind. Die Vovolib-Mitarbeiter fordern bei der Polizei Auskunft über Verhaftete, sie befragen Zeugen in Dörfern nach Attacken der FDLR, gehen in die maisons d’écoutes, um die Aussagen von Vergewaltigungsopfern aufzunehmen. So nennen sie die Beratungsstellen für Frauen, die oft nur aus einem Bretterverschlag bestehen.  Die Vergewaltigungen, sagt Wasolu, hätten deutlich zugenommen. Die Täter sind hauptsächlich FDLR-Rebellen und Armeeangehörige. Die neueste Taktik der Hutu-Rebellen aber „sind Entführungen. Sie überfallen ein Dorf, kidnappen ein Dutzend Leute und verlangen dann hundert Dollar Lösegeld pro Kopf. “

Diese jüngste Variante der Geldbeschaffung ist offenbar eine Folge der militärischen Schwächung der FDLR. MONUC-Sprecher wie lokale NGOs, deren Einschätzungen sonst weit auseinanderklaffen, sind sich zumindest darin einig: FDLR-Einheiten in Süd Kivu seien in kleinere Trupps aufgesplittert worden, hätten die Kontrolle über einige rohstoffreiche Gebiete verloren und sind jetzt ins Kidnapping-Geschäft eingestiegen. Das entspricht zumindest für Süd Kivu nicht ganz dem Bild der wieder erstarkten Rebellentruppe, welches eine Gruppe von UN-Experten in ihrem jüngsten Bericht an den Sicherheitsrat gezeichnet hat. Für die Bevölkerung verheißt das wenig Trost: Manche der Splittergruppen suchen einen Weg zu desertieren, viele andere sind unberechenbarer und in ihren Aktionen brutaler als zuvor.

Erschwerend kommt hinzu, dass in Kamituga nun die 14. Brigade der kongolesischen Armee stationiert worden ist, eine für Plünderungen und Disziplinlosigkeit berüchtigter „Mistbande“, wie eine andere Menschenrechtsaktivistin sagt. Die 14. Brigade wird zudem verdächtigt, Geschäfte mit FDLR-Truppen zu machen. Dabei sind keineswegs alle Einheiten der kongolesischen Armee gleichermaßen verschrien. Es geben durchaus Brigaden, sagen lokale NGOs, die gut ausgebildet seien und sich diszipliniert verhielten.

Fahnenappell

Pakistanische Blauhelme beim Fahnenappell in Südkivu

Zurück in Bukavu sitzt Jean Paul Ngongo gerade über der Jahresbilanz in Sachen Strafjustiz. Vovolib hat im Jahr 2009 achtzehn Frauen juristisch betreut, die ihre Vergewaltiger angezeigt haben. In sechzehn dieser Fälle hätten die Richter Gefängnisstrafen zwischen zwei und zehn Jahren verhängt. Sechs der Verurteilten seien schließlich im Gefängnis gelandet. Kongolesische Justiz-Arithmetik.
Und die anderen?
„Das Übliche“, sagt Ngongo. „Ein paar Scheine für die Wärter – und weg sind sie.“
Aber der Anwalt hat noch eine überraschende Statistik parat: Zehn dieser Urteile seien vom Militärgericht verhängt worden, in einem Fall sogar gegen einen Oberst. Zehn Urteile wegen Vergewaltigung gegen Soldaten und Offiziere? Wenn der gute Ngongo sich da nicht verzählt hat, dann ist das ein erstaunlicher Fortschritt.
Wie kommt’s?
„Internationaler Druck. Die UN sind massiver aufgetreten, der Besuch von Hillary Clinton im Ostkongo hatte Wirkung“, sagt Ngongo. „Außerdem viel Aufklärung vor Ort. Und mehr mutige Frauen, die vor Gericht gehen.“

 

Szenen aus Kinshasa: Der Stuhl des Leoparden

Seit einer Woche wieder auf Besuch in Kinshasa. Es wird höchste Zeit, sich endlich einmal die Kulturstätten der Hauptstadt anzusehen. Das kongolesische Nationalmuseum liegt auf dem Gelände von Mobutus ehemaligem Amtssitz im Stadtteil Mont Ngaliema. Soldaten öffnen das Tor,  nicht ohne vorher ausgiebig den Kofferraum des klapprigen Toyota von Monsieur Vicky, meinem Taxifahrer, zu inspizieren. „Wie wär’ mit einer Spende für eine Cola“, sagt einer, was für einen Mann mit einer Kalaschnikow eine recht bescheidene Forderung ist. „Später“, sagt Monsieur Vicky.

Die Auffahrt zum Museum führt einen Hügel hoch, rechts treibt der Kongo-Fluss Richtung Atlantik, links steht ein haushoher runder Käfig, in dem Mobutu einst Leoparden gehalten haben soll. Sagt Monsieur Vicky im Flüsterton. Monsieur Vicky flüstert immer, wenn wir uns ehemaligen Palästen oder Amtsitzen Mobutus nähern. Monsieur Vicky ist ein gläubiger Christ, was Respekt vor den Geistern der Toten nicht ausschließt. Und da Mobutu nicht in seiner Heimat, sondern im marokkanischen Exil beerdigt worden ist, können seine Geister unmöglich ruhen. Also empfiehlt es sich, die Stimme zu senken.

Das Nationalmuseum hat den Charme eines Werkshofes, über den eine Schar talentierter Graffiti-Sprayer hergefallen ist. Im Hof rosten die Räder alter Lokomotiven und ein Kahn, mit dem seinerzeit Henry Morton-Stanley den Kongo-Fluss entlang fuhr. Offenbar hat sich seit längerem kein Besucher mehr hier blicken lassen, weswegen bei unserem Anblick drei ältere, kleine Herren aus einer Baracke stürzen, um unsere Führung zu übernehmen. Das Rennen macht das Männchen, das sich als „N’kanza Lutayi, secretaire scientifique“, als wissenschaftlicher Sekretär, vorstellt, und uns nun mit Hingabe zu den Schätzen des Museums führt: zuerst zu den verbeulten Aktenschränken, in denen auf 45.000 vergilbten Karteikarten jedes Ausstellungsstück handschriftlich registriert ist. Dann in eine Wellblechhalle mit einer geschätzten Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent, einem geschätzten Staubgehalt von 50 Prozent sowie „12903 Masken von 413 Stämmen“. Sagt Herr N’kanza.

Es sind herrliche, bizarre, wuchtige Holzgesichter, deren verschobene Proportionen an kubistische Bilder erinnern. Angefertigt von Maskenschnitzern der Tetela, Chokwe, Yeka, Kuba und anderen, die Gesichter und Grimassen für alle Sorgen, Riten und Lebenslagen entworfen haben: zur Initiation von Jungen und Mädchen in die Welt der Erwachsenen, zur Beerdigung des Dorfchefs, zur Heilung von Epilepsie, zur Vorbereitung auf Kriegszüge und zur Warnung vor Unglück. In der nächsten Halle lagern hunderte von Speeren und Lanzen, Schildern, Töpfen und Trommeln, dazwischen Pirogen und die Strohwand einer traditionellen Hütte. Dazu Musketen und Säbel, Hinterlassenschaften der europäischen „Entdecker“ und Kolonialherren.

Herr N’kanza präsentiert besonders stolz einen eiförmigen Helm mit der Aufschrift „Garde de Paris“, als wolle er sagen: ‚Seht her, Ihr habt nicht nur von uns geklaut. Wir haben auch Trophäen von Euch.’ Wenn auch sehr rostige. Der Kulturschatz eines ganzen Landes vermodert in dieser nationalen Rumpelkammer. „Wir sind im Krieg gegen Feuchtigkeit und Staub,“ sagt seufzend Herr N’kanza, „aber uns fehlen die Mittel.“

Monsieur Vicky ist unterdessen unruhig geworden. Er befürchtet, dass uns das Beste vorenthalten werden soll. „Fragen Sie nach dem Stuhl von Mobutu“, raunt er. „Irgendwo steht hier der Stuhl von Mobutu.“ Prompt fummelt Herr N’Kanza an seinem Schlüsselbund und öffnet die Tür zum Allerheiligsten, der „Abteilung für Archäologie“. Der Begriff der Archäologie wird im kongolesischen Nationalmuseum offenbar weit gefasst, denn außer einigen Speerspitzen und Tonscherben sind hier auch zu besichtigen: Mobutus Jagdtrophäen, darunter ausgestopfte Köpfe von Hirschen und Zebras; Haushaltswaren und Kitsch aus Europa, darunter Weinkrüge aus dem Badischen, Eierbecher aus Frankreich, Porzellan-Pudel aus England. Mittendrin stehen zwei Stühle. Der Linke ist mit abgeschabtem grünen Samt bezogen, auf der Rückenlehne ist das ehemalige goldene Landeswappen aufgedruckt mit dem Motto „Gerechtigkeit, Frieden, Arbeit“, wovon die Kongolesen seit der Gründung ihres Staates so gut wie nichts gesehen haben. Hier pflegte Mobutus Gattin Platz zu nehmen. Der rechte ist aus schwarzem Ebenholz geschnitzt und mit Leoparden-Fell bezogen. Mobutus „Thron“.

Wir stehen unschlüssig vor dem guten Stück. „Fotografieren verboten“ steht auf einem Schild. Aber Sekretär N’Kanza ist großzügig. „Setzen Sie sich ruhig drauf“, sagt er, was ich mir nicht zwei Mal sagen lasse. Monsieur Vicky tritt nervös von einem Fuß auf den anderen.  Als ich aufstehe, springt er mit einem Satz in den Stuhl. „Schnell, ein Foto.“
Monsieur Vicky auf Mobutus Stuhl Monsieur Vicky auf dem Stuhl Mobutus

Siehe da, es sitzt sich gut auf dem Leopardenfell des Diktators. Vicky probiert ein paar Posen, rutscht hin und her, grinst sichtlich überrascht über die eigene Courage. Zum Teufel mit den Geistern Mobutus, dies ist die späte, kleine Rache eines ehemaligen Untertanen. Ich möge ihm beim nächsten Besuch in Kinshasa einen Abzug des Fotos mitbringen, sagt er. So groß wie irgend möglich.

 

News from Kinshasa: Ein deutscher Haftbefehl und seine Folgen

Ist das der Anfang vom Ende der FDLR? Seit Dienstag muss die Hutu-Miliz, die seit Jahren die Zivilbevölkerung im Ost-Kongo terrorisiert, ohne ihr Führungsduo auskommen. Ignace Murwanashyaka, der Präsident der FDLR, und sein Stellvertreter Straton Musoni, beide seit Jahren in Deutschland lebend, sind verhaftet und sollen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden.  Murwanashyaka wird beschuldigt, von Deutschland aus als Oberbefehlshaber der bewaffneten Truppen im Ostkongo agiert zu haben und „Rädelsführer einer Terrororganisation“ gewesen zu sein. Musoni wird vorgeworfen, ihn in militärischen Angelegenheiten vertreten und beraten zu haben.

‚Es wurde aber auch Zeit!‘ – so kann man die Reaktion des Leiters der UN-Mission im Kongo (MONUC), Alan Doss, beschreiben. Doss bezeichnete die Festnahmen im fernen Deutschland als Schritt in „eine friedlichere Zukunft des Kongo“ und forderte, dass andere Länder, in denen FDLR-Funkionäre Zuflucht gefunden haben, dem deutschen Beispiel folgen.

Mehr noch als in Kinshasa beherrschen die Nachrichten aus Deutschland im Ost-Kongo das Tagesgespräch. Menschenrechtler begrüßen die Verhaftung, fürchten aber eine Eskalation der Gewalt durch den harten Kern der FDLR. Der besteht vor allem aus Mittätern des Genozids 1994 in Ruanda und weiteren jüngeren Kommandeuren, die um ihre Einnahmequellen aus Rohstoffschmuggel und Zwangsarbeit fürchten.

Zweifellos dürfte die Festnahme und Anklage gegen Murwanashyka und Musoni die Truppe nachhaltig schwächen. Die internationalen Medienauftritte Murwanashyakas sind den Fußtruppen im Ost-Kongo immer wieder als Propaganda und als „Beweis“ für die internationale Bedeutung der FDLR vorgespielt worden. Viele der jungen Milizionäre aber, die selbst nicht in den Völkermord in Ruanda verwickelt waren, sind des bewaffneten Kampfes müde. Die Nachricht von der Verhaftung ihrer Chefs könnte eine Welle der Desertionen auslösen – trotz des gut funktionierenden Überwachungssystems innerhalb der FDLR.

Dass deutsche Behörden so lange brauchten, um gegen die beiden FDLR-Führer vorzugehen, ist einer Mischung aus politischer Ignoranz und objektiven juristischen Hürden zuzuschreiben. Der Terror der Hutu-Miliz im fernen Afrika passt nicht in das Schema des „Krieges gegen den (islamistischen) Terror“. Also wurde er politisch lange Zeit unter der Rubrik „unübersichtliche afrikanische Stammeskriege“ abgeheftet. Murwanashyaka bekam im Jahr 2000 sogar politisches Asyl – ein Skandal, den die zuständige Verwaltungsgerichtsbarkeit bis heute nicht behoben hat.

Gleichzeitig war es für Ermittler im Strafverfahren zweifellos schwierig, Zeugen und Beweismaterial gegen Verdächtige zusammen zu tragen, die mehrere tausend Kilometer vom Tatort entfernt agiert haben. Ein erstes Verfahren gegen Murwanashyaka scheiterte 2006 aus Mangel an Beweisen.

Die Nummer drei des Diaspora-Netzwerks der FDLR bleibt nach wie vor unbehelligt. Der Exekutivdirektor der FDLR, Callixte Mbarushimana, lebt seit Jahren in Paris. Im Gegensatz zu Murwanashyaka, der zum Zeitpunkt der Völkermords in Ruanda bereits als Student in Deutschland lebte, steht  Mbarushimana im Verdacht, 1994 selbst gemordet zu haben. Bis auf weiteres übernimmt er jetzt offenbar die Pressearbeit der Miliz. „Es existiert keine Strategie der FDLR, Zivilisten anzugreifen“, erklärte er gegenüber der BBC. Nach Angaben der französischen Behörden gibt es keine Ermittlungen gegen den ruandischen Hutu, der 1994 ausgerechnet als UN-Mitarbeiter dafür gesorgt haben soll, dass sämtliche Tutsi unter seinen Kollegen massakriert wurden.

Für die Zivilbevölkerung im Ostkongo, so steht zu befürchten, wird sich vorerst nicht viel ändern. Selbst wenn die FDLR wie durch ein Wunder in den nächsten Wochen aufgelöst werden sollte, steht den Menschen dort ein alter, neuer Feind gegenüber: die eigene Armee.

Seit Februar verfolgen kongolesische Soldaten die Hutu-Miliz der FDLR, und werden dabei von UN-Blauhelmen unterstützt. Kimia II heisst diese Operation. Der UN-Sonderermittler Philip Alston hat nun mehrere Massaker der Armee in Nordkivu dokumentiert, darunter eines, bei dem im April diesen Jahres rund 50 Zivilisten erschossen oder erschlagen, und mindestens 40 Frauen verschleppt wurden. Einigen gelang die Flucht, sie berichten von Vergewaltigungen und Verstümmlungen. „Manchen“, so Alston, „hatte man Teile der Brust abgehackt.“

Alston, ein australischer Völkerrechtler ist seit 2004 der UN-Sonderberichterstatter für extralegale, massenhafte und willkürliche Hinrichtungen. Er recherchiert Morde und Exekutionen von Paramilitärs in Kolumbien, Polizisten in Brasilien oder Spezialkommandos in Sri Lanka. Im Kongo hat er nun zum ersten Mal Kriegsverbrechen einer Armee ermittelt, die von den UN militärisch unterstützt werden. Die UN reagierte mit der Erklärung, ab sofort jede Unterstützung für jene Armee-einheiten einzustellen, die für das Massaker verantwortlich gemacht werden. Das ändert nur nichts am katastrophalen Fazit von Kimia II.  Auf der Erfolgsseite der Bilanz stehen 1071 entwaffnete FDLR-Kämpfer. Auf der Negativseite 1193 getötete Zivilisten, mindestens 7000 Opfer von Vergewaltigungen und 900.000 Flüchtlinge. Macht pro entwaffnetem Milizionär einen toten Zivilisten, sieben Vergewaltigte und 900 Vertriebene.

Alstons Empfehlungen sind schon hunderte Mal vorgetragen worden, aber deswegen nicht weniger richtig: Straflosigkeit ist die Wurzel des Problems. Soldaten, die wissen, dass sie für ihre Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, werden weiterhin Verbrechen begehen. Also braucht es nicht nur die immer wieder geforderte Armee-Reform, sondern auch den Aufbau einer Militärgerichtsbarkeit. Alles leicht gesagt und unendlich mühsam umzusetzen. Aber in Afghanistan hat man diese Lehren immerhin endlich gezogen und investiert entsprechend Geld und Personal. Im Kongo aber hat sich donor fatigue breit gemacht, die gefürchtete Geber-Müdigkeit. Und die meint nicht nur das Geld, sondern auch den politischen Willen.

 

Kongos erster (alternativer) Nobelpreisträger

Hier ein kurzes Portrait (erschienen in der ZEIT vom 15.10.) des kongolesischen Umweltschützers und Menschenrechtlers René Ngongo Mateso, der dieses Jahr den„Right Livelihood Award“, den alternativen Nobelpreis, erhält. Wer mehr über den Mann erfahren will: Bei einem Deutschland-Besuch 2007 gab er der Online-Redaktion des Greenpeace-Magazin zusammen mit seinem Mitstreiter Adrien Sinafasi Makelo ein ausführliches Interview.

Der Pionier

Barack Obama glaubt selbst nicht, dass er den Friedensnobelpreis wirklich verdient. René Ngongo müssen solche Zweifel nicht plagen. Der 48-jährige Kongolese hat dieses Jahr den Right Livelihood Award, den Alternativen Nobelpreis, gewonnen. Nicht für Reden, sondern für Taten – vor allem gegen den Klimawandel. Wenige Wochen vor der großen UN-Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen, deren Erfolg derzeit wieder in den Sternen steht, ist die Entscheidung der Jury ein Mahnruf.

Ngongo ist ein Pionier der Ökologiebewegung in seinem Land. Weil sich Umweltschützer im Kongo zwangsläufig mit Rohstofffirmen, korrupten Politikern und Milizen anlegen, hat er neben erstaunlichen Erfolgen auch zahlreiche Morddrohungen gesammelt.

Als Rebellen, Militärs und ausländische Armeen das Land sechs Jahre lang in verheerende Kriege stürzten, dokumentierte der gelernte Biologe den Rohstoffraub durch die Kriegsparteien. Das Land ist reich an Kupfer, Diamanten, Gold und Erzen – und dieser Reichtum ist ihm immer wieder zum Verhängnis geworden.

Ausgerechnet der Schatz, dem Ngongos größte Aufmerksamkeit gilt, ist jetzt, im Frieden, besonders gefährdet. Bereits 1994 hatte er die Organisation OCEAN gegründet, deren Mitglieder sich für Wiederaufforstung und nachhaltige Forstwirtschaft einsetzen. Im Kongo befindet sich der nach dem Amazonasgebiet zweitgrößte Regenwald, »die zweite Lunge des Planeten«, wie Ngongo ihn nennt.

Während der Kriegsjahre war den meisten Holzfirmen die Arbeit zu gefährlich, es wurden weniger Bäume gefällt. Mit dem Frieden sind auch die Holzfäller zurückgekommen. Laut Greenpeace könnte der Kongo bis zum Jahr 2050 vierzig Prozent seines Regenwaldes verlieren.

Ngongo arbeitet inzwischen am Aufbau von Greenpeace im Kongo, dokumentiert weiter illegalen Rohstoffabbau und erklärt willigen Politikern und Aktivisten die nationalen Gesetze zum Bergbau und zur Forstwirtschaft, die so schlecht gar nicht seien. Nur müsste jemand auf ihre konsequente Einhaltung achten. Wie dramatisch der Klimawandel die Welt verändern wird, hängt ganz maßgeblich von seinem Heimatland ab.

 

Neues über Ignace M.

Eine Leseempfehlung: die taz veröffentlicht in ihrer Wochenendausgabe eine ausführliche Recherche über die Hutu-Miliz FDLR und ihren Präsidenten Ignace Murwanashyaka, der in Deutschland als anerkannter Flüchtling lebt.

Die anhaltenden Kriegsverbrechen der FDLR im Ostkongo sind ausführlich dokumentiert, ebenso der Umstand, dass zahlreiche Führungsmitglieder zu den Haupttätern des Genozids von Hutu an rund 800.000 Tutsi 1994 in Ruanda zählen. UN-Experten haben zudem das Netzwerk der FDLR-Exilanten in Europa und Nordamerika durchleuchtet. Bleibt die Frage, die wir Anfang August auch in der ZEIT gestellt haben: Warum wird Murwanashyaka nicht angeklagt? Warum hat er immer noch den Status eines anerkannten politischen Flüchtlings inne?

Weil es bislang angeblich nicht genügend Beweise gibt, um der FDLR konkrete Verbrechen und Murwanashyaka eine direkte Verantwortung nachzuweisen. Laut taz finden sich aber durchaus Zeugen: in Ruanda unter Aussteigern, also ehemaligen FDLR-Offizieren, die mit Hilfe der UN demobilisiert und in ihre Heimat zurückgebracht worden sind:

„Offiziere der militärischen Führung bestätigen: Alle wichtigen Entscheidungen – ob die FDLR sich zum Angriff wappnet oder zurückzieht, welche Allianzen sie mit kongolesischen Truppen eingeht – werden in Deutschland getroffen, unter Murwanashyakas Codename „Mihigo“. Die UN-Mission im Kongo verfügt über einen Funkspruch der FDLR vom März, der die aktuelle Terrorstrategie der Miliz darlegt, seit sie von Kongos Armee aktiv bekämpft wird: „Versorgungsoperationen durch Schläge gegen die Armee, um Munition und Waffen zu erbeuten, sowie gegen Krankenhäuser und Gesundheitszentren vorgehen, um Medikamente zu erbeuten“, werden darin befohlen, und auch: „Die Bevölkerung angreifen, um eine humanitäre Katastrophe zu verursachen.“

Hört sich nach nach recht handfestem Beweismaterial an.

 

Präsident forever? Guinea und Kongo

Was haben Joseph Kabila, Präsident des Kongo,  und Moussa Dadis Camara, Präsident von Guinea, gemeinsam?
Beide sind Armeeoffiziere und Staatschefs rohstoffreicher Nationen mit einer bitterarmen Bevölkerung.
Beide galten einmal als Hoffnungsträger. Kabila, weil er willens war, den horrenden Krieg in seinem Land zu beenden, Camara, weil er nach seinem Putsch im Dezember 2008  korrupte Regierungsmitglieder und Staatsbeamte an den Pranger stellte und versprach, sich nach demokratischen Wahlen aus der Politik zurückzuziehen.
Beide erweisen sich inzwischen für ihre Bürger als lebensgefährlich – vor allem für solche, die öffentlich ihre Grundrechte einfordern.

Camaras Soldaten haben am Montag in der Hauptstadt Conakry ein Massaker angerichtet, über 150 Menschen erschossen, erschlagen oder mit dem Bajonett erstochen, und über 1000 verletzt. Augenzeugen berichten von Frauen, die auf offener Straße von Soldaten vergewaltigt wurden. Die Opfer hatten auf einer Demonstration gegen Camaras Vorhaben protestiert, doch bei den Wahlen anzutreten. Führer, die sich an der Macht fest krallen – das kennt man in Guinea. Camaras berüchtigter Vorgänger Lansana Conté war 24 Jahre an der Regierung, Guineas erster Präsident Sekou Touré 26 Jahre.

50.000 Menschen waren dem Aufruf zur Demonstration gefolgt. 50.000, die trotz anhaltender Repression der Junta auf die Straße gingen. Das deutet auf eine wachsende und mutiger werdende zivile Opposition hin. Die wurde vorerst mit einem Blutbad gestoppt. Camara hat nun eine zweitägige Staatstrauer samt Ausgangssperre angeordnet. Das kann man als Gipfel des Zynismus sehen oder als Versuch, Zeit zu gewinnen. Oder beides.

Kongos Präsident Joseph Kabila, im Gegensatz zu Camara mehr oder weniger demokratisch gewählt, will sich offenbar auf scheinlegalem Weg eine lebenslange Option auf das Präsidentenamt schaffen. Nach Berichten des französischen Auslandssenders RFI, die inzwischen in Kinshasa bestätigt worden sind, soll eine Kommission an der „Reform“ der kongolesischen Verfassung arbeiten: geplant sei unter anderem, so RFI, die Beschränkung auf zwei Amtszeiten für den Präsidenten aufzuheben und die Unabhängigkeit der Justiz maßgeblich einzuschränken.

Von Protesten ist erst einmal nichts zu hören. Die Opposition im Parlament ist faktisch lahm gelegt (wozu, unbeabsichtigt, auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag mit seinem Haftbefehl gegen Kabilas Gegner Jean-Pierre Bemba beigetragen hat). Der Geheimdienst kehrt langsam zu alter Form zurück,  Militär-und Polizeigewalt gegen politische Gegner ist gängige Praxis. Attacken auf Journalisten und Menschenrechtler häufen sich – vor allem dann, wenn diese Korruption und dubiose Deals zwischen Regierung und Rohstoff-Firmen recherchieren. „Hier geht’s wieder zu wie unter Mobutu“, klagen Menschenrechtler. Militärs, die sich an der Macht festkrallen – das kennen die Kongolesen. Mobutu Sese Seko regierte 32 Jahre lang.

Und nun? Breite Wirtschaftssanktionen verhängen?

Schwierig bis unmöglich, weil oft kontraproduktiv und im UN-Sicherheitsrat vermutlich nicht durchsetzbar. Im Fall von Guinea könnte allerdings die politische Krise die Investoren nervös werden lassen. Guineas marode Wirtschaft hängt fast völlig vom Bauxit-Export ab. Bislang haben sich Konzerne wie Rio Tinto und UC RUSAL weder an der Repression unter Lansana Conté noch am erratischen Benehmen von Camara gestört. Das könnte sich ändern.

Was noch – außer Protestnoten zu formulieren?  Die Afrikanische Union (AU) spielt im Fall Guinea eine wichtige Rolle. Die AU ist zwar selbst alles andere als ein lupenreiner Club der Demokraten. Aber sie hat in den vergangenen Jahren den Trend weg vom Diktatorenunwesen hin zur Wahlkabine unterstützt und Putschisten in mehreren afrikanischen Ländern politisch abgestraft.

Gleich nach dem Militär-Putsch Ende vergangenen Jahres hatte die AU Guineas Mitgliedschaft suspendiert und dann Mitte September weitere gezielte Sanktionen gegen Junta-Mitglieder angedroht, sollte Camara tatsächlich bei den Wahlen kandidieren. ECOWAS, die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, fordert inzwischen eine internationale Untersuchungskommission, um das Blutbad zu untersuchen. Vertreter aus diesen Institutionen werden – mit Unterstützung von EU und UN – jetzt versuchen müssen, zu vermitteln und zunächst das Schlimmste zu verhindern: weitere Gewalt gegen Zivilisten, einen Gegenputsch durch rivalisierende Fraktionen in der Armee, einen totalen Staatskollaps. Dann befände sich Guinea schnell in der Dauerkatastrophe eines failed state mit Bürgerkrieg, aus der seine Nachbarländer Liberia und Sierra Leone gerade mühsam heraus kriechen.

Der politische Druck zeigte Mitte der Woche erste Wirkung.  Camara ließ verkünden, er wolle nun eine Übergangsregierung unter Beteiligung aller Parteien – und eine Untersuchungskommission.

Im Kongo ist die internationale Gemeinschaft mit einem anderen Problem konfrontiert, das sie selbst mit geschaffen hat: Europa und die USA haben den Aufstieg Joseph Kabilas massiv unterstützt – und dann zähneknirschend hingenommen, dass der Mann im Umgang mit der Opposition eben jene  Schlagstöcke (und Schlimmeres) einsetzt, die von der EU für den Aufbau einer neuen Polizei gestiftet worden sind. Kabila ist, wenn man so will, der afrikanische Karzai des Westens: Strategisch zu wichtig, als dass man ihn fallen lassen könnte oder wollte. Die Vorteile seiner Hausmacht wiegen in Kriegszeiten – und die herrschen im (Ost)Kongo wie in Afghanistan – schwerer als seine politische Repression und sein zunehmend autoritäres Gebaren.

Also wieder die Frage: was tun? Zunächst einmal demokratische Oppositionelle und Bürgerrechtler schützen und unterstützen, was zum Teil auch geschieht. Die Justiz stärken: Menschenrechtsgruppen fordern schon länger „hybride Gerichte“ mit kongolesischen und internationalen Richtern , um die massiven Menschenrechtsverletzungen von Polizei und Armee zu verfolgen.

Mehr Hilfe für Provinzverwaltungen. Und schließlich internationales shaming and naming. Die Verfassung ist eine der wichtigsten Errungenschaften in der kongolesischen Nachkriegszeit. Die ganze internationale Buchstabensuppe von AU über EU bis UN und USA wird klar machen müssen, dass Kabila die Verfassung nicht auf dem Schleichweg klein „reformieren“ kann. Schon allein um des viel zitierten Friedens willen. Kabilas Macht ist gewachsen, seine Beliebtheit keineswegs, schon gar nicht in Kinshasa, wo er noch nie besonders populär war. Sollte er wirklich die „Mobutu-Option“ der lebenslangen Präsidentschaft anstreben, sind auch die Kinois womöglich irgendwann auf den Barrikaden.

 

In Sachen FDLR

So kurzlebig können bessere Nachrichten aus dem Kongo sein. Vorvergangenen Freitag hatte der deutsche Server OVH auf Intervention der Berliner tageszeitung die Website der Hutu-Miliz FDLR abgeschaltet. Seit einigen Tagen ist die Seite, offenbar mit neuer Registrierung bei einer britischen Web-Firma wieder online. So viel zu den Tücken der Globalisierung.

Zur Führung der FDLR gehören Mitverantwortliche des Völkermords 1994 in Ruanda. Auf ihrer Website  dementiert die FDLR  wortgewaltig jedes Statement der UN, jeden Zeitungsartikel über Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutungsstrategien, mit der die Miliz seit Jahren die Bevölkerung im Ost-Kongo terrorisiert. Zuletzt erregte ein Bericht der „New York Times“ den Ärger der FDLR-Führung. Darin berichten Reporter über demobilisierte Hutu-Rebellen aus Burundi, die – ohne Arbeit und Einkommen – nur zu gern den Lockrufen der FDLR folgen und im Kongo wieder zur Waffe greifen. Die verspricht den Söldnern Diamanten, Gold und einen heldenhaften Kampf für die Sache der Hutu. Kommentar der FDLR: „Schamlos erlogen.“

Fakt ist: Diese Rekrutierungen finden statt, wie die UN bestätigen. Der Konflikt zwischen den Ethnien der Tutsi und der Hutu hatte auch in Burundi einen jahrelangen Bürgerkrieg mitangefacht. Dessen Spätfolgen schwappen wieder einmal in Gestalt von Wander-Rebellen in den Kongo. So viel zur Grenzenlosigkeit von Konflikten.

Die Pressemitteilungen der FDLR werden übrigens nicht mehr von deren Präsidenten Ignace Murwanashyaka unterzeichnet. Murwanashyaka, der seit Jahren in Mannheim als anerkannter politischer Flüchtling lebt, verzichtet derzeit auf öffentliche Äußerungen. Weil er wiederholt gegen ein Verbot der politischen Betätigung für die FDLR verstoßen hatte, wurde er vor einigen Monaten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das Verbot hatte die Stadt Mannheim verhängt, der inzwischen aufgegangen ist, wer sich da in ihrem Zuständigkeitsbereich nieder gelassen hat.

Als Sprachrohr fungiert nun der in Paris lebende Exekutiv-Sekretär der FDLR, Callixte Mbarushimana. Mbarushimana arbeitete 1994 in Kigali für das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) und war laut eines UN-Ermittlungsberichts an der Ermordung von 32 Tutsi beteiligt – darunter seine Kollegen bei UNDP. Das Internationale Ruanda-Tribunal (ICTR) stellte das Verfahren 2002 ein. Mbarushimana galt offenbar als „zu kleiner Fisch“. Er bekam schließlich politisches Asyl in Frankreich, nachdem er – trotz Berichten über seine Beteiligung am Genozid – noch mehrere Jahre weiter bei den Vereinten Nationen gearbeitet hatte. Im Juli 2008 wurde er auf dem Flughafen Frankfurt festgenommen, Anfang November aus der Untersuchungshaft wieder entlassen. Angeblich reichten die Beweise nicht aus, um ein Verfahren zu eröffnen. So viel zur internationalen Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrecher.

 

Better News from Congo (2)

Genau gesagt, kommen die besseren Nachrichten nicht aus dem Kongo, sondern aus Berlin. Einige werden sich an den ZEIT-Artikel über Ignace Murwanashyaka erinnern. Murwanashyaka ist Präsident der FDLR, jener Hutu-Miliz, die unter anderem von Hauptverantwortlichen des Völkermords in Ruanda 1994 geführt wird und die seit ihrer Flucht in den Ostkongo dort die Bevölkerung terrorisiert und Rohstoffe plündert.

Der über Interpol gesuchte Murwanashyaka lebt nicht im Kongo, sondern als Asylberechtigter in Deutschland. Von seinem Wohnsitz in Mannheim aus leitet er seit Jahren die FDLR und organisiert zusammen mit anderen Exil-Ruandern Unterstützung aus dem Ausland. Er war mehrfach zu FDLR-Milizen im Ost-Kongo gereist und steht laut eines Untersuchungsberichtes der UN in ständigem Kontakt mit FDLR-Kommandanten in den Kivu-Provinzen. UN-Experten kritisieren seit Jahren, dass westliche Regierung das Exil-Netzwerk der FDLR weitgehend ungestört schalten und walten lassen – zum Beispiel durch Finanztransaktionen oder durch Propganda mit Hilfe einer Website.

Die ist nun seit Freitag nachmittag abgeschaltet. Die taz hatte sich die Mühe gemacht, beim verantwortlichen Server, der Firma OVH, nachzufragen, ob ihr eigentlich klar sei, wessen Seite sie da unter der Adresse fdlr.org hostet. Offenbar hatte OVH schon früher Informationen von den UN über die Hutu-Miliz erhalten. Doch gegenüber der taz gab sich die Geschäftsleitung ahnungslos. „Kenntnis von diesem Kunden haben wir erst heute durch Sie erlangt“, schrieb sie an die Redaktion in Berlin. „Die Website fdlr.org haben wir vom Netz getrennt und dem Kunden fristlos gekündigt.“

Nein, ein vernichtender Schlag gegen die FDLR ist das nicht. Aber ein überfälliger Schritt, das zu tun, was UN-Experten seit Jahren von den Mitgliedsländern fordern: das Netzwerk der FDLR-Diaspora auszuhebeln.

Was die Nachrichten aus dem Ostkongo angeht: die sind weiterhin schlecht. Die Militäroffensive der kongolesischen Armee gegen die FDLR hat eine neue humanitäre Katastrophe ausgelöst. Beide Kampfparteien begehen horrende Verbrechen an der Zivilbevölkerung. NGOs und Kongo-Experten sind sich längst einig  darüber, dass „Operation Kimia II“, wie der Militäreinsatz genannt wird, abgebrochen werden muss.

Und was dann? Die International Crisis Group schlägt eine Alternativstrategie vor: absolute Priorität des Schutzes von Zivilisten durch die UN und die Armee; ein neues Programm zur Demobilisierung und Entwaffnung vor allem jüngerer FDLR-Milizionäre, von denen viele offenbar die Nase voll haben vom bewaffneten Kampf; Angebote zur Umsiedlung in Drittländer für solche, die nicht am Genozid 1994 beteiligt waren, aber Angst vor einer Rückkehr nach Ruanda haben; und, last not least, Militäreinsätze von professionell ausgebildeten (und bezahlten) Einheiten gegen den harten Führungskern der FDLR.

Was fehlt? Eigentlich nichts, außer ein paar Millionen Dollar und dem politischen Willen von Berlin über Brüssel bis Washington, diese Strategie auch umzusetzen.