Fazit „Blüh im Glanze dieses Glückes“, tickern die 11 Freunde (die heute nur zu zweit sind). Das war knapp und hat Löw sicher ein paar graue Haare beschert. Zwischenzeitlich deutliche Überlegenheit der Russen mit schnellen Vorstößen in die Box und einigen Schüssen in Richtung René Adler. Der müsste nach dieser Leistung schon einiges falsch machen, sollte er nicht die Nummer 1 von Südafrika sein. Glück vor allem, dass „der Schweizer“, wie Guus Hiddink sagt, und es klingt verschwörungstheoretisch, in der 88. Minute den Russen den Mittelfinger zeigte – und nicht wie es den Regeln entsprochen hätte, auf den Elfmeterpunkt.
Boateng hätte Löw früher auswechseln können, er hatte oft Probleme, den Gegnern zu folgen. Andererseits, Friedrich hat ja auch gefoult. In der spielentscheidenden Szene sah man einen sehr leichtfüßigen und wendigen Özil. Gut war auch das Mittelfeld Schweinsteiger, Ballack, Rolfes.
Allen Naseweisen ist diese heute gedreht worden, denn es war durchaus zu erkennen, dass der Boden das Spiel sehr beeinflusst hat: Der Ball wurde schnell, Klose etwa konnte vor dem Tor gar nicht zum Schuss ausholen, sondern er lief schlicht in Özils Pass. Viele, teils einfache Pässe gerieten zu lange. Bälle sprangen höher als vermutet. Und Mertesacker wird sich zu Weihnachten sicher keinen Bettvorleger aus Polyethylen wünschen. Diese Vorzeichen erhöhen freilich den Sieg des DFB-Teams, wenn man auch bedenken muss, dass die meisten russischen Spieler auch nicht täglich auf Kunstrasen trainieren und spielen.
Am Ende siegte Deutschlands „Durchschlagskraft“, sagt der Holländer Hiddink, und es klingt nach einer militärischen Anspielung. Am Ende sah man Kapitän Ballack mit Granulat auf der Stirn – der Insignie des modernen Fußballarbeiters.
Lesen Sie heute Abend die Analyse unseres Reporters in Moskau Moritz Müller-Wirth.
Endstand 0:1 Glücklicher Deutschland-Sieg.
88′ Nur weil Béla Réthy etwas sagt, heißt es ja nicht, dass es automatisch falsch ist. Das hätte Elfmeter für Russland geben müssen. Glück gehabt, Arne! Gomez für Klose.
85′ Noch fünf Minuten, Trochowski rein, Podolski raus. Es scheint, als ob das Ärgste überstanden ist. Die Russen scheinen nicht mehr an den Sieg zu glauben, nachdem sie zwischenzeitlich mächtig drückten.
73′ Da müssen wir uns aber bei Adler bedanken. Wieder. Hält einen Schuss Semschows in die lange Ecke – und hat ein wenig Glück, dass der Ball am kurzen Pfosten ins Aus geht.
Große Spannung, noch eine Viertelstunde im wichtigsten Fußballspiel des Jahres – und das ZDF macht einen Programmhinweis auf Frauenboxen. Wohin mit meiner Wut Beschwerde?
72′ Der nicht-intrigante Arne Friedrich wird für Özil eingewechselt, den wir gerne noch länger gesehen hätten.
69′ Gelb-Rot für Boateng, Deutschland wird die letzten gut 20 Minuten in Unterzahl sein. Richtige Entscheidung des Schiedsrichters. Die falsche des Bundestrainers, der den fahrigen Boateng vorher hätte auswechseln können.
65′ Luftholen angesagt beim deutschen Anhang. Und auf der deutschen Bank. Die Russen schicken einige Pfeile in den deutschen Strafraum, die aber bislang noch nicht treffen. Und Polyethylen ist nicht die Sache von Per Storch Mertesacker.
58′ Özil sendet den Ball auf einen langen Segelflug … und an die Latte.
55′ Jetzt ist Adler-Zeit. Zwei Mal pariert er Schüsse mit den Fäusten, dann landet ein Seitfallzieher Arschawins auf dem Tordach. Jetzt gehts los! Jetzt ist der Spaß vorbei!
53′ Mertesacker hat heute große Probleme, Bälle in die Tiefe zu verteidigen. Einige Male musste Boateng für ihn einspringen. Jetzt brachte Kerschakow den Ball nicht unter Kontrolle, sonst wäre er alleine vor Adler erschienen. Wechsel Russland: Pawljutschenko für Kerschakow.
Halbzeit 0:1 Beide Mannschaften mit einer sehr guten und einigen halben Chancen. Die Russen hätten in Führung gehen können, aber Adler war das Ende für Bystrow. Das Tor verdanken die Deutschen in erster Linie Özil, der sich zunächst gut löst, sich dann freiläuft und Klose, der eigentlich gedeckt ist, auflegt. In den ersten zwanzig Minuten hatten beide Teams, würd ich mal sagen, durchaus Probleme mit dem Polyethylen unter ihren Füßen.
Im Viertelfinale der U20-WM führt Deutschland durch den Twitterer Lewis Holtby mit 1:0 gegen Brasilien. Noch eine Viertelstunde zu überstehen.
42′ Ab jetzt werden keine Wetten mehr angenommen, dass Friedrich nach der Pause für Boateng kommen wird. Gelb für den Hamburger nachdem ihn Bystrow stehenließ.
35′ Tor für Deutschland Miroslav Klose 0:1 Salto Klosale! Oh, war das gut gemacht von Özil! Mit einem herrlichen Move schickt er erst seinen Gegenspieler in den Ural und nach einem Zungeschnalzdoppelpass mit Podolski zieht er zur Grundlinie und hat das Auge für Klose. Der in München ja genug Selbstvertrauen getankt hat, um den Angriff zu vollenden.
29′ Eben noch gelobt, nun hätte Boateng fast einen Gegentreffer verschuldet. Im Mittelfeld den Ball versäumt, fehlt er bei einem schnellen Angriff über Arschawin, der Bystrow in den 16er schickt. Aber Adler gewinnt das Eins gegen Eins. Die Russen drängen jetzt die Deutschen in deren Hälfte.
25′ Boateng, der Rechtsverteidiger, stiehlt Kerschakow in der Gefahrenzone Mitte den Ball. Lässig, sehr lässig.
23′ Podolski mit ner Chance im Strafraum. Normalerweise macht er die Dinger, wenn sie ihm so auf seinen Linken serviert werden.
20′ Es hat sich noch nichts getan. Beide Mannschaften ohne Präzision im Passspiel. Liegt wohl auch am Kunstrasen (keine Ironie). Man könnte aber auch sagen: Die Anfangsphase haben die Deutschen überstanden.
10′ Ui, sind die alle nervös. Beide Mannschaften. Das merkt man an den schüchternen Torschüsschen und zögerlichen Dribblings.
7′ Richtig, Mischa! Den ersten Freistoß immer Vollspann in die Mauer. Alter Kreisklassentrick. Beim nächsten Mal ducken sich alle.
6′ Ich glaube, der Ton ist ne Sekunde vor dem Bild da. Erster Russenschuss von Kerschakow.
17:01 Die Hymnen.
Sorry, Magister Haydn. Musikalisch steht es 1:0 für Russland.
16:59 Das Spiel steht unter Leitung von Massimo „Effenberg“ Busacca (hier, auf einem älteren Bild, übt er noch).
16:57 Deutschland also mit seinen besten Kräften. Béla Réthy nicht zu vergessen, der Reporter gewordenen Wikipedia des ZDF.
Bloggt noch wer live? Ah, die 11 Freunde. Nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt.
Aufstellung Deutschland
Adler – Lahm, Westermann, Mertesacker, Boateng – Rolfes, Ballack – Schweinsteiger, Özil, Podolski – Klose.
Mutig, weil Löw einen Debütanten, Boateng, ins Rennen schickt. Folgerichtig, weil er ohne Hitzlsperger und andere formschwache Stuttgarter spielt – zu denen auch irgendwie Gomez noch zu zählen ist.
Aufstellung Russland
Akinfejew – Anjukow, Beresuzkij, Ignaschewitsch, Schirkow – Bystrow, Denissow, Semak, Syrjanow – Arschawin, Kerschakow.
Vorbericht
Nach vielen qualitäts- und ereignisarmen Spielen innerhalb der vergangenen zwölf Monate wird es heute ernst für die deutsche Nationalmannschaft: Das womöglich entscheidende Spiel der WM-Qualifikation gegen Russland steht an. Die Ausgangslage: Gewinnen die Deutschen, sind sie für Südafrika 2010 qualifiziert. Verlieren sie, müssen sie höchstwahrscheinlich in die Relegation im November. Hier wären Teufel und Lattek los, wenn erstmals eine deutsche Elf die Qualifikation zu einer WM verpassen würde. Kaum vorzustellen, dass Joachim Löw das überstehen würde – trotz aller Beteuerungen seitens des Präsidenten Theo Zwanziger. Ach ja, ein Unentschieden würde dem DFB-Team in die Karten spielen. Und die Spannung auf Mittwoch vertagen, wenn es in Hamburg im letzten Spiel gegen Finnland geht.
Wenn Sie mich fragen (aber mich fragt ja keiner) – Russland ist leichter Favorit. In der Summe haben die Russen mindestens gleichwertige Spieler, etwa das Juwel Andrej Arschawin von Arsenal, einen Typen wie Quecksilber: einfach nicht zu fassen. Sie haben den Heimvorteil. Und auf der Bank sitzt Guus Hiddink, der holländische Trainertugend, nämlich Fachwissen, pflegt und dem holländische Traineruntugend, nämlich Besserwisserei (morbus van gaalis), abgeht. Eine talentierte, aber verschüchterte Sbornaja hat er in einen selbstbewussten EM-Halbfinalisten verwandelt. Über ihn sagt ein Spieler: „Hiddink hat uns das gegeben, was wir vorher von keinem russischen Trainer bekommen haben: Freiheit.“ Im Fußball ist die Perestroika mit anderthalb Jahrzehnten Verspätung vollzogen worden. Und das von einem Holländer, der Bücher über Stalin und dessen Geheimdienstchef Berija liest.
Die deutsche Mannschaft wirft dagegen einen Mann auf dem Platz in die Waagschale: Kapitän Michael Ballack, der in Deutschland seltsamerweise in einem uneindeutigen Ruf steht. Manche sehen in ihm den einzigen Spieler von internationalem Format, andere halte ihn für einen überschätzten Schleicher. Ich halte ihn (im Gegensatz zu meinem Vater) für den dominanten Spieler … ja! Einen Führungsspieler. Auf die Gefahr hin, dass ich der Personalisierung verdächtigt werde: Es ist also ein Duell Hiddink gegen Ballack. Die sich aus Chelsea kennen und schätzen.
Einen Hinweis noch auf den Kunstrasen: Es ist ein Thema, bei dem manche sich abwenden, weil ihnen darüber zu viel berichtet worden ist. Aber er könnte in der Tat zum Nachteil für die Deutschen werden, denn, das weiß ich aus Erfahrung, er erfordert eine andere Spielweise. Und vielleicht auch anderes Schuhwerk. Hoffentlich haben die Jungs die Tausendfüßler dabei. Andererseits, auch für die meisten Russen ist das ungewohnter Boden.