Ein Allgäuer Unternehmer soll volksverhetzende Musik vertrieben haben. Vor Gericht kam er mit einem Freispruch davon. In einem neuen Anlauf könnte der Fall jedoch ganz anders für ihn ausgehen.
Von Sebastian Lipp
Das Oberlandesgericht München wählte scharfe Worte: „Ohne jegliche Systematik, Subsumtion und Prüfungsdarlegung“ habe ein Gericht im Allgäu den rechtsextremen Musikproduzenten Benjamin Einsiedler vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Die Münchner kassierten damit im April 2019 ein Urteil des Landgerichts Memmingen vom Mai 2018. Ab diesem Freitag muss sich Einsiedler deshalb ein weiteres Mal verantworten, vor einem anderen Richter.
Der Fall des Neonazi-Unternehmers reicht ins Jahr 2014 zurück, als Ermittler sein Plattenlabel Oldschool Records durchsuchten. Dabei stellten sie unter anderem Schlagstöcke und indizierte Rechtsrockmusik sicher. Die Polizisten zählten mehr als 900 Straftaten, die Staatsanwaltschaft fasste den Fund mit 88 Anklagepunkten zusammen und beschuldigte Einsiedler des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung, Belohnung und Billigung von Straftaten.
Staatsanwaltschaft vorgeführt
Angesichts der Vielzahl an Beweisstücken ein scheinbar klarer Fall. Vor Gericht aber wurde es juristisch fragwürdig. Beim ersten Prozess 2016 ließ sich die Ermittlungsbehörde von Einsiedlers Verteidiger Alexander Heinig am Amtsgericht Memmingen vorführen. Viele Anklagepunkte scheiterten an der schlechten Vorbereitung der Staatsanwaltschaft.
Die nächste Schlappe erlitten die Ankläger 2018 im mittlerweile kassierten Berufungsprozess im Landgericht. Szenekenner bemängelten, dass der Vorsitzende Richter Herbert Krause eine kritische Distanz zur politisch gefärbten Argumentation von Szeneverteidiger Heinig vermissen ließ. So argumentierte Krause, dem Angeklagten könne nicht nachgewiesen werden, mit dem Vertrieb einer CD der Band Hauptkampflinie vorsätzlich Volksverhetzung begangen zu haben.
Der Plattenproduzent – ein Musiklaie?
Einsiedler hatte das Lied mit dem Titel Ein junges Volk steht auf von der Hamburger Rechtsanwältin Gisa Pahl prüfen lassen. Diese hatte das Werk als unbedenklich eingestuft, obwohl das von einem führenden Funktionär der Hitlerjugend geschriebene Original laut Gericht im Nationalsozialismus zum „Pflichtliederkanon“ gehört habe und auf zentralen Parteiveranstaltungen gesungen wurde. Richter Krause argumentierte, Einsiedler habe auf das Gutachten vertrauen dürfen. Für Laien sei es nicht als verbotenes Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation zu erkennen.
Deshalb sei das Gesetz, das die Verwendung solcher Kennzeichen unter Strafe stellt, selbst „problematisch“, so der Richter. Damit argumentierte er ganz im Sinne von Anwalt Heinig.
Anders sahen das die Münchner Richter im Revisionsprozess: Das Landgericht hätte Einsiedler nicht aufgrund bloßer Behauptungen des Angeklagten, für die es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gäbe, freisprechen dürfen. Das neue Tatgericht werde anerkennen müssen, dass Einsiedler als langjähriger Neonazi-Unternehmer „gerade kein Laie ist und ihn als Gewerbetreibenden erhöhte Sorgfaltspflichten treffen“.
Neuer Blick auf umstrittenes Gutachten
Im neuen Prozess in Memmingen werden sich die Richter auch ein weiteres Mal das strittige Gutachten „mit Blick auf die Person und die Hauptgeschäftstätigkeit“ von Anwältin Gisa Pahl ansehen müssen. Deren Kanzlei, das Deutsche Rechtsbüro, soll zu den Empfängern von Spendenbriefen des NSU gehören.
Die Revision hatte seinerzeit die schwer unterlegene Staatsanwaltschaft angestoßen. Bis Ende Januar soll nun ein neues Urteil des Memminger Landgerichts fallen. Dann wird sich herausstellen, ob es den Neonazi-Unternehmer und Szeneführer Einsiedler beeindrucken kann. Seit Jahren betreibt er seine Propagandaschmiede im Kurort Bad Grönenbach weitgehend unbehelligt.