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Kurz und klein (8): Nebenkläger, Nebeneinkünfte, Nebenberufe

+++Nebenkläger+++

In der Wunde wird weiter gewühlt. Die USA kommen nicht zur Ruhe. Vor wenigen Tagen erst hatte ein früherer Sprecher des US-Außenministeriums im britischen Guardian kopfschüttelnd kommentiert, der Umgang der USA mit dem vermutlichen Whistleblower Bradley Manning schade dem Ansehen Amerikas massiv.

Jetzt veröffentlichte die New York Book Review einen offenen Brief an die US-Regierung, den über 250 Intellektuelle in kürzester Zeit unterzeichneten. Ihr Plädoyer ist eindeutig. Die Haftbedingungen Mannings, der in strengster Isolationshaft auf seinen Prozess wartet, sind unmenschlich und schaden den USA (Siehe auch Asymmetrische Rache über die schweren Irrtümer der USA im Fall Manning).

+++Nebeneinkünfte+++

Der Weltgeist ist gerade in Nordafrika unterwegs. Ägypten und Tunesien dominierten zu Beginn des Jahres den Nachrichtenfluss (siehe auch Das Drehbuch der Revolution über die Bedeutung der Depeschen für die arabischen Revolutionen). Vor Wochen folgten dann der öffentliche Irrsinn Gadhafis, gepaart mit seiner brutalen Rücksichtslosigkeit beim Versuch der Niederschlagung der Revolution im eigenen Land. Jetzt ist es der Krieg westlicher Flugzeuge und libyscher Freiheitskämpfer gegen den Despoten.

Für Länder südlich des Maghrebs ist es da alles andere als leicht, das Interesse des Weltgeists zu wecken. Dabei sind die Vorgänge skandalös. In Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstem Land, wurden die am Wochenende geplanten Wahlen kurzfristig um wenige Tage verschoben. Als Grund wurden Lieferschwierigkeiten der Druckerei für Wahlerfassungsbögen benannt. Das WikiLeaks-News-Portal WL Central und die nigerianische Infoseite NEXT gehen auf Grundlage zahlreicher US-Depeschen, die WikiLeaks veröffentlicht hatte, jedoch eher davon aus, dass Verzögerungen bei den Manipulationsvorbereitungen Grund der Verschiebung waren. Denn aus den Depeschen geht eines hervor, anstelle des Wohles ihres Landes sehen zahlreiche nigerianische Politiker vor allem ihre eigenen Nebeneinkünfte an erster Stelle. Und die stammen in großen Umfängen aus der grassierenden Korruption.

+++Nebenberufe+++

Es gibt etliche Nebenberufe. Manche sind Teilzeitlandwirte, andere gehen abends putzen oder kellnern bis drei Uhr früh in einer schäbigen Bar, um die Familie durchzubringen. Bei Julian Assange wird man das Gefühl nicht los, dass er im Nebenberuf Interviewter ist. Die Zahl der Interviews jedenfalls ist mittlerweile astronomisch. Ein Exklusivinterview jagt das nächste. Der indische TV-Sender NDTV, das norwegische Aftonbladet, die italienische L’Espresso und jetzt auch noch das ZDF-Magazin aspekte. Assange würde wohl argumentieren, dass er sich nur in den Dienst der Sache stellt. Bleibt nur zu hoffen, dass es die Sache noch gibt. Und es nicht mehr ausschließlich um die Vermarktung der Person Julian Assange geht.

Im Aspekte-Interview jedenfalls äußerte sich Assange vor einigen Tagen vor allem zu einem wiederaufgelegten Buch, an dessen Entstehung er mitwirkte: Underground – Die Geschichte der frühen Hackerelite. Es geht um die Hackerszene der 1980er und frühen 1990er Jahre. Spannend ist es allemal. In der Süddeutschen Zeitung gibt es dazu noch ein Interview mit der Autorin Suelette Dreyfuss.

 

Thronfolger, Kronprinzen und Selbstversorger

Die Spekulationen reißen nicht ab. Das Verhältnis zu WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist ruiniert und seit Wochen kursieren Gerüchte, der britische Guardian und die New York Times könnten zukünftig mit der neuen Leakingplattform OpenLeaks.org zusammenarbeiten. Guardian Chefredakteur Alan Rusbridger bestätigte nun in einem längeren Interview mit der amerikanischen Nachrichtenseite The Cultline aus dem Yahoo News-Universum, dass man eine Kooperation mit dem Portal des WikiLeaks-Dissidenten Daniel Domscheid-Berg prüfe:

But Rusbridger did confirm that The Guardian has been in talks about a possible collaboration with OpenLeaks, a newer document-leaking platform launched in December by high-ranking WikiLeaks defector Daniel Domscheit-Berg.

Aber ebenso wie die New York Times scheint auch der Guardian ein eigenes Onlineangebot für Whistleblower zu erwägen. In den letzten Monaten sind bereits mehrere Leakingportale größerer Medienhäuser im Netz gestartet. In Deutschland bietet die WAZ-Gruppe mit derwesten-recherche.org ein eigenes Portal, in Schweden startete sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit RadioLeaks.se ein im Hörfunk einmaliges Angebot, auch der amerikanische Fernsehsender MSNBC ist mit Open Channel seit einigen Wochen online und Al Jazeeras Transparency Unit sorgte erst Ende Januar mit der Veröffentlichung der geheimen Palestine Papers für Furore.

Einen Überblick über zahlreiche neue Leakingplattformen gibt es hier. Das Ganze ist übrigens ein Work-in-Progress. Ergänzungen sind natürlich willkommen.

 

Asymmetrische Rache

Gewaltige Wut. Tief sitzende Frustration. Anders ist die Heftigkeit nicht zu erklären. Nachdem WikiLeaks-Gründer Julian Assange juristisch nicht zu fassen war, richtete sich das Bedürfnis nach Vergeltung offenbar ausschließlich auf den mutmaßlichen WikiLeaks-Informanten. Anders sind die Eskalationen der US-Justiz und die wiederholten Verschärfungen der Haftbedingungen des ehemaligen Army-Gefreiten Bradley Manning nicht zu erklären.

Fast schon verzweifelt richtete Amnesty International gestern einen offenen Brief an US-Präsident Obama, um auf die untragbaren Zustände hinzuweisen. Die britische BBC stellt in einem langen Feature hartnäckig die Frage, ob Manning nicht schon längst vor Beginn des Prozesses vielfach bestraft ist.

Es scheint ganz so, als hätte sich die Weltmacht USA in Afghanistan und im Irak in asymmertrischen Kriegen verfangen und übertrage jetzt das Prinzip des Asymmetrie auf die eigene Strafverfolgung. In Guantanamo sitzen entrechtete Kombattanten und im Hochsicherheitstrakt eines Militärgefängnisses in Virginia sitzt der vermeintliche Whistleblower Manning. Er ist es, der als menschlicher Blitzableiter die aufgestauten Energien jetzt absorbieren muss. Etwas viel Asymmetrie für einen Rechtsstaat.

 

WikiLeaks sorgt weiterhin weltweit für Wirbel – das Beispiel Indien

Es sind noch lange keine zehn Prozent. Es sind mittlerweile vielleicht drei oder vier Prozent. Mehr nicht. Aber die Wirkung ist immer noch enorm. Weltweit. Auch wenn bisher erst ein Bruchteil der WikiLeaks vorliegenden US-Botschaftsdepeschen veröffentlicht worden ist. Die Ausläufer der politischen Beben sind mittlerweile jedoch auf allen Kontinenten spürbar. Über die arabischen Erschütterungen berichteten wir hier bereits mehrfach. Auch Lateinamerika war schon im Fokus. Europa sowieso.  Aber auch in Indien sorgen neue Depeschen momentan für heftige politische Debatten.

Unter anderem geht es um schwere Korrruptionsvorwürfe gegen die regierende Kongresspartei von Ministerpräsident Singh. Im Raum steht der Vorwurf, dass Stimmen für eine Parlamentsabstimmung gekauft wurden, um einen Ausbau der Technologiepartnerschaft zwischen Indien und den USA voranzutreiben. Im Zentrum der Partnerschaft steht die Atomenergie, die Singh als eine der zentralen Komponenten der zukünftigen indischen Stromversorgung sieht. Mit Blick auf die Ereignisse in Japan muss man natürlich von einem idealen Zeitpunkt der Veröffentlichung sprechen. Gerade für Singh.

In einem Interview mit der indische Zeitung „The Hindu“ nahm auch WikiLeaks-Gründer Assange umfangreich zu den India-Cables Stellung und stellte klar, dass die Depeschen echt sind. Die indische Regierung hatte zwischenzeitlich versucht, die Glaubwürdigkeit der Depeschen in Abrede zu stellen. In einem Interview mit dem indischen TV-Sender NDTV äußerte sich Assange ebenfalls ausführlich und kritisierte unter anderem die aggressive Vermarktungsstrategie des State Department für US-Firmen weltweit.

 

Dem Yemen droht die Eiserne Faust

Tunesien, Ägypten, Libyen und jetzt der Yemen. Nordafrika ist im Umbruch, aber der Weg zu den geforderten Freiheitsrechten ist mehr als steinig. Während Tunesien Fortschritte auf dem Weg Richtung Demokratie macht, kommt es in Ägypten wenige Wochen nach dem Sturz Mubaraks schon zu heftigen Auseinandersetzungen um die geplante Verfassung und in Libyen hetzt ein grotesker Despot das Militär auf die eigene Bevölkerung.

Auch im Yemen scheinen die Tage des autokratisch regierenden Präsidenten Saleh gezählt. Die Armee stellt sich gegen den Präsidenten. Ein mächtiger General betreibt die Ablösung des verhassten Führers. Nur leider droht mit diesem General ein Nachfolger, dem man keinem Volk der Welt wünscht. WikiLeaks-Depeschen aus dem Jahr 2005, die gerade vom britischen Guardian veröffentlicht wurden, charakterisieren einen korrupten Militär mit großer Affinität zum politisch radikalen Islam. Sein Name Ali Mohsen al-Ahmar, genannt die Eiserne Faust.

 

Kurz und klein (6): Krieg, Protest, Reaktor, Rücktritt

+++Krieg+++

Ist der Krieg in Libyen der erste WikiLeaks-Krieg der Geschichte? Der Papierform nach unterscheidet sich der Waffengang gegen Gadhafi zwar kaum von den Kriegen gegen die Taliban oder Saddam Hussein. Aber eines scheint völlig anders, die transparente Vorgehensweise der US-Regierung. Das jedenfalls ist die Meinung des amerikanischen Journalisten und Bloggers Tom Watson.

Die Gründe für seine steile Theorie sieht Watson überraschenderweise auch bei WikiLeaks. Eine Position, die maximalen Disktinktionsgewinn verspricht, aber nicht durch maximale Logik glänzt. In einem streitbaren Artikel legt er dar, dass es sich bei dem Militäreinsatz in Libyen aus ganz unterschiedichen Gründen um den ersten WikiLeaks-Krieg handelt. Nicht nur die libysche Bevölkerung, die, wie die aufbegehrenden Gesellschaften in Tunesien und Ägypten, aus den US-Depeschen Motive ihrer Proteste bezieht, sondern auch die libysche Führung mit ihrem irrwitzigen Führer Muammar al Gadhafi an der Spitze, hat die Konsequenzen aus den WikiLeaks-Veröffentlichungen gezogen.

Von Beginn an verzichtete der Gadhafi-Clan auf alle Kompromisse und verstärkte sofort nach dem Aufkommen der ersten Proteste die Repressionen. Nach dem Motto: Die Wahrheit über uns Schweinehunde ist sowieso bekannt, was sollen wir noch zimperlich sein. So habe man sich das Schicksal der Ben-Alis und Mubaraks ersparen wollen. Watson geht aber noch weiter, dieser Logik folgend, macht er WikiLeaks für die Eskalation der Gewalt mehr oder weniger mitverantwortlich.

Aber auch die amerikanische Regierung hat ihre Konsequenzen aus dem Cablegate-Desaster gezogen und eine strategische Kehrtwende vollzogen. Überraschend defensive und erstaunlich transparente versuche die US-Administration den Konflikt international abzusichern. So Watson in seinem Artikel.

Mit seiner kühnen Theorie denkt er, nach eigener Aussage, nur zu Ende, was Assange selbst noch vor wenigen Tagen ansprach. Die Bedeutung von Facebook und Twitter im Kontext der nordafrikanischen Revolutionen werde überschätzt, die von WikiLeaks hingegen weitgehend unterschätzt. Aber im Gegensatz zu Assange kommt Watson zu einem anderen Schluss: Der Libyen-Krieg ist bei ihm fast die zwingende Folge der WikiLeaks-Veröffentlichungen. Wenn die Depeschen diesen beanspruchten Anteil an den Unruhen haben, dann haben sie ihn auch an diesem neuen Krieg.

+++Protest+++

Weltweit kam es am zurückliegenden Wochenende zu Protestaktionen gegen die Haftbedingungen des ehemaligen Obergefreiten der US-Armee und mutmaßlichen Whistleblower, Bradley Manning. Das Protestbündnis Stand with Bradley hatte in etlichen Städten weltweit zu Demonstrationen aufgerufen.  In Washington kam es zu Protesten vor dem Weißen Haus. Unter anderem wurde dabei einer der berühmtesten Whistleblower der jüngeren Geschichte, Daniel Ellsberg, verhaftet. Ellsberg hatte in den 1970er Jahren für die Veröffentlichung der sogenannten Pentagon Papiere gesorgt. Sie dokumentierten die vorsätzliche Irreführung der amerikanischen Öffentlichkeit durch die US-Regierung während des Vietnamkriegs.

Die Proteste des Wochenendes richteten sich gegen die 22 Anklagepunkte und insbesondere die Haftbedingungen Mannings. Wir hatten mehrfach berichtet. Zu Demonstrationen kam es in zahlreichen Städten der USA zudem in Finnland, Groß Britannien und Österreich. In Deutschland dagegen gab es keine Veranstaltung. Bleibt nur die Frage warum?

+++Reaktoren+++

Es ist seit Tagen bekannt und kann doch nicht oft genug wiederholt werden. Wie WikiLeaks-Depeschen aus den Jahren 2006 und 2008 belegen, waren die Risiken, die Erdbeben für japanische Atomkraftwerke darstellen könnten, seit Jahren nachzulesen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Risiken für andere Atomkraftwerke außerhalb Japans mittlerweile nachgelesen wurden. Inklusive der nötigen Konsequenzen.

+++Rücktritt+++

Die Welt richtet ihre Augen nach Japan und Nordafrika. Über die Bedeutung der Wikileaks-Depeschen dort berichteten wir. Aber auch andernorts ist Cablegate noch immer Ausgangspunkt für lokale oder regionale Krisen. Das Verhältnis der USA zu Mexiko ist zuletzt wiederholt erschüttert worden, nachdem durch veröffentlichte Depeschen zuletzt bekannt geworden war, wie sich der US-Botschafter in Mexiko über die vermeintlich nachlässige Haltung der mexikanischen Behörden im Kampf gegen den organisierten Drogenhandel beschwert hatte. Jetzt musste der Botschafter seinen Posten räumen. Es ist nicht der erste Botschafter den WikiLeaks-Veröffentlichungen seinen Posten gekostet haben. Und es wird nicht der letzte sein.

 

Zwei Prozent

Mehr ist noch nicht veröffentlicht von den 251.287 Depeschen, die Wikileaks im letzten Jahr zugespielt wurden. Gerade einmal zwei Prozent. Während in der Presse in den letzten Tagen überall die 100-Tage-Cablegate-Bilanz gezogen wurde, ließ es sich Wikileaks nicht nehmen, einen Tag später ein eigenes Zwischenfazit vorzulegen. Der Hinweis auf die noch ausstehenden 98 Prozent stand ganz vorn. Und klang nach Drohung. Der Rest fiel erwartungsgemäß aus. Kurz gesagt: Die Welt ist eine andere. Es könnte stimmen.

Hilfreicher war da schon die gestrige Veröffentlichung von WL Central. Das Portal mit WikiLeaks-Nachrichten und -analysen stellte noch einmal alle bisherigen Quellen und Onlinewerkzeuge zusammen, mit denen sich jeder seine eigenen Schneisen in den Depeschendschungel schlagen kann. Neben diversen Standardquellen wie WikiLeaks oder der Cablegate-Seite des Guardian, wurden auch Datensammlungen wie die Google-Fusion-Tabelle mit allen getaggten Cables oder Cablegatesearch.net aufgeführt.

Dazu erläutert WL Central zahlreiche atemberaubende Data Mining Tools, mit denen jeder im Handumdrehen eigene Tiefenbohrungen in den Datenbeständen vornehmen kann. So herausragende Werkzeuge wie die Depeschensuchmaschine Cablesearch.org, die visuell spektakuläre Netzseite Kabels oder das spielerische Wordle der norwegischen Zeitung Aftenposten sollen hier nur stellvertretend für zahlreiche Superwerkzeuge genannt werden.

Für alle, die auf eigene Faust in das Depeschen-Universum eindringen wollen, ist der WL Central Artikel mit dem schlichten Titel Cablegate Resources ein Muss.

 

Als Assange noch ein Niemand war

Wikileaks ist für die Leakingkultur das, was die Entdeckung des Feuers für die Menschheit oder der Erfindung des Rads für die Zivilisation war. Mehr als ein Quantensprung. Nach den schweren Beben, die Wikileaks im letzten Jahr auslöste, gibt es mittlerweile etliche WikiLeaks-Klone und Nachahmer. Mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten versuchen sie, Whistleblowern eine adäquate Plattform für Ihre Dokumente anzubieten. Vor Wochen haben wir hier bereits einen ersten Überblick aktueller Plattformen zusammengestellt. Der Index aller relevanten Leakingplattformen soll ständig erweitert werden. Für Links und Hinwiese sind wir übrigens jederzeit dankbar.

Aber bereits vor Wikileaks gab es eine Plattform, die sich der Ideologie der totalen Transparenz verschrieben hatte: www.cryptome.org. Die Berliner Gazette hat heute ein Portrait des Gründers John Young veröffentlicht. Das Portrait ist zwar schon etwas älter und ursprünglich in der amerikanischen Wired erschienen, ist aber dennoch lesenswert. Atemberaubend ist der Unterschied der Protagonisten. Hier der junge Hacker, energetisch, getrieben. Dort der altgewordene Idealist. Verhärtet, spröde.

 

Kurz und klein (5): Schauspieler, Drogendealer, Knastinsassen

++++Schauspieler++++

Während sich der umstrittene Wikileaks-Gründer Julian Assange in dieser Woche mit Antisemitismusvorwürfen herumschlagen musste, wurde bekannt, dass Steven Spielberg an der Verfilmung der Assange-Story interessiert sein soll. Zumindest hat seine Produktionsfirma Dreamworks gerade die passenden Rechte erworben. Natürlich kursierten gleich erste Schauspielernamen im Netz. Mr. Bourne-Identity Matt Damon wird hoch gehandelt. Aber auch der gebürtige Australier und Galdiator-Darsteller Russel Crowe ist angeblich im Gespräch. Eventuell sollte man die Wikileaks-Verfilmung dann allerdings eher als Historiendrama anlegen. Ob in der römischen Antike oder im englischen Mittelalter wäre noch zu debattieren. Fehlt eigentlich nur noch jemand, der den ehemaligen Gouverneur von Kalifornien ins Spiel bringt. Dann könnte man die Wikileaks-Verfilmung auch als Science-Fiction in die Kinos bringen.

++++Drogendealer+++

Unterdessen starrt die Welt nach Libyen. Der dortige Diktator bringt aktuell die Luftwaffe gegen die Revolution in Stellung (siehe auch Das Drehbuch der Revolution). Andere Weltregionen geraten da schon mal aus dem Blick – zumindest aus europäischer Perspektive. Aber auch anderswo rumort es kräftig. In Mexiko zum Beispiel. Was umgehend Auswirkungen auf die mexikanischen Beziehungen zu den USA hat. Denn die schätzen die dortigen Aktivitäten der mexikanischen Regierung im bürgerkriegsähnlichen Drogenkrieg gegen die großen Mafiakartelle neuesten Wikileaks-Veröffentlichungen zufolge eher desolat ein. Im Zuge eines Staatsbesuchs des mexikanischen Präsidenten Calderon im weißen Haus, kam es dementsprechend zu dem, was im Nachrichtensprech gerne Austausch von Meinungsverschiedenheiten genannt wird und nichts anderes ist, als ein handfester Krach der amerikanischen Nachbarn.

++++Knastinsassen+++

Auch die Anklage gegen die vermeintliche Wikileaksquelle Bradley Manning in den USA ist zwischenzeitlich um sage und schreibe 22 Punkte erweitert worden. Die US-Justiz scheint an dem inhaftierten Obergefreiten der US-Army nicht nur ein Exempel statuieren zu wollen, sondern gleich mehrere Dutzend. Offenbar gilt in Sachen Whistleblower das Prinzip Abschreckung. Beschämenderweise wurde gleichzeitig bekannt, dass Manning wiederholt gezwungen wurde, Tage und Nächte nackt in seiner Einzelzelle zu verbringen. Nicht gerade das, was man von einem Rechtsstaat erwartet, der seit Kurzem die Machthaber im arabischen Raum zu Diktatoren erklärt hat und ihnen wegen Menschenrechtsverletzungen die Legitimationen abspricht.

 

Das Drehbuch der Revolution

Ben-Ali ist weg. Mubarak ist weg. Gadhafi wankt. Jetzt geraten die Saudis in den Blick. Eine Revolution und ihre Etappen. Seit Wochen rast eine Umwälzung durch Arabien. Mit einer Dynamik, wie wir sie eigentlich nur aus Drehbüchern kennen. Denn auch Filmplots werden gestaucht erzählt, um den flüchtigen Zuschauer bei Laune zu halten. Figuren werden überzeichnet, Situationen dramatisiert und Spannungsbögen verstärkt.

Aber die Geschichte, die uns hier dargeboten wird, ist real, der Plot atemberaubend. Mit schnellen Schnitten wird in kurzer Zeit erzählt, was vor Monaten noch für Jahre unmöglich schien. Dabei sind die Protagonisten teilweise so unrealistisch bizarr, dass man sie keinem Drehbuchautor durchgehen lassen würde. Aber die Wirklichkeit ist gerade mit Hochgeschwindigkeit auf der Überholspur unterwegs. Und die US-Depeschen, die Wikileaks tagtäglich veröffentlicht, spielen eine wichtige Rolle.

Über die Dekadenz der tunesische Herrscherfamilien berichteten wir hier schon ausführlich (Tunesien: Die erste Wikileaks-Revolution?). Sie machte unter anderem mit der Käfighaltung einiger Löwen zu Unterhaltungs- zwecken von sich reden. Eskapaden dieser Art wirken jedoch eher kleinbürgerlich gegen den Größenwahn des libyschen Gadhafi-Clans (siehe auch Tage des Zorns).

Während die Söhne Gadhafis ja bereits einschlägig bekannt sind, zeigt sich ihr Vater in diesen Tagen nicht nur als schillernder Halunke und Menschenfeind, sondern auch wieder als Mann mit einer Vorliebe für verstörende Auftritte. Seine groteske 20-Sekunden-Ansprache in einer theaterreifen Kulisse, zwischen Ruinen, Autoteilen und einem Regenschirm ist dem Zuschauer noch präsent (man war überzeugt Ausschnitte einer Beckett-Inszenierung aus den 80er Jahren zu sehen), da legte er gestern bereits nach. Während sein Land auseinanderbricht, erklärt der Mann mit der Neigung zur Fanatsieuniform in einem Gespräch mit dem amerikanischen Fernsehsender ABC in aller Seelenruhe, dass sein Volk ihn liebe und bereit sei, für ihn zu sterben. Derartige Äußerungen in einem von Bürgerkriegsszenen erschütterten Land, dürften bestenfalls noch als Anschauungsmaterial für Studenten der Psychopathologie dienen.

Aber die Bizarrerien der arabischen Herrscher sind längst noch nicht alle bekannt. Unser Revolutionsfilm ist erst in Teilen erzählt. Und den Wikileaks-Depeschen kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Sie sind zwar nicht der Plotkicker, jenes Ereignis, das eine Geschichte in Gang bringt. Aber sie haben die elementare Funktion, uns die Background-Storys zu erzählen. Denn so wie jede gute Drehbuchfigur eine Geschichte hat, die weit über die erzählte Zeit des Films hinausgeht, so haben auch die arabischen Herrscher jeweils eine Geschichte, die weit über die aktuelle Umsturzsituation hinausgeht. Und diese Geschichten legen uns die US-Depeschen dar, die Wikileaks wohl dosiert veröffentlicht. Es sind Geschichten aus jener Zeit, in denen die Diktatoren der arabischen Welt noch Staatsmänner waren, mit denen man gute Geschäfte machen konnte.

Die Background-Geschichten erzählen uns das, was die Diplomaten, Dienste und dementsprechend jene Politiker des Westens, die sich jetzt mit Abscheu distanzieren, schon seit Jahren wussten. Ob es nun Bahrains Kronprinz ist, über den durch Wikileaks-Depeschen unlängst bekannt wurde, dass er sich nicht gerade als Fan der Demokratie versteht (by the way: so hübsch codiert, kommt ein autoritärer Anspruch selten daher). Oder unsere Buddys aus Saudi Arabien, die überraschender Weise doch nicht das sind, was man lupenreine Demokraten nennen könnte. Das Maß an Rücksichtslosigkeit, Selbstherrlichkeit und Skrupellosigkeit entspricht wohl dann doch eher dem, was es ist – einer absolutistischen Monarchie. Und sie sind es, auf die wir jetzt unsere Hoffnungen setzen. Zumindest was die stabile Versorgung des Westens mit Erdöl angeht, da der Kollege Größenwahn aus Tripolis sich erstmal für einen blutigen Kampf gegen sein eigenes Volk entschieden hat.

Bleibt nur noch die Frage, um was für eine Art Film es sich handelt. Komödie und Liebesfilm scheiden aus. Kommen nur noch Groteske, Drama und Tragödie in Betracht. Sie haben die freie Wahl.