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Neonazis und Corona: Zwischen Verschwörungstheorien und Nachbarschaftshilfe

 

Dank der Angst vor dem Coronavirus läuft die Propagandamaschine von Neonazis heiß: Sie verbreiten Verschwörungstheorien und inszenieren sich selbst als Helfer in der Not.

Ein Gastbeitrag von Mobit – Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen

Anhänger der Neonazi-Partei Der dritte Weg marschieren im sächsischen Plauen auf. © Getty/Carsten Koall

Corona ist aufgrund der Dimension der Pandemie aktuell das bestimmende Thema aller öffentlichen Debatten. Auch für Neonazis, Prepper und Verschwörungstheoretiker ist die aktuelle Situation Anknüpfungspunkt für die Verbreitung ihrer Propaganda.

Schon seit Beginn der Ausbreitung des Coronavirus publizieren Akteurinnen und Akteure der extremen Rechten zahlreiche Beiträge zum Thema. Vor allem in den sozialen Medien und über Messengerdienste verbreiten sich so dubiose Meldungen, Verschwörungstheorien und Untergangsszenarien. Die digitale Welt ist aufgrund der aktuellen Maßnahmen wie Versammlungsverboten, Konzertverboten und Ähnlichem das zentrale Feld, auf dem der „Informationskrieg“ rund um die Pandemie ausgetragen wird.

David Begrich, Sozialwissenschaftler und Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins Miteinander in Sachsen-Anhalt, verwies bereits Mitte März im MDR auf drei Stränge von Verschwörungstheorien, die er ausmachen konnte: Je nachdem, welcher Theorie man folgt, ist das Virus entweder nach antisemitischer Lesart Teil einer „jüdischen Weltverschwörung“, wurde absichtlich in China hergestellt und dient in erster Linie dazu, das „Deutsche Volk“ auszurotten und/oder die Weltwirtschaft lahmzulegen.

Corona als Plan „teuflischer Eliten“

Diese Theorien schließen im Kern an die bekannte Propaganda an. Es geht zum einen um die Verbreitung von Angst. Allerdings nicht vor der Corona-Pandemie, sondern vor „geheimen Kräften“, die diese aus Sicht der Verschwörungstheoretiker nutzen, um eine Diktatur zu errichten. Zum anderen geht es um die Delegitimierung der parlamentarischen Demokratie und somit um eine Destabilisierung.

Die Erzählung vom „Tag X“, also dem Systemzusammenbruch, hat mit der aktuellen Krise wieder an Fahrt aufgenommen. Die extreme Rechte wähnt sich im Endkampf. Beispielhaft sei hier der rechte Verschwörungstheoretiker und Esoteriker Heiko Schrang genannt. Er betreibt mit rund 160.000 Followern einen der größten YouTube-Kanäle der Szene. Seine Videos zur Corona-Ausbreitung erreichten auf dem Videoportal zwischen 50.000 und über 200.000 Klicks.

Schrang spricht in seinen Videos von der „Corona-Hysterie“ und davon, dass „teuflische Eliten“ einen Plan verfolgen würden. Dabei sind seine Verschwörungstheorien durchweg antisemitisch konnotiert. „Ein viel größerer Plan“ würde hinter all dem stecken, und zwar „der Plan, dass jetzt Chaos zu schaffen [sic], um dann ihre Ordnung zu installieren. Das alte Freimaurer-Prinzip …“, sagt Schrang in einem seiner Videos.

Die Krise als Chance für digitale Faschisten

Diese Strategie der Verbreitung von Verschwörungstheorien und Untergangszenarien über die sozialen Medien beschreiben auch Maik Fielitz und Holger Marcks in ihrer Studie Digital Fascism: Challenges for the Open Society in Times of Social Media als Kern des „digitalen Faschismus“.

Im Kern geht es den Akteuren und Akteurinnen also darum, die Logik sozialer Medien zu nutzen, nach der sich negative und spektakuläre Meldungen rasanter verbreiten und verstärkt werden durch mehr Klicks und Shares, um die faschistische Kernideologie zu verbreiten. Die aktuelle Krise, die auch dazu führt, dass sich Menschen mehr online informieren, begünstigt dies zusätzlich.

Auch Thüringer Neonazis verbreiten ähnliche antisemitische Verschwörungstheorien. Beispielsweise David Köckert, Gründer des Pegida-Ablegers Thügida: Er richtete sich in einem Facebook-Video an seine Unterstützer und verbreitet wieder offen antisemitische Verschwörungstheorien.

„Wir kennen diesen Virus schon seit Jahrzehnten, wir, diese bösen Nazis, so schimpft man uns ja. Wir kennen den Virus schon seit Jahrzehnten und seit Jahrhunderten sprechen wir ihn an. Und dieser Virus ist der, der die Welt schon immer vergiftet hat“, sagt der Neonazi. Laut Köckert gehe es darum, den Menschen zu einem „willenlosen Sklaven“ zu machen.

Neonazis schüren Zweifel an Medien

Und Köckert ist sich seiner Ausführungen sehr wohl bewusst, so verweist er im Nachgang darauf, dass man ihm nun wieder eine „Volksverhetzung“ anlasten werde, um ihm zu „erklären“, dass er diese Äußerungen „auf irgendeine spezifische ethnische Minderheit reduziere“. Die Nachricht dürfte bei seinen Unterstützern klar ankommen.

Auch die Neonazistin Angela Schaller, die seit Jahren in Südthüringen den sogenannten Thing-Kreis organisiert, äußerte sich in einem Video zum Coronavirus. Laut eigenem Bekunden arbeitet Schaller als „Arzthelferin in einer Allgemeinarztpraxis in Mitteldeutschland“. Für sie ist klar, dass die Reaktionen der Behörden überzogen seien, da es „noch keinen einzigen Corona-Toten“ gegeben habe, „so wie es immer in der Zeitung steht“. Diese Menschen seien alle an Vorerkrankungen gestorben und ob „nun tatsächlich der Coronavirus schuld ist, weiß kein Mensch“.

Neben der Verbreitung von Falschinformationen diskreditiert die Neonazi-Aktivistin hier gleichzeitig „die Medien“, um diese als Informationsgrundlage zu delegitimieren. Wahr ist – in dieser Logik –, was die Szene verbreitet, und nicht, was Expertinnen in den etablierten Medien behaupten. Erschreckend, wenn man bedenkt, dass Schaller wohl auch Patientinnen berät.

Neonazi-Nachbarschaftshilfe

Und so kündigte die Neonazi-Aktivistin am 14. März auch ihren nächsten Thing-Kreis an. Am 8. April sollte dieser wieder stattfinden: Gemeint ist ein Neonazi-Treffen teils mit Liederabend, der wohl vor allem auch zum Austausch und zur Vernetzung dienen dürfte. Inzwischen wurde die Veranstaltung abgesagt.

Gleichzeitig bot sich Schaller auf Ebay als „Einkaufshilfe“ im Raum Sonneberg für „ältere Leute“ an, „die sich gerade nicht aus dem Haus wagen“. Eben jene Hilfen bieten derzeit zahlreiche Neonazi-Organisationen an. Die Jungen Nationalisten, also die Jugendorganisation der NPD, verteilte in mehreren Regionen Plakate und propagierte damit ihre Unterstützung für „ältere Menschen“. Man wolle „der Generation, die unser Land aufbaute“, etwas zurückgeben, denn „(…) wenn andere in Krisenzeiten nur an sich denken, und leben wir in diesen Zeiten die Volksgemeinschaft, die wir schon immer gefordert haben“, heißt es im Aufruf weiter.

In Thüringen ist es vor allem die Neonazi-Kleinstpartei Der Dritte Weg, die mit sogenannten Nachbarschaftshilfen wirbt. In den zahlreichen Flyern, die u.a. auf der Homepage verbreitet werden, wird im rassistischen Weltbild der Partei „Solidarität für Deutsche“ gefordert. Unter den Flyern ist auch eine Nachbarschaftshilfe für den Landkreis Gotha verzeichnet.

Diese wird auch auf den Plattformen des Bündnisses Zukunft Landkreis Gotha angeboten und dort mit Verweis auf den Neonazi Marco Zint organisiert. Ähnliche Aufforderungen kursieren auch in den Geraer Neonazi-Netzwerken. Als „Gersche Krisenhilfe“ kursiert dort ein Online-Flyer mit dem Logo der Partei Der Dritte Weg. Auch hier richten sich die Neonazis natürlich an die „Werte[n] Landsleute aus Gera“.

Rechte Prepper haben Konjunktur

„In schweren Zeiten“ sei es wichtig, „dass wir als Volk, eine der größten natürlichen Einheiten, zusammenrücken“, heißt es im Text. Auch hier, wie schon bei den anderen Aufrufen, handelt es sich ausdrücklich um rassistisch organisierte „Solidarität“. Hilfsangebote werden hier entlang der bereits bekannten Neonazi-Ideologie konstruiert.

Zudem verbreiten sich diverse Botschaften extrem rechter Prepper, welche die aktuelle Corona-Krise als Bestätigung ihrer wiederholten Warnungen vor dem „Zusammenbruch“ interpretieren. So werden im Netz beispielsweise Videos zur Vorbereitung auf den angeblich bevorstehenden Ausnahmezustand verteilt, wie etwa durch Axel Schlimper, der schon in der Vergangenheit in Vorträgen Tipps zur Krisenvorsorge gab. Oder durch den Neonazi und NPD-Kader Sebastian Schmidtke, der in einem Video die Herstellung von Desinfektionsmittel vorführt.

Der extrem rechte Verein Deutscher Zivilschutz warb in Altenburg für eine Veranstaltung, um sich auf mögliche Stromausfälle nach dem „Blackout“ vorzubereiten. Gleichzeitig bedauert der Neonazi Tommy Frenck, dass ein Horten von Waffen, um sich wie in den USA auf „mögliche Probleme bei der Gewährung der öffentlichen Sicherheit ein[zu]stellen“, für Deutsche nicht möglich sei.