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Internes Naziforum geleaked – „Wir sind ja Nationalsozialisten“

 

Vor allem über soziale Netzwerke wie Youtube und Facebook versuchen die Neonazis vom „Freien Netz“ Jugendliche zu rekrutieren © Getty

Sie hoffen auf ein neues „Drittes Reich“, planen Gewalttaten und sind bestens mit der NPD vernetzt. Dokumente aus einem internen Neonazi-Forum belegen, wie sich in Ostdeutschland ein gefährliches Netzwerk der rechtsextremen Szene etabliert hat.

Von Maik Baumgärtner

Es sind seltene Einblicke in die straffen Organisationsstrukturen der rechtsextreme Szene, die jetzt über einen Aussteiger an die Öffentlichkeit gelangt sind. Mehr als 1.300 Beiträge, die in Auszügen ZEIT ONLINE vorliegen, hatten die Drahtzieher des ostdeutschen Neonazi-Netzwerkes Freies Netz in einem passwortgeschützten Bereich eines Forums gepostet. Die knapp 20 regionalen Internetseiten der Gruppierung wurden vom sächsischen Verfassungsschutz bisher lediglich als „Schaufenster in die Szene“ bezeichnet. Dass in dem geschützten Bereich der Seiten ein kleiner Kreis offen über Straftaten und die gute Zusammenarbeit mit der NPD diskutiert, ist den Sicherheitsbehörden bislang offenbar entgangen.

Obwohl einige Mitglieder des Freien Netzes selbst NPD-Politiker sind, bezeichnet sich das Netzwerk als „außerparlamentarischen Widerstand“ und „Gegenpol zur bestehenden Medienmafia“. In dem geschlossenen Forum sprechen die „Kameraden“ Klartext. „Wir sind ja Nationalsozialisten“, schreibt etwa ein führendes Mitglied der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN). Die Auszüge stammen aus dem Jahr 2009 und sind deutliche Belege für das verfassungsfeindliche Weltbild der Szene.

Ganz offen geben die Rechtsextremisten zu, dass die ohnehin schon radikale NPD für sie „lediglich Werkzeug im politischen Kampf“ ist. Die inhaltliche Ausrichtung der JN „in Richtung NS-Ersatzorganisation“ werde bereits vorangetrieben, jubeln sie und fügen schnell hinzu: „natürlich nicht offiziell“. Mit massenhaften Eintritten aus der militanten Szene wolle man die Partei weiter radikalisieren.

Auch unangemeldete Aufmärsche und Gewalttaten wurden offensichtlich über das interne Forum vorbereitet. Kurz vor dem jährlichen Naziaufmarsch in Dresden schreibt ein User: „Wir haben uns überlegt, eine Polizeiwache anzugreifen und abzufackeln.“ Über private Nachrichten innerhalb der Seite lud ein weiterer Nutzer zu einer illegalen, antisemitischen Hetzaktion ein: „Also morgen gegen 18 Uhr wird ne Aktion in Chemnitz spontan gegen Israel stattfinden.“ Die „Kameraden“ werden gebeten, Fackeln und „Knaller“ mitzubringen.

An anderer Stelle diskutieren die Rechten, wie sie den von ihnen verhassten Antifa-Gruppen schaden können. Gefälschte Antifa-Aufkleber an Autos und Haustüren sollen die Nazi-Gegner in Misskredit bringen. „Wenn dann noch Fassaden besprüht werden mit der Aufschrift ‚Deutschland verrecke‘ und ‚Jeder Deutsche ist Nazi‘, dann werden die nicht mehr lange […] demonstrieren“, schlägt ein Rechter vor.

„Die Ermittlungsbehörden müssen jetzt prüfen, ob es sich beim Freien Netz um eine kriminelle Vereinigung handelt“, fordert der Politikwissenschaftler Hajo Funke von der Freien Universität Berlin. Er beobachtet seit Jahren die rechtsextreme Szene in der Region. Um das Freie Netz habe sich unbemerkt eine „halb-klandestine neonazistische Organisation“ entwickelt, die zu brutalster Gewalt fähig ist, aber gleichzeitig taktisch und strategisch gut koordiniert vorgeht, sagt er.

Die Linksfraktion im sächsischen Landtag kündigte am heutigen Sonntag an, das Thema im Innenausschuss auf die Tagesordnung zu setzen. Der sächsische Verfassungsschutz sei „offenkundig nicht in der Lage, seinen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen“ und habe den Organisationsgrad des Freien Netzes völlig unterschätzt. Im benachbarten Thüringen teilte das Innenministerium hingegen im August in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage mit, dass Anhänger des Netzwerks bereits in mehreren Städten durch politisch motivierte Sachbeschädigungen in Erscheinung getreten seien.

Die Gruppe ist sich offensichtlich genau bewusst, dass ihnen Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung drohen könnten und haben bereits einen „Notfallplan“ erarbeitet. Im Falle eines Verbots soll einfach „umgehend mit unterschiedlichen Namen“ weitergemacht werden. Unterstützung erhofft das Freie Netz sich in diesem Fall auch von der NPD. Der sächsische Fraktionschef Holger Apfel hatte in einer Landtagsrede betont, dass seine Partei für „einen Schulterschluss mit allen konstruktiven freien Kräften“ stehe. Dazu zähle selbstverständlich auch das „Freie Netz“.

Für die Karlsruher Politikwissenschaftlerin Ellen Esen ist die Enthüllung keine Überraschung. Seit Jahren kritisiert sie, dass die verantwortlichen Behörden sich zu sehr auf die NPD fokussieren und die Gefahr, die vom Freien Netz, vor allem für Jugendliche, ausgeht, unterschätzen. Denn kaum ein anderes Neonazi-Netzwerk nutzt das Internet und die sozialen Netzwerke so intensiv. „Das Auftreten entspricht den multimedialen Bedürfnissen von Jugendlichen, die über Blogs, Twitter, Facebook und YouTube schnell mit diesen Strukturen in Berührung kommen können“, warnt Esen. Um die Jugendlichen an die Szene zu binden, wird eine Erlebniswelt geschaffen, die im ländlichen Raum kaum eine demokratische Organisation bieten kann. So organisieren die Neonazis Wanderungen, Fußballturniere, Ausflüge, Protestaktionen auf kommunaler Ebene, etwa gegen die Schließung von Jugendklubs und Nazi-Konzerte.

Am stärksten ist das 2007 gegründete Freie Netz, in dem mehrere Hundert Rechtsextremisten organisiert sind, in Sachsen. Darüber hinaus existieren Strukturen in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bayern. Die enge und gute Vernetzung untereinander spiegelt sich vor allem bei der Durchführung von öffentlichen Aktionen wider. Mehr als 300 Neonazis können über die Websites überregional in kürzester Zeit mobilisiert werden.