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Wie die CDU Wahlwerbung mit einem Rechtsextremisten machte

 

Die sächsische CDU hat das Gesicht eines Rechtsextremen für eine Wahlkampfkampagne genutzt. Ein Beispiel, wie Neonazis ihr Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft platzieren wollen.

Von Mareike Grün

Die CDU in Sachsen wirbt mit Plakaten, auf denen Ministerpräsident Kretschmer zusammen mit Unterstützern abgebildet ist. © Sebastian Kahnert/dpa

Ende Juni erhält Thomas Witte aus dem sächsischen Niederdorf eine freundliche E-Mail von einem CDU-Mitarbeiter: „Vielen Dank für deine Unterstützung!“ Er sei nun dabei als einer der „1.000 Köpfe für Sachsen“, einer Werbeaktion vor der Landtagswahl am 1. September. Im Juli läuft die Kampagne für Sachsens CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer auf Facebook an. 1.000 Passfotos von Unterstützern, davor ein staatsmännisch blickender Kretschmer im blauen Anzug. Unten links: das Konterfei von Thomas Witte. Was der Partei offenbar nicht klar war: Als Werbegesicht hatte sie auf einen Rechtsextremisten zurückgegriffen.

Witte nämlich gilt als einer der führenden Köpfe in der rechtsextremen Szene der Region Chemnitz. Der Verfassungsschutz hat ihn im Visier. Trotzdem wurde er Teil der CDU-Aktion, für die Bürgerinnen und Bürger via E-Mail ihr Foto einreichen konnten, wie zuerst die Freie Presse berichtet hatte.

Der CDU eins ausgewischt

Die sächsische CDU distanzierte sich, Generalsekretär Alexander Dierks teilte mit: „Wäre das Bild Herrn Wittes rechtzeitig erkannt worden, hätte es selbstverständlich nicht Eingang in das Plakat gefunden.“ Zugleich prahlte Thomas Witte mit dem Coup in der Patriotenpost, einem Blog, an dem er beteiligt ist. Er, der die Bundes-CDU und Merkel verachtet und politische Großveranstaltungen der Volksparteien nur besucht, um sie zu stören, hat der CDU eines ausgewischt.

Ein Werbevideo mit den Unterstützer-Gesichtern ist jetzt offline. Auf Plakaten zur Kampagne ist Wittes Kopf mit einem Schriftzug verdeckt. Im Gespräch mit ZEIT ONLINE sagt Ministerpräsident Kretschmer: „Ich gehe davon aus, dass er mit der Aktion unseren Wahlkampf diskreditieren wollte.“ Gleichzeitig gibt er sich gelassen: „Es gibt ja viele Provokateure. Ich bin es schon fast gewohnt.“ Auf seiner wochenendlosen Wahlkampftour durch Sachsen, deren erklärtes Ziel es ist, die AfD bei der Landtagswahl zu schlagen, trifft er oft auf sie.

Geschickter Aufstachler

Ist Witte „nur“ ein rechter Provokateur oder ein gefährlicher Neonazi? Fakt ist, dass der sächsische Verfassungsschutz ihn in seinem aktuellen Bericht zum wiederholten Mal als rechtsextrem eingestuft hat. Witte ist seit Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv, gehörte unter anderem zu den Störern, die den damaligen Justizminister Heiko Maas (SPD) am 1. Mai 2016 in Zwickau mit Trillerpfeifen und Geschrei zwangen, einen Auftritt abzubrechen. Witte gilt als rhetorisch geschickter Aufstachler, auf den asylkritische und völkisch-nationale Initiativen und Gruppen gern als Gastredner zurückgreifen.

Er sprach bei den Demonstrationen in Chemnitz im Herbst des vergangenen Jahres nach den Ausschreitungen, die die Stadt in die Schlagzeilen brachten. Es gibt ein Video auf YouTube, aufgenommen lange nach den Ausschreitungen, die Chemnitz international in die Schlagzeilen brachten. Es zeigt, wie Demonstranten singen: „Merkel hat das Land gestohlen, gib es wieder her, sonst kommt dich der Sachse holen mit dem Luftgewehr“. Auf der Bühne schwingt Witte einen unsichtbaren Dirigentenstab.

Betonte Bürgerlichkeit als Taktik

Mittlerweile sind seine Auftritte allerdings seltener geworden. Witte folgt offenbar einer anderen Taktik. Im Verfassungsschutzbericht Sachsens gilt er als Blaupause für eine zunehmend von Rechtsgesinnten und Neonazis im ländlichen Raum forcierten Strategie: sich bewusst abseits explizit extremistischer Aktivitäten in der Bürgerschaft zu zeigen, sich sozial oder kulturell, oft in Vereinen, zu engagieren – die sogenannten Einsickerungsbemühungen. Eigentliches Ziel sei es, das eigene Gedankengut in der Zivilgesellschaft zu verbreiten, schreiben die Verfassungsschützer: „Nach außen ist dabei ein extremistischer Zusammenhang nicht erkennbar.“

Witte ist Kopf eines Vereins namens Heimattreue Niederdorf. Ziele sind laut Satzung „die Förderung der Heimatpflege und Heimatkunde, Pflege des erzgebirgischen Brauchtums, heimatlichen Liedgutes und erzgebirgischer Mundart“. Das klingt harmlos, wenn man nicht weiß, dass mehrere Mitglieder bekannte Rechtsextremisten sind. Fast alle Ordner bei den Chemnitzer Demonstrationen im August und September 2018 rekrutierte sich aus dem Umfeld von Wittes Verein. Personen aus seinem Dunstkreis stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, der Verein selbst wird nicht als rechtsextrem eingestuft.

Sie musizieren für Rentner, mischen in der Lokalpolitik mit

Die Heimattreue Niederdorf gründete sich 2015 aus Bürgern, die gegen eine Asylunterkunft in ihrem Ort mobil machten. Mittlerweile versucht sich der Verein im Gemeindeleben zu etablieren. Seit 2016 besitzt die über 80 Mitglieder starke Truppe ein Vereinsheim, in dem öffentliche Lieder- und Musizierabende stattfinden. Mehrmals im Jahr veranstalten sie Feste, etwa einen Tanzabend – zuletzt auch in der kommunalen, also von der Gemeinde unterhaltenen, Sport- und Freizeithalle. Thomas Witte sitzt seit 2018 im Gemeinderat, dieses Jahr trat er auf der Liste Niederdorfer Bürger an – und schaffte es in das Gremium.

Verstärkt drängen die Mitglieder der Heimattreue Niederdorf ins Umland: Dreimal musizierten sie in Tracht in einer erzgebirgischen Altenpflege, bis vor wenigen Wochen bekannt wurde, wer sich hinter der Musikgruppe unter dem Namen De heimattreuen Musikanten verbarg. Der Chef der örtlichen Diakonie, Ruben Meyer, erklärte gegenüber ZEIT ONLINE, die Diakonie wolle die Leitungen ihrer Häuser sensibilisieren, um Vorfälle dieser Art künftig zu verhindern. Der Einrichtung sei nicht klar gewesen, wen sie sich zum Auftritt eingeladen hatte.

Aus Schutz vor Repressalien schreibt der Autor unter dem Pseudonym Mareike Grün. Die Identität ist der Redaktion bekannt.