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Neues Neonaziflugblatt stiftet Angst

 

In Köln haben Hunderte Menschen an den Bombenanschlag des NSU erinnert, kurz zuvor sind Flugblätter der rechtsextremen Gruppe Atomwaffendivision Deutschland aufgetaucht. Nicht zum ersten Mal.

Von Martín Steinhagen

Rechtsextremismus: Aktivisten erinnern an den Anschlag von vor 15 Jahren. © Roland Kaufhold
Aktivisten erinnern an den Anschlag von vor 15 Jahren. © Roland Kaufhold

Um 15.56 Uhr wird es still auf der Kölner Keupstraße. Vor 15 Jahren detonierte um diese Zeit dort eine mit Nägeln gespickte Bombe, gelegt von den Mitgliedern der rechtsextremen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), und verletzte 22 Opfer, vier davon schwer. Am Sonntag sind einige Hundert Menschen zusammengekommen, um gemeinsam daran zu erinnern. Die Keupstraße ist für den Verkehr gesperrt, an langen Tafeln aus Bierbänken sitzen die Menschen mitten auf der Straße zusammen, es werden Reden gehalten, Musiker spielen.

Auf der Keupstraße geht es an diesem Tag aber nicht nur um die Vergangenheit, um die Narben, die der rassistische Anschlag und auch der Umgang der Behörden damit hier hinterlassen haben. Es geht auch um die Zukunft des Erinnerns, um ein Mahnmal, das sich hier viele wünschen, für das die Stadt aber noch immer keinen Platz gefunden hat. Und es wird über Neonaziflugblätter geredet, die einige Tage zuvor aufgetaucht sind. Ausgerechnet hier in Köln-Mülheim, nicht weit von der Keupstraße entfernt.

Hakenkreuz und Drohung

Wie die Polizei bestätigt, sind zwischen dem 29. Mai und dem 3. Juni unfrankierte Umschläge in private Briefkästen eingeworfen worden. Auf Fotos ist eine Aufschrift in kleiner Druckschrift zu erkennen: „Atomwaffendivision Deutschland“. Darunter steht: „Botschaft an die Moslems in Deutschland“. Darin verpackt war ein Flugblatt, auf dem im Comic-Stil ein Vermummter abgebildet ist, der einen Betenden vor einer Moschee mit einer Axt attackiert. Auf der Rückseite prangt ein Hakenkreuz, in einem kurzen Text werden Anschläge auf Muslime angedroht und sie zur Ausreise aufgefordert. Auch die in der Neonaziszene verbreitete antisemitische Vorstellung, dass hinter Migrationsbewegungen Juden stecken würden, wird kolportiert. Der Staatsschutz ermittelt.

Nicht nur die Brutalität der Botschaft und des Bildes lässt aufhorchen, auch die vermeintlichen Urheber. Hinter dem Namen Atomwaffen Division, so die US-amerikanische Schreibweise, firmiert ein Neonazinetzwerk aus den USA, dessen Anhänger dort mit fünf Morden in Verbindung gebracht werden. Ähnliche Flyer waren Anfang April in einer Bibliothek der Frankfurter Goethe-Universität gefunden worden, auch hier im Namen der Atomwaffendivision Deutschland. Die Polizei hat inzwischen einen Zeugenaufruf veröffentlicht, bislang ohne Erfolg, wie eine Sprecherin gegenüber ZEIT ONLINE sagte.

Nicht der erste Fall

An der Berliner Humboldt-Universität gab es im November vergangen Jahres einen ähnlichen Fund. Die zuständige Staatsanwaltschaft Berlin ließ eine Anfrage zum Stand der Ermittlungen unbeantwortet. Die Berliner Polizei hatte ZEIT ONLINE Ende Mai mitgeteilt, man habe bislang keinen Tatverdächtigen ermittelt. Im Sommer 2018 war zudem ein Video veröffentlicht worden, in dem ein Vermummter behauptete, die Atomwaffendivision sei nun auch in Deutschland aktiv. Auch damals befassten sich die Sicherheitsbehörden damit.

Seither wird gerätselt, ob in Deutschland tatsächlich ein Ableger der US-Neonaziorganisation gegründet wurde, oder ob es sich um einzelne Anhänger handelt. Aufgrund der extrem gewaltverherrlichenden Ideologie und Propaganda könnte aber auch von einem Einzeltäter erhebliche Gefahr ausgehen.

Flugblätter tauchten in migrantisch geprägter Gegend auf

Der Fall in Köln unterscheidet sich jedoch von denen in Frankfurt und Berlin. Die Texte auf den Flugblättern enthalten zwar dieselbe rassistisch-antisemitische Ideologie und ähneln sich in der Aufmachung stark, adressieren aber andere Gruppen: Während mit den in den Universitätsbibliotheken deponierten Flugschriften „deutsche Studenten“ aufgerufen wurden, Morde zu begehen und sich der Gruppe anzuschließen, richtet sich das Kölner Flugblatt mit seinen Drohungen direkt an Muslime. Neu ist auch, dass es in Briefkästen gesteckt wurde. Zudem prangt auf der Vorderseite dasselbe Motiv wie in Frankfurt, doch die Urheber verwenden einen anderen Slogan und eine andere Schrifttype. Es ist also fraglich, ob es sich um dieselben Täter handelt oder ob diese in Kontakt stehen.

Zur genauen Menge der verteilten Flugblätter wollte sich die Kölner Polizei nicht äußern. Man habe einige Exemplare sichergestellt, die alle denselben Inhalt gehabt hätten, sagte ein Sprecher. Bislang sei nicht geklärt, ob sie gezielt in bestimmte Briefkästen geworfen wurden. Betroffen waren demnach mehrere Straßen in direkter Nachbarschaft voneinander. Die Gegend sei migrantisch geprägt. Laut WDR wurde eine Frau beim Verteilen der Umschläge gesehen. Die Polizei bestätigte das am Montag nicht.

„Verunsicherung, Angst, Wut“

Bekannt wurde der Fund erst kurz vor der Gedenkfeier, als Fotos der Flugblätter über Facebook, Instagram und Twitter geteilt wurden. Das Bild habe sich schnell verbreitet, berichtet Bahar Aslan gegenüber ZEIT ONLINE am Rande der Gedenkfeier am Sonntag. Die Kölnerin hat ein Buch zum NSU herausgegeben und sagt, dass der Vorfall vor dem gemeinsamen Gedenken an den Keupstraßen-Anschlag sehr emotional diskutiert worden sei, „Verunsicherung, Angst, Wut“ ausgelöst hätte, besonders in der migrantischen Gemeinschaft.

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos), einst selbst Ziel eines rechten Anschlags, verurteilte „diese widerwärtige Aktion gegen unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger“ auf Twitter „auf das Schärfste“. Das Gedenken und der Zusammenhalt seien „stärker als das abscheuliche Gedankengut rechtsextremer Spinner.“

Auf der Keupstraße werden in Reaktion auf die Neonaziflugblätter am Sonntag ebenfalls Flyer verteilt: Es sind mehrsprachige Einladungen zu einem Nachbarschaftstreffen. Hier sollen sich betroffene Anwohnerinnen und Anwohner über die Funde austauschen können, „denn niemand soll damit allein gelassen werden“.