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Falsche Freunde in der Flut

 

Das Chaos nach der Hochwasserkatastrophe zieht Rechtsextreme an. Sie packen an, inszenieren sich als freundliche Helfer. Doch in Wahrheit verfolgen sie andere Ziele.

Von Henrik Merker

Wehrmachtshelm und Reichsflagge prangen als Tattoo auf dem Unterschenkel eines Fluthelfers. © Henrik Merker

Der Ort Dernau in Rheinland-Pfalz ist am vergangenen Wochenende größtenteils von der Außenwelt abgeschnitten. Mobiles Internet gibt es nicht, keinen Strom, kein fließend Wasser. Auch die Nachbarorte Kreuzberg, Mayschoß und viele weitere hat die Flutkatastrophe hart getroffen. Viele haben ihr Hab und Gut, einige ihr Leben verloren.

Vor Dernau hat sich am vergangenen Samstag ein Stau gebildet, weil die riesigen Räumfahrzeuge und etlichen Autos nicht zusammen auf die schmale Zufahrtsstraße passen, die durch die Weinberge nach unten führt. Die breite Bundesstraße unten an der Ahr ist an vielen Stellen unpassierbar.

Im Stau stecken auch Neonazis der sächsischen NPD. Die NPD-Jugendorganisation JN hat mit anderen Verbänden eine vermeintliche Hilfsaktion organisiert. Vom sächsischen Leisnig aus fuhren sie mit Transportern in ein Gebiet, das für private Helfer eigentlich nicht zugänglich ist. Häuser müssen gesichert werden, Behelfsbrücken werden gebaut, der gröbste Schutt muss erst weg. Noch immer wird nach Vermissten gesucht, werden Tote gefunden. In Mayschoß stößt die Bundeswehr sogar auf eine Kriegsmine.

Wahlkampf im Flutgebiet

Die Überlebenden kämpfen um ihre schiere Existenz. Dieses Leid machen sich die Rechtsextremen zunutze. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Helfern hat die NPD keinen selbstlosen Antrieb. Die Partei ist im Wahlkampf – und nutzt Fotos von Kameraden, wie sie Keller auspumpen, wie sie Material verteilen. In einer Sprachnachricht behauptet ein Aktivist, professionelle Helfer hätten sie gebeten, nicht in die schwer betroffenen Gebiete zu fahren. Mit der Behauptung, sie seien in „offizieller Mission“ unterwegs, seien sie durchgekommen. Nicht zufällig sind Aktivisten der NPD-Jugend in T-Shirts mit großen Logos im Einsatz. Auf Telegram, Facebook und Twitter inszeniert sich die neonazistische Partei als Kümmerer.

Was die Rechten in den zerstörten Orten tun, ließ sich auch in der Aloisius-Grundschule in Ahrweiler beobachten. Weil niemand weiß, wer die vielen Helfer sind, fallen Neonazis kaum auf. Vom ersten Tag an nutzen Anhänger der Querdenken-Bewegung und angebliche Veteranen die Schule als Lager. Sie sammeln dort Nahrungsmittel, Kleidung und andere Güter. Dabei organisieren sie sich unter anderem über eine Telegram-Gruppe. Als ein Journalist von ZEIT ONLINE darin fragt, ob ihm jemand ein Interview zur Situation vor Ort geben möchte, wird er prompt ausgeschlossen: „Ich bin absolut für freie Meinungsäußerung, aber wir müssen uns vor dieser Lügenpresse schützen“, schreibt der zuständige Administrator. Später wurde das Hilfszentrum von den Behörden geschlossen.

Gleichwohl sind in der Gruppe zahlreiche Helfer, die ganz unpolitisch anpacken wollen und nach Informationen suchen. Doch stattdessen erhalten sie Falschmeldungen und abstruse Verschwörungsmythen: „Die Bundeswehr schickt wieder Helfer weg!“ und „Wetter wird seit den 60iger Jahren Manipuliert“, schreibt ein Nutzer dort. Ein anderer behauptet, die Flutkatastrophe sei ein gezielter Völkermord.

In der Hilfsgruppe für Ahrweiler wird mit Verschwörungsmythen Angst geschürt. © Screenshot Störungsmelder

Anwohner aus dem Umfeld der Grundschule sagen später auf Nachfrage, wenn sie wüssten, dass Neonazis ihnen helfen, würden sie deren Hilfe ablehnen. Doch andere sind schlichtweg unter Zwang, jede Unterstützung anzunehmen. Das liegt auch daran, dass die offiziellen Helfer zu wenig auf sich aufmerksam machen. Oft ist selbst im kleinsten Umkreis nicht bekannt, wo man Hilfe erhalten kann. Auch sind die meisten Handynetze am Wochenende noch tot, von DSL ganz zu schweigen.

Wo offizielle Hilfe fehlt, haben Rechte leichtes Spiel

Neben NPD und Verschwörungsideologen haben sich noch andere Rechtsextreme auf den Weg gemacht, um im Internet anschließend Propaganda zu betreiben. Das rechtspopulistische Compact-Magazin sandte entgegen allen journalistischen Standards eine Reporterin ins Krisengebiet, die dort Schlamm schippte. Chefredakteur Jürgen Elsässer brachte nach eigenen Angaben Hilfsgüter im Wert von 7.000 Euro in die Region – zu einer Zeit, als die Behörden bereits dazu aufforderten, wegen verstopfter Straßen nicht mehr dorthin zu fahren.

Auch der Holocaustleugner Nicolai Nerling ist in Kellern der Region unterwegs. In einem Video fordert er dazu auf, Möhren und Knoblauch zu essen, um keine Würmer zu bekommen. Würmer würden sich durch den Staub ausbreiten, heißt es in einem anderen Video von ihm. Um Propaganda gehe es ihm nicht, behauptet Nerling – nur um kurz darauf zu sagen: „Wenn ich möchte, dass wir als Volksgemeinschaft zusammenstehen, dann muss ich natürlich vorangehen.“ Alles andere sei nicht authentisch. Seinen Angaben zufolge ist der Rechtsextremist als Journalist vor Ort. Das Technische Hilfswerk klagte bereits, dass sich Aktivisten mit falschen Presseausweisen im Katastrophengebiet bewegten.

Parolen gegen den Staat

Aus Wismar in Mecklenburg-Vorpommern sind frühere Akteure der verbotenen Neonazimotorradclubs Schwarze Schar angereist. Unter ihnen: der militante Rechtsextremist Sebastian K., der auch Krebshilfe für Kinder organisiert. Bei den Spendenübergaben trägt er meist eine Tasche der rechtsextremen Marke Thor Steinar, wie Bilder auf Facebook belegen. Auch den Fluteinsatz inszeniert K. auf Facebook. Er hat dort einen Spendenaufruf gestartet, weil „die Versicherung nicht greift und vom Staat wohl nicht viel zu erwarten ist“, wie er schreibt.

Zu den organisierten Rechtsextremisten gesellen sich Rockerclubs wie der Gremium MC, die Verbindungen zur Neonaziszene pflegen. Sie sind an einem Verteilzentrum für Hilfsgüter im Ort Grafschaft aktiv. Auch Dortmunder Neonazis von der Partei Die Rechte arbeiten mit. Auf deren Homepage sind ihre Mitglieder bei der Aufbauhilfe zu sehen.

Viel spricht dafür, dass auch ihr Einsatz keineswegs humanistisch motiviert ist. Vielmehr nutzt die rechte Szene die Situation, um sich öffentlichkeitswirksam als Helfer des deutschen Volkes zu inszenieren. Das zeigt sich nicht zuletzt am Namen der zugehörigen NPD-Kampagne: Deutsche helfen Deutschen – ganz im Sinne ihrer nationalsozialistischen Ideologie. Vermeintliche Nicht-Deutsche sind da außen vor.