Rechtsextremisten haben in Magdeburg der Bombenopfer des Zweiten Weltkriegs gedacht – mit manipulierten Zahlen. Mit Märschen wie diesen will sich die NPD erneut in Stellung bringen.
Von Hardy Krüger
In der Innenstadt von Magdeburg mischt sich die sparsame Straßenbeleuchtung mit dem Blaulicht der Polizeifahrzeuge. Die Hauptstadt von Sachsen-Anhalt ist am Freitagabend Bühne für einen Neonazimarsch. In Formation schreitet eine Gruppe aus 160 Demonstranten und Demonstrantinnen, die meisten in Schwarz gekleidet, vom Stadtteil Buckau in die Innenstadt. Sie schwenken Fahnen, entzünden Fackeln. Mit dem Trauermarsch, wie Rechtsextreme die Veranstaltung nennen, soll vorgeblich an die Bombardierung Magdeburgs während des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren erinnert werden.
Den Teilnehmern kommt es vor allem darauf an, eine fünfstellige Zahl zu verbreiten: die 16.000. So viele Menschen seien am 16. Januar 1945 beim Bombenangriff der Alliierten ums Leben gekommen, heißt es auf einem Transparent. Tatsächlich geht die Geschichtsschreibung von höchstens 2.500 Opfern aus.
Der Trauermarsch als Erlebnis
Die Veranstalter der Demonstration können deshalb nicht ernsthaft erwarten, mit den manipulierten Zahlen eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen. Der angebliche Trauermarsch sollte vermutlich eher als apokalyptisch inszenierte Liveperformance nach außen und als emotionales Erlebnis nach innen wirken. Es handle sich um eine Umdeutung deutscher Geschichte, erklärt der Magdeburger Historiker Pascal Begrich: Die Zeit des Nationalsozialismus solle als “tugendhafter und ehrenvoller Zeitabschnitt” dargestellt werden.
Außerdem war der Aufzug eine diffuse Drohgebärde in Richtung politischer Gegner. Schließlich beteiligten sich an der Versammlung auch verurteilte rechte Gewalttäter, wie beispielsweise Alexander Bode. Der ehemalige Kommunalwahlkandidat der NPD in Brandenburg war Haupttäter einer tödlichen Hetzjagd auf einen Algerier im Jahr 1999 in Guben bei Cottbus und saß dafür zwei Jahre im Gefängnis. Die tatsächliche Zugkraft des Marsches war indes gering. Den 160 Teilnehmern stand mindestens die fünffache Anzahl an Gegendemonstranten gegenüber.
Die NPD und andere klassische Neonazistrukturen “verfügen aktuell über keinen messbaren Einfluss auf den politischen Diskurs” in der Stadt, teilt Historiker Begrich mit, der sich im Rahmen seines Vereins Miteinander e. V. für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt engagiert. Vor zehn Jahren – unter der Regie der NPD-nahen Initiative gegen das Vergessen – waren noch rund 1.000 Neonazis durch Magdeburg marschiert.
Geblieben ist der rechte Kern
Als verantwortlich für den diesjährigen Aufmarsch gelten vor allem die von Pegida beeinflussten Magdeburger gegen die Islamisierung des Abendlandes (Magida). Die Initiative hatte sich 2015 als islam- und flüchtlingsfeindliche Bewegung gegründet. Die Versammlungen der Gruppe zogen mehrere Hundert Sympathisierende an, darunter zeitweise auch bürgerliche Klientel.
Übrig geblieben ist nur der rechtsextreme Kern der Bewegung. Doch selbst dieser tritt laut dem sachsen-anhaltischen Verfassungsschutz kaum noch unter dem Namen Magida auf, weil diese Marke als verbraucht gelte. Stattdessen versuchten die Hauptakteure, sich in einem “Netzwerk” von vermeintlich patriotischen Gruppierungen einen bürgerlichen Anstrich zu geben.
Dieser Kreis organisiert auch seit spätestens 2019 die Trauermärsche. Bürgerliche Teilnehmer, die für flüchtlingsfeindliche Kampagnen noch mobilisierbar waren, bleiben allerdings fern. Stattdessen füllen wie eh und je Angehörige neonazistischer Kameradschaften und Mitglieder rechtsextremer Parteien die Reihen. Unter den Parteikadern waren insbesondere Funktionäre der NPD und ihrer Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN) aus Sachsen-Anhalt, Sachsen, Niedersachsen und Brandenburg erkennbar.
NPD mit neuer Strategie
Die Partei hatte den Opfermythos zu den Weltkriegsbombardierungen einst zu den Leitthemen des rechtsextremen Milieus gemacht und bundesweit Märsche anlässlich der Bombardierung deutscher Städte organisiert. Nach ihrem politischen Fall in die Bedeutungslosigkeit verlor sie jedoch zunehmend die Zügel aus der Hand.
Das soll sich nach dem Willen der NPD nun wieder ändern. Gemäß ihrem im September 2019 veröffentlichten Positionspapier will die Partei wieder vermehrt im vorpolitischen Raum aktiv werden – also auf der Straße. Eine Demonstration gegen kritische Journalisten im vergangenen November in Hannover bildete einen Anfang. Auch Magdeburger NPD-Funktionäre liefen dort mit.
Die NPD ist bestrebt, junge Gruppen wie die neonazistische Jugendclique Nationalisten Magdeburg an sich zu binden und zu formen. Im August 2019 hatten örtliche Parteifunktionäre im Rahmen eines Kleinstaufmarsches im Stadtteil Sudenburg mit jugendlichen Teilnehmern das Marschieren in Formation geübt. Denn die Demonstrationen der Zukunft sind schon in Planung: Laut Verfassungsschutz haben Rechtsextremisten bereits Trauermärsche für die kommenden zehn Jahre in Magdeburg angemeldet.