Eigentlich dachte man, dass nun im Kongo Ära der Gewehre zu Ende und die Stunde der Investoren angebrochen sei. Eine Regierung ist gebildet und seit Wochen Wirtschaftsdelegationen aus aller Welt ihre Aufwartung, um ins große „Friedensgeschäft“ mit Kongos Rohstoffen einzusteigen. Einige sind jetzt mitten in die schweren Kämpfe geraten, die sich Donnerstag und Freitag Angehörige von Jean-Pierre Bembas Privatmiliz mit der kongolesischen Armee und der Garde von Präsident Joseph Kabila in Kinshasa geliefert haben. Inzwischen haben Garde und Armee wieder die Kontrolle über Gombe, das Diplomatenviertel und Machtzentrum der Hauptstadt. Aber in Matonge und anderen Stadtvierteln kam es Freitag zu Plünderungen. Die Menschen hatten sich verbarrikadiert, UN-Truppen brachten Ausländer in Sicherheit, die Geschäfte blieben verrammelt. Von 60 Toten war zunächst die Rede, inzwischen sprechen Menschenrechtsgruppen von mindestens 200. Die Leichen, darunter viele Zivilisten, die ins Kreuzfeuer geraten waren, lagen zumindest am Freitag noch auf den Strassen. Und Bemba, das enfant horrible der kongolesischen Innenpolitik, hat sich aus berechtigter Angst um sein Leben in die südafrikanische Botschaft geflüchtet.
Soweit die Informationen, die man derzeit per Telefon und e-mail aus Kinshasa bekommen kann. Festzustellen bleibt vorerst dreierlei: erstens garantieren erfolgreiche Wahlen keinen Frieden; zweitens hat Bemba seine Zukunft als vom Rebellenführer zum Politiker gewandelte Oppositionsfigur endgültig verspielt. Zwar bekleidet er noch das Amt eines Senators im Parlament, doch nun wird er wegen Hochverrat mit Haftbefehl gesucht. Ihm bleiben wahrscheinlich nurmehr zwei Optionen: Exil oder Gefängnis. Und drittens ist klar, dass die Arbeit der UN-Mission und der 17.000 Blauhelme im Land noch lange nicht beendet ist. Im Gegenteil: Die Spannungen können sich jederzeit auch in anderen westlichen Provinzen eskalieren, wo Bemba große Unterstützung genießt.
Was war passiert? Bis 15. März, so das Ultimatum der kongolesischen Armee, sollten Jean Pierre Bemba und Azerias Ruberwa ihre Privatarmeen aus der Hauptstadt abziehen und in die reguläre Armee integrieren. Beide sind ehemalige Vize-Präsidenten, beiden vertraten im Krieg mächtige Rebellengruppen in der Übergangsregierung und hatten damit Anspruch auf eine private Schutztruppe. Ob und wie Ruberwa sich an das Ultimatum gehalten hat, ist noch nicht ganz klar. Er ist aber auch nicht das Problem. Seine Fraktion ist nach den Wahlen in die Bedeutungslosigkeit versunken.
Nicht so Bemba, der einzige ernsthafte Konkurrent von Joseph Kabila im Rennen um das Präsidentenamt. Seine Milizen hatten zwei Mal Gewalt angezettelt, um das Wahlergebnis zugunsten Kabilas zu „korrigieren“. Schließlich fügte sich Bemba einem Entscheid des Obersten Gerichtshof, der seine Niederlage besiegelte, und präsentierte sich als neue Führungsfigur der Opposition. Allerdings weigerte er sich bis zuletzt, seine Privatmiliz zu entwaffnen – aus Furcht um seine Sicherheit, wie er sagt.
Dazu hatte er reichlich Grund. Zwischen Kabila und Bemba herrscht eine erbitterte Feindschaft. Bemba, ein Populist mit rhetorischem Talent, hatte als erster den Wahlkampf mit ethnischen Hasstiraden angefeuert, seinen Widersacher im Wahlkampf immer wieder gedemütigt und der Lächerlichkeit Preis gegeben. Das wirkte vor allem in Kinshasa, wo Kabila aufgrund seiner korrupten Amtsführung als Präsident der Übergangsregierung in den Armenvierteln extrem unbeliebt ist. Kein Präsident aber kann es sich auf Dauer leisten, in der eigenen Hauptstadt angefeindet zu werden. Schon allein deswegen dürfte Kabila diese Gelegenheit jetzt nutzen, seinen Rivalen endgültig aus dem Weg zu schaffen. Durch Tod, Gefängnis oder eben Exil.
Und die Blauhelme der UN? Die haben sich darauf beschränkt, Menschen aus dem umkämpften Diplomatenviertel, was in diesem Fall wohl eine weise Strategie war. Bembas Truppen, die zeitweise das Stadtzentrum kontrollierten, hätten sie genauso wenig entgegenzusetzen gehabt wie die Polizei und die reguläre Armee. Letztlich war es offensichtlich Kabilas Präsidentengarde, die das Stadtzentrum zurückeroberte.
Folglich ist das Problem der Privatarmeen mit der blutigen Auflösung von Bembas Truppe nicht gelöst. Die grösste Miliz, die Präsidentengarde mit wahrscheinlich 10.000 Mann, hält sich Präsident Joseph Kabila höchstselbst und der denkt nun wahrscheinlich weniger denn je daran, selbst zu tun, was er von seinen Gegnern fordert.
Bloß wäre es jetzt noch verheerender, die Zahl der Blauhelme zu reduzieren, wie es seit Monaten einige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats fordern. In der Millionstadt Kinshasa können sie im Zweifelsfall nicht mehr tun als die Mitarbeiter der UN-Mission zu schützen – zumal 90 Prozent der UN-Truppen im Osten des Landes stationiert sind. Dort agieren sie inzwischen als halbwegs erfolgreiche Feuerwehr, die immer wieder aufflackernde Mini-Rebellionen eindämmen kann. Das ist unendlich viel Wert in einem Riesenland, dessen reguläre Armee sich weiterhin in katastrophalem Zustand befindet und ebenso wie die Polizei weit davon entfernt ist, ein staatliches Gewaltmonopol herzustellen.
Nun droht der Westen des Landes zur Krisenregion zu werden, dessen Bewohner sich weniger denn je von Kabila und seiner Machtclique repräsentiert fühlen. Denn was immer man von Jean-Pierre Bemba halten mag: Mit seiner politischen Absturz verliert die Opposition im Parlament ihren Kopf. Und das kann im schlimmsten Fall den gesamten Friedensprozess im Kongo gefährden.
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Von Kabul bis Kinshasa