Mein Büro liegt nur einen Steinwurf von der Kommission der Europäischen Union entfernt. Kaum habe ich diesen Satz niedergeschrieben, denke ich, dass es viele Europäer gibt, die das Gebäude der Kommission auf der anderen Straßenseite am liebsten mit Steinen bewerfen würden.
Wähler des Front National in Frankreich, Wähler der AfD in Deutschland, Wähler des M5S in Italien, Wähler der FPÖ in Österreich, Wähler der Freiheitspartei in den Niederlanden. Es dürften Hunderttausende sein. Ich stelle mir einen Augenblick vor, dass diese Menschen nach Brüssel strömen um ihren über Jahre aufgestauten Hass zu entladen.
Alle Straßen, die auf die Place Schumann führen, sind schwarz von Menschen. Die Masse drängt nach vorne, sie will zum Gebäude der Kommission. Die Polizei stellt sich ihr entgegen. Es kommt zu Tumult, Geschrei, Gebrüll, die ersten Steine fliegen, Tränengas, die Polizei weicht zurück, die aufgebrachte Masse drängt nach vorne, überrennt die Absperrgitter, Fensterscheiben gehen zu Bruch, Türen werden eingetreten, die ersten Hasserfüllten drängen in das Gebäude, es folgen Hunderte, aus den oberen Stockwerken fallen Möbel aus Fenstern und zerbersten mit lautem Krach auf dem Asphalt, die Masse jubelt, schwarzer Rauch dringt aus dem Gebäude, Feuer frisst sich durch Flure und Büros, aus denen die letzten verbliebenen Beamten der EU gerade noch rechtzeitig geflohen sind.
Ist das unmöglich? Eine Angstvision ohne jede Grundlage?
Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, schrieb nach der Brexit-Entscheidung der Briten im Juni. „Die EU ist zu einem Völkergefängnis geworden…Der Frühling der Völker kommt! Das ist unausweichlich! Die einzige Frage ist, ob die EU sich von seinen Illusionen selbst befreien kann, oder ob die Rückkehr zur Vernunft mit Schmerz und Leid verbunden sein wird.“
Aus einer ganze anderen Ecke, einer radikaldemokratischen, schrieb die ausgezeichnete Kennerin der EU, Ulrike Gutrot, vor einigen Wochen auf ZEIT ONLINE:
„Nein, es geht nicht mehr um Krise oder Krisenlösungen, und ‚weiter so‘ mit der EU geht es sowieso nicht mehr. Es geht jetzt darum, in einem Akt kreativer Zerstörung à la Schumpeter die EU kaputtzumachen, um damit ein neues Europa entstehen zu lassen. Dass Europa das – friedlich – kann, hat es 1989 unter Beweis gestellt!“
1989 fiel die Mauer, 1989 zerbrach ein Völkergefängnis namens Ostblock.
Guerots Beitrag trug den Titel: „Zerstört die EU!“