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Piratenpartei: Klar zum Entern des Parteiensystems?

Für eine Partei, die bislang in keinem deutschen Parlament sitzt, sind die Piraten im Vorfeld dieser Bundestagswahl extrem sichtbar. Doch sind sie auch klar zum Entern des Parteiensystems? Marc Debus hat mit seinem Beitrag bereits zeigen können, dass sich die Partei inhaltlich auf dicht besiedeltem Terrain bewegt. Gesellschaftspolitisch äußerst progressiv konkurrieren sie dort vor allem mit Grünen, Linken und auch der FDP. Gute Landemöglichkeiten sehen eigentlich anders aus.

Untermauert wird dies auch durch einen Blick auf den Wahl-o-mat. In ähnlicher Logik, wie an anderer Stelle schon die Kompatibilität von Koalitionen mit seiner Hilfe geprüft wurde, lässt sich auch untersuchen, wie es um die inhaltliche Nähe der Piraten zu den anderen Parteien bestellt ist. Die Ergebnisse zeigt die folgende Abbildung:

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Ähnlich der Analyse von Marc Debus zeigt sich auch hier, dass einzig zur Union eine wirklich große inhaltliche Distanz besteht. Ansonsten zeigt sich auch hier eine beachtliche Nähe der Piraten zu den übrigen vier Parteien. Ein wirklicher USP lässt sich kaum ausmachen – was noch zusätzlich dadurch verstärkt wird, dass die Piraten sich bei immerhin 8 von 38 Wahl-o-mat-Thesen nur mit „neutral“ äußern. Selbst auf ihrem vermeintlich ureigensten Gebiet haben sie harte Konkurrenz: Der Aussage „Die verdeckte Online-Durchsuchung privater Computer durch Sicherheitsbehörden soll verboten werden“ stimmen neben den Piraten auch Grüne, Linke und die FDP zu. Nur bei einer Aussage heben sich die Piraten von den anderen fünf Parteien ab: „In allen Bundesländern: Einführung verbindlicher Sprachtests für alle Kinder im Vorschulalter“. Das lehnen die Piraten ab, im Gegensatz zu allen anderen Parteien. Nur verbindet man sie kaum mit diesem Thema.

Klar zum Entern scheinen die Piraten daher eher nicht zu sein. Als Single-Issue-Partei, die noch dazu bei diesem einen Issue harte Konkurrenz hat, geht es weniger um Entern als um das Verhindern des Kenterns.

 

Die Piratenpartei in der ideologischen Parteienkonstellation Deutschlands

Analysen von Parteiensystemen, Parteienwettbewerb und insbesondere der Regierungsbildung konzentrieren sich in der Regel auf solche Parteien, die im Parlament vertreten sind. Solche Parteien hingegen, die es aufgrund ihres niedrigen Stimmenanteils nicht schaffen, ins Parlament einzuziehen, wird in politikwissenschaftlichen Analysen deutlich weniger Beachtung geschenkt, obwohl es mitunter Parteineugründungen gibt, die zumindest das Potential haben, in naher Zukunft aus ihrem Schattendasein zu entkommen.

Die Piratenpartei, die bei der letzten Europawahl in Deutschland auf 0,9 Prozent und in Schweden sogar auf 7,1 Prozent, ist eine solche Partei. Die „Piraten“, die bei den drei Landtagswahlen vom 30. August nur in Sachsen antraten, dort aber immerhin 1,9 % der Stimmen erreichten, konzentrieren sich in ihrer Programmatik vor allem auf die Sicherung individueller Freiheitsrechte, wozu sie insbesondere die uneingeschränkte Nutzung des Internets zählen. Wo aber ist die Piratenpartei programmatisch insgesamt und im Verhältnis zu den anderen Bundestagsparteien verortet?

Eine Analyse des Bundestagswahlprogramms der „Piraten“ mit Hilfe des wordscore-Verfahrens kann hierüber Aufschluss geben. Es wird unterschieden zwischen einer wirtschaftspolitischen Links-Rechts-Dimension einerseits sowie einer Dimension, die zwischen progressiven und konservativen Positionen in der Gesellschaftspolitik differenziert. Diese Konfliktlinie spiegelt durchaus auch Gegensätze in der Innen- und Rechtspolitik wieder, so dass „progressiv“ mit einem Ausbau an individuellen Freiheitsrechten übersetzt werden kann, wohingegen „konservativ“ deren Eingrenzung meint. Für die Piratenpartei würden wir erwarten, dass sie in diesem Politikfeld eine explizit progressive Position einnimmt. Dies ist – wie die in der Abbildung abgetragenen Positionen der Parteien deutlich machen – in der Tat der Fall: die „Piraten“ nehmen in innen-, rechts- und gesellschaftspolitischen Fragen eine ähnlich progressive Position wie Bündnis 90/Die Grünen oder „Die Linke“ ein. Die FDP ist nur ein wenig moderater in diesen Sachfragen eingestellt als die Piratenpartei. Wirtschafts- und sozialpolitisch sind die „Piraten“ hingegen in Höhe der CDU/CSU-Position lokalisiert. Inwiefern diese Position in der deutschen ideologischen Parteienkonstellation den „Piraten“ jedoch hilft, ihren Stimmenanteil zu vergrößern, ist eher zweifelhaft: da Grüne, Linke und auch die Liberalen ähnliche innen-, rechts- und gesellschaftspolitische Grundausrichtungen haben, können Wähler auch auf die etablierten Parteien bei der Stimmabgabe zurückgreifen, es sei denn, dass für sie vor allem das Thema Internet wichtig ist, das von keiner anderen Partei als den „Piraten“ in der Form thematisiert wird.

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Personalisierung vs. Volksnähe – Die Plakatkampagnen von Union und SPD

Mittlerweile ist es für jeden sichtbar: Die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes 2009 ist eröffnet. An strategisch wichtigen Punkten in jeder Stadt prangen die Wahlkampfplakate der beiden Volksparteien. Das kennt jeder, das ist bei jeder Bundestagswahl so. Auffällig ist jedoch, dass die beiden großen Parteien mit vollkommen unterschiedlichen Strategien die Motive und Slogans ihrer Werbeträger ausgewählt haben. Während von den Plakaten der Union die Spitzenkandidatin Angela Merkel oder andere Spitzenpolitiker von CDU und CSU so wie Wolfgang Schäuble oder Karl-Theodor zu Guttenberg „herablächeln“, sind auf den Plakaten der SPD Menschen wie Du und ich abgebildet. Doch nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich weisen die Plakate der beiden großen Parteien verschiedene Schwerpunkte auf. Die CDU verweist auf die Kernkompetenzen der dargestellten Spitzenpolitiker (Plakat Schäuble: Wir haben die Kraft für Sicherheit und Freiheit; Plakat Ilse Aigner: Wir haben die Kraft für die Zukunft unserer Bauern), die SPD hingegen wirbt mit Kernkompetenzen der Partei und Sachthemen. Sympathisch anmutende Menschen, die wirken, als seien sie aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft, fungieren als testimonials und sollen den Wählern die Stärken der SPD näherbringen. Die SPD setzt auf thematischen „Zugpferde“, und so werden „soziale Gerechtigkeit“, „Solidarität“ und „erneuerbare Energien“ beworben mit Slogans wie „Bildung darf nicht von Konto der Eltern abhängen“, „Die SPD kämpft für Arbeitsplätze. Für meinen und auch für Ihren.“ oder „Atomkraft war gestern. Saubere Energie ist die Zukunft.“

Betrachtet man sich die Umfragen, kann man sowohl der Union zu ihrer Personalisierungsstrategie, als auch der SPD zur ihrer Strategie, die auf Volksnähe und Sachlichkeit setzt, sagen: aufs richtige Pferd gesetzt! Der SPD werden von den anderen Parteien die Themen „abgegraben“, deshalb tut sie gut daran, ihre thematischen Stärken herauszustellen. Im Gegensatz zur Union verfügt die SPD nicht über starke Spitzenpolitiker, die sich zur Personalisierung eignen würden. Frank-Walter Steinmeier rangiert auf der Beliebtheitsliste der Spitzenpolitiker lediglich im Mittelfeld, wohingegen Angela Merkel und Karl-Theodor zu Guttenberg das Feld weiterhin anführen. Die CDU hat ihre personelle Stärke in diesem Wahlkampf erkannt und strategisch richtig gehandelt. Die Personalisierung der CDU und die Volksnähe der SPD: Kampagnenstrategien, die vollkommen entgegengesetzt sind, und dabei optimal von beiden Parteien, passend für ihre jeweilige Situation, gewählt wurden. In puncto Kampagnenstrategie „Plakate“ haben die beiden Volksparteien ihre Hausaufgaben gemacht!

 

Der Schröder-Reflex

Am Abend der Bundestagswahl 2005 wurde Fernsehdeutschland Zeuge einer außergewöhnlichen politischen Forderung. Gerhard Schröder erhob ebenso lautstark wie kompromisslos den Anspruch, in der sich anbahnenden Großen Koalition Bundeskanzler zu bleiben, obwohl seine Partei knapp hinter der Union geblieben war. Auch wenn schließlich alles etwas anders kam, war dies doch das erste Mal, dass ein ungeschriebenes Gesetz in Frage gestellt wurde: Dass nämlich der stärkste Koalitionspartner den Regierungschef stellt.

Vier Jahre später nun kommen im Rahmen der anstehenden Landtagswahlen ähnliche Gedankenspiele auf. Insbesondere in Thüringen wird dieser Tage offen diskutiert, ob mögliche Linksbündnisse von einem SPD-Ministerpräsidenten geführt werden könnten, auch wenn die Linkspartei mehr Mandate als die SPD erringen sollte. Aus Sicht der SPD scheint dies die Antwort auf die heiß diskutierte Frage zu sein, wie man die vorausgesagte linke Mehrheit nutzen könnte, ohne insbesondere der Bundespartei eine schwere Bürde für die Bundestagswahl aufzuladen. Nach zahlreichen Versicherungen aus den Reihen der SPD, man werde dem Linkspartei-Spitzenkandidaten Bodo Ramelow nicht ins Amt helfen, könnte ein Einknicken nach der Wahl einen Sturm entfesseln, der die hessische „Wortbruch“-Debatte an Heftigkeit noch übertreffen könnte.

Die Alternative aber wäre ein politischer Kulturbruch, für den es sehr gute Gründe geben müsste. Die Argumente Schröders anno 2005 waren zum einen, dass die SPD gemessen an den Umfrageergebnissen im Wahlkampfendspurt mächtig aufgeholt hatte, sodass sie die Union bei einem etwas späteren Wahltermin hätte überholen können. Zum anderen konnte er seine guten Persönlichkeitswerte in die Waagschale werfen und sich als eine Art „Volkskanzler“ darstellen.

Ob die SPD in Thüringen in den verbleibenden zehn Tagen noch zum Endspurt ansetzen und die Linkspartei überholen kann, ist ungewiss. Die Persönlichkeitswerte der beiden Kandidaten jedoch zeigen, dass Spitzenkandidat Christoph Matschie nicht deutlich vor Bodo Ramelow liegt. Gemessen an der so genannten Direktwahlfrage (in der die beiden jeweils Ministerpräsident Dieter Althaus gegenübergestellt wurden, siehe Abbildung) schneidet er kaum besser ab. Dazu wurde auch der direkte Vergleich zwischen Matschie und Ramelow erhoben – allerdings nicht in Form einer Direktwahlfrage, sondern anhand der Frage, ob die Linke ihren Kandidaten durchsetzen oder den SPD-Mann mitwählen solle. Auch hier gewinnt Matschie mit einer relativen Mehrheit von 42 zu 31 Prozent. Allerdings sind diese Zahlen zum einen wegen der besonderen Fragestellung schwierig einzuschätzen und zum anderen ebenfalls nicht so deutlich wie der Abstand zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel vor der letzten Bundestagswahl.

Direktwahlfragen zu Thüringen 2009 und der Bundestagswahl 2005

Quellen: LanderTREND Thüringen und ARD Deutschlandtrend von Infratest dimap

Mittlerweile ist klar, dass ein wahrgenommener Endspurt und gute Persönlichkeitswerte allein keine hinreichenden Kriterien dafür sind, als „Juniorpartner“ das Amt des Regierungschefs übernehmen zu können. Neben der Außenwahrnehmung spielt auch die interne Atmosphäre eine wichtige Rolle, und hier sind sich Matschie und Ramelow sicher näher als Schröder und Merkel es waren. Vieles spricht aber dafür, dass nur alle diese Kriterien zusammen die absolut notwendige Grundlage für solch eine außergewöhnliche Entscheidung bilden könnten. Denn ein unter diesen Gegebenheiten gewählter Ministerpräsident bräuchte auch außerhalb seiner Koalition einen starken Rückhalt, um die Kritik an der Legitimität seiner Wahl entkräften zu können. Solange also die SPD und ihr Spitzenkandidat das linke Lager auch jenseits der klassischen „Sonntagsfrage“ nicht dominieren, wird es zu dieser kleinen Revolution wohl nicht kommen.

 

Von den „Fantastischen Vier“ zur „Intrige“ – eine kommunikative Herausforderung für die SPD

„Hessen und kein Ende“, so mag die SPD-Führung stöhnen. Beinahe das gesamte Jahr 2008 hindurch lieferte die hessische SPD in ihrem Ringen mit sich selbst und der Frage, ob sie eine von der Linken geduldete Koalition mit den Grünen eingehen solle, viel Stoff für Berichte, Diskussionen und Spekulationen. Bei der Landtagswahl im Januar 2009 erhielt sie dafür von den hessischen Wählern eine Quittung. Der Absturz in der Wählergunst war schmerzhaft genug, doch schien damit die Sache ausgestanden, so dass die Bundes-SPD unbelastet von hessischen Querelen in das Bundestagswahljahr 2009 gehen konnte. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Doch nun hat Volker Zastrow von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Rechercheergebnisse präsentiert, die die Geschehnisse des Jahres 2008 in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen. Aus den „Schurken“ von damals werden zwar nicht „Heilige“, doch wirken die vier sogenannten Abweichler weniger als aufrichtige und selbstlose Streiter für eine gute Sache, als es damals für die Öffentlichkeit den Anschein haben konnte. Vielmehr scheinen wenigstens einige der einstigen „politischen Lichtgestalten“ auch eigene Karriereinteressen verfolgt und ein doppeltes Spiel gespielt zu haben. Diese Geschichte ist aus dem Stoff gemacht, der sie für die Massenmedien und die Öffentlichkeit interessant macht. Es geht um Personen, es gibt überraschende Wendungen und reichlich Raum für vielerlei Spekulationen. Öffentliche Aufmerksamkeit dürfte dem Thema daher sicher sein.

Eine politische Enthüllungsgeschichte, die das Interesse der Öffentlichkeit findet, ist für die SPD nicht zwangsläufig von Nachteil. Sie mag zwar die Bürger an die hessischen Querelen erinnern, doch könnte sie auch das damalige Handeln einiger führender Sozialdemokraten in einem besseren Licht erscheinen lassen. Gefährlich dürfte die Geschichte für die SPD vor allem deshalb sein, weil einige Sozialdemokraten die Gelegenheit gekommen sehen könnten, innerparteiliche Gegner zu attackieren. Beispielsweise könnten sich Verfechter des Ypsilanti-Kurses bestätigt sehen und die vier sogenannten Abweichler angreifen – und damit innerparteiliche Kontroversen auslösen. Gerade in Wahlkampfzeiten dürfte es für eine Partei aber nur wenig geben, was so abträglich ist wie innerparteiliche Auseinandersetzungen. Denn zum einen schätzen Bürger Parteien, die geschlossen auftreten und nicht zerstritten wirken. Zum anderen lenken interne Diskussionen die Aufmerksamkeit von Mitgliedern, Anhängern und Sympathisanten davon ab, dass das Ziel eigentlich darin besteht, den politischen Gegner, also andere Parteien zu attackieren. Folglich sollte Ruhe als erste Pflicht eines jeden Sozialdemokraten gelten. Es bleibt freilich abzuwarten, ob es der SPD-Führung gelingen wird, diesen Imperativ durchzusetzen und alle Sozialdemokraten zu kommunikativer Selbstdisziplin anzuhalten.

 

Jamaika an der Saar?

Das Aufkommen der Linkspartei hat den Grünen im Saarland (wie auch anderswo) eine interessante strategische Option geboten und es scheint, als wolle die Partei die Gelegenheit nutzen. Durch ihre Zurückhaltung in Koalitionsfragen und eine deutliche Emanzipation von der SPD konnten sich die Grünen in letzter Zeit zunehmend als unabhängige Größe zwischen CDU und FDP einerseits und SPD und Linkspartei andererseits positionieren.

Man könnte also sagen, dass die Grünen auf dem Weg sind, die neue FDP zu werden. Schon vor einiger Zeit haben die Grünen die FDP als „Partei der Besserverdiener“ abgelöst und sind also für entsprechende Wählergruppen attraktiv. Neu ist nun die strategische Komponente: Die Grünen haben die Position im Parteiengefüge eingenommen, die für die FDP (insbesondere auf Bundesebene) früher charakteristisch war. Sie befinden sich zwischen dem bürgerlichen und dem linken Lager, die im Saarland beide mit jeweils ca. 45% der Stimmen rechnen können und somit beide sind für eine Regierungsbildung auf die Unterstützung der Grünen angewiesen sind.

Die Grünen richten ihren Wahlkampf folgerichtig auf die Verhinderung einer Großen Koalition aus – eine populäre Forderung, die zugleich keine Festlegung der Partei verlangt (auf Nachfrage wird vom Spitzenkandidaten der Grünen die rechnerisch kaum mögliche Ampelkoalition als Präferenz genannt). Natürlich wird die Frage, welchem Bündnis man sich anschließen möchte, nach der Wahl unvermeidlich sein. Sicher scheint aber schon heute, dass die Entscheidung darüber nicht aus dem Bauch heraus getroffen wird, sondern vom strategischen Kalkül der Partei geprägt sein wird. Strategieentscheidungen wiederum sind immer an den Ergebnissen orientiert, die man erreichen möchte. Für eine erste vorsichtige Einschätzung des Verhaltens der saarländischen Grünen nach der Wahl lohnt daher ein Blick auf ihre vermeintlichen Ziele.

Die Politikwissenschaft schreibt Parteien drei zentrale Ziele zu: das Gewinnen möglichst vieler Stimmen, das Besetzen möglichst vieler Ämter und das Durchsetzen möglichst vieler Punkte des Parteiprogramms. Der Erfolg oder Misserfolg bezüglich der errungenen Stimmen steht am Wahltag fest, wichtige Faktoren für die Entscheidung in der Koalitionsfrage sind somit vor allem die zu besetzenden Ämter und die politischen Vorhaben, die man verwirklichen möchte.

Bezüglich der politischen Inhalte fällt eine Einschätzung schwer: Die Grünen kritisieren zwar Seite an Seite mit SPD und Linkspartei die CDU-Regierung, beispielsweise in der Bildungspolitik, andererseits hat aber ein anderes Herzensthema, die Energiepolitik, zu Verstimmungen mit der SPD geführt. Hier scheinen die Grünen dem amtierenden CDU-Umweltminister näher zu stehen als dem in die Kritik geratenen Schattenumweltminister der SPD.

Für die Frage der Ämtervergabe scheint die Jamaika-Option attraktiver zu sein als das Linksbündnis mit SPD und Linkspartei. Eine Betrachtung der bisherigen Dreierbündnisse auf Landesebene (die „Ampeln“ in Brandenburg und Bremen Anfang der 90er Jahre) zeigt, dass in solchen Koalitionen die beiden kleineren Parteien am Kabinettstisch leicht überproportional vertreten waren (siehe Graphik). Lediglich die Bremer Grünen stellten 1991 in der Koalition prozentual gesehen weniger Senatoren als Abgeordnete, allerdings wurde 1993 ein FDP-Senator durch ein Mitglied der Grünen ersetzt.

Ein Bündnis zwischen zwei größeren und einer kleineren Partei gab es bisher noch nicht, es darf aber vermutet werden, dass die Grünen in einem solchen Szenario nicht nur bezüglich der Quantität sondern vor allem auch bezüglich der Qualität der besetzten Ämter die klare Nummer drei sein würden. Beispielsweise würde das wichtige Amt des/der stellvertretenden Ministerpräsident/in, das in einem Jamaika-Bündnis im Bereich des Möglichen liegt, in einem Linksbündnis in weite Ferne rücken.

Die politischen Verhältnisse im Saarland sind natürlich nicht auf die Bundesebene übertragbar. Allerdings könnte sich das Land nach der Wahl am 30. August hervorragend dafür eignen, koalitionspolitische Testballons steigen zu lassen…

 

Der Wahlkampf der CDU – gegen alle Regeln der Wissenschaft

Die Wahlkampfforschung ist eine noch recht junge aber boomende Teildisziplin der empirischen Sozialforschung. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur theoretische Erkenntnisse, sondern auch praktische Hinweise zur Kampagnenführung liefert. So hat die Forschung am Beispiel des „war room“ von Bill Clinton 1992 eine annähernd optimale Wahlkampfgestaltung identifizieren können, und in der Folge waren auch die Wahlkämpfe Tony Blairs 1997 unter dem Thema „New Labour“ und die „Kampa“ Gerhard Schröders 1998 an diesem Clinton’schen Modell ausgerichtet. Diese Entwicklung ist sowohl ein Erfolg der Praktiken des Clinton-Teams, die zu hervorragenden Resultaten geführt haben, als auch ein Erfolg der Wissenschaft, die bei der Übertragung der Clinton-Kampagne auf britische bzw. deutsche Verhältnisse eine wichtige Rolle spielte.

Auf Grundlage dieser Kampagnen hat die Forschung mittlerweile „best practices“ ausgemacht, mit Hilfe derer sie vermeintlich auch Antworten auf die Frage nach dem gelungenen Wahlkampf geben konnte. Das jüngste (und zurzeit fast überstrapazierte) Beispiel einer Kampagne, die alle zentralen Erkenntnisse berücksichtigt und sogar weiterentwickelt hat, ist zweifellos der Wahlkampf Barack Obamas. Ganz generell lauten die Regeln für einen gelungenen Wahlkampf in etwa so: Man sollte den Wahlkampf möglichst früh beginnen; man sollte sich zu bestimmten Fragen eine klare Themenhoheit erkämpfen und diese Themen auch personell besetzen; man sollte die wichtigsten Leitmedien („BILD, BamS und Glotze“) auf seine Seite ziehen; und man sollte strategisch wichtige Wählergruppen ausmachen und sie gezielt ansprechen.

Im deutschen Wahlkampf 2009 zeigt sich nun jedoch ein besonderes Phänomen: Die CDU hat gegen alle diese Regeln mehr oder weniger klar „verstoßen“. Sie führt einen Wahlkampf, wie er in diesem Blog schon einmal diskutiert wurde: kurz, knapp, Merkel. Man spürt die Kampagne kaum, hat nicht den Eindruck, dass sie schon wirklich begonnen hat. Und die im Wahlkampf medial präsenten Personen sind ausschließlich etablierte Minister und nicht etwa Wahlkämpfer, die neue Themen erobern sollen. Anders ausgedrückt: Man weiß durch Ursula von der Leyen und Karl-Theodor zu Guttenberg um die familien- und wirtschaftspolitischen und Vorstellungen der Union – wer aber würde nach einem Wahlsieg die Finanz-, die Umwelt- oder die Außenpolitik der kommenden vier Jahre gestalten?

Die Auflösung dieses Paradoxons liegt in der Ausgangslage der Bundestagswahl 2009. Die Union ist unbestritten die stärkste politische Kraft und sie stellt die Bundeskanzlerin. Dadurch kann sie sich als Partei präsentieren, die über den Dingen steht und sich nicht ins Wahlkampfgetöse stürzen muss. Denn Wahlkämpfe haben dann eine entscheidende Bedeutung und ein zentrales Gewicht, wenn die Wahl umkämpft ist. Könnte die SPD aber im August noch ein paar Prozentpunkte aufholen, so könnte sie damit die Union im September vor Fragen stellen, die diese bisher lieber nicht beantworten möchte.

 

Adoptionsrecht für alle Eltern – oder: die SPD auf der Suche nach verlorengegangener Themenhoheit

Familienpolitik, Frauenförderung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf waren traditionell Themen, die die SPD für sich beansprucht hat und hier sowohl inhaltlich als auch medial betrachtet die Themenhoheit genoß. Bis Ursula von der Leyen in den bundespolitischen Ring stieg. In der Wahlkampfforschung wird sie als das Paradebeispiel für die gelungene Kombination von Person und Themen angesehen. Sie vermittelt hohe Expertise und Glaubwürdigkeit. Ihr ist es zu verdanken, dass die CDU das traditionell rot besetzte Thema für sich gewinnen konnte.Dies macht auch eine Umfrage von infratest dimap aus dem Jahr 2008 deutlich: 37% der Befragten trauen der CDU zu eine gute Familienpolitik zu machen, während nur 26% weiterhin der SPD vertrauen.

Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen, mühsamen Versuche der SPD zu sehen, nun auch für Regenbogenfamilien das Adoptionsrecht zuzulassen. Die SPD beruft sich hierbei auf eine wissenschaftliche Studie des Bayerischen Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg und des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München (näheres hierzu hier) aus der hervorgeht, dass Kinder in Regenbogenfamilien keine Nachteile haben. Bereits vor drei Wochen sahen wir den ersten krampfhaften Versuch der SPD, das Familienthema zurückzuerobern: die Super-Nanny Katharina Saalfrank stieg in den SPD-Wahlkampf ein. Frei nach dem Motto „get them where they are“ werden Wählerinnen und Wähler dort abgeholt, wo sie sich befinden. Dennoch war der Nachhall durchaus zweischneidig, denn die Grenze zwischen Infotainment und seriöser Politik (und seriösem Wahlkampf) ist eben fließend.
Mit dem Aufruf von Brigitte Zypries, das Adoptionsrecht auch für eingetragene Lebenspartnerschaften zu öffnen, versucht die SPD erneut, das Politikfeld Familie zu besetzen und damit Wählerstimmen zurück zu gewinnen. Zweifelsohne, dies ist ein wichtiges Thema – und sollte auch durchgesetzt werden – aber mit Verlaub gesagt ist damit allein kein Wahlkampf zu machen und schon gar nicht zu gewinnen. Es sind andere Themen, die die Wahl entscheiden werden – und hier sollte sich die SPD schleunigst dransetzen.

 

Die Botschaft des Dick Morris

Seit dem heutigen Tage ist Thomas Steg nicht mehr stellvertretender Regierungssprecher. In diesem Amt hat sich der SPD-Mann – auch beim Koalitionspartner – einigen Respekt verschafft, und umgekehrt steht auch er selbst der Bundeskanzlerin nach jahrelanger intensiver Zusammenarbeit positiv gegenüber. Dass er nun ins Zentrum des SPD-Wahlkampfes wechselt, mag da manchen wundern. Ist politisches Feingefühl wirklich eine Qualität, die sich mühelos von einer auf die andere Situation übertragen lässt?

In den USA – zweifellos das Mekka des modernen campaigning – hat man sich an solche fliegenden Wechsel mittlerweile gewöhnt. Dick Morris beispielsweise war für die Republikaner tätig, bevor er ins Clinton-Lager wechselte und einer der Strippenzieher der erfolgreichen Wiederwahl-Kampagne von 1996 wurde. Er galt als Experte für das Überzeugen von Unentschlossenen und Wechselwählern; sein Rezept war, den Demokraten Bill Clinton ein bisschen „republikanischer“ auftreten zu lassen. In diesem Fall ging das Kalkül des Clinton-Teams, sich ein bisschen Stallgeruch der Gegenseite zuzulegen, also voll auf. Und auch James Carville, wichtiger Berater während der ersten Clinton-Kampagne 1992, ist von der Universalität gewisser Wahlkampf-Lehren überzeugt. Er hat nach seinem Einsatz für Bill Clinton unter anderem Tony Blair und Ehud Barak beraten, der von ihm geprägte Ausdruck „It’s the economy, stupid“ fand weltweit in Wahlkämpfen Beachtung. Eine Gegenspielerin im US-Präsidentschaftswahlkampf von 1992, George H. Bushs Wahlkampfmanagerin Mary Matalin, hat Carville übrigens ein Jahr später geheiratet. Es scheint also allen parteipolitischen Gegensätzen zum Trotz viele Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Wahlkämpfen und auch zwischen den Wahlkämpfern zu geben.

Die deutsche Wahlkampfforschung wendet dagegen ein, dass enge und produktive Zusammenarbeit auch auf langfristigen Werten wie etwa der Parteibindung basiert. Schließlich haben Parteien in Deutschland einen höheren Stellenwert und eine prägendere Funktion im politischen System, als es in den USA der Fall ist, wo Seiteneinstiege von unpolitischen Personen in politische Ämter an der Tagesordnung sind. Auch die deutschen Wahlkampfberater selbst raten mehrheitlich von schnellen Wechseln ab und betonen, dass gewachsenes persönliches Vertrauen die Grundsubstanz guter Zusammenarbeit ist.

Die Skepsis gegenüber sprunghaften Beratern scheint begründet. Dick Morris jedenfalls arbeitet inzwischen wieder für die Republikaner, nachdem er sich mit Hillary Clinton überworfen hat, und mancher fragt sich nun, ob er je ein echter Anhänger der Demokratischen Partei war. Thomas Steg hingegen scheint in der SPD verwurzelt zu sein. Aber wer weiß schon, was Angela Merkel eines Tages noch mit ihm vorhat…

 

Die Botschaft der Super-Nanny

Die SPD hat für die heiße Wahlkampfphase neue Unterstützung an Bord geholt: Katharina Saalfrank alias „Super-Nanny“. Die Frau, die regelmäßig Millionen von Fernsehzuschauern über verantwortungsvollen Umgang in der Familie aufklärt, soll nun einen möglichst großen Teil ihrer Fangemeinde davon überzeugen, am 27. September SPD zu wählen. Was wie ein Wahlkampfgag klingt (und wohl auch einer ist), birgt auf den zweiten Blick zwei interessante Botschaften über die Lage der SPD und der deutschen Parteien allgemein.

Zum einen werden die Karrierewege der Menschen, die politisch sichtbar sind, ganz offensichtlich immer heterogener. Zu Zeiten der „Bonner Republik“ war die klassische „Ochsentour“ durch die Parteiebenen der zentrale Weg, auf dem man sich für ein hohes politisches Amt qualifizieren konnte und musste. Die Berufung eines Quereinsteigers in ein Ministeramt (so geschehen etwa im Falle des parteilosen Werner Müller, Wirtschaftsminister im ersten Kabinett Schröder) galt als kleine Revolution und sorgte für einigen Unmut in der Partei. Dies wird sich ändern, da die Parteien durch ihren anhaltenden Mitgliederschwund schrittweise an Macht und Legitimation verlieren werden und daher nicht mehr das Monopol auf die Regierungsämter beanspruchen sollten. Diese Entwicklung macht natürlich nicht zwangsläufig eine „Super-Nanny“ ministrabel, erweitert aber ganz allgemein den personellen Horizont der Parteien.

Zum anderen sind Prominente in der Politik kein neues Phänomen. Vor wenigen Wochen erst haben alle Parteien (außer der CSU) Sportler, Musiker und andere vermeintliche Publikumslieblinge zur Wahl des Bundespräsidenten entsandt – die Linkspartei nominierte sogar einen Schauspieler für dieses Amt. Und ebenso wie sich die SPD nun einen Effekt durch die „Super-Nanny“ erhofft, sollten auch diese Persönlichkeiten den Parteien ein wenig Glanz verleihen und manchen unentschlossenen Wähler gewinnen. Frei nach dem Prinzip des „get them where they are“ gehen die Parteien so auf die Wähler zu und holen sie mit Hilfe von Symbolfiguren dort ab, wo sie sich bewegen. Nüchtern ausgedrückt ist der Einsatz von Prominenten in der Politik also schlicht ein Instrument, mit dem die Parteien ihren Mobilisierungsproblemen begegnen möchten. Gleichwohl wird die Wirkung dessen beschränkt bleiben, denn von zentraler Bedeutung sind für die Bürger nun einmal die Kandidaten, die zur Wahl stehen, und die Themen, die sie vertreten.

Und auf die Aufnahme von Frau Saalfrank in ihr Schattenkabinett wird die SPD höchstwahrscheinlich verzichten. Schließlich hat diese Partei selbst vor vier Jahren demonstriert, dass ein Nicht-Politiker im Wahlkampf schnell zur Achillesferse seiner Partei werden kann. Der Professor aus Heidelberg lässt grüßen…