In Dresden hat der Prozess gegen die rechtsterroristische Gruppe Revolution Chemnitz begonnen. Beweise zeigen, dass die Mitglieder ernsthafte Pläne für einen Anschlag mit Waffen geschmiedet hatten.
Von Johannes Grunert
Vom Besucherbereich aus nickt sie ihm zu, durch die Scheibe, mit der die Sitzreihen vom Rest des Gerichtssaals getrennt werden. Eine Mutter ist an diesem Montagmorgen ins Oberlandesgericht Dresden gekommen, wo ihrem Sohn zusammen mit sieben anderen Männern der Prozess gemacht wird. Der Sohn sucht ihren Blick, ansonsten schirmt er sein Gesicht mit einer Aktenmappe vor den Kameras im Saal ab. Das Medieninteresse ist groß, die acht Angeklagten stehen vor Gericht, weil sie eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet haben sollen.
Einer nach dem anderen werden die Männer in den Saal geführt, allen voran der mutmaßliche Bandenchef Christian K. Drei der Angeklagten halten sich Mappen vors Gesicht. Martin W. hat seine Kapuze soweit es geht zusammengeschnürt. Sven W. zittert, wippt mit dem Kopf vor und zurück, als es losgeht.
Angeklagte sollen Waffenkäufe geplant haben
Als erstes meldet sich der Anwalt des Angeklagten Martin H. und fordert, die Öffentlichkeit vom Verfahren auszuschließen – um seinem 21-jährigen Mandanten „Nachteile für die persönliche und soziale Entwicklung zu ersparen“. Das Gericht entscheidet dagegen: Das Interesse der Öffentlichkeit überwiege.
Kurz darauf verliest Bundesanwalt Kai Lohse die Anklage. Er braucht nur eine halbe Stunde, für die Staatsanwaltschaft ist die Sache klar: Die acht Männer zwischen 21 und 32 Jahren sollen eine rechtsextreme Vereinigung gegründet haben, deren Zweck Mord und Totschlag gewesen sei – eine Gruppe namens Revolution Chemnitz. Am 14. September 2018 sollen sie gemeinsam auf der Chemnitzer Schlossteichinsel Menschen angegriffen haben, die sie für Migranten hielten. Zudem hätten sie für den Tag der Deutschen Einheit einen Anschlag in Berlin geplant, für den sie sich mit Waffen eindecken wollten.
Verteidiger nennt Verfahren einen politischen Prozess
Organisiert wurde die Gruppe demnach von Christian K. in einem Chat der Messenger-App Telegram. Die Angeklagten seien gut in der rechten Szene vernetzt, würden sich teilweise schon aus ihrer Jugendzeit kennen. Einige hatten offenbar gemeinsam im Gefängnis gesessen.
Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Hans Schlüter-Staats, ob die Angeklagten aussagen wollten, kündigt der Anwalt von Martin H. an, sein Mandant werde sich „durch Schweigen verteidigen“. Auch alle anderen Angeklagten geben an, keine Aussagen machen zu wollen.
Nach der Mittagspause zieht das Tempo an, das Gericht beginnt mit der Beweisaufnahme. Mehreren Verteidigern geht das zu schnell. Sie beschweren sich, nicht Bescheid gewusst zu haben, dass bereits an diesem Tag Chatnachrichten aus der Gruppe verlesen werden sollen. Die Anwälte scheinen sich in Stellung zu bringen, einer macht der Bundesanwaltschaft gar den Vorwurf, einen politischen Prozess zu führen.
„Auf der Folie der Ausschreitungen“
Anklagevertreter Lohse will das nicht auf sich sitzen lassen. „Wir haben nicht die Gesinnung der Angeklagten im Auge, sondern die daran anknüpfenden Handlungen“, sagt er vor Journalisten. Diese allerdings waren offenkundig von politischem Hass befeuert: Kurz vor den Angriffen im September in Chemnitz war dort der Deutschkubaner Daniel Hillig erstochen worden, in der Stadt brachen Tumulte unter Beteiligung etlicher Neonazis aus. Die Taten der Revolution-Chemnitz-Mitglieder seien „auf der Folie der Ausschreitungen in Chemnitz“ geschehen, sagt Lohse.
Vor dem Oberlandesgericht wird der Chatverlauf dann doch noch verlesen. Schon die ersten Seiten machen deutlich, dass die Angeklagten sich als feste Gruppe sahen – mit einer klaren Auffassung vom politischen Kampf: „Planung und Organisation, wir sind die, die alles in die Hand nehmen und keine Worte mehr verlieren wollen!“, schrieb Christian K. in dem Chat. Er und seine Mannen wollten „versuchen, die Wende voranzutreiben und den Parasiten zu schwächen“. Bereits in der 22. Nachricht der Gruppe geht es um Waffenbestellungen.
Am Nachmittag endet der Prozesstag, in der Folgewoche soll es weitergehen. Die acht Männer werden in Handschellen herausgebracht. Die Mutter des einen Angeklagten ist bis zum Ende geblieben, steht an der Scheibe, sucht noch einmal Blickkontakt. Doch ihr Sohn erwidert den Blick nicht mehr. Er ist der erste, der aus dem Saal geführt wird.