Seit dem Auftauchen der „Nationalen Sozialisten für Israel“ wird rechts wie links heftig über das Verhältnis von Rechtsextremisten zum Antisemitismus diskutiert. Es geht jedoch auch ohne. Ein Beispiel hierfür bot unlängst die Redaktion des Theorieorgans der sächsischen Jungen Nationaldemokraten (JN) – „Hier&Jetzt“.
In der Herbstausgabe des Jahres 2007 besprach Gerry Hofmann das Sammelwerk „Buch der Erinnerung – Juden in Dresden – deportiert, ermordet, verschollen“ äußerst wohlwollend und argumentierte deutlich gegen Antisemitismus. Die jüdischen Bürger Dresdens hätten sich seinerzeit durch „erschreckende Normalität“ ausgezeichnet. Sie wären „ganz normale Mitmenschen“ gewesen und hätten häufig im ersten Weltkrieg tapfer für Deutschland gekämpft. „Die systematische gesellschaftliche und physische Elimination von Staatsbürgern (…), die in der Summe sehr wohl als Assimilanten, respektive ‚normale Deutsche’ anzusehen waren, erschüttert anhand vorliegender Zeugnisse umso mehr.“, spitzte Hofmann seine Bewertung zu.
Für so manchen Sherlock Holmes von der linken Seite war dies indes zuviel des Guten: Da nicht sein kann, was nicht sein darf, wurden Hofmanns Äußerungen in einer Sonderausgabe des Newsletters vom linken Projekt „Attenzione“ aus Pirna gar ins Gegenteil verkehrt. Gerade weil Hofmann als Antisemit a priori den Staat Israel als Hassobjekt gar nicht erst erwähne, werde „dessen Zerstörung in Gedanken bereits“ vorweg genommen. Hofmann entlarve sich gerade dadurch als Antisemit, dass er Juden im Nationalsozialismus als „ganz normale Mitmenschen“ bezeichne. „Mit dieser zwangsweisen Eingemeindung der JüdInnen in die Kategorie ‚normale Deutsche’ (…) wird die Täter-Opfer-Verdrehung dann vollendet.“, heißt es in dem Text.
Zum Verständnis der Argumentation, die sich im Unterschied zu Hofmanns „Achte-Klasse-Schulaufsatz“ offenbar auf wissenschaftlichem Niveau wähnt, lohnt es, Selbstverständnis und Antisemitismus-Begriff des Schreiberlings näher zu betrachten. Antisemitismus sei nämlich gar keine Meinung, sondern ein „Wahn“ und daher eher ein Gegenstand für die Psychoanalyse als für den Diskurs. Anders wäre der „heimliche(n) Befriedigung“ und den „antisemitischen Gelüste(n)“ der Antisemiten gar nicht beizukommen: „Insoweit Antisemitismus freilich auf psychopathologischer Projektion beruht, ist es gleichzeitig unmöglich, Antisemiten von der Falschheit ihres ‚Weltbildes’ zu überzeugen; sie machen ihre Wahrnehmung den eigenen Vorstellungen gleich (…)“. Folglich habe die anti-antisemitische Kritik nicht den Auftrag, mit Antisemiten zu diskutieren, sondern sich in der Analyse im Sinne einer postaufklärerischen Ideologiekritik „stets als Meisterin über jene“ zu erweisen. Im Umgang mit den Antisemiten selbst empfiehlt der Autor vielmehr „ein dutzend Hiebe mit einem stumpfen Gegenstand“.
Wenn es jedoch für einen Antisemiten kennzeichnend sein soll, dass dieser seine Wahrnehmung nach seinen Vorurteilen zurechtbiege, muss man aufpassen, dabei nicht selbst die Torte im Gesicht zu haben. Denn die anti-antisemitische Ideologiekritik vertraut freilich nicht den bloßen Worten des Antisemiten, es müsse vielmehr „über dessen bloße Äußerungen hinausgedacht werden“. Praktisch angewandt: Wenn Rechtsextremisten wie Hofmann gegen Juden als „Parasiten“ und „minderwertige Lebewesen“ hetzten und ihnen so eine Sonderrolle zuwiesen, wäre ihr Antisemitismus offenkundig. Bezeichnen sie hingegen Juden als „normale Mitmenschen“, werden sie, gerade weil sie es tun und so eine Sonderrolle der Juden bestreiten, als Antisemiten „entlarvt„. Rechtsextremist Hofmann kann also machen, was er will: Er ist und bleibt ein „metaphysischer“ Antisemit.
Mit diesem Vorgehen gleicht man sich strukturell jedoch gerade dem an, was man für den Antisemiten als konstitutiv erklärt: Dass dieser nämlich seine Vorurteile über Juden eben nicht auf objektive, empirisch nachweisbare Fakten stützen könne. Und so droht eine selbstherrliche anti-antisemitische Ideologiekritik, die sich mit einem „stumpfen Gegenstand“ auch noch ein extremistisches und militantes Sahnehäubchen aufsetzt, strukturell genau das nachzuahmen, was sie eigentlich zu bekämpfen vorgibt. René Girard prägte hierfür den Begriff der mimetischen Rivalität.
Was geschah danach? Zunächst ergriff Götz Kubitschek, einer der Macher der rechten Zeitschrift „Sezession“ noch in deren Dezember-Ausgabe, das Wort und sprang Hofmann bei: „Diese Rezension beschreibt den Untergang der Juden als das, was er war: ein wahnhafter, vernichtender Angriff auf größtenteils ganz normale Durchschnittsmenschen ihrer Zeit.“ „Hier&Jetzt“ hatte also die Männer aus Schnellroda wieder einmal auf sich aufmerksam gemacht. Kubitschek schloss seine Ausführungen über die „Herrschaft des Verdachts“ dabei mit einer subtilen Solidaritätsadresse: „Nochmals zu Hier&Jetzt? Das Gebot lautet: nachfragen, ganz konkret nachfragen, wie der Text über die Dresdner Juden gemeint war. Und vor allem: wie er ankam in der NPD.“ Man wird vermuten dürfen, dass Kubitschek genau dies getan hat. Und es würde nicht verwundern, wenn „Hier&Jetzt“ fortan ein paar Abonnenten weniger zu verzeichnen hatte – aus den Reihen der NPD.
In der Winterausgabe 2008 von „Hier&Jetzt“ trat Berthold Lauterbach den Interpretationen von „Attenzione“ für die Redaktion schließlich selbst entgegen und forderte eine „rückhaltlose Überwindung“ des Antisemitismus in der rechtsextremen Szene. Er bewunderte die Israelis für ihre „strikte Interessenpolitik“, von der „jeder Nationalist nur träumen“ könne. „Vielleicht“, schloss Lauterbach fast melancholisch seinen Text, „ist es eines fernen Tages durchaus denkbar, daß israelische und deutsche Nationalisten die Geschicke ihrer Länder verhandeln, Bündnisse möglich werden, die sich die Herrschaften in der Pirnaer Gartenstraße nicht einmal vorzustellen wagen…“
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de