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Die NRW-Landtagswahl im deutschen Föderalismus

Nils Bandelow

Am 9. Mai wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt. Die Wahl ist die Grundlage für die spätere Bildung der Regionalregierung in dem bevölkerungsstärksten Bundesland Deutschlands. Aber gibt es in Deutschland überhaupt so etwas wie „Regionalwahlen“? Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist wichtig. Vielleicht ist sie wichtig für die Bildungspolitik in NRW. Studiengebühren, das Schulsystem – und (nicht ganz unabhängig von Bildung) – auch die unbelehrbaren Raucher in den Kneipen zwischen Bielefeld und Bonn könnten vom Ergebnis betroffen sein.

Trotz aller Föderalismusreformen bleibt die Landtagswahl in NRW aber in erster Linie eine Wahl zur Bundespolitik. Sie ist es schon unabhängig vom Ergebnis: Nie war es so deutlich wie jetzt (obwohl auch frühere Regierungen derselben Logik gefolgt sind): Reformen auf Bundesebene, die vielen schaden und wenigen nützen, macht man nach  Landtagswahlen – und nicht davor. Aber wie wird sich die Wahl inhaltlich auswirken? Nun, es könnte sein, dass sich nichts verändert. Wenn die „christlich-liberale“ Regierung auch in NRW bestätigt würde, dann wären Jürgen Rüttgers und Andreas Pinkwart gestärkt. Die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister hätten dann für die Zukunft jeweils einen wichtigen internen Rivalen behalten.

Die Alternative ist jede andere Koalitionsregierung in NRW. Sollte eine der Oppositionsparteien – egal  welche – an der Landesregierung beteiligt werden, dann sind die Gewinner: Bündnis 90/Die Grünen. Das gilt selbst für den (unwahrscheinlichen) Fall einer rot-roten Landesregierung, selbst dann, wenn die Grünen den Einzug in den Landtag verpassen würden. Wieso das? Bisher verfügen schwarz-gelbe Landesregierungen insgesamt über eine theoretische knappe Mehrheit im Bundesrat. Die Mehrheit ist theoretisch, weil die Kammer der Landesregierungen selten ausschließlich nach parteipolitischen Vorgaben entscheidet. Aber bisher reicht es eben, wenn Merkel und Westerwelle ihre Leute hinter sich bringen. Dann – und nur dann – können sie jedes Gesetz und jede Verordnung verabschieden, solange das Grundgesetz unberührt bleibt.

Dies kann sich nach der „Landtagswahl“ in NRW ändern. Die Anführungsstriche sollen verdeutlichen: Hier handelt es sich um eine Wahl, deren Bedeutung für den Bund wichtig ist. Nicht nur, weil sie ein Signal sendet, und eine Rückmeldung gibt, für die bisherige Arbeit der Regierung.

Die wichtigste Bedeutung der Landtagswahl in NRW liegt darin, dass sie die schwarz-gelben Landesregierungen um ihre Mehrheit im Bundesrat bringen kann. Um eines klar zu stellen: Das heißt nicht, dass „die Opposition“ dann eine Mehrheit im Bundesrat hätte, auch nach der NRW-Wahl werden unionsgeführte Regierungen eine Mehrheit im Bundesrat stellen. Diese Mehrheit braucht die Opposition aber auch nicht. Koalitionen auf Landesebene pflegen zu vereinbaren, dass sie sich bei Unstimmigkeiten im Bundesrat der Stimme enthalten. Da Enthaltungen (auch nach dem gescheiterten Vorstoß von Wolfgang Schäuble, dies zu ändern) bei der Gesetzgebung des Bundes weiterhin wie Nein-Stimmen zählen, fehlt jedem Regierungsentwurf für ein zustimmungspflichtiges Gesetz die Mehrheit im Bundesrat. Konkret heißt das: Nicht nur knapp die Hälfte aller Gesetzesvorhaben der Bundesregierung drohen zu scheitern, sondern es sind vor allem die zentralen Reformen, die eine Zustimmung durch die Länderkammer benötigen.

Was würde das politisch bedeuten? Die Bundesregierung bräuchte die Zustimmung von Landesregierungen, an denen mindestens eine Oppositionspartei beteiligt ist. Und dabei würde die Zustimmung der Länder Hamburg und Saarland reichen – in beiden Ländern sind die Grünen an den Landesregierungen beteiligt. Inhaltlich heißt das: Die schwarz-gelbe Bundesregierung würde in wichtigen Fragen zu „Jamaika“ mutieren. Die Alternative wäre es, mit der SPD zu verhandeln – hier wäre der Preis gegenwärtig wohl noch höher.

Die Grünen werden also plötzlich in der Lage sein, einen Preis zu verlangen, um schwarz-gelb entscheidungsfähig zu halten. Wie wird dieser Preis aussehen? Er könnte generelle Forderungen enthalten, etwa das Festhalten am Zeitplan für den Atomausstieg. Die Grünen könnten auch „billige“ Forderungen stellen, etwa in der Gleichstellungspolitik. Dies wäre „billig“, weil wesentliche grüne Positionen längst von führenden Vertreterinnen der Bundesregierung geteilt werden.

Wahrscheinlicher sind aber Tauschvereinbarungen, die jedes einzelne Politikfeld betreffen. Denn auch wenn im Bundesrat Parteienvertreter sitzen und man dann die Grünen braucht: Einen neuen förmlichen Koalitionsvertrag wird es nicht geben. Jedes einzelne Gesetz muss so gestrickt sein, dass die Grünen in Hamburg und im Saarland zustimmen können. Das heißt etwa in der Gesundheitspolitik: Es wird Forderungen nach einer Stärkung von Qualitätssicherung und (nichtmedizinischer) Prävention geben – und diese werden auch erfüllt werden. In der Verkehrspolitik werden sich die Grünen für ein Nachhaltigkeitskonzept einsetzen, das nicht allein technische Lösungen sondern auch Verhaltenssteuerungen beinhaltet.

Insgesamt wird sich nicht nur der Inhalt der Bundespolitik ändern. Die neuen Machtverhältnisse werden alle Beteiligten auf die Probe stellen: Sind die Grünen bereit für Jamaika? Wird sich ein Bündnis mit den Grünen in der CDU durchsetzen lassen? Wie wird die Kanzlerin mit den zu erwartenden Widerständen aus FDP und CSU umgehen? Die Landtagswahl in NRW ist somit spannend. Sie wird nicht nur die Machtverhältnisse auf Bundesebene nachhaltig mitbestimmen, sondern auch die Weichen für die zukünftige Entwicklung unseres Parteiensystems stellen.

 

Krise oder Niedergang der Sozialdemokratie? Ein Blick über den nationalen Tellerrand

Nils Bandelow

Die jüngsten Umfragen scheinen der SPD nach den Wahldesastern von 2009 wieder ein wenig Hoffnung zu machen. Zwar liegen die Werte bei den meisten Meinungsforschungsinstituten nur knapp über dem historischen Tiefstwert der letzten Bundestagswahl (23 Prozent), aber Regierungsbeteiligungen scheinen immerhin wieder möglich (und ein Wahlsieg im Mai in NRW für die SPD greifbar). Dies liegt vor allem am Umfragetief der FDP und dem Hoch von Bündnis 90/Die Grünen. Jenseits dieser kurzfristigen Umfragetrends stellt sich die Frage, ob der seit 1998 anhaltende kontinuierliche Niedergang der ehemaligen Großpartei SPD noch aufzuhalten ist. Waren die Wähler- und Mitgliederverluste der deutschen Sozialdemokratie die Folge langfristig anhaltender Entwicklungen, oder drücken sie kurzfristige situative Bedingungen, Stimmungen oder auch strategische Fehler der Partei aus?
Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in das westeuropäische Ausland. Dort finden sich Schwesterparteien der SPD, die mit ähnlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Trends konfrontiert sind – und mit unterschiedlichen inhaltlichen Strategien, Wahlkampfkonzepten und Spitzenkandidaten reagiert haben. Gerade im Hinblick auf die innerparteilichen Flügelkämpfe in der SPD ist es spannend, ob sich in den Nachbarländern Hinweise für eine sozialdemokratische Erfolgsstrategie finden lassen.
Der Niedergang der Sozialdemokratie ist ein EU-weiter Trend. In den 1990er Jahren gelangten in vielen westeuropäischen Demokratien sozialdemokratisch geführte Regierungen an die Macht. Fast überall folgte ein bis heute anhaltender Wähler- und Mitgliederschwund. Gemessen an manchen Erklärungen liegen Erfolg und Misserfolg zeitlich zu eng beieinander. Daher können langfristige Entwicklungen wie die vielbeschworene Erosion des gewerkschaftlichen Arbeitermilieus den rasanten Stimmenverlust ebenso wenig allein erklären wie wirtschaftliche Globalisierung oder demographische Veränderungen.
Überraschend ist, wie stark die sozialdemokratischen Erfolge und Misserfolge der westlichen EU-Länder zeitlich korrelieren – obwohl sich die Ausgangslagen und Strategien deutlich unterscheiden. Die Entwicklung betrifft kontinentaleuropäische Länder wie Deutschland und Frankreich auf den ersten Blick gleichermaßen – obwohl die französischen Sozialisten in dem Ruf stehen, als „Traditionalisten“ eine weitaus größere Nähe zu ihrer Stammklientel bewahrt zu haben als die SPD. Auf der anderen Seite waren Vorzeigestaaten der „Modernisierer“ wie die Niederlande (trotz der jüngsten Rückkehr der Sozialdemokratie als Juniorpartner auf die Regierungsbank) von einem dramatischen Stimmenverlust betroffen. Ähnliches steht der Labour Party in wenigen Monaten wahrscheinlich bevor. Selbst sozialdemokratisch geführte Regierungen in Ländern mit (ehemals) ausgeprägtem Wohlfahrtsstaat, starken Gewerkschaften und wirtschaftlichen Erfolgen wie Dänemark und Schweden haben erdrutschartige Niederlagen verkraften müssen.
Ein qualitativer Vergleich führt uns bei der Suche nach Erklärungen zu folgenden Thesen:
• Für den Wahlerfolg sozialdemokratischer Parteien ist der Zusammenhang zwischen dem nationalen Wahlrecht und der inhaltlichen Strategie wichtig: Zumindest kurzfristig begünstigt ein Mehrheitswahlrecht (wie in Großbritannien) Parteien, deren Strategie auf potentielle Wähler des wichtigsten Konkurrenten ausgerichtet ist. In Ländern mit proportionalem Wahlrecht und daraus resultierenden Koalitionszwängen begünstigt diese Strategie (die Kern des „Dritten Wegs“ der sozialdemokratischen Modernisierer ist) dagegen Wahlerfolge kleiner Parteien.
• Moderne (nicht nur) sozialdemokratische Parteien setzen stark auf die Medienwirkung ihrer jeweiligen Spitzenkandidaten. Die Abhängigkeit von der Ausstrahlung eines Tony Blair, Gerhard Schröder, Lionel Jospin, Wim Kok oder Poul Nyrup Rasmussen erschwert die Profilbildung möglicher Nachfolger. Es ist kein Zufall, dass den Medienhelden oft blasse Technokraten wie Frank-Walter Steinmeier oder Gordon Brown gefolgt sind. Ebenso wenig zufällig ist es, dass diesen Vertretern der zweiten Garde durchgängig eine Fortsetzung der Wahlerfolge verwehrt bleibt. Die Wiederkehr sozialdemokratischer Regierungen setzt daher mittelfristig eine personelle Erneuerung voraus.
• In allen Ländern hat die Sozialdemokratie ihre bisherige Problemdefinition verändert. Im Keynesianismus der 1970er Jahre sollten der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und die Besserstellung unterer Vermögens-, Einkommens- und Bildungsschichten Vorrang haben vor Inflationsbekämpfung und Leistungsanreizen. Heute werden nicht mehr Arbeitslosigkeit und Inflation als Alternativen diskutiert. Politik vollzieht sich vielmehr als Suche nach Lösungen im magischen Dreieck von kurzfristiger Wachstumspolitik, langfristiger Infrastrukturpolitik (zu der vor allem Investitionen in die Bildungs- und Forschungsinfrastruktur zu zählen sind) und Begrenzung der Staatsverschuldung. Hauptproblem der Sozialdemokratie ist, dass ihr überall inhaltliche Alleinstellungsmerkmale fehlen. Langfristig wird auch die Sozialdemokratie definieren müssen, für welche eigenen Kernüberzeugungen sie stehen will. Dies ist kein einfacher Prozess, da überall Konkurrenten lauern: Bei „Gerechtigkeit“ (Linke), „Umwelt“ (Grüne), „Wettbewerb“ (Liberale) und selbst „Pragmatismus“ (Christdemokraten/Konservative/Gaullisten etc.) kann man jeweils nur als Kopie auftreten.
• Anders als fast alle anderen sozialdemokratischen Parteien verzeichnen ausgerechnet die vergleichsweise traditionalistischen französischen Sozialisten keinen Stimmenverlust. Im Gegenteil: Bei Wahlen zur Nationalversammlung konnte die PS seit 1993 ihren Stimmenanteil sogar kontinuierlich geringfügig steigern. Es bleibt Spekulation, wie die Lage der Partei aussehen würde, wenn 2002 der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen nicht zum überraschenden Ausscheiden von Jospin geführt hätte. Bei der Interpretation der französischer Wahlen bleibt auch wegen des speziellen Regierungs-, Wahl- und Parteiensystems Raum für unterschiedliche Interpretationen. Es drängt sich aber die These auf, dass die PS davon profitiert hat, weniger eindringlich vorgebliche Sachzwänge für einen Umbau des Sozialstaats argumentiert zu haben. Alle Parteien können daraus lernen, dass nicht nur ein eigener inhaltlicher Markenkern langfristig unverzichtbar ist. Notwendig ist auch eine Wahlkampfkommunikation, die aktiv um die Deutungshoheit in Übereinstimmung mit dem eigenen Programmkern bemüht ist. Der kurzfristige Kampf um Stimmen von Wählern mit anderen Überzeugungen führt langfristig zur Verwässerung der eigenen Identität.
• Wahlsieger waren in fast allen Ländern rechtsliberale Parteien, linke Konkurrenten der Sozialdemokratie und Rechtspopulisten. Die Besonderheit Deutschlands liegt daher bisher nicht in den sozialdemokratischen Wahlergebnissen, sondern im Ausbleiben größerer Erfolge rechtsradikaler Parteien. Eine mögliche Erklärung liegt in den Wahlkampfthemen: Moderne sozialdemokratische Parteien haben in vielen EU-Ländern nicht nur Konflikte in der Sozial-, Wirtschafts- und Militärpolitik zu bewältigen. Auch die Europapolitik und die Einwanderungspolitik sind zentrale Konfliktfelder. Diese Themen sind im deutschen Parteienwettbewerb (noch) vergleichsweise tabuisiert. Sollte sich das ändern, könnte auch hierzulande das Risiko rechtspopulistischer Wahlerfolge wachsen.
Fazit: Mit personeller Erneuerung und attraktiven neuen Spitzenkandidaten werden mittelfristig sozialdemokratische Wahlerfolge wieder wahrscheinlicher. Für eine langfristige Etablierung sozialdemokratischer Parteien ist aber mehr notwendig als mediengerechte Wahlkämpfer oder die Kopie inhaltlicher Strategien anderer Parteien. Die Herausforderung besteht in der Entwicklung eines eigenen inhaltlichen Kerns und der widerspruchsfreien Orientierung von Mitgliederschaft, Parteistruktur und Wahlkampf auf diesen Kern. Bisher ist allerdings nicht absehbar, worin dieser neue Markenkern bestehen könnte.

 

„Honeymoon“ is over

Für die Medien ist es ein gefundenes Fressen: Gesundheitspolitik in der Krise, Umfragetief für die FDP, Einbußen für die wichtigsten Regierungspolitiker. Im Politbarometer der vergangenen Woche erhält die schwarz-gelbe Regierung erstmals negative Beurteilungen, im Deutschland-Trend der ARD gaben Befragte in den vergangenen Tagen an, die jetzige Regierung sei schlechter als die Vorgängerregierung. Die Koalition, so scheint es, befindet sich in einer echten Krise. Tatsächlich?

Fakt ist, dass es in der Regierung noch nicht rund läuft. Einiges ist durch den Regierungswechsel bedingt. Selbst Wunschkoalitionen müssen sich erst einmal finden. Man denke zurück an den Regierungsantritt von Rot-Grün 1998: Von Dezember 1998 an ging es mit der Unterstützung für die neue Regierung bergab. Ein erster Schock war die verlorene Landtagswahl in Hessen am 7. Februar 1999, die auch die Mehrheit im Bundesrat kostete. Es folgte ein Stimmungstief im März 1999, der absolute Tiefpunkt im September 1999, und erst die CDU-Spendenaffaire (Winter 1999/2000) führte zu erheblichen Verbesserungen der Bewertungen für Rot-Grün.

Insofern ist das, was derzeit in Berlin passiert, nicht neu. Und es ist durchaus typisch für die erste Phase einer Legislaturperiode. Neu gewählte Regierungen erhalten in der Regel kurz nach einer Wahl die besten Bewertungen, was Bestätigungseffekt im „Honeymoon“ genannt wird. Doch Flitterwochen dauern nie lange. Im Anschluss muß dann nicht mehr nur – wie im Wahlkampf und während der Koalitionsverhandlungen – geredet, sondern regiert werden. Und die ersten wichtigen und für Teile der Bevölkerung harten Politikentscheidungen müssen früh, wenn auch nicht sofort getroffen werden. Am Ende einer Legislaturperiode ist dies weitaus schwieriger, denn da muss der Souverän wieder gewonnen und keinesfalls vergrätzt werden.

Doch wie steht es im Lichte dieser Erfahrungen um die Lage der Koalition im Februar 2010? Gemessen an den ersten Monaten der letzten Regierungen, geht es Schwarz-Gelb „den Umständen entsprechend“. Das bedeutet, dass man nicht von einer Krise der Regierung sprechen kann, auch wenn die Holperer doch recht zahlreich sind. Aus der Perspektive einer ganzen Legislaturperiode hat die Regierung noch genug Zeit, in Tritt zu kommen. Ein wenig problematisch ist allerdings der Wahltermin in Nordrhein-Westfalen. Geht es „normal“ weiter, also für Schwarz-Gelb bis auf weiteres nach unten, dann wird es für Union und FDP schwierig werden, die Landtagswahl im größten deutschen Bundesland am 9. Mai 2010 zu gewinnen.

Landtagswahlen weisen allerdings ein paar Spezifika auf, die schwer kalkulierbar sind. Es wird vor allem darum gehen, welche Lager und Parteien ihre Klientel bei einer vermeintlich weniger wichtigen Wahl besser moblisieren können. Ist der Bundestrend für Schwarz-Gelb weiter negativ, dann sind Mobilisierungsdefizite für Union und FDP sehr wahrscheinlich, zumal die Regierungskonstellation im Bund und in NRW die gleiche ist. Allerdings werden Landtagswahlen auch von landesspezifischen Faktoren beeinflusst. Hier wird es um die Zufriedenheit der Bürger NRWs mit den Politikergebnissen, mit ihrem Ministerpräsidenten und um politische Alternativen gehen. Letzteres könnte zum Problem für die Opposition werden. Rot-Grün liegt derzeit klar hinter Schwarz-Gelb zurück und hat damit keine eigene Machtperspektive. Insofern wird es spannend werden: Wer „könnte“ mit wem, zu welchem Zweck und vor allem mit welchen Erfolgsaussichten? Wird es zu bunt und unübersichtlich, bliebe der Rückgriff auf ein bekanntes, bestenfalls auch bewährtes Koalitionsmodell.

 

Die ersten 100 Tage

AndreaAngela Merkel kann einem Leid tun: Nach den ersten 100 Tagen an der Regierung erhält das Kabinett unter ihrer Führung nicht nur von der Opposition denkbar schlechte Kritiken. Auch die Umfrageergebnisse sprechen eine klare Sprache: Emnid hat im Auftrag des Nachrichtensenders N24 in einer repräsentativen Befragung ermittelt, dass nur 27% der Bürger mit der Arbeit der Regierung zufrieden sind.

Aber ist dies wirklich so außergewöhnlich? Erinnern wir uns an den Start der rot-grünen Regierung 1998: Diese kam in einer vergleichbaren Emnid-Befragung zur der Bilanz der ersten 100 Tage auf eine Zustimmungsrate von 38% – ebenfalls kein berauschendes Ergebnis für das mit so viel Enthusiasmus gestartete neue politische Projekt. Und auch bei der im Rahmen des DeutschlandTrend von Infratest-dimap durchgeführten Frage nach der Bewertung der Regierungsarbeit mit Schulnoten zeigt sich kein allzu großer Unterschied: Rot-Grün wurde im Februar 1999 im Schnitt mit 3,4 benotet, Schwarz-Gelb kommt aktuell auf 3,9.

Fazit: Vergleichen lohnt sich und voreilige Schlüsse sollten vermieden werden. Immerhin ist Gerhard Schröder 2002 wiedergewählt worden und die SPD hat sich bis 2009 an der Regierung gehalten. So schlecht steht es also zumindest um Frau Merkel nicht.

 

Denkt Roland Koch wie die Linkspartei? Die Debatte um die Reform von Hartz IV hält Überraschungen bereit

StruenckRoland Koch verlangt eine Arbeitspflicht für die Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) und alle toben. Roland Koch auch, weil er (natürlich und natürlich einkalkuliert) „missverstanden“ worden sei. Das Ganze könnte man getrost in der Schublade populistischer Evergreens verstauen. Dabei liegt in Roland Kochs Forderung eine ordentliche Prise Ironie, wenn man ihre möglichen Konsequenzen ernst nimmt. Denn der Vorschlag führt geradewegs in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie ihn die Linkspartei seit langem in ihrem Parteiprogramm hat. Die Linke müsste daher eigentlich ganz auf der Seite von Koch stehen, zumindest klammheimlich.

Eine Arbeitspflicht gibt es im Grunde längst, denn die Arbeitsagenturen haben Anweisungen und verschärfte Zumutbarkeitskriterien an die Hand bekommen. Schließlich war es das erklärte Ziel dieser Reform, alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Doch was tun, wenn es in einer Region so gut wie keine Stellen gibt, in die Langzeitarbeitslose vermittelt werden können? Heinrich Alt, Mitglied im Bundesvorstand der Bundesagentur für Arbeit, sieht nach wie vor ein großes Defizit an Arbeitsplätzen in Deutschland. Dabei nutzen die Arbeitsgemeinschaften zwischen Kommunen und Arbeitsagenturen bereits ein großes Arsenal an Maßnahmen, um ihre Klientel wenigstens zeitweise in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen.

Worauf liefe also Roland Kochs Forderung hinaus, wenn man sie unter den jetzigen Bedingungen betrachtet? Wenn es eine allgemeine, verbindliche Arbeitspflicht gibt, muss auch Arbeit angeboten werden. Für die größte Gruppe der Langzeitarbeitslosen – die Alleinerziehenden – bräuchte es da erst einmal eine verlässliche Kinderbetreuung. Die anderen Kunden karren die Argen dann entweder quer durch die Republik an Orte, an denen die Erwerbsarbeit noch blüht. Oder sie müssen ihnen Ersatzarbeitsplätze anbieten, denn Arbeitspflicht für die Hilfeempfänger bedeutet quasi Arbeitsplatzpflicht für die Arbeitsagenturen. Angesichts von knapp 5 Mio. erwerbsfähigen Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II liefe das daraus hinaus, einen großen öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen bzw. schaffen zu müssen. Roland Koch hätte neue Freunde in der Linkspartei gewonnen, doch das Kernziel der ganzen Reform würde verfehlt: die Integration in den ersten Arbeitsmarkt.

 

Quo vadis, Saarland? Quo vadis, Grüne?

Der Tag der Entscheidung ist da – für das Saarland, aber auch für die Grünen. Fährt heute doch ein Dampfer gen Jamaika? Oder kommt es zu einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit in Saarbrücken? Beides scheint derzeit möglich, die Grünen – vor allem die grünen Saarländer – scheinen gespalten. Doch wie stehen eigentlich die Wählerinnen und Wähler zu dieser Frage? In einer groß angelegten Umfrage im Vorfeld der Bundestagswahl wurden rund 6.000 Deutsche befragt – unter anderem auch nach ihren Präferenzen, was Koalitionen betrifft. Zwischen -5 und +5 sollten diese Befragten verschiedene mögliche Koalitionsmodelle einstufen. Die mittleren Einstufungen bezogen auf die saarländischen Optionen – also Jamaika und Rot-rot-grün – zeigt die folgende Abbildung.

Bewertung einer Jamaika- und einer rot-rot-grünen Koalition insgesamt und bei Parteianhängern
koal

An verschiedenen Stellen sind die Ergebnisse dabei mehr als eindeutig: Anhänger von Union und FDP bevorzugen klar Jamaika vor Rot-rot-grün, umgekehrt sind es bei Anhängern der Linkspartei aus. Schon bei Anhängern der SPD allerdings sieht das Bild weniger eindeutig aus – und dies gilt erst recht bei Anhängern der Grünen: Sie sind – quasi ein Spiegelbild der saarländischen Grünen – unentschieden zwischen den beiden zur Wahl stehenden Alternativen.

Dies gilt allerdings nur im Durchschnitt – im Durchschnitt sind die Anhänger der Grünen unentschieden zwischen den beiden Optionen. Dies gilt nicht zwangsläufig auch für jeden einzelnen Anhänger der Grünen, wie die folgende Abbildung zeigt – und genau hier liegt der Sprengstoff für die Grünen:

Vergleichende Bewertung einer Jamaika- und einer rot-rot-grünen Koalition bei Anhängern der Grünen
verteilung

Auf der Ebene einzelner Anhänger der Grünen gibt es zwar auch rund 40 Prozent der Anhänger, die unentschieden zwischen den beiden Optionen sind. Über 30 Prozent aber haben eine Präferenz für Rot-rot-grün gegenüber Jamaika, immerhin auch über 25 Prozent haben eine Präferenz für Jamaika gegenüber Rot-rot-grün. Und nur eine dieser Gruppen wird ihre Präferenzen heute im Saarland erfüllt sehen, während die andere Gruppe in die Röhre schaut. Sprengstoff also für die Grünen, man darf gespannt sein, wie die Partei (und insbesondere die unterlegenen Anhänger innerhalb der Partei) damit umgehen werden.

 

Kompetenzen und Konsequenzen – die Neuorientierung der SPD steht bevor

Andrea RömmeleWie lässt sich das Wahlergebnis vom Sonntag erklären, oder genauer gefragt: Wie lässt sich die historische Niederlage der SPD erklären? Zahlreiche Punkte werden derzeit diskutiert, in diesem Blog hat Andreas Wüst sehr anschaulich die beiden Kandidaten gegenübergestellt.

Aus Sicht der Wahlkampfforschung beeinflussen neben der Kandidatenfrage zwei weitere Faktoren die Wahlentscheidung: die Identifikation mit einer Partei und die ihr zugeschriebenen Kompetenzen in politischen Sachfragen. Mit sinkender Parteiidentifikation, die wir in allen etablierten Demokratien vorfinden, steigt logischerweise die Bedeutung von Themen und Kandidaten. Die folgenden Umfragedaten stellen die wahrgenommene Problemlösungskompetenz der Parteien zu bestimmten Sachfragen dar.

Parteikompetenzen April 2009

Kompetenzen April

Quelle: Infratest dimap, DeutschlandTrend April 2009

Die Daten sprechen eine klare Sprache: In nahezu allen wichtigen Themenbereichen liegt die CDU/CSU im Frühjahr deutlich vor der SPD, es gibt lediglich zwei klare Ausnahmen: der arbeitnehmerfreundlichere Umgang mit der Krise wird der SPD ebenso zugeschrieben wie die Kompetenz in ihrem Kernthema, der sozialen Gerechtigkeit.

Es ist den Sozialdemokraten im Laufe des Wahlkampfes jedoch nicht gelungen, in diesen Themengebieten weiter zu punkten, geschweige denn andere Themengebiete für sich zu gewinnen. Auch leichte Verbesserungen in manchen Bereichen ändern nichts am Gesamtbild. Für eine echte, durch Themen ausgelöste Trendwende wären Gewinne in viel größeren Dimensionen vonnöten gewesen – gerade dann, wenn der eigene Kandidat gegenüber der Amtsinhaberin klar zurückliegt.

Parteikompetenzen September 2009

Kompetenzen September

Quelle: Infratest dimap, DeutschlandTrend September 2009

Die Kombination von schlechten Kompetenzwerten und einem wenig überzeugenden Kandidaten kann das schwache Abschneiden der SPD also erklären – zumindest zum Teil. Wenn sich die Partei nun thematisch und auch personell neu aufstellt, zieht sie damit im Grunde die richtigen Schlüsse aus der Wahlniederlage. Allerdings ist zu bedenken, dass die Partei gerade im Wahlkampfendspurt in einigen Kompetenzbereichen noch leichte Zugewinne verbuchen konnte und auch der Spitzenkandidat zuletzt Boden auf die Kanzlerin gutmachen konnte. Ein tabula rasa könnte der SPD daher ebenso schaden wie ein „weiter so“. Dies alles spricht dafür, dass sich die Partei für die nötige Neuaufstellung Zeit nimmt und die anstehenden Entscheidungen mit Bedacht fällt.

 

Merkelbonus und Steinmeiermalus

Die Bundestagswahl ist entschieden. Das Ergebnis ist letzten Endes klar und deutlich ausgefallen. Union und FDP haben gewonnen, die SPD ist abgestürzt. Es wäre dumm, das Ergebnis auf nur einen oder wenige Faktoren zurückzuführen. Es gab – zumindest in der Wahrnehmung der Bürger – ganz offenbar Abnutzungserscheinungen der SPD in Regierungsverantwortung, die sich unter anderem in Kompetenzverlusten im Vergleich zu 2005 bei der Steuerpolitik (-12 Prozentpunkte), der Rentenpolitik (-11) und der Wirtschaftspolitik (-10) ausdrücken (Zahlenangaben hier und nachfolgend aus Veröffentlichungen der Forschungsgruppe Wahlen). Andererseits war man mit der SPD in der Regierung 2009 sogar etwas zufriedener (Mittelwert auf +5/-5-Skala: 1,0) als noch 2005 (0,8). Insofern könnte man sagen: Danke SPD, war schon okay, aber jetzt wollen wir etwas Neues.

Neu war vor allem der Kandidat nicht, und er konnte auch nichts „reißen“. Blickt man auf die Frage nach dem „gewünschten Bundeskanzler“ im Zeitverlauf, dann zeigt sich, dass Frank-Walter Steinmeier der schlechteste Kandidat der SPD seit 1969 gewesen ist. Trösten mag ihn in diesem Zusammenhang lediglich, dass es ein gewisser Willy Brandt war, der damals noch schlechtere Werte als er selbst bekam. Aber ohne Kandidatenbonus, den nach 1969 Brandt, Schmidt und Schröder hatten, kann eine SPD nicht punkten. Lediglich ein Drittel der Wahlberechtigten wollten Steinmeier als Bundeskanzler. Das reicht nicht.

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Blickt man dagegen auf die Union, dann stellt man fest, dass Angela Merkel 2009 in schwindelerregende Höhen vorstoßen konnte. Lediglich Helmut Kohl erhielt im Jahr der Einheit (1990) einen Präferenzwert von 56% – Angela Merkel nun auch. Der Sieg des bürgerlichen Lagers trägt demnach auch den Stempel „Merkel“. Dagegen fallen Steinmeiers Werte sogar im Vergleich zu den Werten der meist weniger beliebten Unionskandidaten negativ heraus. Lediglich Barzel im Jahr 1972 und Strauß 1980 erhielten weniger Zustimmung. Selbst Edmund Stoiber erhielt 2002 keine schlechteren Werte als 2009 Steinmeier.

Die Wahlschlappe der SPD trägt demnach auch den Schriftzug „Steinmeier“. Natürlich hat er alles gegeben, und natürlich gab es keine richtige Alternative zu ihm. Aber unverbraucht, so wie Brandt 1969, ist Steinmeier nicht mehr. Egal welche Funktion er in der SPD noch einnehmen wird, die Niederlage des Jahres 2009 wird er nicht so schnell aus den Kleidern schütteln können.

 

Ein Blick in die Zukunft?

Henrik SchoberKurz vor der Bundestagswahl ist am vergangenen Wochenende bereits eine Wahlentscheidung der besonderen Art gefallen: 127.208 Kinder und Jugendliche haben sich an der „U18-Wahl“ beteiligt und damit ein deutliches Zeichen gesetzt. Denn diese Wahlbeteiligung lag weit über der des ersten Urnengangs im Jahr 2005, als sich 48.461 junge Menschen beteiligten. Natürlich kann das Ergebnis dennoch nicht als repräsentativ für das politische Interesse oder gar die politische Stimmung der unter 18-Jährigen gelten: Die Einzugsbereiche der insgesamt 1000 Wahllokale konnten naturgemäß nicht das gesamte Bundesgebiet abdecken und überdies ist anzunehmen, dass insbesondere die politisch interessierten Kinder und Jugendlichen an der Wahl teilnahmen. Dennoch lohnt der Blick auf das Wahlergebnis, hier im Vergleich zu dem der ersten U18-Wahl vor vier Jahren:

U18-Wahlen 2009 und 2005

U18-Wahl 2009 und 2005

Dunklere Balken: Ergebnis 2009, hellere Balken: Ergebnis 2005 (Die Tierschutzpartei wurde 2005 mit einem Anteil von 1,1% unter „Sonstige“ gefasst).

Wenn es nach den unter 18-Jährigen ginge, gäbe es in Deutschland also ein 7-Parteien-Parlament. Neben den etablierten Parteien würde auch der Piratenpartei und der Tierschutzpartei der Einzug in den Bundestag gelingen, die NPD hingegen würde an der 5%-Hürde scheitern. Die guten Ergebnisse der kleinen Parteien gehen vor allem zu Lasten der SPD, die sich nur knapp als stärkste Partei behaupten kann. Nun ist hinlänglich bekannt, dass sich politische Meinungen im Laufe des Lebens ändern können, das Ergebnis der U18-Wahl ist somit keine Projektion zukünftiger Bundestagswahlergebnisse. Dennoch sei eine Gegenüberstellung des U18-Ergebnisses mit einer aktuellen Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl gestattet, die im selben Zeitraum durchgeführt wurde:

U18-Wahlergebnis und Forsa-Umfrage unter Wahlberechtigten

U18-Wahl und Forsa-Umfrage

Dunklere Balken: U18-Ergebnis vom 18.9.2009, hellere Balken: Forsa-Umfrage im Zeitraum 15.9.-21.09.2009 (Piratenpartei, Tierschutzpartei und NPD werden im Umfrageergebnis unter „Sonstige“ gefasst).

Insbesondere die Union, aber auch SPD und FDP erzielen im U18-Ergebnis schlechtere Werte als in der Umfrage unter Wahlberechtigten. Die Grünen sowie die drei genannten kleinen Parteien hingegen schneiden bei den Kindern und Jugendlichen besser ab. Das U18-Ergebnis weicht damit erkennbar von dem der Umfrage ab, dennoch steht es in Einklang mit einem Trend, den nicht nur Wahlforscher seit einigen Jahren beobachten: Die „diffuse“, grundsätzliche Unterstützung für Parteien schwindet und die Wähler orientieren sich in ihrer Wahlentscheidung zunehmend an spezifischen Themen und Sachfragen. Dies ist bei den Kindern und Jugendlichen in besonderer Deutlichkeit sichtbar: Mit Piraten und Tierschutzpartei würden zwei Parteien ins Parlament einziehen, die nur ein Thema prominent besetzen und sich nicht im Stil der Volksparteien thematisch breit aufstellen.

Zugegeben: Die Grünen, einst ebenso mit einem engen Themenspektrum gestartet, haben inzwischen zu allen wichtigen politischen Fragen Position bezogen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass durch das immer stärker an Sachfragen orientierte Wahlverhalten in Zukunft auch junge Parteien Erfolg haben könnten, die sich dauerhaft auf einzelne Themen konzentrieren und damit den Nerv bestimmter Wählergruppen treffen. Die etablierten politischen Parteien sollten sich daher perspektivisch auf Konkurrenz einrichten, die den Wählern nicht etwa neue Ideologien, sondern dezidiert thematische Alternativen anbietet. Passend dazu hat eine Forsa-Umfrage im Vorfeld der U18-Wahl ermittlet, dass für mehr politisches Interesse bei Jung- und Erstwählern zwei wesentliche Voraussetzungen geschaffen werden müssen: „mehr politische Bildung“ und ein „besseres inhaltliches Angebot der Parteien“.

 

Piratenwähler

Die Struktur der Wählerschaft kleiner Parteien mittels Umfragen zu erforschen, ist schwierig. Angenommen, eine Partei hat einen Stimmenanteil von einem Prozent und man befragt bundesweit 1.000 Wähler, dann wären in etwa 10 befragte Personen Wähler dieser Partei. Das ist zu wenig, um sinnvolle Aussagen treffen zu können.

Internetumfragen mit potenziell vielen Befragten können in solchen Fällen eine Alternative darstellen. Eine solche Umfrage, nämlich die Wahlumfrage2009.de, hat sich mein Kollege Ansgar Wolsing zunutze gemacht, um der Struktur der Wählerschaft der Piraten auf den Grund zu gehen. Die Ergebnisse seiner Analyse finden sich hier. (1)

Bemerkenswertes tritt dabei zu Tage, wenn man einige Gruppenvergleiche anstellt: In der Gruppe der Befragten über 60 Jahren ist die Partei kaum existent; in der Gruppe der jungen, männlichen Wähler, die sich vor allem und eifrig über das Internet über Politik informieren, liegt sie dagegen bei rund 40 Prozent. Dass die Piraten (durchaus in der Tradition echter Piraten stehend) eine „männliche“ Partei sind, zeigt Ansgar Wolsing auch anhand der Kandidaten der Partei: Von 98 Listenkandidaten sind demnach nur vier weiblich.

Man darf jetzt schon gespannt sein, was die repräsentative Wahlstatistik des Bundeswahlleiters, die das tatsächliche Wahlverhalten der Menschen nach Alter und Geschlecht aufschlüsselt, aufzeigen wird. Aufgrund der Ergebnisse auf der Basis der wahlumfrage2009.de darf man einiges an Unterschieden erwarten, wenn es um die Piratenwähler geht.

(1) Die Ergebnisse dieser Umfragen sind – da es sich um eine offene Online-Umfrage handelt – nicht repräsentativ. Wir wissen allerdings aus der Online-Forschung, dass solche Strukturanalysen für solche Verzerrungen der Stichprobe nicht sehr anfällig sind.