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Voigt setzt auf Radikalisierung

 

Kaum eine Woche hielt die Geschlossenheit, die der Parteitag der NPD bringen sollte. Verwunderlich ist dies nicht, denn was in Berlin erreicht wurde, ist bestenfalls ein strategischer Kompromiss. Udo Voigt gelang es, den revisionistischen Flügel der Partei hinter sich zu vereinigen und den Einfluss der Realpolitiker zurückzudrängen – die Frage ist, wie lange. Von Armin Glatzmeier

Das spannendste Ergebnis des außerordentlichen Parteitags der NPD vom 4. und 5. April 2009 in Berlin dürfte wohl die Wiederwahl des bisherigen Parteichefs Udo Voigt sein. Dieser wurde mit 62,39 Prozent der gültigen Delegiertenstimmen in seinem Amt bestätigt und konnte sich damit gegen seinen Herausforderer Udo Pastörs durchsetzen. Ein Ergebnis, das angesichts der massiven Kritik an Voigt, der im vergangenen Jahr durch die Kemna-Affäre unter Druck geraten war, etwas überrascht. Doch dürfte Voigt bei seiner Wiederwahl von wenigstens zwei Faktoren profitiert haben: Zum einen spielte ihm dabei sicher das von seinen innerparteilichen Gegnern Udo Pastörs und Holger Apfel veranstaltete Gezerre um einen Gegenkandidaten ebenso in die Hand wie der Umstand, dass der außerordentliche Parteitag gerade in Berlin stattfand, also unter der organisatorischen Federführung jenes Landesverbands, der Voigt noch am 14. März zum Spitzenkandidaten der Berliner NPD-Landesliste gewählt hatte. Es handelt sich dabei auch um jenen Landesverband, der vor kurzem eine etwas eigenartige Vorstellung von innerparteilicher Demokratie an den Tag legte: Der Vorsitzende, Jörg Hähnel, hatte erst kürzlich Abweichlern den Parteiausschluss angedroht.

Das Udo-Duo

Dass die NPD die Bestätigung Udo Voigts nun auf der Homepage der Bundespartei als Erfolg verkauft, als Signal für die Beilegung der innerparteilichen Streitigkeiten, war zu erwarten und so heißt es dort in der Dachzeile zur Parteitagsberichterstattung „Geschlossen ins Wahljahr 2009“. Zum Beweis hat man denn auch auf die Sonderseiten zum Parteitag ein Bild auf die NPD Homepage gestellt, das Udo Voigt Arm in Arm mit seinen Kontrahenten Udo Pastörs zeigt. Im krassen Gegensatz zu dieser symbolischen Geste der Geschlossenheit steht die Mimik der beiden: Sowohl Voigt als auch Pastörs wirken sichtlich angespannt.

Realpolitik und Ideologie

Nur einen Tag später, am 6. April, ließ Holger Apfel, Vorsitzender der NPD-Fraktion Sachsen, zusammen mit seinem Stellvertreter Jürgen Gansel eine Pressemitteilung auf der Homepage der sächsischen NPD-Landtagsfraktion veröffentlichen, in der sie die Gründe ihres Ausscheidens aus dem Bundesvorstand darlegen. Und schon am 8. April zog Udo Pastörs auf der Seite seiner sächsischen Fraktion mit einer persönlichen Erklärung nach. Beide Stellungnahmen kündigen an, dass man künftig mit „kritischer Distanz“ (Pastörs) bzw. in „kritischer Loyalität“ (Apfel) zum neu gewählten Vorstand stehe. Beide Erklärungen werfen der alten neuen Parteiführung Politikunfähigkeit vor. Das überrascht nicht, denn insbesondere auf den Landesverbänden in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern lastet der Druck, bei den diesjährigen Wahlen die für eine Teilhabe an der staatlichen Teilfinanzierung notwendigen Stimmen zu holen. Und die Wähler dürften – sofern sie nicht dem Stammwählerklientel zuzurechnen sind – bei einer erneuten Entscheidung für die NPD stärker an den konkreten politischen Zielen und Leistungen der Partei interessiert sein, als dies noch beim letzten Urnengang der Fall war. Hier entscheidet sich nämlich die Frage, ob es der Partei bereits gelungen ist, ein eher diffuses Wählerpotential, das der NPD seine Stimme überwiegend nicht aus innerer ideologischer Übereinstimmung gegeben hat, zu einem einigermaßen verlässlichen Wählerreservoir zu wandeln. Denn Wähler, die sich von den demokratischen Parteien enttäuscht zurückziehen, lassen sich weder mit der fragwürdigen Züchtungsutopie eines Jürgen Rieger noch mit omnipräsenter Ausländerfeindlichkeit ansprechen. Diese Wähler wollen bei ihren Alltagsproblemen abgeholt werden. Es ist diese Erkenntnis, die in Dresden und Schwerin angekommen ist. Auch der bayerische Landtagskandidat Sascha Roßmüller setzte auf diese Karte und holte damit 1,2 Prozent der Gesamtstimmen bei der Landtagswahl 2008. Auf dem Parteitag in Berlin wurde diese Einsicht jedoch weithin ignoriert. Dies, obwohl Udo Voigt selbst bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin 2004 mit einem modernen Wahlkampfspot angetreten war. Kurzgefasst zeigt sich hier eine Spaltung innerhalb der Partei, die noch 1996 beim Machtwechsel von Günter Deckert zu Udo Voigt keine Rolle spielte: die Spaltung der Partei zwischen Realpolitik und Ideologie.

Der ‚sächsische Weg‘

Das heißt nicht, dass sich die Realpolitiker der NPD auf den Boden des Grundgesetzes stellen und von ihrem Ziel der Beseitigung der gegenwärtigen Verfassungsordnung Abstand nehmen. Allerdings setzen sie auf eine Neufokussierung der Parteiprogrammatik, um so die Aktionsbasis der Partei, insbesondere durch Wahlerfolge und Mitgliederwerbung, zu verbreitern. Pastörs fasst dies so zusammen: „Eine größere Zukunft der Partei wird sich nur dann eröffnen, wenn wir auf der Grundlage einer klar umrissenen Weltanschauung, uns der aktuellen Probleme annehmen und hierfür praktisch durchführbare Alternativen zum Block der Kartellparteien anbieten können.“ Apfel meint unter ausdrücklicher Bezugnahme auf zurückliegende Wahlerfolge: „Dieser ‚sächsische Weg‘ steht für einen gegenwartsbezogenen und volksnahen Nationalismus, der die soziale Frage in der Mittelpunkt der Programmatik stellt und der sich von unpolitischer Nostalgiepflege, ziellosem Verbalradikalismus und pubertärem Provokationsgehabe abgrenzt.“ So positionieren sich die beiden Landesvorstände in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern denn auch klar gegen einen Austritt aus der Partei und fordern Mitglieder und freie Kräfte gleichermaßen auf, sich im Wahlkampf zu engagieren. Wohlwissend, dass sich ihr politisches Gewicht innerhalb der Partei erhöhen wird, wenn sie ähnliche Wahlergebnisse realisieren können wie 2004 und 2006. Daher ist es aus Sicht des Realpolitikers logisch, so kurz vor den Wahlen zur inneren Geschlossenheit zu rufen – trotz der Niederlage beim Parteitag.

Realpolitik als Erfolgsbedingung

Die Erfolge, die die NPD im Osten in den vergangenen Jahren eingefahren hat, haben aber auch noch einen weiteren Grund. Die Rechtsextremen haben nach der Wende rasch das Wählerpotential im Osten erkannt und dort im Rahmen ihrer Möglichkeiten damit begonnen, Lücken auszufüllen und Nischen zu besetzen, die von den demokratischen Parteien nicht besetzt wurden. Rechtsextreme organisierten Konzerte in Regionen, in denen faktisch keine Jugendarbeit mehr geleistet wurde. Der „kleine Mann“, zu dessen Anwalt sich die NPD gerne stilisiert, wurde mit Bürgerfesten und Bürgerbüros angesprochen. Die Bürger wurden in ihrer sozialen Umwelt und mit ihren Alltagsproblemen eingebunden – unter anderem mit der Beratung bei Hartz-IV-Anträgen. Es gelang der NPD im Osten also zunächst der Aufbau einer Kommunikationsbasis und eines Bildes, das konträr zum medial vermittelten Bild des Neonazis liegt. Auf diese Weise fand die Partei Anschlussfähigkeit an die Lebenswirklichkeit. Und es sind insbesondere die lebensnahen Politikbereiche, wie Sozial-, Gesundheits- oder Arbeitsmarktpolitik, in denen viele Wähler den demokratischen Parteien ein Versagen vorwerfen, vor allem im Osten. Hier traf ein konkretes politisches Angebot, das auch in den Wahlkämpfen bedient wurde, auf eine konkrete politische Nachfrage. Der Rassismus und die Demokratiefeindlichkeit der NPD dürften für den kleinsten Teil der Wählerschaft interessant gewesen sein. Die zurückliegenden Erfolge geben den Kritikern Voigts recht. Und es ist für die Demokratie sicherlich der gefährlichere Weg, wenn es der NPD gelingen sollte, Wähler über Inhalte anzusprechen, die nicht unmittelbar einem nationalen, sozialistischen Weltbild zugehörig scheinen. Weil damit eine subtile Ideologisierung dieser Wählerschaft möglich wird.
Für die Bundespartei bedeutet die Entscheidung für Voigt eine Stärkung des ideologischen Flügels. Denn man darf dabei nicht vergessen, dass es gerade Voigt war, der die Altherrenpartei für rechtsextreme Skinheads öffnete und den „Kampf um die Straße“ proklamierte. Um diese Öffnung innerhalb der Partei durchzusetzen, verwies er immer wieder darauf, dass man sich nicht am Äußeren stören dürfe, was viele NPD-Mitglieder in dieser Zeit taten, sondern die ideologische Überzeugung sehen müsse. Damit legte er den Grundstein für die Verjüngung der Partei und die Werbung neuer Parteimitglieder, zeigte aber auch, dass ihm das äußere Erscheinungsbild der Partei und somit die Werbung eher ideologieferner Personen vergleichsweise egal war.

Ein Holocaust-Leugner als Bundespräsident?

Die Stärkung der ideologischen Hardliner, die erkennbarer am Nationalsozialismus orientiert sind, setzt sich auch bei weiteren Personalien fort. So wurde mit Jürgen Rieger als Wunschkandidat Voigts ein Mann zum dritten Stellvertreter gewählt, der sich seit Jahren offen für einen biologisch begründeten Rassismus ausspricht. Und auch Frank Rennicke, auf den sich NPD und DVU als Kandidaten für die Wahl zum Bundespräsidenten einigten, gehört zu den hochideologisierten Rechtsextremisten. Er dürfte wohl der erste Bundespräsidentschaftskandidat sein, dessen Werk in Teilen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde. Ironischer Weise versucht die NPD diesen Kandidaten als Vertreter der Jugend zu inszenieren. Tatsächlich kennt Rennicke die deutsche Jugendkultur – insbesondere die der extremen Rechten. Schließlich war er Mitglied der 1994 verbotenen Wiking-Jugend. Seine Tochter beteiligte sich organisatorisch an Aktivitäten der kürzlich verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Darüber hinaus nominiert die NPD mit Rennicke einen Bewerber, der am 15. Oktober 2002 vom Landgericht Stuttgart wegen Verbreitung einer Schrift verurteilt wurde, in der unter Bezugnahme auf den sogenannten „Leuchterreport“ die massenindustrielle Vernichtung von KZ-Häftlingen in Auschwitz in Frage gestellt wurde. Dieser Anklagepunkt hielt auch der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht stand.
Mit den Personalentscheidungen des Parteitages restauriert die NPD den ideologisch-revisionistischen Flügel der Partei, während die Realpolitiker auf die Ränge verwiesen werden. Der innerparteiliche Konflikt ist damit aber keineswegs beendet, sondern lediglich aufgeschoben.