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Clarkes Gesetze

Arthur C. Clarke schrieb Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum, war ein Wissenschafts-Visionär und Science-Fiction-Autor. Nun verstarb der britische Schriftsteller im Alter von 90 Jahren. An dieser Stelle sei noch einmal an seine drei Gesetze erinnert, die er 1962 im Buch Profile der Zukunft: über die Grenzen des Möglichen veröffentlichte und die die Science-Fiction-Literatur künftig stark prägen sollten:

1. „Wenn ein angesehener aber älterer Wissenschaftler behauptet, dass etwas möglich ist, hat er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit recht. Wenn er behauptet, dass etwas unmöglich ist, hat er höchstwahrscheinlich unrecht.“

2. „Der einzige Weg, die Grenzen des Möglichen zu finden, ist ein klein wenig über diese hinaus in das Unmögliche vorzustoßen.“

3. „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“

 

Im Gewächshaus der Bücher

Mehr Messe, mehr Mensch. Wie viele Werbetüten man tragen kann! Die Stände quellen über, besonders in der Glashalle wird gedrängelt, sobald jemand sich auf ein oranges, blaues oder schwarzes Sofa setzt und in Kameras redet. Die Eingangsdrehtür treibt verkleidete Jugendliche rein. Ist denn schon wieder Karneval? Katzenohren auf dem Kopf, schwarze Kimonos mit Schriftzeichen drauf und Badelatschen. Cos-Play nennt sich das, Costume-Play. Aha. Ein paar ältere Damen sächseln ein paar harsche Spaßbeiseites an den Garderoben, weil irgendeine Manga-Figur mit einem Plastikmesser rumfuchtelt. Später wird bestimmt in der Buchmessenpressemitteilung stehen: Mehr junge Leute kommen zur Messe. Ja, aber dann? Manchmal blockiert die Drehtür. Selbst der Alarmton klingt sächsisch.

Die Sonne brutzelt aufs Gewächshausdach, die Luft wird im Getümmel stetig mayonnaisiger. Wo ist es denn schön? Der junge Schriftsteller Sasa Stanisic sitzt bei arte auf der Couch und gibt wohl eines der unterhaltsamsten Interviews der Messe, und am ZEIT-Stand liest die Jugendbuchautorin Tamara Bach aus ihrem preisgekrönten Roman. Da bleibt man gern stehen.

Dann schon wieder Hektik: Ein Mann eilt im grauen Mantel zum Stand und macht ein Siegeszeichen zu einem, der genauso aussieht. Der sagt: „Du, richtige Bombe, Du.“ Und die Rowohlt-Party gestern, puh, oha, mannomann, „wasn Abend“. „Hattest du überhaupt ein Bändchen?“, fragt der andere. „Klar“ Dann reden sie über Ich-Erzählungen und autobiografisches Schreiben, und ein dritter nebenbei schwersttelefonierender Graumantel sagt: „Das ist so echt und so unverblümt“, davon wünsche er sich mehr. „Und kommste später auch zur Party junger Verlage?“ „Na logisch.“

Rotgesichtige Werbetütenträger lassen sich von Hostessen am Focus-Stand eine neue Gesundheits-Serie erklären und glauben, sie hätten geflirtet. Ein bisschen weiter sitzt Rainer Langhans bei Aspekte und redet über 68. Trägt einen Anzug, kein weißes Gewand. Uschi Obermaier lächelt dazu von Fotos. Verkleidete Mädchen haben die Hot-Dog-Bude entdeckt und röstzwiebeln den Boden voll. Wenn japanische Touristen vorbeilaufen, starren die Mädchen und zeigen mit dem Finger drauf. Ehrfürchtig, nicht böse. Was die Touristen wohl denken?

Erstaunlich ist, wie viele zu den Lesungen kommen. Auch bei den jungen, den kleinen Verlagen. Egal, ob drei schüchterne Damen Alltagslyrik lesen oder ein paar fahrig dahingeworfene Zeilen Experimentalprosa – die meisten Gäste bleiben bis zum Schluss, klatschen und nehmen Prospekte mit. Die abendlichen Lesungen in der Innenstadt sind überfüllt. Wenn der Preisträger Clemens Meyer vorliest, wird das auf Leinwänden übertragen. Und es wird gekauft, gekauft, gekauft, gekauft. Für drei Tage ist Literatur wieder ein Alltagsspaß. Warum geht das nicht ohne Messe?

 

Vergessene Grüße

Auf einem Bistrotisch lag sie. Zerrissen, ungelenk beschriftet mit rosafarbener Tinte. Ein verworfener Postkartengruß einer Besucherin. Zugleich eine schöne Zwischenbilanz. Bitte:

„Liebe Tante Lina!
Schöne Grüße von der Leipziger Buchmesse. Hier gibt es so viel zu sehen, dass man gar nicht alles aufnehmen kann. Aber so viele Bücher kann eh kein Mensch alle lesen.
Liebe Grüße,
Laura“

Wer da nicht zustimmt, muss ein fritiertes Herz haben.

 

Feuchtgebiete überall

Die Leipziger Buchmesse sei besser als die in Frankfurt, heißt es. Kleiner, netter, autorenorientierter, jünger. Sie ist aber auch weiter draußen: 25 Minuten braucht man mit der Straßenbahn, die manche hier auch „Bimmel“ nennen, vom Hauptbahnhof bis zu den Hallen.

Und gleich ist was los: In der großen Halle wird gerade der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. Fritz Vogelsang: Übersetzung, Irina Liebmann: Sachbuch und Clemens Meyer: Belletristik. Ein Jubel, ein Getöse, Meyer springt auf, sein geöffnetes Bier sprudelt, Umarmung hier, Bussi da, und nun bitte nach vorne. Kann er überhaupt noch was sagen? Zuvor hatte sich Irina Liebmann noch artig da oben bedankt, aber Adrenalin wirkt ja bei jedem anders.

Eine Frau im Publikum sagt zu ihrem Begleiter:
„Ich finde es toll, dass man auf solchen Messen endlich mal die Gesichter der ganzen Leute sieht. Von den Autoren und Kritikern.“
Der Begleiter antwortet mürrisch: „Ja, als müssen die beweisen, dass es sie wirklich gibt.“
„Wie bist du denn drauf?“, sagt die Frau. Und inzwischen ist Clemens Meyer auf der Bühne angekommen. Will nichts sagen, bloß weiterschreiben, weiter trinken und wieder zu seinen Fans. Soll er.
Die Menschen vor der Bühne werden weniger, viele stapfen zielstrebig zum DuMont-Stand, weil da gleich Charlotte Roche ihr Buch signiert. Sie hat hier bereits an jedem wichtigen Stand gestanden und auf jedem wichtigen Sofa gesessen. Drumherum immer ein einziges Feuchtgebiet aus Apfelsaftpfützen, Eisgeklecker und schweißnassen Achseln, denn die Luft ist so schwül wie in einem Kolonialbordell in Bangalore. Beim MDR sitzt gerade Helge Schneider und kann lesen, was er will – immer lachen alle. Das muss grausig sein.

In Halle 5 haben die jungen Verlage ihre Stände. „Aber warum KiWi ausgerechnet hier ist, versteh‘ ich nicht“, sagt jemand und zeigt auf die rot-bunten Stellwände, vor denen gerade Feridun Zaimoglu steht und sein Buch Liebesbrand hält. Lacher des Tages: Der kleine Blumenbar-Verlag habe sich angeblich eine 10-Zimmer-Wohnung gemietet und mache auf Verlagskommune. Rainer Langhans veröffentlichte jüngst sein Buch bei Blumenbar, sei auch in die Kommune gezogen und laufe die ganze Zeit in weißen Gewändern rum. „Ist Uschi Obermaier auch dabei?“, will ein junger Mann wissen, bekommt aber keine Antwort am Verlagsstand, nur komische Blicke.

Der Ton an der jungen Lesebühne ist schlecht, die Schriftstellerin Lydia Daher liest vor, aber es kommt kaum was an. Das ist sehr schade, denn was man hört, klingt sehr gut. Eine andere junge Autorin spricht mit Journalisten über ihr neues Romanprojekt, trinkt Bio-Limonade und sagt: „Irgendwie frech, wild und ganz was neues“ solle es sein, und die Journalisten nicken und ihre Bleistifte kratzen auf Papier. Ist notiert, wird sicher ein Knaller. Gleich ist es sechs, der Trubel vorbei, und an den ersten Ständen glimmen die ersten Zigaretten. Ist verboten, überall in den Hallen, aber hier ist man ja „jung und wild“ und das alles. Später am Abend ist die „lange Lesenacht“ in der Leipziger Moritzbastei. Ein Disco-Café-Gewölbe mitten in der Innenstadt. Und: „Kommste danach noch auf die Rowohlt-Party?“

Aber erstmal muss man ja zurück! Draußen warten schon Heerscharen auf den Bus. Es ist kalt, ein paar Mädchen tragen nur knappe weiße Stofftücher und wären gerne Figuren aus einem japanischen Comic. Der Shuttle zum Hauptbahnhof kommt nur jede halbe Stunde. Als er endlich kommt, drängeln ein paar Rentner als ginge es um Leben und Tod. Aber es geht doch nur um Bücher.

 

Ach Gott, kleines Ferkel

Der Streit um das Buch war absurd, nur das Bundesfamilienministerium insistierte: Das Kinderbuch Wo bitte geht’s zu Gott?, fragte das kleine Ferkel soll auf den Index. Antisemitisch sei es und mache die drei großen Weltreligionen verächtlich. Nun hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien entschieden: Michael Salomon-Schmidts Buch wird nicht verboten.

Eine richtige Entscheidung. Denn antisemitisch ist das Buch keineswegs. Es werden die drei großen monotheistischen Religionen gezeigt und kritisiert – zugegeben auf eine recht plumpe Weise. Der Bischof prügelt mit der Bibel, der Rabbi schwingt kämpferisch die Tora-Rolle, und der Mufti schart blutrünstige Fanatiker um sich. Weder ähneln die Karikaturen des Rabbi denen aus dem nationalsozialistischen Hetzblatt Der Stürmer noch wird das Judentum besonders gefährlich dargestellt. Alle drei Religionen kommen schlecht weg! Denn die Moral der naiven Geschicht’ geht ungefähr so: Liebe Kinder, gebt fein Acht, ohne Religion seid ihr besser dran. Ferkelei oder Heidenspaß fürs Kinderzimmer? Immerhin amazon-Bestsellerliste.

Dass diese Art der Kritik vielleicht Gläubigen der drei Religionen aufstößt, erfüllt noch lange nicht den Tatbestand der Jugendgefährdung. Es ist ein Grundrecht, Religion zu kritisieren. Das wissen wir seit Voltaire. Ebenso gehört sie zur Meinungs- und Religionsfreiheit. Ob die Kritik so missraten daher kommt wie in diesem Buch, ist völlig egal, denn die Bundesprüfstelle ist nicht dazu da, schlechte Bücher zu verbieten. Und schlecht sind an Schmidt-Salomons Buch so einige Dinge. Aber diese gehören nicht auf einen Beamtenschreibtisch.

Und eigentlich ist es auch nur fair. Atheisten müssen die zahlreichen Kinderbibeln hinnehmen, da können Gläubige ruhig dieses Buch ertragen. Sie müssen es ja nicht gleich kaufen und ihren Kindern vorlesen. Die Debatte um dieses Buch zeigte besonders eines: Nichtgläubige haben manchmal nicht die gleichen Rechte wie Gläubige. Wenn Kardinal Meisner über „entartete Kunst“ salbadert und behauptet, Kunst dürfe nur die Wahrheit Jesu Christi aussprechen, wird darüber weniger diskutiert als über ein 20 Seiten schmales Buch, dass eine naive Aufklärungsfantasie erzählt, aber letztlich keinem weh tut.

 

Den Deutschen ihre Erker

Die Sprache verkommt mal wieder. Diesmal macht sich die Berliner CDU ernsthaft Sorgen ums verlotternde Deutsch. Es müsse „als Kulturgut gestärkt und geschützt werden“, sagt die Partei. Der Berliner Senat und die Bundesregierung wurden gar aufgefordert, „einer Verdrängung von Teilen des deutschen Wortschatzes durch Anglizismen und Jargons entgegenzuwirken“. Denn Deutsch gehöre immerhin „zu den großen Kultursprachen der Welt und sei die meistgesprochene Sprache in der Europäischen Union“. Zu den großen! Ja! Kultursprachen! Jawohl! Der Welt! Was sonst!

Nur was tun?

Der Vorwurf, dass die Sprache verkäme, ist so alt, wie die Sprache selbst. Es hieß mal, das Französische bleiche das Deutsch aus, wegen Heinrich Heine und Friedrich des Großen. Da wollten die Sprachpuristen tatsächlich die angeblich dem Französischen entlehnte „Nase“ mit dem „Gesichtserker“ übersetzen. Und hätten die Sprache beinahe noch mehr versaut, denn Nase ist ein geerbtes Wort, seit dem Althochdeutsch tradiert, doch der Erker bloß ein Lehnwort, geklaut vom nordfranzösischen „arquière“, was so viel heißt wie „Mauerausbuchtung“. Auch wenn einem ob solcher Vorschläge das Gesicht versteinern mag, ist die Nase noch lange kein Erker.

Seit Jahrzehnten nun ist es das böse Englisch. Dass Sprache nichts Statisches ist, sondern sich durch kulturellen Austausch stetig verändert, ist eigentlich ein alter Hut. Die Globalisierung ist schuld, da hätte die CDU schon Kolumbus verbieten müssen, Amerika zu entdecken. Aber, nö, sie will trotzdem ihr Deutsch zurück! Bloß welches? Das Goethes? Das Kleists? (Was schon himmelweite Unterschiede waren.) Oder das Adenauers?

Die CDU schlägt Folgendes vor: „Öffentliche Beschilderungen, Leitsysteme und andere Beschriftungen auf Bahnhöfen, Flughäfen und an öffentlichen Gebäuden seien durchgängig in deutscher Sprache zu verfassen, zusätzlich könnten internationale Sprachen benutzt werden.“ Also heißt „Park & Ride“ fürderhin „Parken & Reiten“, „Arrival and Departure“ „Willkommen und Abschied“ (Womit wir wieder bei Goethe wären.), „Info-Point“ „Informationspunkt“, und der „Airport-Shuttle-Service“ wird zum „Flughafenzubringerdienst“. Und auch die Rundfunkanstalten seien „verstärkt für ihre sprachliche Vorbildfunktion in die Verantwortung zu nehmen“. Sagt die CDU in wirklich blitzsauberem, äh, Deutsch.

Freilich gibt es viel zitierte Beispiel dafür, was der Einfluss anderer Sprachen mit der eigenen anrichten kann. Die Wendung „das macht Sinn“, ist nicht nur hässlich, sondern auch falsch. Genau wie „realisieren“ zu sagen, wenn man nicht „verwirklichen“ meint, sondern „bemerken.“ Gerne auch: „Für Hans bedeutet das sehr viel“, wo es doch „Hans bedeutet das sehr viel“ heißen müsste. Ist sogar eine Silbe kürzer. Viele englische Wörter erfinden wir uns zudem selbst: das „Handy“ und die „No-Go-Area“ zum Beispiel. Fragen Sie mal in England jemanden nach seiner „Handynumber“ – er wird Sie nicht verstehen.

Aber, und da gebe ich der CDU recht, frag ich mich gelegentlich auch, warum wir englische Worte für manche Dinge benutzen, die man auch wunderbar auf Deutsch sagen kann. Ein paar Vorschläge zum Schluss: „S.U.V.“ kann man prima mit „Allradkarre“ übersetzen, die „Sneakers“ mit „Turnschuhe“, den „Art Director“ mit „Chefgestalter“, und sowieso ist das ganze Business-Englisch entbehrlich: „Challenge“, „Meeting“, „Break-Even“ und dieses Zeug. Und warum sagen wir „Dandy“, wo es doch das schöne deutsche Wort „Fatzke“ gibt? Doch soll das bitteschön jeder selbst entscheiden.

 

Goethe frisch gestrichen

In der Goethe-Gedenkstätte Gabelbach im Thüringer Wald sind mehrere grüne Wände für die Theaterverfilmung «Werther» ohne Erlaubnis der Denkmalpflege braun übermalt worden. „Ein Zimmer des in den 1990er Jahren nach originalen Farbfassungen
restaurierten Hauses wurde für die Filmaufnahmen farblich verändert“, sagte der Ilmenauer Kulturamtsleiter Ingolf Krause. Die untere Denkmalschutzbehörde sei nicht eingeschaltet worden, da „baulich nichts verändert wurde.“ Dies sei nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sagte die Sprecherin des Landesdenkmalamtes, Sibylle Putzke. „Es ist auch respektlos.“

 

Ein Luchs kommt nach Hamburg

Eine Jury von ZEIT und Radio Bremen hat den Jugendroman „Jetzt ist hier“ von Tamara Bach zum besten Jugendbuch 2007 gewählt. Der mit 8000 Euro dotierte LUCHS-Preis wird seit 1986 vergeben. Der LUCHS 2007 wird am 8. Februar 2008 im Literaturhaus Hamburg im Schwanenwik 38 verliehen. Die Verleihung beginnt um 18.00. Der Eintritt ist frei. Die Autorin Tamara Bach liest aus ihrem Buch. ZEIT-Geschäftsführer Rainer Esser und ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo überreichen den Preis.