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Kurz und klein (7): Umstrittene Zahlungen und neues WikiLeaks-Forum

+++Umstrittene Zahlungen+++

Es wurde immer wieder betont. Die fünf großen Medienpartner New York Times, Guardian, Spiegel, Le Monde und El Pais haben nicht einen Cent für die WikiLeaks-Depeschen bezahlt. So jedenfalls die Selbstauskunft der Beteiligten. Jetzt aber hat der französische Nouvelle Observateur ein Chat-Interview mit einem anonymen WikiLeaks-Mitarbeiter veröffentlicht. Daraus geht klar hervor: Es ist Geld geflossen. Ein interessanter Leak aus dem Innern des Leaking-Imperiums WikiLeaks, sollte sich der Verdacht erhärten. Mit der Glaubwürdigkeit des WikiLeaks-Whistleblowers dürfte auch die Glaubwürdigkeit von WikiLeaks auf dem Spiel stehen. Das jedenfalls ist die Einschätzung von Florian Rötzer, Telepolis.

+++Neues WikiLeaks-Forum+++

Unter WikiLeaks-Forum.com gibt es neuerdings ein Forum zu diversen WikiLeaks-Themen. Nach einem Telefonat mit dem Admin des Forums ist zwar nicht ganz klar, wer der eigentliche Urheber des Forums ist, klar dagegen ist, dass aktuell noch Moderatoren für die verschiedenen Sprachen gesucht werden, denn das Forum ist eindeutig international ausgerichtet. Es bietet ein üppiges Angebot an Diskussionsthemen. Angefangen von den Irak- und Afghanistan-Protokollen über Politik und Medien bis hin zu Verschwörungstheorien. Dazu gibt es Eventkalender und Debatten zu anderen Leakingplattformen. Das WikiLeaks-Forum reiht sich ein in die lange Reihe zahlreicher Netzangebote und -werkzeuge, die wir hier überblicksweise zusammemngestellt haben.

 

Anonymous – bewaffneter Arm von WikiLeaks?

Das manche das Hackerkollektiv Anonymous mittlerweile als den bewaffneten Arm von WikiLeaks bezeichnen, ist vermutlich ziemlicher Unsinn. Zunehmend sichtbar aber wird, dass Anonymous weltpolitisch mitmischen will.

Erst vor wenigen Tagen wurde ein Manifest mit dem Titel Open Letter to the World veröffentlicht. Kurz darauf folgte der Aufruf zur Operation Bradical. Mit den Mitteln des Crwodsourcings sollen belastende Informationen gegen die Ankläger des vermeintlichen Whistleblowers Bradley Mannings gesammelt werden. Auch scheint es bereits mehrere Cyberangriffe auf das Gefängnis gegeben zu haben, in dem Manning inhaftiert ist. Währenddessen wurden die umstrittenen Haftbedigungen Mannings weiter verschärft, wie Christiane Schulzki-Haddouti auf Futurzone.at berichtet. Daniel Ellsberg schämt sich im Guardian für den Umgang der US-Regierung mit Bradley Manning.

Nun folgt die nächste offensive des Hackerkollektivs. Wie Adrian Chen auf Gawker.com berichtet, behauptet Anonymous jetzt über belastende Dokumente und E-Mails der amerikanischen Großbank Bank of America zu verfügen. Am morgigen Montag sollen diese Dokumente im Rahmen des Projekts OperationLeaks auf der Seite AnonLeaks.ch veröffentlicht werden.

 

RadioLeaks in Schweden gestartet

Wie die taz heute berichtet, hat der schwedische Rundfunk die Leakingplattform www.RadioLeaks.se gestartet. Die Zahl der Whistleblowingportale wächst also weiter (siehe auch Übersicht Leakingportale).

In Schweden scheint WikiLeaks übrigens besonders inspirierend zu wirken. Gleichzeitig zum Start von RadioLeaks wurde bekannt, dass die leitende Ermittlerin, die das Verfahren gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange in Schweden angestrengt hat, schon länger mit einem der vermeintlichen Vergewaltigungsopfer befreundet sein sollen. Zu dem soll sie sich clevererweise auf ihrer Facebook-Seite abfällig über Assange geäußert haben („…hochgejubelte, platzfertige Blase…„). Nicht gerade das, was man vorbehaltlose Ermittlungen nennen kann.

Whistleblower, die sich mit dem Gedanken tragen der Netzseite RadioLeaks.se Dokumente zuzuspielen, werden übrigens vor der Nutzung der Seite RadioLeaks.org gewarnt. Dort wartet nämlich eine suspekte Überraschung.

 

Zwei Prozent

Mehr ist noch nicht veröffentlicht von den 251.287 Depeschen, die Wikileaks im letzten Jahr zugespielt wurden. Gerade einmal zwei Prozent. Während in der Presse in den letzten Tagen überall die 100-Tage-Cablegate-Bilanz gezogen wurde, ließ es sich Wikileaks nicht nehmen, einen Tag später ein eigenes Zwischenfazit vorzulegen. Der Hinweis auf die noch ausstehenden 98 Prozent stand ganz vorn. Und klang nach Drohung. Der Rest fiel erwartungsgemäß aus. Kurz gesagt: Die Welt ist eine andere. Es könnte stimmen.

Hilfreicher war da schon die gestrige Veröffentlichung von WL Central. Das Portal mit WikiLeaks-Nachrichten und -analysen stellte noch einmal alle bisherigen Quellen und Onlinewerkzeuge zusammen, mit denen sich jeder seine eigenen Schneisen in den Depeschendschungel schlagen kann. Neben diversen Standardquellen wie WikiLeaks oder der Cablegate-Seite des Guardian, wurden auch Datensammlungen wie die Google-Fusion-Tabelle mit allen getaggten Cables oder Cablegatesearch.net aufgeführt.

Dazu erläutert WL Central zahlreiche atemberaubende Data Mining Tools, mit denen jeder im Handumdrehen eigene Tiefenbohrungen in den Datenbeständen vornehmen kann. So herausragende Werkzeuge wie die Depeschensuchmaschine Cablesearch.org, die visuell spektakuläre Netzseite Kabels oder das spielerische Wordle der norwegischen Zeitung Aftenposten sollen hier nur stellvertretend für zahlreiche Superwerkzeuge genannt werden.

Für alle, die auf eigene Faust in das Depeschen-Universum eindringen wollen, ist der WL Central Artikel mit dem schlichten Titel Cablegate Resources ein Muss.

 

Dschihadisten vs. Wahnsinnige?

Die Lage in Libyen wird täglich dramatischer, aber nicht klarer. Während Gadhafi in immer neuen Fernsehansprachen als Staatsschauspieler mit Zügen eines rasenden Wüstlings auftritt, werden die Auseinandersetzungen in weiten Teilen des Landes immer blutiger. Auch wenn mittlerweile EU- und UN-Beobachter ins Land reisen sollen, bleibt die Einschätzung der Lage und ihrer Akteure schwierig. Libyen ist weiterhin eine Black-Box. Die US-Depeschen sind deswegen eine der wenigen nützlichen, aber auch mit großer Vorsicht zu genießenden Quellen (siehe Drehbuch der Revolution – Bedeutung der Depeschen für die arabische Revolution).

Während also flächendeckende Berichte fehlen, sprießen Mutmaßungen. Ist Gadhafi bereit Giftgas einzusetzen? Wieviele Söldner hat er angeheuert? Wer steht auf der anderen Seite? Welche Kräfte dominieren die Aufständischen? Eine Veröffentlichung des britischen Telegraph von heute auf Grundlage neuer Wikileaks-Depeschen nährt jetzt eine weitverbreitete Angst im Westen. Sind in den Reihen der Aufständischen Dschihadisten in der Mehrzahl? Oder sind sie zumindest in der Lage, die Aufständischen zu steuern? Die Antworten stehen aus.

 

Was Sie bisher verpasst haben

Es soll Menschen geben, die die Vorgänge rund um Wikileaks, Anonymous, Barack Obama und HBGary bisher nicht verfolgt haben. Der amerikanische Hardcore-Journalist Stephen Colbert kann Ihnen helfen. Er fasst die Story in kompakten 3’30 zusammen. Die Details gibt es dann demnächst wieder hier.

Die Fortsetzung mit dem Glenn Greenwald Interview gibt’s übrigens direkt im Anschluss.

 

Hacker die Faxe nach Kairo schicken und ein Crowdsourcingexperiment

In Kairo spitzt sich die Lage zu. Nach Tunesien bahnt sich in Ägypten die nächste Revolution an. Während parallel noch eine netztheoretische Debatte läuft, die versucht, die Frage zu beantworten, welche Bedeutung Facebook, Twitter und Wikileaks im Zuge der aktuellen Umstürze und Unruhen im Maghreb zukommt.

In Ägypten kann diese Frage aktuell nicht mehr beantwortet werden. Dort schalteten die Machthaber Internet und Mobilfunknetze in dieser Woche ab. Die Proteste jedoch gehen weiter, denn die Zahl der Protestierenden hatte sich bereits vor der Abschaltung zu einer kritischen Masse gesteigert. Gleichzeitig erhalten die Demonstranten weiterhin Unterstützung von diversen Netzaktivisten, wie Andy Greenberg auf seinem Blog The Firewall berichtet.
Die Hackergruppe Anonymous und die Aktivisten von Telecomix.org haben sich einen ganz und gar analogen Kommunikationskanal gesucht, um die Demonstranten in Ägypten zu unterstützen. Seit der Abschaltung des Netzes faxen die Hacker massenhaft Depeschen nach Kairo, Suez, Alexandria und in andere ägyptische Städte. Es handelt sich um Depeschen, die über das Regime in Kairo informieren sollen.

Mit diesen US-Depeschen beschäftigt sich auch die Washington Post, allerdings auf eine ganz andere Art. Sie hat gerade ein Crowdsourcingexperiment gestartet. Leser sind aufgefordert, zahlreiche Depeschen der US-Botschaft in Kairo auszuwerten. Vielleicht ein Pilotprojekt der Washington Post. Denn nach dem Bruch zwischen New York Times und Julian Assange könnte die Washington Post perspektivisch zum US-Partner von Wikileaks werden.

 

Die Welle rollt – Al Jazeera, GreenLeaks, New York Times

Wikileaks wird nachgeahmt. Die neugegründete Transparency Unit des arabischen Fernsehsenders Al Jazeera hatte vor wenigen Tage umfangreiche Geheimdokumente zu den Nahost-Friedensverhandlungen der letzten Jahre veröffentlicht. OpenLeaks, die neue Seite des ehemaligen Wikileaks-Machers Daniel Domscheit-Berg, steht in den Startlöchern. Und nun tritt eine Berliner Plattform mit dem Namen GreenLeaks an.

GreenLeaks will sich auf die Veröffentlichung von Informationen fokussieren, die sich mit Missständen in den Kontexten Umwelt- und Klimaschutz beschäftigen.

GreenLeaks wird nicht die letzte neue Plattform sein, die neue Leakingsstrukturen anbietet. Monothematische Plattformen könnten dabei eine Chance sein, auch kleinere Themen sichtbar zu machen.

Eines ist jedenfalls offensichtlich: Die Welle der Leaking-Plattformen rollt.

UPDATE: Gerade gehen die ersten Nachrichten rum, dass auch die New York Times eine Struktur für Whistleblower anbieten wird. Die Welle rollt und wächst.

 

Katholische Kirche kapituliert

Die spanische Zeitung El Pais und Wikileaks haben am Wochenende einige Depeschen veröffentlicht, die die Rolle der katholischen Kirche in Kuba und die Position des Vatikan beleuchten. Ganz offenbar ist es die Strategie der katholischen Kirche in Kuba und insbesondere auch des Vatikan, nur noch im Verborgenen zu agieren. Mit den Machthabern werden Konflikte gemieden, obwohl es nach Einschätzung der Autoren Gründe und Möglichkeiten dazu gäbe.

Die spanische Zeitung bringt ihre Analyse der Depeschen in der Schlagzeile „La Iglesia ha capitulado“ (Die Kirche hat kapituliert) auf den Punkt. Anders als in Polen, wo der damalige Papst eine nicht unwesentliche Rolle bei der Stärkung der Opposition gegen den damaligen Machthaber Jaruzelski spielte, scheinen Kirche und Vatikan auf Kuba der Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Entsprechend enttäuscht zeigt sich auch der Autor der Depesche im abschließenden Kommentar, wo er sinngemäß davon spricht, dass es eine Änderung nur geben wird, wenn sich Kirche und Vatikan zu einer neuen, mutigeren Position gegenüber dem Regime in Havanna entschließen können.

 

Wladimir Putin, Nebenberuf Sonnenkönig

Nicolae Ceaușescu, jener rumänische Diktator, dessen Exekution 1989 live im Fernsehen übertragen wurde, ließ sich in den 1980er Jahren einen Palast in das Stadtzentrum Bukarests bauen. Ein Ungetüm von unrealistischen Ausmaßen, unendlich geschmacklos und für die damalige rumänische Volkswirtschaft eine Art schwarzes Loch. Dieser Ceaușescu-Palast, der originellerweise den offiziellen Titel Haus des Volkes erhielt, unterscheidet sich in vielen Punkten von dem Palast, den sich ganz offenbar ein gewisser Wladimir Putin, hauptberuflich Ministerpräsident der Russischen Föderation, ans schwarze Meer stellen lässt. Das jedenfalls geht aus Fotos hervor, die die russische Seite RuLeaks in diesen Tagen veröffentlicht hat. RuLeaks ist eine Art russisches Pendant zu Wikileaks und wurde erst vor wenigen Tagen ins Leben gerufen wurde.


Und wer die Bilder auf RuLeaks sieht, stellt fest: Ja, Putin ist nicht Ceaușescu. Der russische Premier war ganz offenbar nicht vom rumänischen Diktator, sondern eher von Ludwig XIV inspiriert, als er den Auftrag für den Bau des Prachtklotzes am Schwarzen Meer erteilte. Ganz offenbar reizte ihn die Idee eines Lustschlosses irgendwo auf dem Lande. Geschmacklich scheint sich Putin jedoch eindeutig zwischen Ceaușescu und Ludwig XIV zu positionieren. Dass es ihm am dafür nötigen Selbstbewußtsein nicht mangelt, wurde ja bereits anhand zahlreicher Depeschen belegt (Stichwort Alpharüde).

Wie Foreignpolicy.com und Washington Post berichten, sollen die Kosten mittlerweile ins Unermessliche laufen. Zur Beruhigung russischer Staatsbürger melden aber beide Medien, dass der Putin-Palast bisher keine Steuern verschlungen habe, sondern ausschließlich aus Spenden russischer Geschäftsleute erbaut werde. Ein lupenreiner Vorgang also.