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Logbuch eines Untergangs

WikiLeaks ist am Ende. Die letzten Tage belegen das. Wer aber das Ende verstehen will, muss sich den Anfang noch einmal vergegenwärtigen. Und der eigentliche Start dieser seltsamen Weltkarriere eines Netzportals ist nicht die Gründung vor Jahren. Der tatsächlich Aufstieg beginnt im Sommer 2010. In kurzer Zeit geht es dann steilstmöglich nach oben. WikiLeaks wird zum Globalplayer in Sachen Weltpolitik. WikiLeaks veröffentlicht gemeinsam mit zahlreichen Medienpartnern die Kriegstagebücher der US-Armee in Afghanistan. Eine nur Insidern bekannte Netzorganisation dominiert plötzlich weltweit die Nachrichtensendungen. Im Herbst 2010 legt die Wistleblowerplattform unerschrocken nach. Die Iraq War Logs erscheinen. Wieder wohl dosiert. Wieder von großen Medienpartnern aufwendig aufbereitet. Das Beben ist gewaltig. Weltweit. Es geht weiter Schlag auf Schlag. Winter 2010. Die Botschaftsdepeschen erscheinen. WikiLeaks ist längst zum Akteur auf der politischen Weltbühne geworden. Alle Prognosen erwarten von jetzt an regelmäßige digitale Beben von WikiLeaks.

Nichts scheint mehr so zu sein wie es war. Journalismus. Staatsgeheimnisse. Die Macht des anonymen Einzelnen. Die Revolution der Öffentlichkeit scheint vollendet. Nicht mehr investigativ arbeitende Redaktionen und Journalisten wühlen in den Geheimnissen der Regierungen und Unternehmen, sondern Insider. Mitarbeiter, Armeeangehörige und Beamte, die sich mit Vorgängen konfrontiert sehen, die sie kaum noch ertragen, von denn sie sich nichts sehnlicher Wünschen, als das die Öffentlichkeit, am besten die Weltöffentlichkeit von ihnen erfährt. Das Comeback des schlechten Gewissens, die asymmertrische Macht des Einzelnen, als Korrektiv bestimmter Degenerationen und Defekte demokratischer Gesellschaften.

Das ideale Werkzeug der vernetzten Gesellschaft für diese Zwecke ist eine Whistleblowerplattform im Internet. Größtmögliche Anonymität, prominente Medienpartner Veröffentlichung und sorgfältige redaktionelle Aufbereitung der Unterlagen. Eine perfekte Strategie. WikiLeaks wird in kurzer Zeit zum Prototypen dieses publizistischen Werkzeugs neuer Art. Aber der Absturz folgt. Umgehend.

Und es geht bei diesem Absturz nur am Rande um die kritische Einordnung der vermeintlichen sexuellen Praktiken Julian Assanges, der Führungsfigur von WikiLeaks. Es geht um die technische Integrität eines publizistischen Angebots, dessen Nutzung Whistleblower in existentielle Gefahr bringen kann. Es geht um die politische Nüchternheit und strategische Klarheit der Entscheider, die ihre Kompetenzen und Kenntnisse im Sinne ihrer Aufgabe einsetzen sollten. Es geht um Reputation und Glaubwürdigkeit, diese wohl kostbarste Währung der Publizistik im Netzzeitalter. Kurz gesagt: Es geht um Reife und Professionalität.

Mit Blick auf diese Faktoren sind die letzten Tage die letzten Belege für den (vorläufigen) Untergang eines grandiosen Konzepts. Wer das Logbuch des Niedergangs liest, fühlt sich an eine unheimlich anmutende Mischung aus Shakespeare, Dallas und Denver-Clan erinnert. Wenige Auszüge und Schlaglichter genügen, um zu sehen, dass dieser Bewegung kein Whistlebower in einem Ministerium, einem Weltkonzern oder einer global agierenden Bank mehr trauen wird.

Dienstag. 30. August. Früher Abend, New York Ortszeit. Nichts geht mehr. Es ist nur ein temporäres Problem. Aber es ist symptomatisch. Und selbstverschuldet. Die Netzseite der Whistleblower-Organisation WikiLeaks ist down. Nach dem tausende Depeschen unredigiert veröffentlicht wurden, sieht sich die Seite massiven Cyberattacken ausgesetzt.

Freitag letzter Woche. Eine geheimnisumwitterte CD soll seit einiger Zeit im Netz zirkulieren. Cables.csv ist ihr entwaffnent schlichter Titel. Sie ist zwar verschlüsselt. Aber das Passwort soll ebenfalls im Netz zu finden sein, berichtet die Wochenzeitung Der Freitag. WikiLeaks reagiert mit Anschuldigungen Richtung Domscheit-berg. Kurze Zeit später aber publiziert die Leaking-Plattform tausende unbearbeitete Depeschen. Die CD könnte das von Domscheit-Berg mehrfach angesprochene Sicherheitsleck bei WikiLeaks belegen.

Montag, 21. August. Der WikiLeaks-Dissident gibt die endgültige Löschung zahlreicher Datensätze von WikiLeaks bekannt, die er aus Sicherheitsbedenken bei seinem Ausscheiden an sich genommen hatte.

Mittwoch, 31. August. WikiLeaks geht per Anwalt gegen OpenLeaks-Gründer Domscheit-Berg vor und legt ihm zum wiederholten Male „ein gesteigertes Maß an Niedertracht vor“. Unter anderem soll er der Wochenzeitung Der Freitag die Daten auf der omniösen Cables.csv CD zugänglich gemacht haben.

Vorangegangen sind diesen letzten Indizien für eine Agonie der ehedem noch strahlenden Leaking-Bewegung eine Reihen von Konflikten, Dramen und Ablenkungsmanövern, die sich mit allem beschäftigen, zerbrochenen Freundschaften, wettstreitende Alphatiere, Verschwörungstheorien finsterster Sorte, aber nicht mit der adäquaten Pflege der Leaking-Bewegung, dem angemessenen Umgang mit geleakten Dokumenten und ihrer entsprechenden Vermittlung an die Öffentlichkeit.

Vielleicht ist dieser Untergang der WikiLeaks-Idee kein rasanter Absturz, vielleicht ist es eher eine Agonie. Unter dem Strich aber spielt die Art des Siechtums keine Rolle. Unter dem Strich bleibt der Ruin einer anspruchsvollen Idee. Eine innovative Strömung hat sich selbst zu Grunde gerichtet. Historisch betrachtet ist das keine Neuigkeit. Schon immer fielen politische Erneuerer durch Streit, Spaltung und Egomanien auf. Da stellen Julian Assange und Domscheit-Berg keine Einzelfälle dar.

Für die Gegenwart und die nähere Zukunft jedoch ist dieser Untergang ein herber Verlust. Es wird Jahre dauern, bis Whistleblower wieder Vertrauen zum Konzept der anonymen Abgabe brisanter Materialien haben werden.  Und es bleibt abzuwarten, ob die erfolgreichen Leaking-Schnittstellen zwischen Öffentlichkeit und Whistleblower dann wieder auf oder zumindest wenigen Plattformen konzentriert sein werden oder ob sich die Prognosen aus dem Winter 2010 bewahrheiten, dass derartige Angebote zukünftig zum technischen Repertoire jedes größeren journalistischen Angebots im Netz sind. Pilotprojekte gibt es bereits viele. Hoffen wir, dass einige von Ihnen die momentane Krise der Leaking-Idee als Chance nutzen können.

 

Die schlammigste Schlammschlacht aller Zeiten

J.R. Ewing und Cliff Barnes. Man hasste oder liebte sie. Ihr Konflikt war das Zentrum des TV-Serials Dallas. Und dieses Dallas ist auch heute noch die Mutter aller Soaps. Es ging um Liebe in allen Spielarten (glückliche, unglückliche, verschmähte) und Geld in allen Spielarten (krankhafter Reichtum, Neid, Schulden). Ganz nebenbei ging es auch um Öl. Aber das war nur eine Hilfskonstruktion der Drehbuchautoren, um systematisch die schmutzige Wäsche einer Großfamilie erzählen zu können.

Natürlich war Dallas durchweg Unfug, von der Realität Lichtjahre entfernt (andererseits ist das jedes gute Märchen ebenso). Aber in einem Aspekt ist Dallas bis heute ein Meilenstein. Dallas war große Fernsehunterhaltung. Zumindest war Dallas in jeglicher Hinsicht unterhaltsamer als die Schlammschlacht, die Daniel Domscheit-Berg und Julian Assange sich aktuell in der 743. Folge liefern.

Zu den Vorgängen der letzten Tage, Wochen und Monate ist bereits alles gesagt. Gegenseitige Bezichtigungen der Inkompetenz, der Illoyalität etc. wurden ausreichend thematisiert. Auch die neuen Vorgängen um ominöse Datensätze und zugehörige Datenschlüssel, die Domscheit-Berg bei seinem Weggang von WikiLeaks entwendet hatte und am zurückliegenden Wochenende offenbar zerstörte, wie Heise online berichtet, wurden von diversen Netzakteuren und Netzkennern umfangreich diskutiert und kommentiert. Man sollte dem Debakel nicht noch mehr Raum geben. Nur der Informationspflicht geschuldet seien hier stellvertretend die Kommentare von Markus Beckedahl auf Netzpolitik.org und Bettina Hammer auf Telepolis erwähnt. Ihrer Ratlosigkeit ist nichts hinzuzufügen.

Fast nichts. Denn eines möchte man dann doch noch loswerden in Richtung Domscheit-Berg, Assange und Co. Einen lautes und gut vernehmliches Endlich mal die Schnauze halten! Denn unabhängig von der tatsächlichen politischen Bewertung des Leakings als neuem Instrument in der digitalen Demokratie, ist eines bereits jetzt sehr klar geworden. Wenn die Protagonisten sich derart mit Schlamm bewerfen, schaden sie nicht nur sich, sondern der gesamten Bewegung. Und das ist in diesem Fall eine gewaltige Schweinerei, denn die Chancen dieses neuen Instruments werden nachhaltig beschädigt, wenn das Thema Whistleblowing nur noch das Substrat für den eigenen unappetitlichen Streit ist.

Und deshalb jetzt noch mal in aller Deutlichkeitkeit: Schnauze halten! Konzentration auf die Sache! Arbeiten!

P.S.: Ein weiterer Unterschied zwischen Dallas und den Leaking-Stars ist übrigens sehr bedauerlich; Dallas konnte man einfach absetzen, als es nicht mehr unterhielt

 

Angerempelt! Nachlese eines erstaunlichen Eklats

Wochenlang schien das Thema WikiLeaks, OpenLeaks und Co. langsam aber sich zu versanden. Angekündigt Großleaks blieben aus (Stichwort Bank of America). Versprochene Portalstarts wurden von Monat zu Monat verschoben (Stichwort OpenLeaks – Wir machen alles besser). Und die vielfach beschworene Revolution des Journalismus durch Leaking-Portale war nach der ersten Hysterie um die Mega-Leaks des letzten Jahres auch bis auf Weiteres storniert worden.

Aber kaum ist man im Urlaub, geht es zumindest in der deutschen Netzszene zu wie in einer Berliner Eckkneipe alter Schule. Dabei von einem rustikalen Umgangston zu sprechen, wäre in diesem Kontext allerdings noch untertrieben. Hier war es eher handfest. Und wie nach jeder ordnungsgemäßen Kneipenschlägerei bleibt am Ende die Frage, wer hat wen eigentlich zuerst angerempelt? Und war der Rempler ein Versehen oder gezielte Provokation.

Es geht natürlich um den Rausschmiss des OpenLeaks-Gründers Domscheit-Berg aus dem CCC. Mit Blick auf die Ereignisse auf dem CCC-Camp des zurückliegenden Wochenendes bleibt man auch fünf Tage später erstaunt zurück und wird von dem Gefühl beschlichen, dass sich etablierte Netzakteure von infantilen Reflexen haben hinreißen lassen. Beschädigt sind sie heute alle. Wie auch eine kurze Nachlese der Reaktionen belegt.

Auf Zeit-Online hatte sich Kai Biermann, u.a. Leiter des Ressorts Digitales , irritiert gezeigt. Er fasst unter anderem diverse Reaktionen von führenden CCC-Mitgliedern zusammen und verweist auf wichtige Details, wie etwa die Tatsache, das Domscheit-Bergs Vorgehen schlecht geplant (unzulänglich Servertechnik) und mangelhaft abgestimmt war, zudem intransparent wirkte (keine Offenlegung der Sicherheitsspezifikatonen für den von OpenLeaks geplanten Test). Auch Domscheit-Bergs Weigerung, die von WikiLeaks aus Sicherheitsbedenken entwendeten Dokumente zurückzugeben, dürfte bei dem Eklat eine erhebliche Rolle gespielt haben.

„CCC-Mitglied Felix von Leitner bloggt dazu, der Club habe eigentlich die Rückgabe der Daten an WikiLeaks vermitteln wollen und Domscheit-Berg hätte zugesagt, die entsprechende Festplatte „innerhalb von zwei Wochen“ an den CCC zu übergeben. Von Leitner schreibt: „Das war vor 11 Monaten. Seitdem ist nichts passiert. Daher gibt Andy Müller-Maguhn jetzt auf und stellt offiziell das Angebot ein, die Daten übergeben zu wollen.““

Ebenfalls irritiert hatte sich Linus Neumann auf Netzpolitik.org geäußert. Anfangs mit der überraschten Feststellung, dass CCC-Vorstand Müller-Maguhn sich in einem Spiegel-Interview offenbar eindeutig und frühzeitig von OpenLeaks distanzierte, auch wenn Verstimmung zwischen einzelnen CCC-Mitgliedern und Domscheit-Berg laut Neumann hinlänglich bekannt waren, und dann über die fragwürdige Vorgehensweise beider Seiten auf dem CCC-Camp in Finowfurt. Aus dem auch der CCC nicht makellos hervorgehen dürfte.

„Ich habe schon gestern geschrieben, dass ich Andys Unmut nachvollziehen kann, und größtenteils auch teile. Dieser Rausschmiss jedoch ist verfrüht, unangemessen und zutiefst emotional statt wohlüberlegt rational. Er erinnert mich an Borderline-Persönlichkeiten, die häufig bei Kleinigkeiten Kurzschlussreaktionen mit reichlich Pathos und viel Überzeugung zum Extrem treiben, und dabei auch den Schaden, den sie sich selbst und ihren Interessen zufügen, billigend in Kauf nehmen. Was sollen denn die Medien denken?“

Nicht ohne Grund spricht auch Philip Banse im Deutschlandradio Kultur von einem eitlen Hahnenkampf auf dem CCC-Camp. Auf taz.de unterzog Meike Laaf den Domscheit-Berg Rausschmiss unter der Überschrift Chaos im Chaos Computer Club? einer kritischen Einschätzung. Zwar gebe es einerseits nach Angaben vieler CCC-Mitglieder gute Gründe für eine Trennung. Andererseits sei der Ausschluss stilistisch aber ein krasser Fehler. Der stellvertretende Chef-Redakteur der taz musst im Deutschlandfunk dann schließlich die Frage beantworten, ob im CCC jetzt tatsächlich das Chaos ausgebrochen ist. Ganz nebenbei: Die taz gehört übrigens mit dem Freitag zu den ersten Partnern bei OpenLeaks.

Und selbst die altehrwürdige Neue Zürcher Zeitung beschäftigte sich ausführlich mit dem Konflikt zwischen OpenLeaks-Gründer Domscheit-Berg und dem Vorstand des CCC. Am Ende des Artikels äußert sich ein ungenanntes CCC-Mitglied mit einem nachvollziehbaren Seufzer hinsichtlich der erwähnten entwendeten WikiLeaks-Dokumente.

«Ich wünschte, man könnte diese Daten in Anwesenheit eines Anwaltes löschen. Das Problem wäre weg, und beide Seiten könnten sich auf ihre Projekte konzentrieren, den Whistleblowern zu helfen.»

Wie auch immer sich diese Konfrontation weiterentwickeln wird. Eines kann man bereits zu diesem Zeitpunkt festhalten. Neben den beschädigten Protagonisten, gibt diese überflüssige Eskalation auch Hinweise auf eine veränderte Umgangsweise der Netzszene mit ihren Hauptdarstellern. Jahrelang gab es in Netzkreisen eine uneingestandene Heldenverehrung. Jetzt emanzipiert sich die Community zunehmend. Im Frühjahr musste sich bereits Markus Beckedahl auf seiner eigenen Konferenz einer mehr als unzufriedenen Crowd stellen, die den Start des Vereins Digitale Gesellschaft kritisch hinterfragte. Jetzt sehen sich ehemalige Szeneikonen wie der CCC und Domscheit-Berg mit unangehnenen Fragen konfrontiert.

Diese beginnende kritische Einordnung der eigenen Helden ist allerdings auch mehr als überfällig. Gerade die Netzszene und insbesondere die lautstarken Verfechter der Leaking-Kultur legen an den Rest der Gesellschaft sehr ambitionierte Maßstäbe an. Diese oft massiven und radikalen Forderungen nähren vielfach den Heldenstatus. Aber Helden haben noch jeder Bewegung geschadet.

UPDATE: Wie Steffen Kraft auf Freitag.de berichtet, wollen die OpenLeaks-Macher jetzt ihre Schlüssel zu den Geheimdokumenten von WikiLeaks vernichten (sieh auch Kommentare).

Weiteres UPDATE: Die Reaktion von WikiLeaks ließ nicht lange auf sich warten. Hier der Tweet von heute 15.45 Uhr…

DDB spits on every courageous whistleblower who leaked data if they destroy the keys and refuse to return it. This is not acceptable.



 

Die lieben Verwandten

Die Publikation der WarLogs des Afghanistan-Krieges durch WikiLeaks jährt sich in zwei Wochen zum ersten Mal. Das Beben im Juli 2010 war heftig. Und es sollte nicht das letzte bleiben. In kurzen Abständen veröffentlichte WikiLeaks auch noch die Kriegstagebücher aus dem Irak und die Botschaftsdepeschen weltweiter US-Vertretungen. Die politischen Folgen dauern bis heute an.

Auch das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten, schien beschlossene Sache. Doch die vorhergesehenen Großverschiebungen der Plattentektonik der Weltöffentlichkeit blieben aus. Vorerst. Stattdessen geht es seit Monaten um die Popfigur Julian Assange und seine Gerichtsprozesse, um unerfüllte Ankündigungen neuer Großleaks und neuer Plattformen wie OpenLeaks, die bis heute nicht aktiv sind. Auch zahlreiche neue Leakingportale sind entstanden. In der Schweiz, in Schweden, in Deutschland. Natürlich auch in den USA und im arabischen Raum. Die erhoffte oder befürchtete Wirkung jedoch blieb aus. Stattdessen machte die Onlineguerilla Anonymous von sich reden. Man konnte nach ersten Aktionen gegen Visa und Mastercard, die auf Druck der US-amerikanischen Regierung den Geldtransfer an WikiLeaks eingestellt hatten, den Eindruck gewinnen, bei Anonymous handele es sich um den bewaffneten Arm der Leakingszene.

Jetzt aber startete das Hackerkollektiv eine eigene Leakingplattform. Sensationellerweise heißt das Portal HackerLeaks und ist seit Kurzem im Netz erreichbar. Auf den Erfolg darf man gespannt sein. Ist doch HackerLeaks nicht der erste Versuch der Anonymous-Aktivisten ein Leakingportal zu starten. Vor Monaten ging bereits Anon-Leaks ans Netz und ward seit dem nicht mehr gehört.

Der Verdacht erhärtet sich, dass größere Verschiebungen in der Plattentektonik der Weltöffentlichkeit vorerst ausbleiben. Die digitale Revolutionen sind allem Anschein nach langsamer als sie von sich selbst behaupten. Unumkehrbar bleiben sie dennoch.

 

Das Scheitern der Anderen

Der Boom ist unübersehbar. Weltweit findet WikiLeaks Nachahmer. Zuletzt war es das alt-ehrwürdige Wall Street Journal, das stolz den Start des eigenen Leakingangebots Safe House verkündete. Aber die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Wer dem potentiellen Whistleblower bereits in  den AGBs damit droht, Informationen über ihn an Dritte wie zum Beispiel die Polizei weiterzugeben, sollte sich über ausbleibenden Erfolg nicht all zu sehr wundern. Und ist schließlich zum Scheitern verurteilt. Das jedenfalls sagt Patrick Beuth in einem lesenwerten Artikel im Magazin Cicero über die Bemühungen zahlreicher Medien, den Zwischenhändler WikiLeaks mit eigenen Schnittstellen für Whistleblower zu neutralisieren. Aber es sind nicht nur diese strategischen Irrtümer die etliche der Anbieter scheitern lassen werden.

Es sind vor allem technische und rechtliche Aspekte, die große Zweifel aufkommen lassen, ob das Wall Street Journal seine Quellen wirklich schützen kann. Oder will. Schon in den Nutzungsbedingungen von Safehouse steht, man behalte sich das Recht vor, alle Informationen über die Whistleblower ohne weitere Warnung an die Polizei oder an Dritte zu übergeben, wenn es rechtlich geboten sei – oder wenn es nötig ist, um die Rechte des Verlagshauses Dow Jones, in dem das WSJ erscheint, und die Interessen anderer zu schützen. Damit dürften die allermeisten potenziellen Informanten bereits gründlich abgeschreckt sein. Dass die Datenübertragung aus verschiedenen technischen Gründen keineswegs so sicher ist, wie die Zeitung behauptet, macht den Ansatz dann schließlich wertlos.

Vor allem aber beklagt Beuth in seinem Artikel, dass den meisten Akteuren, die jetzt auf den Leaking-Zug aufspringen wollen, der Idealismus fehle. Denn der war es, der den WikiLeaks-Machern wie Julian Assange oder seinem früheren Mitstreiter die Energie gab, mit begrenzten Mitteln eine Whistleblower-Plattform aufzubauen. Was aber noch weit wichtiger war, ist und auch zukünftig sein wird, ist Glaubwürdigkeit. Eine Art Zwillingsschwester des Idealismus. Und diese Glaubwürdigkeit sieht der Autor durch das ungeschickte Agieren zahlreicher Medienhäuser massiv in Frage gestellt. Denn einer der wichtigsten Grundpfeiler von WikiLeaks ist trotz aller strukturell bedingter Intransparenz die Glaubwürdigkeit. Anders als Zeitungsredaktionen hat WikiLeaks zum Beispiel eingegangenes Whistleblowermaterail nie nur zur Komposition eigener Geschichten benutzt, sondern immer auch das Rohmaterial veröffentlicht. Und zwar vollständig.

 

Existenzängste, Kasernenhöfe und die Stasiakte von Angela Merkel

Der Streit war spektakulär. Daniel Domscheit-Berg, die mutmaßliche Nummer 2 bei WikiLeaks, brach Ende letzten Jahres öffentlich mit WikiLeaks-Gründer Julian Assange.
Was folgte, war die Ankündigung einer neuen Leakingplattform: OpenLeaks.org. Die Ankündigung ist mittlerweile alt geworden. Aber OpenLeaks.org ist im Netz bisher nicht mehr als eine schlichte digitale Visitenkarte. Ein Interview mit Daniel Domscheit-Berg über die Schwierigkeiten beim Neustart, die Psyche von Julian Assange, persönliche Exitenzängste und die Stasiakte von Angela Merkel.

Leaks-Blog:
Ihr Buch trägt den Untertitel „Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“. Was waren denn die Momente der Angst?

Daniel Domscheit-Berg:
Dieser Untertitel ist eigentlich ein Wortspiel, weil er auf verschiedenen Ebenen funktioniert. Ist eine offene Frage, die ich stelle. Für wen ist das eigentlich die gefährlichste Website der Welt? Für die, die exponiert werden? Für die die beteiligt sind oder vielleicht auch die, die Materialien dort abgeben?
Ich persönlich hatte nicht viele Momente, in denen ich mich bedroht gefühlt habe. Und die Bedrohung kam dann, wenn überhaupt, aus den eigenen Reihen. Da habe ich mich natürlich schon gefragt, auf was habe ich mich hier eingelassen?

LB:
Wie sah eine solche Bedrohungen aus den eigenen Reihen aus?

DDB:
Die beginnt damit, dass man in dem Moment, in dem man vermeintlich aus der Spur schießt, mit der Polizei bedroht wird. Was natürlich keine besonders vertrauensvolle Grundlage für eine Zusammenarbeit ist.

LB:
Was heißt denn aus der Spur schießen? Gab es bei WikiLeaks etwa ein Kasernenhofreglement, das vorsah, wann wer was wie zu tun hatte?

DDB:
Es gab von Julian Assange aus zumindest eine sehr klar definierte Hackordnung, die sich danach richtet, wer wem überlegen ist. Und er ist da an der Spitze. Weil er erfahrener ist als alle anderen und intelligenter. Und er fühlt sich aus diesen Gründen auch immun gegenüber der Kritik anderer. Ist natürlich keine gute Basis. Das ist dann irgendwas zwischen Kasernenhof und Sekte.

LB:
Wie fällt, in aller Kürze, aus Ihrer Sicht, die Charakterisierung von Julian Assange aus?

DDB:
In aller Kürze: Er ist ein Mensch der Extreme. Extrem positive Eigenschaften. Hochintelligent, einer sehr systemischer Denker. Auf der anderen Seite hat er Extreme Schwächen. Zum Beispiel was das Zwischenmenschliche betrifft.

LB:
Viele werfen Ihnen vor, Sie seien nur neidisch auf den enormen Erfolg von Julian Assange.

DDB:
Ich bin eigentlich froh, wenn ich nicht so oft in den Medien präsent bin. Es lässt sich nicht vermeiden, da das was wir tun, eine Relevanz für die Medien hat. Aber ich kann mit tausend andere Dinge vorstellen, die wichtiger sind.

LB:
WikiLeaks ist zwar noch in allen Medien präsent, aber es passiert ziemlich wenig. Zumindest was neue Leaks angeht. Rechnen Sie mit einem Comeback von WikiLeaks?

DDB:
Tja, das ist eine schwierige Frage. Es scheint momentan ziemlich viel um Ankündigungen zu gehen. Es gibt ja viele Drohungen, die ausgesprochen werden. Gegenüber amerikanischen Banken oder dem Murdoch Empire. Aber es passiert halt nichts. Warum nichts passiert, weiß ich nicht. Ich habe zu niemandem mehr Kontakt. Aber ich glaube, man hat sich mit den letzten Veröffentlichungen etwas übernommen. Die Frage ist, was kann da noch kommen? Nach Weltrekorden und so viel Aufmerksamkeit. Interessiert sich da eigentlich noch jemand für die kleinen Geschichten?

LB:
Jetzt haben Sie ja auch bereits vor Monaten den Start von OpenLeaks in Aussicht gestellt. Zwischenzeitlich wurden ja sogar die Screens ihrer Seite geleakt. Auch da passiert nichts.

DDB:
Ich bin manchmal wohl etwas zu optimistisch und habe Dinge in Aussicht gestellt, die wir so nicht halten konnten. Uns ist es wichtig, die Dinge richtig zu machen. Und gerade wenn man einen neuen Ansatz verfolgt, ist es nicht so einfach die Dinge richtig zu machen. Der neue Ansatz ist nicht ganz so trivial umzusetzen. Das braucht einfach Zeit. Es passiert viel. Vor allem im Hintergrund. Auch wenn man das nicht sieht. Ich hoffe, dass jetzt auch in den nächsten Wochen dazu was sichtbar wird. Wir sind dran!

LB:
OpenLeaks hat kein konventionelles Geschäftsmodell. Die Leaks sollen nicht monetarisiert werden. Da fragt man sich, wie soll sich das tragen? Wie trägt es sich aktuell. Bei so einer langen Entwicklungsphase. Wovon leben Sie?

DDB:
Es ist so, wie es auch jahrelang bei WikiLeaks war. Momentan wird alles aus unseren privaten Taschen finanziert. Es gab über den Spendendienst flattr 600 Euro, es gab 1500 Euro in Form von Geldspenden. Aber das ist natürlich nicht besonders viel Geld.

LB:
Wie groß ist denn das Team von OpenLeaks momentan?

DDB:
Wir sind fünf, sechs Leute, die momentan quasi Vollzeit daran arbeiten. Und insgesamt sind wir 12 oder 13.

LB:
Haben Sie da keine Existenzängste? Da investieren Sie über Monate Arbeit in ein Projekt, das nicht einmal ein Geschäftsmodell hat? Wie machen Sie das? Was sagt denn da eigentlich Ihre Familie?

DDB:
Wir haben ein Geschäftsmodell. Wir haben eine Idee, wie das alles finanziert werden soll. Die Partner werden ja auch dazu angehalten, unsere operativen Kosten zu senken. Damit kommt es zu weniger Kosten, für die ich jetzt ein Risiko eingehen müsste. Uns geht es zum Beispiel um Serverkapazitäten die Sie als Partner bereitstellen müssten, wenn Sie mitmachen wollten.

LB:
Und was ist mit den Existenzängsten?

DDB:
Nein, habe ich eigentlich nicht. Ich habe schon immer ohne große Sicherheiten geplant. Ich habe immer versucht, das zu machen, von dem ich überzeugt war, dass es richtig ist. Auch wenn das immer ein gewisses Risiko mit sich bringt. Und bei dem, was wir momentan aufbauen, habe ich wesentlich weniger Bedenken, als ich bei WikiLeaks hatte. Wir haben einen ganz klaren Plan. Ich bin sicher, dass das funktioniert. Da habe ich keine Existenzängste. Ganz im Gegenteil.

LB:
Ihre Familie macht da auch einfach mit?

DDB:
Auch meine Familie steht voll hinter mir. Meine Frau hat mich lange gestützt. Da habe ich das Glück, dass sie alle voll hinter mir stehen.

LB:
Zum Schluss ein Blick nach vorn. Es kommen immer mehr Leakingportale auf. Ist das für Sie Konkurrenz oder sagen Sie, ja das genau ist es. Es braucht mehr Portale die ins Lokale, Regionale gehen oder sich thematisch spezialisieren?

DDB:
Wir müssen möglichst viele Lösungen entwickeln. Es ist wie so oft, wir brauchen Vielfalt.

LB:
Gibt es eigentlich irgendein Geheimnis, dass Sie unbedingt mal lüften wollen?

DDB:
Da wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte.

LB:
Drei reichen.

DDB:
Es gibt extrem viel. Gerade was die Umweltthemen angeht. Hier bedarf es extremer Transparenz. Gerade was die wirtschaftlichen Zahlen angeht.
Es gibt ganz profane Dinge, wie zum Beispiel die Stasiakte von Frau Merkel. Ich bin davon überzeugt, dass sie öffentlich sein sollte. Das widerspricht sich. Wir schenken dieser Person viel Vertrauen, aber wissen nichts über diesen Teil ihrer Vergangenheit.

 

Daniel Domscheit-Berg und OpenLeaks auf der re:publica – live!

Der Streit ist mittlerweile alt geworden. Aber er ist weiterhin heftig. Welche Rolle hatte Daniel Domscheit-Berg bei WikiLeaks. Bloggen heute live Domscheit-Bergs Vortrag auf der re:publica.

Daniel Domscheit Berg spricht zu Beginn über das enorme Potential des digitalen Whistleblowings. Vor allem betont er, geht es für zukünftige Leakingplattformen nicht um die Majorprojekte, wie beispielsweise Cablegate, sondern um die vielen eher kleinen Themen die geleakt werden könnten/sollten.

Aus DDBs Sicht ist der Kontext von geleaktem Material enorm bedeutsam. Er nennt es das „Exklusivitäts-Dilemma“. Was kann eine Whistleblowingorganisation mit Material anfangen, das sie zwar exklusiv besitzt, aber evtl. nicht in die adäquaten Informationszusammenhänge setzen kann. Eines der zentralen Motive, warum OpenLeaks mit Partnerorganisationen aus den Bereichen Presse und NGO zusammenarbeiten wird.

Eine der größten Gefahren für Leakingplattformen ist die entstehende Macht, wenn brisantes Material eingeht. Macht korrumpiert. Offenbar eine klare Anspielung auf WikiLeaks und Julian Assange. Deshalb planen DDB und die Macher von OpenLeaks ihr neues Angebot als reinen Service. Eine Publikationsplattform, keine hochdotierten Exklusivverträge. Reine Leaking-Dienstleistung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Was ist das Ziel von OpenLeaks? Eine stabile und vor allem absolut sichere Technologie, so DDB weiter. Diese Technologie sollte für alle denkbaren Partner zugänglich sein. Auch wenn man in der öffentlichen Alphaphase demnächst erstmal mit 6 Partnern starten wird.

Besonders wichtig ist DDB der Hinweis auf die geplante Vermeidung jeder finanziellen Diskriminierung zukünftiger Partner. Die Plattform soll für alle denkbaren Partner aus den Bereichen Medien, NGO oder Gewerkschaften offen sein. Es soll definitiv keine Monetarisierung von Leaks geben. OpenLeaks hat kein eigenes Geschäftsmodell.

Whistleblower können auf OpenLeaks zukünftig Dokumente zwei Wochen exklusiv an einen der akkreditierten Partner richten. Danach gehen die Dokumente in jedem Fall als Rohmaterial in die Community. Auch wenn der Partner das Material zwischenzeitlich publiziert hat.

Knowledge soll geteilt werden! Andere Leakingportale wie Greenleaks etc. (siehe Übersicht) sollen von den Erfahrungen profitieren können.

Jeder Partner bekommt zukünftig eine eigene, gebrandete Partnerseite. So kann er auf seiner jeweiligen Seite im Look seiner Marke Leakingschnittstellen einrichten. Diese Schnittstellen funktionieren im weitesten Sinne wie OpenLeaks-Widgets. Auch werden Partnern auf OpenLeaks zukünftig  Werkzeuge zur unmittelbaren Auswertung der geleakten Dokumente zur Verfügung gestellt. Auch Interaktionen zwischen Partnerorganisationen werden möglich sein. So könnte sich eine NGO mit regionalem Tätigkeitsschwerpunkt an ein dort tätiges Medium wenden.

Um eine möglichst große Gruppe von Usern zu erreichen wird es verschiedene „User-Rollen“ geben. Partnerorganisationen werden in der Regel einen Read/Write-Status erhalten. Für weitere User wird es aber auch einen Read-Only-Status geben.

Mittelfristiges Ziel von OpenLeaks ist es, mit mind. 100 Organisation zu kooperieren. Die Partnerorganisation sollen sich 50:50 aus NGOs and Medienpartnern zusammensetzen.

Der aktuelle Status quo ist allerdings etwas bescheidener. In Kürze wird eine öffentliche Alphaversion mit 6 Partnern online gehen.

User sollen zukünftig auch voten können, um der Plattform so weitere vertrauenswürdige Organisationen zu empfehlen.

Die wichtigste News zum Schluss: DDB will sich für die Einrichtung einer Stiftung stark machen, die Whistleblowing in Deutschland stärkt.

Und er will kein Gelübde für einen definitiven Starttermin abgeben. Sie sind sehr beschäftigt, sagt DDB. Wir sind gespannt. Die Erwartungen sind hoch!

 

Missing Link – Was verbindet WikiLeaks und die Open Data Bewegung?

Wieder ein Buch. Gefühlt ist es in etwa das 1267 Buch zum Thema WikiLeaks, das innerhalb der letzten drei Monate erschien. Und es ist vermutlich nicht das letzte. Im Gegensatz jedoch zu den persönlichen Innenansichten der Leakingplattform, die WikiLeaks-Dissident Daniel Domscheit-Berg lieferte oder den Making-Of Texten der Spiegel-Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark, wählt WikiLeaks and the Age of Transparency von Micah L. Sifry einen anderen Ansatz. Es erzählt die Geschichte der digitalen Transparenzbewegung und sucht nach dem Missing Link zwischen Open-Data und WikiLeaks. In der Berliner Gazette veröffentlichte der Politikwissenschaftler Christoph Bieber gerade eine lesenswerte Rezension des Bandes. Im Gespräch mit dem Leaks-Blog erläutert er die Qualitäten des Buchs und seine Unzulänglichkeiten.

Die Eingangsfrage, ob nicht längst alle WikiLeaks-Bücher geschrieben sind, verneint Bieber, der bisher an der Universität Giessen arbeitete und in Kürze an die Universität Duisburg-Essen wechseln wird. Anders als die Berichte der diversen Mitwirkenden, gelinge es Micah L. Sifry aus größerer Distanz das Phänomen WikiLeaks zu analysieren, so Bieber weiter. Es handele sich bei WikiLeaks and the Age of Transparency eben nicht um die Erlebnisberichte derer, die auf der Seite der Akteure standen, ganz gleich ob als Mitarbeiter von WikiLeaks wie bei Domscheit-Berg oder als Journalisten, wie bei den Autoren des Spiegel.

Eher profitiere Sifrys Buch davon, sich nicht zu sehr mit den Details der WikiLeaks-Story und dessen umstrittenen Führungspersönlichkeit Julian Assange zu beschäftigen, sondern nach dem größeren Rahmen zu suchen. Und dieser größere Rahmen sei, folge man den Ausführungen Sifrys, die globale Open Data Bewegung.

Und das Buch wage eben, so Bieber, die Suche dem Missing Link zwischen Open-Data-Bewegung und WikiLeaks. Zwar gelinge diese Suche nicht immer, aber das Einrücken von WikiLeaks in diesen größeren Betrachtungsrahmen, sei der entscheidende Pluspunkt des Buchs. Es werde klar, das Leakingkultur und Transparenzbewegung, zwei Seiten einer Medaille sein könnten.

Was die Zukunft von Assange aber auch die Weiterentwicklung der Leakingkultur angeht, ist aus Sicht Biebers das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Assange sei für das Gelingen von WikiLeaks von enormer Bedeutung gewesen. Laut Bieber ist Assange geradezu die Idealausprägung eines Bewegungsintellektuellen. Hartnäckig, von großer Präsenz, streitbar, polarisierend, aber auch mobilisierend. Ob Leakingplattform zukünftig aber weiterhin auf herausragende Bewegungsintellektuelle angewiesen sein, ist laut Bieber nicht entschieden. Plattformen wie das Guttenplag-Wiki hätten bewiesen, dass Communitys auch ohne exponierte Führungspersönlichkeiten effektiv sein können. Auch sei es durchaus naheliegend, dass Leakingplattformen nicht nur global operieren, sondern regional oder themenspezifisch arbeiten. Und dann brauche es weder Führungsfigur, noch ein Netz weltweiter Medienpartner, sondern einfach nur relevante Materialien.

 

Thronfolger, Kronprinzen und Selbstversorger

Die Spekulationen reißen nicht ab. Das Verhältnis zu WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist ruiniert und seit Wochen kursieren Gerüchte, der britische Guardian und die New York Times könnten zukünftig mit der neuen Leakingplattform OpenLeaks.org zusammenarbeiten. Guardian Chefredakteur Alan Rusbridger bestätigte nun in einem längeren Interview mit der amerikanischen Nachrichtenseite The Cultline aus dem Yahoo News-Universum, dass man eine Kooperation mit dem Portal des WikiLeaks-Dissidenten Daniel Domscheid-Berg prüfe:

But Rusbridger did confirm that The Guardian has been in talks about a possible collaboration with OpenLeaks, a newer document-leaking platform launched in December by high-ranking WikiLeaks defector Daniel Domscheit-Berg.

Aber ebenso wie die New York Times scheint auch der Guardian ein eigenes Onlineangebot für Whistleblower zu erwägen. In den letzten Monaten sind bereits mehrere Leakingportale größerer Medienhäuser im Netz gestartet. In Deutschland bietet die WAZ-Gruppe mit derwesten-recherche.org ein eigenes Portal, in Schweden startete sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit RadioLeaks.se ein im Hörfunk einmaliges Angebot, auch der amerikanische Fernsehsender MSNBC ist mit Open Channel seit einigen Wochen online und Al Jazeeras Transparency Unit sorgte erst Ende Januar mit der Veröffentlichung der geheimen Palestine Papers für Furore.

Einen Überblick über zahlreiche neue Leakingplattformen gibt es hier. Das Ganze ist übrigens ein Work-in-Progress. Ergänzungen sind natürlich willkommen.

 

Kurz und klein (5): Schauspieler, Drogendealer, Knastinsassen

++++Schauspieler++++

Während sich der umstrittene Wikileaks-Gründer Julian Assange in dieser Woche mit Antisemitismusvorwürfen herumschlagen musste, wurde bekannt, dass Steven Spielberg an der Verfilmung der Assange-Story interessiert sein soll. Zumindest hat seine Produktionsfirma Dreamworks gerade die passenden Rechte erworben. Natürlich kursierten gleich erste Schauspielernamen im Netz. Mr. Bourne-Identity Matt Damon wird hoch gehandelt. Aber auch der gebürtige Australier und Galdiator-Darsteller Russel Crowe ist angeblich im Gespräch. Eventuell sollte man die Wikileaks-Verfilmung dann allerdings eher als Historiendrama anlegen. Ob in der römischen Antike oder im englischen Mittelalter wäre noch zu debattieren. Fehlt eigentlich nur noch jemand, der den ehemaligen Gouverneur von Kalifornien ins Spiel bringt. Dann könnte man die Wikileaks-Verfilmung auch als Science-Fiction in die Kinos bringen.

++++Drogendealer+++

Unterdessen starrt die Welt nach Libyen. Der dortige Diktator bringt aktuell die Luftwaffe gegen die Revolution in Stellung (siehe auch Das Drehbuch der Revolution). Andere Weltregionen geraten da schon mal aus dem Blick – zumindest aus europäischer Perspektive. Aber auch anderswo rumort es kräftig. In Mexiko zum Beispiel. Was umgehend Auswirkungen auf die mexikanischen Beziehungen zu den USA hat. Denn die schätzen die dortigen Aktivitäten der mexikanischen Regierung im bürgerkriegsähnlichen Drogenkrieg gegen die großen Mafiakartelle neuesten Wikileaks-Veröffentlichungen zufolge eher desolat ein. Im Zuge eines Staatsbesuchs des mexikanischen Präsidenten Calderon im weißen Haus, kam es dementsprechend zu dem, was im Nachrichtensprech gerne Austausch von Meinungsverschiedenheiten genannt wird und nichts anderes ist, als ein handfester Krach der amerikanischen Nachbarn.

++++Knastinsassen+++

Auch die Anklage gegen die vermeintliche Wikileaksquelle Bradley Manning in den USA ist zwischenzeitlich um sage und schreibe 22 Punkte erweitert worden. Die US-Justiz scheint an dem inhaftierten Obergefreiten der US-Army nicht nur ein Exempel statuieren zu wollen, sondern gleich mehrere Dutzend. Offenbar gilt in Sachen Whistleblower das Prinzip Abschreckung. Beschämenderweise wurde gleichzeitig bekannt, dass Manning wiederholt gezwungen wurde, Tage und Nächte nackt in seiner Einzelzelle zu verbringen. Nicht gerade das, was man von einem Rechtsstaat erwartet, der seit Kurzem die Machthaber im arabischen Raum zu Diktatoren erklärt hat und ihnen wegen Menschenrechtsverletzungen die Legitimationen abspricht.